Wissenschaftler auf der Suche nach dem Garten Eden – Garten Eden gefunden!

Wissenschaftler auf der Suche nach dem Garten Eden – Garten Eden – PM Online.

Liebe Wissenschaftler, ihr könnt die Suche nach dem Garten Eden einstellen, denn den können wir eindeutig als die ostafrikanische Savanne identifizieren. – Den Beweis dafür bietet die Bibel selbst. Man muß sich lediglich in die Zeitalter zurückversetzen, in denen noch kein Wort gesprochen wurde und die Szenen des „Drehbuchs“ Bibel neu schneiden, dann ergibt sich sogar ein schlüssiges Bild:

Adam und Eva wurden nicht aus dem Paradies vertrieben, vielmehr ermöglichte die „Erfindung“ des „künstlichen Fells“ ihnen, die Savanne zu verlassen und sich auch in kälteren Regionen anzusiedeln. – Sie drangen in diese Lebensräume ein, wie es heute noch alle Exozooen tun.

Da ds nachfolgend vollständig wiedergegebene Kaptiel aus meinem Manuskript „Australopithecus Superbus – der Mensch im Licht nichtlinear-dynamischer Evolution“ – seit seiner Entstehung vor 12 Jahren mehrfach umformatiert werden mußte, sind die Fußnoten ein wenig „verrutscht“ – Ich bitte das zu entschuldigen; – das Manuskript war schließlich nicht geschrieben worden, um ’scheibchenweise“ an verschiedenen Stellen im Internet veröffentlicht zu werden.

Fahren wir nunmehr im rund 3.800 km langen Fluß des Lebens „nur“ 2 Km zurück. – Das Boot heißt,  weil durch den Film Reise in die Urwelt inspiriert, in dieser Version immer noch „Jirkas Boot“.  – Wir haben seit den Anfängen des Lebens schon 3.798 Km zurückgelegt, die ersten echten „Zweibeiner“ liegen jetzt rund vier Km im Fluß des Lebens zurück:

… und kleidete sie.

Jirkas Boot gleitet gemächlich den Fluß des Lebens hinab. Es sind noch knapp zwei Kilometer bis zur Gegenwart. Vor uns teilt sich erneut der Flußlauf, wir müssen mit Schrecken feststellen, daß ein Seitenarm nach einigen Hundert Metern verlandet.  Gott sei Dank treibt Jirkas Boot in den anderen Arm. Nach und nach entdecken wir am Flußufer behauene Steine. Erst grobes Geröll, dann zunehmend verfeinerte Werkzeuge. Die Gebeine unserer Vorfahren, Stein- und Knochenwerkzeuge sind zwar stumme Zeu- gen, dennoch können sie uns viel erzählen, nur eines nicht: sie geben kei- ne Auskunft über die Motivation der frühen Menschen, die sie zu ihrer Benutzung veranlaßte. Damit sind wir bei einer der wichtigsten Fragen an- gelangt, die Anthropologen und Evolutionsbiologen seit jeher beschäftigt, namlich die, warum die Menschen der Vorzeit anfingen, systematisch Werkzeuge herzustellen.

Bei den Gedanken, die ich mir zu der Geschichte von Kain und Abel machte, stieß ich auf einen Satz, der zwar zur Schöpfungsgeschichte ge- hört, aber in kaum einer Kirche vernommen wird, nämlich 1. Mose, 3
Vers 21:  Und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe Röcke von
Fell und kleidete sie.

„Lucy“ blieb ihr Leben lang nackt, aber die Geschichte mit Kain und Abel lag bereits hinter ihr. In der Bibel allerdings kommt das Feigenblatt vor dem Brudermord. Mit andern Worten, in der Bibel scheint die zeitliche Folge des Gehehensablaufs vertauscht zu sein. Wenn aber die Reihenfolge der Ereignisse nicht stimmt, drängt sich die Frage auf, ob bei deren Schil- derung im Laufe der Tradierung nicht auch Ursache und Wirkung ver- tauscht worden sein könnten. Rekapitulieren wir die den Menschen betref- fende Genesis in ihren wichtigsten Stationen, wie sie in 1. Mose 2   be- ginnt:

1. Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden gegen Morgen und setze den Menschen hinein, den er gemacht hatte.
8. Und Gott der Herr ließ aufwachsen allerlei Bäume, lustig anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen.
16. Und Gott der Herr gebot dem Menschen und sprach: Du sollst essen von allerlei Bäumen im Garten;
17. aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen sollst Du nicht essen; denn welchen Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben.

In der Folgezeit schnitt Gott Eva aus Adams Rippe und gesellte sie ihm zu.

25. Uns sie waren beide nackt, der Mensch und sein Weib, und schämten sich nicht.

In 1. Mose 3 folgt dann der Dialog mit der Schlange:

…3. aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott ge- sagt: Esset nichts davon, rühret’s auch nicht an, daß ihr nicht sterbet.
4. Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet mitnichten des Todes sterben;

5. sondern Gott weiß, daß, welchen Tages ihr davon esset, so werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.
6. Und das Weib schaute an, daß von dem Baum gut zu essen wäre und daß lieblich anzusehen und ein luftiger Baum wäre, weil er klug machte; und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann auch davon, und er aß.
7. Da wurde ihrer beider Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, daß sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schürze.
8. Und sie hörten die Stimme Gottes des Herrn, der im Garten ging, da der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seinem Weibe vor dem Angesicht Gottes unter die Bäume im Garten.

In der Folge verflucht Gott die Schlange und belehrt Adam und Eva über die Konsequenzen ihres Handelns:

16. Und zum Weibe sprach er: Ich will dir Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinde gebären;und dein Ver- langen soll nach deinem Manne sein, und er soll dein Herr sein.
17. Und zu Adam sprach er: dieweil du hast gehorcht der Stimme deines Weibes und gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot, und sprach: Du sollst nicht davon essen, – verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren ein Leben lang.

Gott der Herr eröffent Adam,er habe zukünftig sein Brot im Schweiße seines Ansgesichts zu essen. Er gibt Eva ihren Namen und dann geschieht etwas ganz Merkwürdiges:

21. Und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe Röcke aus Fell und kleidete sie.
22. Und Gott der Herr sprach: Siehe, Adam ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, daß er nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich.
23. Da wies ihn Gott der Herr aus dem Garten Eden, daß er das Feld baute, davon er genommen ist,
24. und trieb Adam aus und lagerte vor dem Garten Eden die Cherubin mit dem boßen hauenden Schwert, zu bewahren den Weg zu dem Baum des Lebens.

Wie bei Kain und Abel ist der Sachverhalt lückenhaft und in sich wider- sprüchlich. Gott sei mein Zeuge, und der Papst möge mir verzeihen, daß ich an den Zeugen einige Fragen habe:

Warum droht Gott Adam mit dem Tode für den Fall, daß er vom Baum der Erkenntnis nasche? – Denn bevor Adam von ebendiesem Baum aß, konnte er keine Kenntnis davon haben, daß ein Zuwiderhandeln gegen Gottes Gebot ein todeswürdiges Unrecht darstellt.

Gott erwischte Adam an einem kühlen Tag, Adam und Eva versteckten sich vor ihm unter Bäumen. Was veranlaßte Gott, ausgerechnet an einem kühlen Tag in den Garten zu gehen.

Warum hat Gott Adam nicht kurzerhand beseitigt, denn immerhin hatte er ihm den Tod für den Fall des Zuwiderhandelns gegen sein Gebot ange- droht?

Warum fällte Gott ein differenziertes Urteil, nämlich Schmerz und Lust für die Dame, anstrengenden Nahrungserwerb für den Herrn der Schöp- fung?

Warum kleidet Gott die beiden in zuvor nie gekannter Weise neu ein, be- vor er sie aus dem Paradies vertreibt und ihnen den Zugang zur Unsterb- lichkeit verwehrt?

Es sind durchaus legitime Fragen an den Zeugen; sie sind auch durchaus geeignet, Theologen in Erklärungsnot zu bringen. Gott freilich würde wahrscheinlich antworten, er sei mißverstanden worden, man müsse ledig- lich die Fakten der Genesis in die richtige Reihenfloge bringen. Damit könnte er recht haben.

Listen  wir  die  Hauptbestandteile  der  biblischen  Schöpfungsgeschichte einmal auf:

1.    Das Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen;
2.    Die Todesdrohung;
3.    Das Negieren der Todesdrohung durch die Schlange;
4.    Das Essen vom Baum der Erkenntnis;
5.    Die Feststellung der eigenen Nacktheit;
6.    Das Geflecht aus Feigenblättern;
7.    Das Verstecken vor dem Zorn Gottes an einem kühlen Tag;
8.    Die Veränderungen im Leben;
9.    Die Austattung mit Bekleidung aus Fellen;
10.    Das Verlassen des Paradieses.

Bevor wir die Elemente der Schöpfungsgeschichte in eine andere Reihen- folge bringen, müssen wir uns an einer Stelle vom Text lösen, nämlich von den Begriffen „gut“ und „böse“. Diese Begriffe ließen sich, ohne den Sinn zu verändern, dahingehend verstehen, daß sie das Prinzip der Alter- nativität verkörpern, also eine der Grundregeln der Logik. Diese wieder- um ist Grundlage des analytischen Verstandes. Allerdings ist noch eine andere Interpretation des Gegensatzes möglich, die mir wahrscheinlicher vorkommt. Es dürfte damit das Wechselspiel von Phantasie und Logik ge- meint sein, in deren Spannungsfeld das menschliche Seelenleben zuhause ist. Das ist gemeint, wenn im folgenden das Verbot, vom Baum der Er- kenntnis zu naschen, die Rede ist.

Gliedern wir vor diesem Hintergrund die Genesis neu:

1.    Die Todesdrohung;
2.    Das Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen;
3.    Das Verstecken vor dem Zorn Gottes an einem kühlen Tag;
4.    Die Feststellung der eigenen Nacktheit;
5.    Das Essen vom Baum der Erkenntnis;
6.    Das Geflecht aus Feigenblättern;
7.    Die Veränderungen im Leben;
8.    Das Negieren der Todesdrohung durch die Schlange;
9.    Die Ausstattung mit Bekleidung aus Fellen;
10.    Das Verlassen des Paradieses.

Ich glaube, bereits die Umgruppierung der Elemente erlaubt es uns, dem tatsächlichen Ablauf der Menschheitsgeschichte näher zu kommen, ohne – wie Charles Darwin es war – gezwungen zu sein, die Genesis grundsätz- lich in Frage zu stellen. Fangen wir also mit der Todesdrohung an.

Warum könnte die Menschheit vom Aussterben bedroht worden sein?

Die Antwort geben uns die Geologen. Vor etwa zwei bis 2,5 Millionen Jahren setzte die quartäre Eiszeit ein, die erst vor etwa 10.000 Jahren en- dete. Die erste Vereisung wird regional unterschiedlich als Biber- Brüg- gen oder Prä-Tegelen Kaltzeit genannt.76

In Neuseeland begannen die Wälder, die überwiegend aus thermophilen (wärmeliebenden) Baumarten bestanden, abzusterben; Pollenanalysen aus Kolumbien erhärten die Annahme, daß damals auch im Bereich der inne- ren Tropen eine sehr starke Temperaturabnahme zu verzeichnen war.77

Wenn selbst in tropischen Gefilden die Abkühlung der Erde spürbar wur- de, konnte das nicht ohne Einfluß auf unsere Vorfahren bleiben. Bereits eine Absenkung der Nachttemperaturen um wenige Grad hätte sich zu- mindest unangenehm auf deren Befinden ausgewirkt.

Die geologischen Zeiträume sind allerdings reichlich bemessen, sie zählen nach Tausenden oder Millionen von Jahren. Wir dürfen deshalb davon ausgehen, daß die Abkühlung sehr langsam vor sich ging.

Diese wird sich zunächst an den äußeren Rändern des Lebensraums be- merkbar gemacht und eine Wanderungsbewegung ausgelöst haben. Den- noch wird eines Tages die Abkühlung auch den Kernbereich erfaß haben.

Die Probleme, denen Säugetiere gegenüberstehen, wenn sie der isolieren- den Wirkung des Fells verlustig gehen, kennt jeder Schaf- bzw. Angora- ziegenzüchter. Die mitunter kühlen Frühjahrsnächte nach der Schafschur- saison werden nicht umsonst „Schafskälte genannt; es ist die Zeit, in der viele frischgeschorene Schafe von Unterkühlung und Krankheit bedroht sind.

Texanische Angorazüchter berichten, ihre Ziegen seinen normalerweise nicht gegen Regen empfindlich. Im Februar und im August, wenn sie frisch geschoren seien, könne eine Regenguß sie umbringen. So sollen am Morgen nach einem Regenguß 4000 tote Ziegen gezählt worden sein, die
„sind umgefallen, wo sie gerade gingen und standen.“78

Uns bleibt nur zu erahnen, wieviel Todesopfer ein Regenguß zu jener Zeit bei unseren Vorfahren fordern konnte. In erster Linie wird das die Kin- dersterblichkeit hat zunehmen lassen. Schlechtes Wetter konnte also den Tod mit sich bringen. Der Reproduktionsdruck des Australopithecus ließ dramatisch nach.

Unsere behaarten Verwandten lassen die Regenzeit im allgemeinen ohn- mächtig über sich ergehen, allenfalls versuchen sie, den „Wettergott“ zu mobben. Bei manchen Populationen hat es sich eingebürgert, in Richtung des Unwetters ein Verhaltenan den Tag zu legen, das gewöhnlich der Feindabwehr dient.79

Eine interessante Beobachtung wurde indes in Guinea gemacht: Dort führ- te der Zufall zur „Erfindung“ einer Art von Regendach. „Jeden Abend

76 vgl. Thome, Einführung in das Quartär, Heidelberg 1998, S. 21 (In den USA
wird diese als Prä-Illionois-Kaltzeit K bezeichnet); Ehlers, Quartärgeologie, Stuttgart 1994, S. 165
77 Frenzel, Die Klimaschwankungen des Eiszeitalters, Braunschweig 1967, S 86f
78 Penny Ward Moser, Kein Grund zum Meckern, GEO 7/1987,  S. 116
79 vgl. Dröscher, S. 44ff

bauen sich wildlebende Schimpansen in einer Baumkrone ein Schlafnest, indem sie Zweige von allen Seiten unter sich zusammenbiegen und etwas verflechten. Eines Tages hatte ein vierjähriges Jungweibchen sein Nest unmittelbar über dem seiner Mutter geflochten, als ein Schauer hernie- derprasselte. Sogleich sprang es eine Etage tiefer zu seiner Mutter und bemerkte, daß sie beide hier im Trockenen blieben. Seither flechten sich alle Schimpansen dieser Region bei Regen ein Dach über dem Kopf.“80

Australopithecus war mit Sicherheit nicht dümmer als diese Schimpansen. Also werden auch unsere Vorfahren in ihrem Lebensraum irgendwann entdeckt haben, wo man einen Untershlupf findet oder wie man ihn sich bauen kann. Da sie aber im Grasland lebten, war das „Erfinden“ eines
„künstlichen“ Unterstandes mit ungleich größeren Problemen verbunden als im Wald.

Eines aber werden unsere Vorfahren vom Stamme der Australopithecinen mit Sicherheit nicht getan haben, sie haben sich nicht zu den Höhlen- menschen entwickelt, die in den allgemeinen Phantasien über den Men- schen in seiner Frühzeit herumspuken.

Australopithecus  war nackt. Bei der Suche nach einem warmen Plätzchen wäre er in der Höhle vom Regen in die Traufe gekommen. In Höhlen ist es, auch in warmen Gegenden, verdammt kalt. Eine Höhle hat noch einen gravierenden Nachteil, den ein Mensch, der einen Lichtschalter zu betäti- gen weiß, kaum nachvollziehen kann: den Besuchern der Ailwee-Cave, ei- ner Höhle im Westen Irlands, wird bei jeder Führung drastisch und im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen geführt, was es bedeutet, sich in ei- ner Höhle aufzuhalten. Am Ende des erschlossenen Teils bleibt man als Besucher einfach stehen und schaut in die Düsternis des noch unerschlos- senen Teils. Und dann wird es finster, weil das Licht ausgeschaltet wird. Es wird so finster, als wäre das Augenlicht erloschen. Selbst verbundene Augen können diese Finsternis nicht wahrnehmen, weil der Sinnesreiz ei- ner Augenbinde immer noch irgendwie Trost spendet. Im Innern einer Höhle aber ist es beängstigend, es ist wirklich zappenduster.

Des weiteren sind Höhlen auch nicht so häufig, daß die gesamte damalige Menschheit hineingepaßt hätte, es sei denn, man erwartet, daß sich Aus- tralopithecien mit dem Platzangebot für moderne Batteriehennen begnügt hätten.

Den Ausweg aus ihrer mißlichen Situation fanden unsere Vorfahren über sich selbst, er war in ihren Gehirnen bereits vorgezeichnet. Das zuneh- mend schlechter werdende Wetter forderte die Intelligenz unserer Vorfah- ren geradezu heraus. Beim Menschen sind die intellektuellen Fähigkeiten normalverteilt. Bei Schimpansen ist diese Normalverteilung ebenfalls an- zunehmen.

Einer der bekanntsten Versuche mit unseren Vettern dürfte der sein, in dem einem Schimpansen eine Banane vor die Nase gehängt wurde, die er nicht ohne weiteres erreichen konnte. Erst eine Kiste und eine Stange konnten ihn in die Lage versetzen, die begehrte Banane zu erreichen. Der Schimpanse betrachtete die Szenerie und die Hilfsmittel eine gewisse Zeit aufmerksam und fand schließlich die richtige Lösung, ohne beim Hantie- ren mit Kiste und Stange den Umweg über Versuch und Irrtum zu gehen. Leider fehlen Informationen über den Intelligenzquotienten des handeln- den Schimpansen. Deswegen sind Angaben darüber, ob er möglicherwei- se ein überdurchschnittlich intelligenter Schimpanse war, nicht überliefert.

80 Dröscher, 78

Darauf kommt es aber nicht an, vielmehr ist entscheidend, daß Australo- pithecus über die gleichen Fähigkeiten verfügte, nämlich die Vorstellung vom eigenen Handeln und die Vorstellung der Konsequenz des eigenen Handelns: „Wenn ich so handele, wie ich es mir vorstelle, dann wird mein Handeln die vorgestellten Wirkungen erzielen.“

Damit ist das Fundament beschrieben, auf das die Natur bei der Bewälti- gung der Probleme des nackten Affen am Anfang des Eiszeitalters bauen konnte.  Es  war der  Startpunkt einer Rückkopplungsschleife,  die  nicht ohne Auswirkungen auf die physischen Strukturen bleiben konnte.

Im Leben der Menschheit gab es erneut eine Akzentverschiebung. Denn diejenigen, die die Sachlage nur ein klein wenig besser beurteilen konnten und ideenreicher waren als ihre Artgenossen, hatten, in diesem Falle muß man es wohl so drastisch sagen, erheblich bessere Überlebenschancen.

Bei der Frage nach den einzelnen Entwicklungschritten kommt uns  Ernst Haeckels biogenetisches Grundgesetz zur Hilfe, wonach bekanntlich die Individualentwicklung die wesentlichen Stationen der Stammesgeschichte im Ansatz wiederholt.

Die jugendliche Reifung intellektueller Fähigkeiten ist dank den Arbeiten von Jean Piaget und anderen sehr gut erforscht.81  Schauen wir uns einmal an, was sich diesbezüglich innerhalb der Individualentwicklung alles ab- spielt.

Zunächst müssen wir feststellen, daß wir mit der Konzentration unserer Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Punkt eine Aktivität entfalten, die beim Kleinkind nach und nach in Erscheinung tritt:

„Im allgemeinen sind wir nicht auf das angewiesen, was wir mit einem Blick, in einem ganz kurzen Augenblick wahrnehmen können. Häufiger können wir das visuelle Feld absuchen, es systematisch betrachten und erforschen, um bestimmte, besondere Aspekte wahrzunehmen. Piaget meint, dieses aktive Erforschen beginne schon in früher Kindheit, mit elf oder zwölf Monaten, wenn das Kind Gegenstände manipuliert, um mehr über sie zu erfahren, und seine Verhaltensweisen variiert, um festzustel- len, was dann geschieht. Die Fähigkeit zur >Wahrnehmungsaktivität<, dem eingehenden, systematischen Betrachten komplexen Materials zur genauen Feststellung seines Wesens, entwickelt das Kind jedoch erst spä- ter, mit etwa sieben Jahren. Bei dieser Aktivität wird die unmittelbare Wahrnehmung durch Vergleiche aller Einzelheiten korrigiert und verfei- nert, Piaget bezeichnet diesen Vorgang als >Koppelung<.82

Bei einigen Untersuchungen stellte sich heraus, daß der Effekt optischer Täuschungen mit fortschreitendem Alter ebenfalls zunahm, weil die jün- geren Kinder unterteilte Linien als Ganzes wahrnahmen, während die älte- ren sie analysierten und sukzessive die einzelnen Teile fixierten.83

81 vlg. Jean Piaget, Biologie und Erkenntnis, Frankfurt/Main 1974 , S. 18f; Piaget betrachtet das Aufeinanderfolgen der einzelnen Stadien, in denen mit zunehmen- dem Alter die intellektuellen Fähigkeiten des Kindes zunehmen als Reifungspro- zeß: „Dieser sequentielle Charakter der Stufen der Intelligenz scheint die Not- wendigkeit eines endogenen Faktors in der nervösen Reifung sicher zu beweisen, schleißt aber weder die Beteiligung der Umwelt (Erfahrung) aus noch vor allem Wechselwirkungen zwischen Reifung und Umwelt in einem Prozeß fortschreiten- der Äquilibration oder Selbstregelung.“ (S. 19 Fußnote 9)
82 M.D. Vernon, Wahrnehmung und Erfahrung, Müchen 1977, S. 97
83 Vernon, aaO, 98 m.w.Nw.

Allerdings sind die Augen nicht die einzigen Sinnesorgane, mit denen der Mensch sich ein präzises Abbild der ihn umgebenden Gegenstände macht. Von erheblicher Bedeutung in diesem Zusammenhang sind die Erfahrun- gen, die er dadurch sammelt, daß er sich mit einer Sache im wahrsten Sin- ne des Wortes „befaßt“:

„… Ein Experiment von Ling zeigte, daß Kinder mit sechs Monaten ler- nen können, Figuren wie Kreise, Quadrate, Dreiecke und Kreuze zu un- terscheiden, wenn sie paarweise dargeboten werden. Eine Figur war be- weglich und mit einer süßen Masse überzogen; das Kind konnte sie neh- men und daran lutschen. Zuerst lernten die Kinder sehr langsam, welche Figur sie nehmen mußten, und es bestanden beträchtliche individuelle Unterschiede.  Vom  siebenten  bis  zum  zwölften  Lebensmonat  steigerte sich die Lerngeschwindigkeit schnell. Die Aufgabe war jedoch schwerer zu bewältigen, wenn mehrere Figuren gleichzeitig dargeboten wurden, und wenn eine richtige Figur einer anderen ähnlich sah – beispielsweise Kreis und Oval. Es scheint, als hätten die Kinder während dieser Zeit all- mählich gelernt, einzelne, einfache Formen zu identifizieren. Babska un- tersuchte die weitere Entwicklung der Identifikation. Sie forderte Kinder auf , sich die Form einer Figur – etwa eines Kreises, eines Quadrates etc.
– zu merken und sie später wiederzuerkennen, wenn sie zusammen mit anderen Figuren gezeigt wurde. Bei Zwei- bis Dreijährigen entsprach die Zahl der richtigen Antworten der Zufallserwartung, dann aber verbesser- te sie sich allmählich, und mit fünf Jahren waren fast alle Antworten richtig. Wir können also schließen, daß zu diesem Zeitpunkt die Identifi- kation einfacher Formen gesichert war.(…)

Die exakte Diskriminierung und Identifikation einer Figur unter mehre- ren entwickelt sich nur langsam. Meyer untersuchte das Verhalten von Kindern zwischen eineinhalb und fünfeinhalb Jahren. Er forderte sie auf, Schachteln ineinander zu stecken und sie durch Öffnungen in einem Brett zu schieben. Natürlich war diese Aufgabe nur zu erfüllen, wenn die For- men genau paßten. Bis zum Alter von zweieinhalb Jahren gingen die Kinder ausschließlich nach  trial-and-error vor, sie stießen die Schachteln zusammen, ohne daß sie je zusammenpaßten. Mit drei bis vier Jahren be- gannen die Kinder mit dem Versuch, passende Formen zu wählen, aber erst mit mehr als vier Jahren stellten sie im voraus fest, wie die Formen zusammenpaßten. Zu ähnlichen Ergebnissen kam Venger, der gleichfalls bei  Zweijährigen  reines  trial-and-error-Verhalten  feststellte,  allerdings bei Zwei bis Dreijährigen gelegentlich direktes Zuordnen der Formen fand.

Es scheint als komme es bei jüngeren Kindern, wenn sie ausschließlich auf den Gesichtssinn angewiesen sind, zu einer bloß globalen Wahrneh- mung, und als könnten selbst bei einfachen Formen die Begrenzungslini- en nicht aus dem Gesamteindruck herausanalysiert werden. So stellte Ames et al. fest, daß Zweijährige in ihren Reaktionen auf Rorschachta- feln die Klecksbilder nur ungenau und vage als Ganzheit wahrnahmen. Oft aber ergänzen Kinder ihre visuelle durch taktile Wahrnehmung. Vor allem verfolgen sie die Begrenzungslinien mit dem Finger und werden so auf die Form aufmerksam.  Gellerman zeigte, daß ein zweijähriges Kind lernen kann, eine Dreiecksfigur durch Nachfahren mit dem Finger zu identifizieren und sie danach auch zu erkennen, wenn sie auf den Kopf gestellt wird oder Schwarz und Weiß vertauscht werden. Luria   stellte fest, daß Kinder unter fünf Jahren auch große Schwierigkeiten hatten, Unterschiede zwischen jeweils zwei Figuren zu behalten, wenn sie sie nicht in der Hand gehabt und die Konturen gefühlt hatten. Konnten sie

aber die Figuren in die Hand nehmen und sie befühlen und sie dabei be- nennen, dann gab es schon bei Drei- bis Vierjährigen selbst bei verwir- renden Figuren – etwa unregelmäßigen Vierecken – fast keine Fehler mehr. Es scheint also, als trage der taktile Umgang zur Identifikation bei, indem er die genaue Wahrnehmung der Kontur verstärkt. Nach der frühen Kindheit aber, wo sie Informationen über Festigkeit, Oberflächen- struktur usw. vermitteln, kommt taktilen Eindrücken an sich keine große Bedeutung mehr zu. Die taktile Formwahrnehmung ist stets weniger effi- zient als die visuelle, die die taktile beim Erwachsenen völlig verdrängt hat. Wenn also die taktile Wahrnehmung mit einer verzerrten visuellen Wahrnehmung in Konflikt gerät, dann bestimmt der visuelle Eindruck, was wahrgenommen wird.“84

Unsere Vorfahren beschäftigten sich zunehmend mit den Dingen, die sie umgaben und auch damit, welche Auswirkungen ihre Manipulationen hat- ten. Es liegt auf der Hand, daß dazu der Organisationsgrad eines „Schim- pansenhirns“ nicht mehr ausreichte. Der für die hochauflösende Wahrneh- mung  der  Umwelt  notwendige  „Arbeitsspeicher“  reichte  einfach  nicht mehr aus, er mußte größer werden.

Als Reaktion auf die tiefgreifenden Veränderungen in der Umwelt kam also eine Rückkopplungsschleife in Gang, die zu einer Hirnvergrößerung führte. Die oben zitierte Feststellung, daß die Wirksamkeit einer optische Täuschung im Laufe der Kindheit zunimmt, zeigt, wie sehr sich mit fort- schreitendem Alter auf der Wahrnehmungsseite das „Auflösungsvermö- gen“ steigert. Dabei galt es lediglich, die Länge zweier Strecken zu beur- teilen, deren eine mehrfach von Querstrichen geschnitten wird. Kleinkin- der betrachten auch die unterteilte Strecke als Ganzes, während ältere Kin- der sie analysierten und sukzessive betrachteten. Die Wirkung der Täu- schung steigerte sich damit.85

Aufgrund der verbesserten Detailwahrnehmung wurden unsere Vorfahren auch in die Lage versetzt, die Konsequenzen ihrer eigenen Handlungen immer besser zu erkennen. Die eigene Hand, das „Handeln“ des Ich wur- de zum Objekt der Beobachtung.

An dieser Stelle sollten wir die Verfolgung der Rückkopplungsschleife vorläufig einstellen und uns klarmachen, was es bedeutet, Erkenntisse über die Welt zu gewinnen:

Seit Tausenden von Jahren streiten die Gelehrten über das Wesen der Er- kenntis und darüber, ob es überhaupt möglich ist, die Welt zu erkennen. In die immerwährende Auseinandersetung der Philosophen will ich mich nicht einmischen, weil ich ihn für einen Streit um des Kaisers Bart halte. Obwohl die Fähigkeit zur Erkenntnisgewinnung zum Kernbereich menschlichen Lebens zählt und damit auch im Rahmen der menschlichen Evolution im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, lasse ich diese Frage au- ßen vor, eben weil der sich darum rankende Streit ein ewiges Scheinge- fecht ist, das seine Daseinsberechtigung aus dem Übergehen der wichtigs- ten Komponente des menschlichen Verstandes bezieht. Diese ist das Vor- stellungsvermögen, die Phantasie. Allenthalben ist von Vernunft und Ver- stand die Rede, aber diese Begriffe würden leerlaufen, gäbe es nicht die Phantasie, die mit ihrem Überschäumen den Verstand „schärft“. An ihren Produkten erst lassen sich die Kriterien der Vernunft messen.

84 Vernon aaO, S 42ff
85 Vernon, aaO, S 97f

Das Wesen, aber auch den Unterschied der Phantasie bei Mensch und Tier hat Eibl-Eibesfeldt veranschaulicht:

„Schon höhere Säuger können Aufgaben lösen, ohne erst verschiedene Möglichkeiten motorisch abhandeln zu müssen: Das Probieren ist nach innen verlegt. Der Schimpanse, der in einem Käfig sitzt, in dem sich eine Kiste und eine an der Decke befestigte Banane befrinden, probiert in Ge- danken Verschiedenes aus: Er überlegt, wohl ähnlich wie wir, setzt seine bisherigen Erfahrungen dazu in Beziehung und findet so die Lösung. Al- lerdings müssen die Gegenstände seiner Überlegung anwesend sein. Bei Menschen ist diese Fähigkeit, in der Vorstellung zu experimentieren, so- weit entwickelt, daß wir ihn mit Recht auch als >Phantasiewesen< be- zeichnen können. Wir kombinieren unsere Bewußtseinsinhalte im Geiste, und zwar nicht bloß, wenn eine Aufgabe konkret an uns herantritt. Wir spielen auch mit ihnen, fügen sie neu zusammen, bauen Luftschlösser auf, entwerfen Handlungsweisen als Pläne und lösen dabei Gewohnhei- ten wieder auf – ein Mechanismus, der uns vor Erstarrung schützt.Aller- dings ist der Schutz nicht absolut. Wir können in unserer Phantasie Leit- vorstellungen schaffen, die wie ein Zwang als >fixe Idee< unser Verhal- ten determinieren. Diese Gefahr besteht vor allem dann, wenn unsere Phantasiegebilde unter dem Einfluß starker Antriebe (Machtstreben, Se- xualität) geformt werden. Bis zu einem gewissen Grade können wir in der Phantaise ein zweites Leben führen und Antriebe ausleben, für die in der Wirklichkeit kein Raum ist.

Bemerkenswert ist, daß der Mensch, ohne es erst motorisch zu üben, auch rein zentral neue Bewegungskoordinationen erlernen kann. Wir können nicht nur ein neues Wot hören oder lesen und sogleich nachspre- chen, wir können auch neue Bewegungen in der Phantasie zusammen- bauen und danach der Vorstellung entsprechend ausführen.“86

Leider stellt auch Eibl-Eibesfeldt zu sehr auf die „Bewußtseinsinhalte“ ab, die da in der Phantasie durchgespielt werden. Meiner Meinung haben am Prozeß der Phantasie vor allem unbewußt ablaufende Vorgänge den ent- scheidenden Anteil. Eibl-Eibesfeldt deutet das in seinem Hinweis auf die
„Luftschlösser“ und den Hinweis auf den Einfluß starker Antriebe zwar an, nennt das Kind allerdings nicht beim Namen. Gerade im letztgenann- ten Fall stehen die Phantasien nicht unter dem Einfluß der Antriebe, sie werden durch die Antriebe erzeugt und ins Bewußtsein „geschoben“.

Wir brauchen uns nur in unserer selbstgeschaffenen Umwelt umzuschau- en: es ist die Phantasie, über die der Mensch so reichlich verfügt, daß dar- aus ein ganzes geistiges Universum entstand, nämlich die Literatur, das Erzählen erfundener Geschichten. Die Erzählkunst explodierte erneut, als die Bilder das Laufen lernten; seit Erfindung des Fernsehens leben wir fast nur noch in einer Art Cyberspace erfundener Geschichten. Bewußt und ausdrücklich zähle ich hierzu die zahlreichen „Legenden“ die ge- schichtsträchtige Personen in die Welt setzen oder die über sie kolportiert werden.

Die Phantasie ist es auch, die den Erkenntnistheoretikern aller Epochen den  irrtümlichen  Schluß  nahelegte,  auch  in  der  Natur  gäbe  es  einen Zweck, ein bestimmte Absicht.

„Die vier Gesichter der Ursache: Diese haben seit Aristoteles das Den- ken ebenso wie die Denker in Lager gespalten und die unterschiedlichen

86 Eibl-Eibesfeldt, Grundriß der vergleichenden Verhaltensforschung, München
1969, S. 476f m.w. Nachw.

Renaissancen erfahren: So in Schopenhausers Dissertation >Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde<. Der Leser aber bleibt davon verschont. Hier ist weder Anlaß nach Raum, alledem nach- zugehen. Nur der Klartext der klassischen Version ist für uns von Bedeu- tung.

Zumeist werden die vier Formen am Beispiel der Ursachen des Haus- baus folgendermaßen illustriert. Dieser hat erstens eine Antriebsursache, die causa efficiens, einen Aufwand nötig, Arbeitskraft oder Geld, zweitens eine Materialursache, die causa materialis, das Baumaterial, Sand, Zie- gel, Balken uns so fort; drittens eine Formursache, die causa formalis, Baupläne, die den Grundriß, Räume und Wände bemessen; und viertens eine Zweckursache, die causa finalis, das ist irgendjemandes Absicht, ein Haus zu bauen.

Tatsächlich, so wird man mit mir übereinstimmen, kann nicht eine der vier Ursachen beim Hausbau fehlen. Oder wäre ein reales Haus denk- bar, das jemand ohne irgendeinen Aufwand oder ohne Material oder ohne Plan, welcher Art auch immer, gebaut worden wäre. Oder hätte es ohne irgen jemandes, wenn auch noch so mißverstandener oder verse- henlicher Absicht entstehen können. Selbst für den Bau eines Bibers und den Köcherbau einer Fliegenlarve kann keine der Ursachen fehlen. Warum aber gerade vier Ursachen? Und dieser zweiten Komplikation ei- ner zersplitterten Ursachenvorstellung folgt eine dritte auf dem Fuß“.

Riedl meint damit die Ur-Ursache, die im Zweck gesehen wird. 87  Aristo- teles selbst meint zu diesem Thema: „(…) Denn in den Erzeugnissen der Kunst und in denen der Natur verhält sich offenbar das Spätere zum Frü- heren gegenseitig in gleicher Weise. Am meisten springt dies bei den Tie- ren in die Augen, die die Natur so schafft, daß sie etwas weder künstlich suchen, noch überlegen. Darum wirft man ja auch die Frage auf, ob die Spinnen oder die Ameisen oder ähnliche Tiere mit Verstand oder mit sonst einer Fähigkeit handeln. Geht man aber nur einen kleinen Schritt weiter, so zeigt es sich, daß auch bei den Pflanzen das entsteht, was für den Zweck zuträglich ist: z.B. die Blätter zum Schutz der Frucht. Wenn also die Schwalbe ihr Nest und die Spinne ihr Netz um eines Zweckes wil- len macht, und wenn die Pflanzen die Blätter wegen der Früchte hervor- bringen und der Ernährung wegen ihre Wurzeln nicht oben, sondern un- ten haben, so ist es klar, daß in dem, was von Natur wird und ist, eine solche Ursach wirksam ist. Un weil die Natur ein Dopeltes ist, einerseits Materie und andererseits Form, diese aber der Zweck ist und um des Zweckes willen alles übrige da ist, so wäre also dies, der Zweck, die Ur- sache….“88

Schauen wir uns ein wenig in der Natur um:

Der Spinne, die unlängst ihr Netz zwischen dem Außenspiegel und der Karosserie meines Wagens gesponnen hatte, war der Zweck ihres Hand- lens mit Sicherheit unbekannt. Sie spulte ein Programm ab, ohne über- haupt wahrzunehmen, was tatsächlich geschah: Bis etwa 80 km/h blieb sie seelenruhig in ihrem Netz hängen, etwa ab diesem Tempo lief sie rasch in Deckung. An jeder Ampel aber, wenn wieder weitgehend Windstille herrschte, kam sie wieder hervor, kontrollierte ihr Netz und beseitigte durch den Fahrtwind entstandene Schäden. Das wiederholte sie immer und immer wieder; sie tat mir hinterher richtig leid; aber wie hätte ich ihr erklären sollen, daß nach der nächsten Grünphase der „Sturm“ aufs Neue

87 Rupert Rield, Evolution und Erkenntnis, München 1984, S 126
88 Aristoteles, Aus der Physik, Kausale und teleologische Naturbetrachtung

losgehen würde? Wie selbstverständlich erscheint uns das Verhalten der Spinne zweckgrichtet. Sie webt ihr Netz, um damit Insekten zu fangen. Allerdings braucht dies die Spinne als Individuum nicht zu wissen. Denn unter gewöhnlichen Umständen werden Fluginsekten sich mit einer sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit im Netz verfangen, auch davon braucht die Spinne selbst keine Kenntnis zu haben. Sie kann sich auf ihr
„Artgedächtnis“ grundsätzlich verlassen. Nur in Ausnahmefällen, wie dem eben geschilderten, „versagt“ dieses.

Anders sieht es beim Hausbau aus. – Dem Biber bereits dürfen wir ruhig zubilligen, eine Vorstellung davon zu haben, wie sein Bau aussehen muß. Aber der Biber ist im Bereich des Baumaterials auf das Holz beschränkt, denn es ist das einzige Baumaterial, das er mit seinen Zähnen bearbeiten kann.

Die Errichtung eines Hauses erfordert aber bei weitem mehr. Die Kennt- nis davon, welche Materialien sich überhaupt eignen; Erfahrung im Um- gang mit den Baustoffen usw. Alles Wissen über die Eigenschaften der Baustoffe  und alle Erfahrung im Umgang mit denselben reichen aber nicht aus, ein Haus zu bauen. Ohne Vorstellung davon, wie das Haus aus- sehen soll, ohne Phantasie also, gäbe es kein einziges Haus. Das Vorstel- lungsvermögen ist demnach das Entscheidende. Hier ist die Zweckursache zu suchen, die scheinbar aus der Zukunft in die Vergangenheit wirkt.

Unsere Phantasie ist auch der chaotische Widerpart unseres analytischen Verstandes. Ihre Inhalte sind in der Tat unbegrenzt, sogar Fabelwesen sind denkbar. Und diese wiederum können unseren analytischen Verstand zum Narren halten:

Aristoteles nimmt zu den Tier-Mensch- Mischgestalten der Mythologie wie folgt Stellung:

„(…) Entstanden etwa, wie in der Tierwelt Ochsen mit Menschenköpfen, so auch in der Pflanzenwelt Mischbildungen aus Rebe und Ölbaum oder nicht? Das ist freilich unnatürlich. Aber es mußte wohl so sein, wenn ent- sprechendes in der Tierwelt vorkam. Dann mußte freilich bei den Samen der reine Zufall herrschen. Wer aber so etwas behauptet, der hebt damit das Natürliche und die Natur auf. Denn von Natur aus gelangt alles, was von einem in ihm selbst liegenden Prinzip ununterbrochen bewegt wird, zu einer gewissen Vollendung. Diese ist freilich bei den einzelnen Wesen entsprechend dem weiligen Prinzip verschieden, aber nicht etwas Zufälli- ges, sondern jeweils immer dieselbe, wenn kein Hindernis in den Weg tritt. Der Zweck aber und was seinetwegen geschieht, kann auch einen zufälligen Anlaß haben, wie wir z.B. sagen, es sei zufällig ein Fremder gekommen und, nachdem er eingekehrt, wieder weggegangen, wenn er handelt, als ob er deswegen gekommen wäre, während er doch nicht des- wegen gekommen ist. So urteilen wir nach dem äußeren Hergang; der Zufall gehört aber zu den Ursachen, die man auf Grund des äußeren Hergangs annimmt, wie wir früher gesagt haben. Wenn so etwas aber immer oder doch meistens geschieht, dann ist es nicht bloß ein äußerer Hergang und nicht Zufall. In der Natur aber ist es immer so, wenn nicht ein Hindernis eintritt. Es ist aber töricht, etwas nicht für ein zweckmäßi- ges Geschehen zu halten, wenn die bewegende und überlegende Ursache unsichtbar ist. Und doch überlegt auch die Kunst nicht; denn wenn in dem Holz die Schiffsbaukunst seckte, so würde sie ganz gleichartig ver- fahren wie die Natur. Wenn also der Kunst der Zweck innewohnt, dann ist es auch bei der Natur der Fall. Am deutlichsten wird es aber in dem Falle, wenn jemand sich selbst heilt. Einem solchen gleicht die Natur. Es

ist also klar, daß die Natur Ursache ist, und zwar im Sinne der Zweckmä- ßigkeit.“89

Es ist schon erstaunlich, wie nahe Aristoteles der Wahrheit kam, wenn man seine doch stark eingschränkten Möglichkeiten zur Erforschung der Natur  berücksichtigt.  Er  selbst  hat  bereits  eine  Vorstellung  von  der
„Vollendung“ des  Natürlichen durch innere Antriebe,  die  nach seinen Worten „nicht etwas Zufälliges, sondern jeweils immer wieder dieselbe ist, wenn kein Hindernis in den Weg tritt.“ Aber auch Aristoteles macht am Ende seiner Betrachtung den typisch menschlichen Fehler, die eigene Phantasie in die natürlichen Abläufe zu projizieren. Aber das ist nicht ver- wunderlich, weil wir dazu neigen, komplexe Zusammenhänge zu personi- fizieren: wir lassen das Feuer wüten, den Sturm toben, den Fluß über die Ufer treten. An der Nordseeküste holt sich der „Blanke Hans“ gelegent- lich seine Opfer, Vulkane „speien“ Feuer. Und die Evolution „schafft“ Lebenwesen.

Wenn wir uns also mit Dingen „befassen“, die wir nicht „begreifen“ kön- nen, billigen wir ihnen nahezu automatisch eine Subjektqualität zu, sie werden als handelnde Person wahrgenommen. Auch hier stehen wir wie- der nicht allein da; Sie haben es am Beipiel der Schimpansen gesehen, die wütend auf den „Wettergott“ losgegangen sind.

Von der Personifizierung können wir nicht einmal lassen, wenn es um komplexe Strukturen und Zusammenhänge geht, die der Mensch selbst erst geschaffen hat. Wir reden davon, „der Krieg“ sei der Vater aller Din- ge; „die Technik“ versage hin und wieder. Ob Wirtschaft, Politik, Medi- zin, Justiz oder Gesellschaft. All diesen Dingen, die wir nicht unmittelbar
„fassen“ können, verleihen wir den Status einer Persönlichkeit. Sie kön- nen das ganz einfach daran feststellen, daß sie diesen „Personen“ für ir- gendetwas die „Schuld“ in die Schuhe schieben können. Wobei der Schuh seinerseits für den Menschen „handhabbar“ ist. Wenn Ihnen ein Schuh nicht paßt, werden Sie kaum jemals behaupten, das sei ein Verschulden des Schuhs.

Diese  natürlichen Scheuklappen,  die  menschlicher Erkenntnis Grenzen setzen, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte und gelten auch heute noch, selbst für alle Formen der Wissenschaft:

„(…) Denn die Grenze, an die wir durch die Triebdiskussion geraten sind, zeigt sich auch, daß gerade die wissenschaftlich verwendete Spra- che vorwiegend im hellsten Bereich des tätigen Menschenlebens zu Hau- se ist, daß alle exakten Vorstellungen einer technischen Welt unseres ei- genen >Machens< entstammen, wo man genau weiß (oder es wenigstens meint), wer differenziert, wer gliedert, aufbaut, zerstört, umlagert. Ver- lassen wir diese helle klare Welt der Dinge, die wir geschaffen haben, so bleiben uns Worte, und diese müssen die Bilder und Vergleiche liefern für Vorgänge einer fremden, unmenschlichen Welt. Diese Fremdheit gilt ja auch dem eigenen Wesen gegenüber, das wir ja auch nicht denkend geschaffen haben, sondern das ohne unser Bewußtsein zu dem wird, was es später ist. Nun finden wir natürlich die Bilder aus der technischen Welt in einer Stufenfolge der sinnvollen Anwendung vor: ein Wort aus der Maschinenwelt ist relativ brauchbar, solange ich Funktionen und Or- gane bezeichne, in denen eine Leistung maschineller Art besonders ma- nifest ist. Ich kann das Herz als Motor oder als Pumpensystem beschrei- ben, wenn ich von recht vielen seiner Eigenheiten absehe, insbesondere von  seiner Entwicklungsweise. Wir können  im Bewegungsapparat  mit

89 Aristoteles, aaO

den Werkbegriffen der Hebelmaschinen recht vieles aussagen – immer indem wir von sehr Wesentlichem bewuzßt absehen.

Aber wenn unser Denken sich in die Grenzregion wagt, wo der >sich selbst differenzierende Keim< zu schildern ist, wo vom >sich verhalten- den< Lebewesen ausgesagt werden soll, da versagt die helle klare Spra- che des Alltags, und von den dunkleren Bildern der Imagination erwartet der Biologe in diesem Fall nicht die Lösung.

Es bleibt uns nichts anderes übrig, als zu wissen, daß wir sowohl in der Entwicklungsphysiologie wie in der Erforschung der Erbfaktoren und in der der Motivate des Verhaltens uns Grenzen nähern, in denen unsere Begriffsbildungen des Alltags ihre Geltung einbüßen.“90

Wie oben dargelegt, ist diese Feststellung nicht auf die Probleme in den Grenzbereichen der Biologie beschränkt, eben weil sie ein grundsätzliches Problem des menschlichen Erkenntnisvermögens widerspiegelt. In diesem Zusammenhang kommt es auch zu verschiedenen Begriffsverwirrungen. Bevor der Begriff der Vererbung Einzug in die Biologie hielt, war er über Jahrtausende hinweg von Jursisten geprägt worden. Im Kern handelt es sich dabei um die Übertragung des Vermögens von einer Generation auf die nächste. Er wurde von Biologen aufgeschnappt und inhaltlich so ver- ändert, daß er nicht einmal mehr für die so wichtige Weitergabe erlernter Verhaltensweisen verwendet werden kann.91

Nun bildet gerade die Biologie eine der Speerspitzen menschlichen Er- kenntnisstrebens. Wenn diese bei der Begriffsbildung komplexer Zusam- menhänge auf eine der höchstpersönlichen Aktivitäten des Menschen zu- rückgreifen muß, dann liegt auch darin eine Personifizierung natürlicher Vorgänge. Damit steht auch die Biologie in bester Tradition des menschli- chen Unvermögens, die Welt so zu erfassen und zu beschreiben, wie sie wirklich ist.

Nachdem wir das Wesen und die Grenzen menschlichen Erkennens ein wenig näher beleuchtet haben, können wir die Rückkopplungsschleife, die wir anläßlich der ersten Beobachtung eigenen Handelns angehalten hatten, weiter ablaufen lassen.

Die Einsicht in die Folgen der eigenen Manipulation von Objekten in der Umwelt reichen freilich für eine Weiterentwicklung geistiger Qualitäten innerhalb der Art allein nicht aus. Sie müssen auch irgendwie den Artge- nossen mitgeteilt werden können. Da die gesproche Sprache damals nicht einmal als Utopie vorhanden war, blieb nur der Weg über die Tradition.

Die  Tradition  erlertner  Verhaltensweisen  und  erworbener  Erfahrungen setzt auch beim modernen Menschen nur bedingt eine artikulierte Sprache voraus, wie Piaget und Inhelder zeigen konnten:

„Die Taubstummen beherrschen dieselben elementaren Klassifikationen wie die  Normalen,  zeigen  aber  eine  Verzögerung  bei  den  komplexen Klassifikationen (z.B. wenn für die gleichen Elemente ein Wechsel von ei- nem mgölichen Kriterium auf ein anderes impliziert ist usw.) – Das We- sentliche unserr Operationen ist demnach ist demnach bei den Taub- stummen vertreten, die übrigens natürlich im Besitz der symbolischen Funktionen (Sprache mittels der Gestik usw.) sind. die artilkulierte Spra-

90 Adolf Portmann, das Tier als soziales Wesen, Suhrkamp 1978, S. 199ff
91 Auf die Herkunft des Begriffes und die „Vererbung erworbener Eigenschaften“
findet sich bereits in: Konrad Lorenz, die Rückseite des Spiegels $1

che scheint so für die Bildung der operativen Strukturen nicht notwendig zu sein, sie spielt aber ohne Zweifel eine unterstützende Rolle und stellt vielleicht die notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für die Vollendung in ihren generalisierten Formen dar.“92

Damit  unterscheidet sich der  Mensch wieder einmal nicht von  seinen nächsten Verwandten. Langjährige Beobachtungen japansischer Forschern haben anhand von Rotgesichtsmakaken zeigen können, wie „vorkulturel- le“ Tradition funktioniert. Im Herbst 1953 wurde das eineinhalbjährige Affenweibchen Imo erstmals dabei beobachtet, wie es eine Süßkartoffel (Batate) im Wasser eines Baches wusch, ehe es sie fraß. Einen Monat spä- ter begann einer ihrer Spielgefährten mit dem Waschen von Süßkartof- feln; nach 4 Monaten tad dies auch Imos Mutter. Nach vier Jahren hatte sich diese „Erfindung“ bei 16 Tieren der insgesamt 60 Tiere umfassenden Gruppe durchgesetzt. Fünf Jahre später hatte sich das Waschen weitge- hend durchgesetzt, denn 1962 taten es 42 von 59 Tieren. Bei anderen Trupps der Rotgeschichtsmakaken haben sich andere Gewohnheiten durchgesetzt: eine Gruppe ist versessen auf Eier, ein andere nicht; die einen mögen keinen Reis oder keine Sojabohnen, andere gelten aus menschlicher Sicht in den Reis- und Sojafeldern als Schädlinge. – Über Geschmack läßt sich offenbar auch bei Rotgesichtsmakaken nicht streiten.

Dabei traten Unterschiede im Lernvermögen zutage. Manche lernten es nie, Imo hingegen erfand 1956 auch noch das „Goldwäscherverfahren“, um Getreidekörner von Sand zu trennen. Sie warf das Sand-Getreide-Ge- misch ins Wasser. Die schwimmenden Getreidekörner schöpfte sie ab. Da Rotgesichtsmakaken nun aber einmal keine Menschen sind, verbreitete sich die Kunde von der neuen Erfindung nur langsam. Die Verbreitung dieses Verhaltens folgte demselben Muster wie das Batatenwaschen. Nach sechs Jahren waren erst 19 der Gefährten Imos in der Lage, ebenso zu ver- fahren.

„Eine solche Erfindung zieht ferner leicht andere nach sich, Zunächst wuschen die Tiere ihre Bataten im Wasser eines Baches, später auch am Meeresstrand, und seit 1962 benutzen sie nur mehr Salzwasser und tauchten auch während des Fressens die angeknabberten Knollen immer weider ein und würzten so die Seise. Die Getreidewäscher, die oft die Hände voll hatten, lernten, besonders weit und geschickt aufrecht auf den Hinterbeinen zu gehen; auch beim Getreidewaschen stehen sie aufrecht. Im Wasser fanden sie jedoch zunächst bei Ebbe auch anderes Freßbares und sammelten es ein; sie lernten schwimmen und sogar ausgezeichnet tauchen und holten sich diese Nahrung auch bei höherem Wasserstand. Das Weibchen Eba und ihre Tochter Sago wuschen selbst niemals Ge- treide, sondern gründeten eine Bande und griffen andere an, sobald die ihre Last ins Wasser geworfen hatten.“93

Auch daran ist zu erkennen, daß für die Weitergabe von Erfahrungen und Techniken eine gesprochene Sprache nicht erforderlich ist. Bei den Rotge- sichtsmakaken  findet  auch  keine  gezielte  Unterweisung statt,  obgleich mitunter die Mütter durch besondere Verhaltensweisen die Beutefang- technint und Beuteauswahl so betonen, daß den Jungen die Nachahmung besonders leicht gemacht wird.94

92 Piaget/Inhelder, die Entwicklung der elementaren logischen Strukturen, Teil I, Düsseldorf 1973, S. 22
93 Wickler aaO, S 177f
94 Wickler aaO, S. 178

Die Verbreitung neuer „Erfindungen“ dürfte bei unseren Vorfahren erheb- lich schneller abgelaufen sein. Das ergibt sich aus der detaillierteren Wahrnehmung der Umwelt und der sich steigernden Fähigkeit zur Ein- sicht in die Geschehensabläufe.

Möglicherweise haben auch Rotgesichtsmakaken bereits eine Ahnung von den Folgen ihres eigenen Handelns. Fest steht, daß Schimpansen durchaus in der Lage sind, Wenn-Dann-Verknüpfungen herzustellen und sie auch im Rahmen der Kommunikation wiederzugeben. Das läßt darauf schlie- ßen, daß die Evolution auch bei der Entwicklung des logischen und des kausalen Denkens keine grundsätzlich neuen Wege einschlug. Sie verbrei- terte und verfeinerte lediglich ein schon vorhandendes Potential.

Unsere moderne Informationstechnologie führt uns mit ihrer rasanten Ent- wicklung der Größe von Arbeitsspeichern plastisch vor Augen, daß eine Erweiterung der  Informationsverarbeitung eine Vergrößerung des  „Ar- beitsspeichers“ voraussetzt.

Eine Eigentümlichkeit biologischer „Arbeitsspeicher“ besteht allerdings darin, daß das Hinzufügen einer einzelnen Hirnzelle mehrere Tausend neuer Verbindungen schafft. Eine Zunahme der Hirnsubstanz um nur we- nige Prozent je Generation ließ in jeder neuen Generation Milliarden neu- er Verknüpfungsmöglichkeiten entstehen. Daraus folgt, daß zu jener Zeit die Menschen von Generation zu Generation deutliche Unterschiede in ih- rer Wahrnehmungs- und Denkweise aufwiesen. Diese dürften dennoch so gering gewesen sein, daß sie im sozialen Kontext der damaligen Zeit nicht groß auffielen.

Wenn wir einen Vergleich zur heutigen Zei ziehen, ist dieser Vorgang mit dem beschleunigten Längenwachstum des Menschen in den letzten Hun- dert Jahren vergleichbar. Wir sind deutlich größer als unsere Ur- Urgroß- eltern, aber weder unsere Großeltern noch unsere Eltern haben es gemerkt, weil der Vergleich zwischen den Generationen so gering ausfiel, daß er nicht wahrgenommen wurde. Erst für uns erscheint er als „Sprung“. Die Veränderung der durchschnittlichen Körpergröße ist eine der wenigen Dinge, deren Veränderung wir quasi „live“ erleben können. Die „somati- sche Akzeleration“ ist ein zwar ein typisches Beispiel für eine Akzentver- schiebung innerhalb normalverteilter Merkmale, diese spezifische Akzent- verschiebung betrifft allerdings lediglich die Größe des gesamten Kör- pers, nicht die eines einzelnen Teils.

Vor gut 2 Millionen Jahren betraf die Evolution aber in erster Linie das menschliche Gehirn. Nun wird in der Evolution kaum jemals ein einzelnes Merkmal allein verändert, die mit der Vergrößerung des Hirnvolumens einhergehenden Veränderungen betrafen den gesamten Schädel. Deswe- gen erscheint es uns, als gehörten die sich allmählich verändernden Ge- sichter zu unterschiedlichen Arten.

Die Veränderung des Schädels beruht lediglich auf einer Akzentverschie- bung in der Normalverteilung. Einen Hinweis darauf, daß die späteren Menschen keine Australopithecinen mehr sind, kann ich darin jedenfalls nicht entdecken.

Wir können uns nun gut vorstellen, was die Menschen jener Zeit gatan ha- ben, um sich vor der Witterungseinflüssen zu schützen. Sie werden genau hingeschaut haben, wie es die anderen machen. Vom Grashalm bis zum Termitenhügel werden sie nahezu jeden Gegenstand in ihrer Umgebung eingehend begutachtet und ausprobiert haben,was sich damit machen läßt.

genauso, wie Kinder das auch heute noch tun. Das Zusammenflechten von Gräsern und Zweigen z.B kann man gut von den Vögeln lernen, man braucht schließlich nur ein Nest zu analysieren. Die möglichen Früchte vom Baum der Erkenntnis sind zu zahlreich, als daß sie vollständig wie- dergeben werden könnten. Eine der wichtigsten Entdeckungen, die der Mensch machte, war die wärmende Wirkung des Feuers. Sie konnte ihnen gar nicht verboren bleiben. Allerdings gibt es keine Zeitzeugen mehr, die uns darüber Auskunft geben können, wie lange es dauerte, bis unsere Vor- fahren gelernt hatten, damit sinnvoll umzugehen. In diesem Zusammen- hang halte ich ein bislang unbeachtetes Detail für wichtig, das der Evoluti- on den Weg zum modernen Menschen bahnte.

Schauen Sie sich einmal die Schädelfunde der aufeinanderfolgenden Epo- chen von „Lucy“ bis heute an. Sie werden feststellen, daß die Kiefer zu- nehmend schwächer wird, was unter den damaligen Lebensbedingungen nicht unbedingt als Fortschritt aufgefaßt werden kann. „Lucy“ war noch in der Lage, rohes Fleisch allein mit den Zähnen von der Beute abzubeißen. Kiefer und Kaumuskulatur unserer als homo erectus bezeichneten Vorfah- ren dürften dazu bereits zu schwach gewesen sein. Und wie sieht es bei uns aus? – Der zivilisierte Mensch hat schon Probleme, wenn das Steak ein wenig zäh ist. Nun hinterlassen Buschbrände nicht nur verkohlte Pflanzen, ihnen fallen auch Tiere zum Opfer. Unseren neugierigen Ver- wandten konnte daher nicht verborgen bleiben, daß mit Feuer behandeltes Fleisch erheblich leichter zu verzehren ist als rohes. Damit waren aber die Beschränkungen, die die Ernährungsgewohnheiten einer Veränderung des Gesichtsschädels hätten im Wege stehen können, beseitigt. Mankann mit Fug und Recht behaupten, der gesamte menschliche Schädel sei damit zur Umgestaltung freigegeben worden.

Das Beispiel der Rotgesichstsmakaken zeigt, daß all die über die Welt ge- sammelten Erkenntnisse, die Erfindungen und neu entwickelte Verhal- tensmuster sich innnerhalb weniger Jahre oder Jahrzehnte innerhalb der damaligen Menschheit verbreiteten. Und das, obgleich man die Natur als stockkonservativ bezeichnen kann:

Bei den Rotgesichtsmakaken hatte sich nach 10 Beobachtungsjahren das Batatenwaschen bei etwa 80 % der Truppmitglieder durchgesetzt. Nun könnte man daraus eine lineare „Wachstumsrate“ postulieren und ableiten, wann der Zustand erreicht werden würde, daß ausnahmslos alle Rotge- sichtsmakaken ihre Bataten waschen würden. Wir schreiben das Jahr 2000 und was ist passiert? – Wolfgang Wickler weiß über die Schwierikeit der weiteren Verbreitung des Batatenwaschens folgendes zu berichten:

„…Den Rest  (20%) bildeten einmal die Kleinkinder, aber auch die alten und ranghohen Männchen. Man sieht also nebeneinander >stockkonser- vative< alte Tiere, die auf keinen Fall Bataten waschen, und >progressi- ve< Jugendliche, die selbstverständlich Bataten waschen, weil sie es in- zwischen von ihren Müttern beigebracht bekamen.

Dieser Unterschied zwischen den  Generationen  hat einen besonderen biologischen Grund. Es ist nämlich, wo Tradition möglich wird, zweierlei wichtig: neue Erfahrungen zu sammeln und die schon gemachten Erfah- rungen zu bewahren. Die Erfahrungen sammeln sich automatisch bei dem an, der sie macht, und er macht sie mit der Zeit. Je älter er also ist, desto erfahrungsreicher wird er sein, desto mehr hat er zu bewahren. Daher bietet sich dort, wo alte und junge Tire zusammenleben, eine Auf- gabenverteilung an: Den Älteren wird das Konservieren von Erfahrun- gen, den> unvoreingenommenen< Jungen das Sammeln von neuen Er-

fahrungen zufallen. Im Zuge dieser Aufgabenteilung sollte sich also die Jugend auf neugieriges Experimentieren spezialisieren, das Alter dage- gen auf das Beharren und Festhalten an der Erfahrung. Deshalb lernt es sich rangaufwärts immer schlechter. Das ist biologisch notwendig, wenn überhaupt in solchen Sozietäten Erfahrungen sowohl gesammelt wie kon- serviert werden.“95

Da wir in einer schnellebigen Zeit beheimatet sind, in der ein guter Som- mer ausreicht, die Frage nach der kommenden Klimakatastrophe zu stel- len, muß ich nochmals betonen, daß sich der oben geschilderte Prozeß zu- nehmender  Einsichtsfähigkeit  in  die  Zusammenhänge  über  Dutzende, wenn nicht gar Hunderte von Generationen hingezogen hatte, immer auch im Wechselspiel zwischen „Konservativ“ und „Progressiv“, im Streit zwi- schen Alt und Jung.

Es war auch unvermeidbar, daß die Menschen Steinwerkzeuge entwickel- ten.– Durch diverse Funde ist belegt, daß bereits zu „Lucys“ Zeiten gele- gentlich Steinwerkzeuge benutzt worden waren. Grundsätzlich hatte der Mensch aber über die Jahrmillionen gänzlich ohne bearbeitete Steine er- folgreich gejagt und gesammelt. Demnach ist zu fragen, warum er nach und nach immer mehr Zeit damit verbrachte, Steine immer besser und ef- fizienter zu bearbeiten. Was also stand Pate bei der Entwicklung einer – wir würden es heute so ausdrücken – neuen „Technologie“?

Werfen wir erneut einen Blick auf unsere pelzige Verwandtschft. Wenn Schimpansen ein anderes Tier erlegt haben, reißen sie es auseinander. Bei kleinen Tieren werden unsere Vofahren genauso gehandelt haben. Bei größeren Tieren, die wahrscheinlich Geiern und Hyänen zum Aufbrechen überlassen worden waren, ging es auch bloß darum, das vom Kadaver ab- zureißen, was sich mit der Kraft eines Australopithecus ablösen ließ. Eine
„fachgerechte“ Zerlegung des erbeuteten Wildes darf niemand erwarten, sie war für unsere Vorfahren auch unwichtig.

Unsere Vorfahren, die im Laufe der Zeit über eine wesentlich differen- zierte Betrachtungsweise bezüglich ihrer Umwelt verfügten, könnten in ihrer Neugier eines Tages angefangen haben, auch die Kadaver ihrer Beu- tetiere genauer zu untersuchen, bevor sie sich über das Fleisch hermach- ten. Das aber würde voraussetzen, daß die jeweilige Jagdgemeinschaft in- nehielt und entweder eine Vereinbarung traf, das Opfer vor der Beutever- teilung zunächst zu „obduzieren“ oder aber daß ein Truppführer kraft sei- ner Autorität die Verteilung der Beute unterband, bis er oder ein anderer den Kadaver gründlich unter die Lupe genommen hatten. Dieser hypothe- tische Geschehensablauf ist also sehr unwahrscheinlich. – Damit sind wir beim Kern der Frage angelangt, nämlich, wie es dem Menschen gelingen konnte zu erkennen, daß man dem gejagten Wild das Fell abziehen und sich selbst überstreifen kann.

Wahrscheinlich wurden erlegte Kleintiere durch Einzelindividuen genau auf ihren Aufbau hin untersucht. – An dieser Stelle können wir ohne wei- teres die Schlange ins Spiel bringen. Schlangen häuten sich regelmäßig. Zurück bleibt eine leere Schlangenhaut.

Bis heute hat sich in vielen Köpfen unserer Artgenossen die Vorstellung erhalten, die „Affenmenschen“seien tumbe Geschöpfe gewesen. Diese Vorstellung spiegelt sich noch wider in der Anfangssequenz des berühm- ten Films von Stanley Kubrick „2001 – Odyssee im Weltraum. Dieser Film verficht die These, daß  die Intelligenz durch Außerirdische zum

95 Wickler aaO 179

Menschen gebracht worden sei. Nachdem diese die Erde wieder verlassen hatten, spielte sich folgende Szene ab:

Ein Affe nimmt einen Knochen in die Hand und betrachtet ihn. Er betastet ihn mit den Händen und spielt mit ihm. Er klopft mit diesem Knochen auf die Knochen eines Tierskeletts, vor dem er sitzt. Er klopft, zunächst sach- te, dann mit zunehmdender Stärke. Die Gewalt seiner Schläge steigert sich, bis er zuletzt in einem Finale furioso den bleichen Schädel buchstäb- lich in Stücke haut.

In der nächsten Szene, in der sich zwei Affengruppen um ein Waserloch streiten, wendet er die gewonnenen Erkenntnisse praktisch an, er schlägt mit aller Kraft auf die Mitglieder der Konkurrenz ein und vertreibt diese.

Nun folgt die weniger martialische Version, die nicht einmal das Eingrei- fen irgendeines „Alien“ erfordert.

Eine Menschenfrau begegnet auf der Suche nach Nahrung einer Felsen- schlange.96   Diese ist ungiftig, aber dennoch jagt ihr Anblick der   Frau einen gewaltigen Schrecken ein. Allerdings ist die Schlange selbst nicht auf Beute aus, sie will ihre Ruhe haben, weil ihre nächste Häutung unmit- telbar bevorsteht. Starr vor Angst muß die Frau mitansehen, wie die Schlange ihre Haut abwirft und sich davonmacht. – Argwöhnisch beäugt sie die Schlange, die immer noch an ihrem alten Platz zu sein scheint, ob- wohl diese sich doch offensichtlich davongemacht hat. Die Frau nimmt einen Stock, sie stubst die Schlangenhaut an und überzeugt sich von der Harmlosigkeit dessen, was sie vor sich sieht. Zaghaft nähert sie sich. Am Ende nimmt sie die Schlangenhaut in die Hand, um sie eingehend zu un- tersuchen. Sie dreht und wendet sie. – Eine Schlange, in der keine Schlan- ge steckt. Das ruft einen Widerspruch zwischen ihrem Vorstellungsver- mögen und ihrem Verständnis für die Welt hervor. Sie kann sich nicht helfen, aber irgend etwas stört sie; diese Störung weiß sie nicht einzuord- nen. – Plötzlich fällt ihr das Bild wieder ein, das sie zuvor gesehen hatte. Die Schlange hatte diese Haut abgestreift. Sie wiederholt den Vorgang in ihrer Phantasie, bis er ihr in umgekehrter Reihenfolge erscheint. – Sie legt die Schlangenhaut um ihrem Arm. Plötzlich steht es vor ihr: das Bild ei- nes Fells ohne Tier darin, in das sie selbst hineinschlüpfen kann. Aufge- regt rennt sie zum Lagerplatz und führt ihren Gefährten die Entdeckung vor…

Sie können sich nun gut vorstellen, daß ein derartiger Vorgang, der von zwanzig, vielleicht 50 Gehirnen wahrgenommen wird, eine Welle neue Entdeckungen und Erfindungen auslöst, an dessen vorläufigem Ende der erste Maßanzug der Weltgeschichte stand.

Niemand weiß, wie es sich genau abgespielt hat, ob die Schlange viel- leicht tatsächlich nur als Symbol  herhalten muß;  aber der  Fund  einer Schlangenhaut oder die Beobachtung, wie eine Schlange sich häutet, könnte durchaus den Ausschlag gegeben haben, sich mit dem Bau der Beutetiere näher zu beschäftigen.

Das systematische Häuten von Tieren erfordert Schneidwerkzeuge, deren systematische Entwicklung wiederum erst durch das Bedürfnis, die Decke eines Beutetieres als Ganzes zu erhalten, erforderlich wird. Das sukzessive Auftreten immer feiner werdender Steinwerkzeuge zeugt von dieser un- vermeidlichen kulturellenEvolution.

96 Eine nahe Verwandte der zu den Riesenschlangen zählenden Pythonschlangen, kommt in Ostafrika vor

Mit den Fellen der von ihnen erlegten Tiere konnten sich die Menschen den Pelz zurückholen, den die Natur ihnen genommen hatte. Erst das, erst die Möglichkeit, sich der Pelze aller anderen Arten zu bedienen, befähigte den Menschen dazu, nach der Krone der Schöpfung zu greifen.

Der Preis, den der Mensch dafür zu zahlen hatte, war erstaunlicherweise nicht sonderlich hoch, so daß die Krone der Schöpfung nachgerade als Geschenk erscheinen mag, auch wenn man diesen Teil der Evolution aus der weiblichen Perspektive betrachet:

Gott stellte Eva in 1. Mose 3,16 die Schmerzen der Geburt und das Ver- langen nach ihrem Manne in Aussicht, der ihr Herr sein sollte. Diese Pro- phezeihung läßt sich vor dem Hintergrund der Evolution folgendermaßen deuten:

Mit zunehmendem Hirnvolumen nahm die Schädelgröße auch der zu ge- bärenden Kinder zu. Folglich wurde für Menschenfrauen die Geburt an- strengender und schwieriger. Möglicherweise –ich mache an dieser Stelle von meinem Recht auf Spekulation Gebrauch – ist hier der Ursprung der besonderen Form weiblicher Lust am Sex zu suchen, den es so bei keiner anderen Tierart gibt. Das lustvolle Empfinden als Kompensation für die Unannehmlichkeiten der Geburt. Vom Standpunkt der Evolution aus wür- de es auch erst unter diesem Aspekt Sinn machen, die zu einer entprechen- den Akzentverschiebung führende Rückkopplungsschleife anzuticken; dennoch ist es nicht auszuschließen, daß die besondere Form der weibli- chen Sexualität beim Menschen rein zufällig ist und es sich eben so erge- ben hat, weil dem nichts im Wege stand. Die Entscheidung darüber bleibt nach wie vor offen.97

Jirkas Boot gleitet vorüber an den Lagerplätzen der Menschen vom Stam- me des homo habilis und anderer Artgenossen, denen die jüngste Variante des Australopithecus jeweils eigene Gattungs- bzw. Artnamen zudiktierte. Jirkas Boot kommt, da sich alle bisherigen Veränderungen nach Kilome- tern berechnen ließen, in einen Bereich, wo eine Bootslänge von drei Me- tern ( = 3.000 Jahre!) zu grob ist, die einzelnen Verzweigungspunkte in der Geschichte des Menschen zu erfassen. Denn bereits nach 700 Metern finden wir den Menschen als Homo erectus nicht nur in den tropischen Regionen Afrikas, er hinterließ seine sterblichen Überreste in Asien eben- so wie in Europa.

Wundert Sie das? – Mich nicht, und es sollte auch Sie nicht wundern. Nachdem die frühen Menschen gelernt hatten, sich in Felle zu kleiden wurden sie, wie einstmals die frühen Säugetiere, von der Umgebungstem- peratur unabhängig.

Nach den Gesetzen der laminaren Evolution mußte sich die Menschheit des Homo erectus -Kulturkreises über seine angestammten Grenzen hin- aus aubreiten. Infolge der neu gewonnenen Unabhängikeit konnte der Re- produktionsdruck des Menschen strark ansteigen. Es gab kein Hindernis, keine selektive Impedanz, und so preßte die Evolution mit der ihr inne- wohnenden „Explosionskraft“ den Menschen innerhalb weniger Jahrtau- sende in alle von diesem Lebewesen bewohnbaren Lebensräume. Damals kam es zur ersten „Bevölkerungsexplosion“ der Menschheitsgeschichte.

97  Bei den Zwergschimpansen (Bonobos), die als insgesamt „friedlicher“ als ande- re Schimpansen beschrieben werden, scheint Sex auch außerhalb der Fortpflan- zungszeit für den Zusammenhalt der Gruppe von Bedeutung zu sein.

Mit Feuer und Pelz „eroberte“ der Mensch erstmals die Welt. – Auch so läßt sich der Sachverhalt darstellen, ohne daß sich am tatsächlichen Ge- schehensablauf etwas ändern würde.

Anders ausgedrückt, der „nackte Affe“ hatte es geschafft, die Grenzen sei- nes ursprünglichen Lebensraums zu sprengen, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Die Art konnte sich über weite Teile des Globus ausbreiten. Damalige  Ökologen  hätten  in  der  rasanten  ausbreitung  des  Menschen wohl eine ernsthafte Bedrohung für das „Gleichgewicht“ der Natur gese- hen und dafür plädiert, dieses Exozoon (oder Neozoon) mit allen Mitteln zu bekämpfen. – Gott sei Dank gab es uns damals noch nicht!

Seit gut zwei Millionen Jahren belegen Funde die Tendenz zur Vergröße- rung des Gehirns. Nach klassisch menschlichem Verhaltensmuster wird jeder noch so kleine Unterschied zwischen den Fossilien der einzelnen Fundstätten ins Auge gefaßt, vergrößert und so überbewertet, daß den Zwischstufen eigene Artnamen zugeordnet werden. Das aber dürfe nicht richtig  sein.  Nehmen  wir  wieder  einmal  das  Beispiel  von  Wolf  und Dackel. Wenn Sie irgendwo das Skelett eines Wolfes finden, das 40.000
Jahre alt ist, und das Skelett eines modernen Dackels daneben stellen, könnten sie durchaus denken, daß es sich beim Dackel um eine eigene Art handelt und den „Zwischenstufen“, die ja immer kürzere Beine „entwi- ckeln“ mußten, ebenfalls eigene Artnamen zubilligen. Tatsächlich jedoch beruht die Morphologie des Dackels auf einer Akzentverschiebung, aus- gelöst durch den Menschen. Von Generation zu Generation wurden eben nicht die Exemplare zur Zucht ausgewählt, die durchschnittlich lange Bei- ne hatten, sondern die mit den kürzesten Beinen. Nur daß in diesem Falle die Rückkopplungsschleife durch den Menschen in Gang gesetzt und kon- trolliert wurde. In der Sache indes besteht kein Unterschied.

Die Veränderung ist von Generation zu Generation auch so geringfügig, daß sich die Enkel und Urenkel von ihren Groß- bzw. Urgroßeltern kaum unterschieden haben. Hündinnen werfen mindestens einmal im Jahr. In- nerhalb eines Menschenlebens kann auf dem Weg vom Wolf zum Dackel durchaus nach mehreren Jahren und Jahrzehnten ein bemerkbarer oder au- genfälliger Unterschied festgestellt werden. Bei der langsamen Generati- onsfolge des Menschen ist das innerhalb eines Menschenalters aber nicht mehr möglich. Ein signifikanter Unterschied in der Morphologie macht sich erst nach Hunderten, ja Tausenden von Jahren bemerkbar.

Außerdem würde die Ausbildung neuer Arten im sogenannten Tier- Mensch-Übergangsfeld grundlegende Veränderungen im Erbgut voraus- setzten, die mit Sicherheit nicht nur die Schädelform getroffen hätten. Von der „Rückbildung“ der langen Arme einmal abgesehen, sehen unsere Körper denen der frühen Hominiden verblüffend ähnlich. Es ist daher auch nicht verwunderlich, daß Funde des klassischen Australopithecus auch in den Schichten vorhanden sind, in denen die „modernere“ Variante ebenfalls auftritt.

Auch für deren „offizielles“ Aussterben gibt es ein Beispiel aus der vom Menschen „geschaffenen“ Tierwelt. Der Auerochse „überlebte“ seine Do- mestikation bis in das europäische Mittelalter hinein. Erst dann brach der Reproduktionsdruck zusammen, und die letzte Kuh starb, ohne Nachkom- men zu hinterlassen. Die weitgehend erfolgreiche Rückzüchtung, die heu- te im Neanderthal-Museum in Mettmann und an anderen Orten zu bewun- dern ist, beweist, daß damals nur der unmittelbare Phänotyp des Urrindes verschwand, nicht aber dessen Gene. Das gelang aber nur, weil die Do- mestikation des Rindes für biologische Maßstäbe erst vor kurzem statt-

fand. Auf unserer Zeitskala liegt das wenige Meter zurück. – Ein Rück- züchtung von Wölfen aus den heutigen Hunden dürfte sich erheblich schwieriger Gestalten, da der Mensch mit Hunden seit wahrscheinlich mehr als zwanzigtausend Jahre eine Lebensgemeinschaft bildet; mehr als
20 Meter also.

Die Menschen vom Typ Homo erectus waren, wie zuvor „Lucy“ und wie wir heutzutage, damals der letzte Schrei der Natur, nicht aber deren letztes Wort.

Die Entwicklung lief weiter und beschleunigte sich. Durch die Ausbrei- tung in alle Welt hatte auch die Zahl der Individuen zugenommen, was den Genpool, aus dem die Evolution schöpfen konnte, erheblich vergrö- ßerte. Einer der zentralen Bestandteile des menschlichen Wesens ist das reziproke Verhalten. Wir müssen daher annehmen, daß bereits damals die Menschen regen Tauschhandel pflegten. Der Mensch ist zudem ein exoga- mes Wesen, das sexuelle Kontakte mit denjenigen meidet, mit denen er aufgewachsen ist.98

Auch aus diesem Grunde standen die Menschen dieser Entwicklungsstufe ständig in Kontakt untereinander. Das blieb nicht ohne Einfluß auf das menschliche Kommunikationsverhalten. Die Entwicklung der Sprache markiert die letzte biologisch relevante Wegscheide in der Entwicklungs- geschichte des heutigen Menschen. Nur noch wenige Hundert, vielleicht nur einige Dutzend Meter trennen Jirkas Boot von diesem Punkt. Selbst- verständlich befinden  wir uns wieder im Nebel, aber das ist nicht so schlimm, denn wir können uns akustisch orientieren. Wir brauchen nur zu lauschen, ob wir Worte hören. Sobald wir das erste Wort vernehmen, sind wir unter unseresgleichen.

Doch bevor wir zum Endspurt ansetzen, wollen wir die Schöpfungsge- schichte der Bibel in der richtigen Reihenfolge wiedergeben:

Durch die einsetzende Kaltzeit war der Mensch vom Aussterben bedroht. Er aß die Früchte von Baum der Erkenntis, nämlich Phantasie und kausa- les Denken. Er erkannte, daß er nackt war und versuchte zunächst, sich mit den Dingen, die er in seinem Umfeld vorfand, vor Gottes Zorn, näm- lich den Witterungseinflüssen zu schützen. Gegenüber den Weibchen an- derer Säugtierarten wurde die Geburt für eine Menschenfrau zunehmend anstrengender, als Gegengewicht bekam sie ein in der Natur einzigartiges Sexualverhalten. Leider Gottes wurde der Mann zum „Herrn“ über die Frau, diese wurde zum ersten „Handelsobjekt“. Es könnte die Beobach- tung einer sich häutenden Schlange gewesen sein, die den Menschen auf die Idee brachte, die Haut von Tieren als Kälteschutz zu benutzen: „Und

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Auf der ganzen Welt ist auch unter „modernen“ Menschen die Unsitte verbreitet, daß eine Eheschließung zwischen Mann und Frau nur dann erfolgen kann, wenn die Frau regelrecht „gekauft“ wird. – Manchmal gelten Frauen indes als so min- derwertig, daß ein Mann nur dann bereit ist, sie zu nehmen, wenn ihre Familie noch „einen draufsattelt“, die „Mitgift“ nämlich. Damit ist freilich der eherne Grundsatz der Evolution, daß das Weibchen unter den buhlenden Männchen den
„Stärksten“ zum Sex herausselektiert und „zuläßt“, gründlich auf den Kopf ge- stellt. Dieses ursprüngliche Verhaltensmuster hat sich beim modernen Menschen westlicher Prägung groteskerweise fast nur noch bei der Prostitution durchge- paust. – Wer entspechend zahlt, bekommt, was er will. – Die skurrilen Auswüch- se des weiblichen Sexualtriebs bei Boxkämpfen und gegenüber den „Idolen“ aus den diversen „Kunstszenen“ unserer Zivilisation zeigen ebenfalls, wen viele menschliche Weibchen für den biologisch „Stärksten“ halten.

Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fell und klei- dete sie.“ – Der Auszug aus dem Paradies begann, der Mensch verließ seinen angestammten Lebensraum und konnte sich auch in unwirtlichen Gegenden ernähren. Mit der Kraft seiner Phantasie und der Logik seines Verstandes hatte der Mensch mit Gott gleichgezogen, denn die Wechsel- wirkung zwischen dem Chaos der Phantasie und der alternativen Logik hatte der Mensch die Fähigkeit erlangt, selbst schöpferisch tätig zu wer- den. Andererseits ging die Anpassung an eine bestimme Umwelt verloren. Der Mensch wurde zu einem Kulturwesen, das sich aktiv einer Umwelt anpaßen muß, an die es von Natur aus nicht angepaßt ist. Seine natürliche Lebensweise ist das „unnatürliche“ Leben.99  Und der Mensch wird immer ein Sterblicher bleiben, denn den Weg zum Baum des Lebens ist gut ab- geschirmt.

Es ist schon erstaunlich, daß unser Schöpfungsmythos augenscheinlich nicht auf purer Phantasie beruht, sondern einen Kern enthält, der einer plausiblen Darstellung des tatsächlichen Geschehensablauf sehr nahe kommt. Er enthält Vorgänge, die bis in eine Zeit zurückreichen, in der es noch keine gesprochene Sprache gab. Dennoch müssen die Menschen es geschafft haben, die Erinnerung ihrer Vorfahren von Generation zu Gene- ration weiterzugeben. – Die eben geschilderte Schöpfungsgeschichte ent- hält die Elemente, die sich ohne gesprochene Worte darstellen lassen. Wahrscheinlich überlieferten unsere Vorfahren ihren Schöpfungsmythos nach Art der darstellenden Künste, nämlich mit viel Tamtam über kulti- sche Tänze. – Damit aber wären Pantomime und Ballett heutige Aus- drucksformen der ältesten Form künsterlischen Schaffens und hätten die Malereien in den Höhlen von Altamira, Lascaux u.a. mit einem Schlag enttrohnt.

Ob es sich tatsächlich so zugetragen hat, kann uns niemand sagen, denn das Wort, das in der Bibel an den Anfang gezogen wird, stellt  nach allem das Ende der Entwicklung zu den beiden jüngsten Varianten des Men- schen dar, von denen leider nur eine, nämlich die unsere, erhalten geblie- ben ist.

99 vgl. Portmann, S. 93f

1 Responses to Wissenschaftler auf der Suche nach dem Garten Eden – Garten Eden gefunden!

  1. TolleOlle sagt:

    Das ist nicht korrekt. Der Garten Eden ist nicht der Ursprungsort der Menschheit, sondern der menschlichen Zivilisation mit Ackerbau und Viehzucht, auch Neolithische Revolution genannt. Dies spielte sich im fruchtbaren Halbmond ab, passend dazu wird das Paradies in genau dieser Gegend am Zusammenfluss von Euphrat, Tigris und zwei weiterer, heute fossiler Flüsse geortet.

    Heute ist dieser Landstrich überflutet vom Persischen Golf.

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