Bundesverfassungsgericht zementiert das „Geßlerhutprinzip“

Das ESM-Urteil 12.09.2012 – Mit 190 Mrd. Euro ist die Bundesrepublik dabei! die Bananenrepublik – YouTube.

Ich weiß nicht, ob Sie den „Termin zur Verkündung einer Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts im Fernsehen mitverfolgt haben. – Falls nicht, ist das nicht weiter schlimm, denn Sie haben nichts verpaßt, weil der Vorsitzende rund 50% der Zeit damit verbracht hat, den Namen von europäischen „Rechtsvorschriften“ zu zitierern, vor allem mit den Worten „Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus“. Damit können Sie sicher genausoviel anfangen wie mit dem Zitieren der Paragraphen auf Ihrem Strafzettel.

Der „Rechtsstaat“ tritt Ihnen in einer Art und Weise gegenüber, die sie ohne abgeschlossenes Jurastudium nicht verstehen können – und auch erst gar nicht verstehen sollen:

Den „Kern“ des sogenannten „Rechtsstaats“ bildet das „Geßlerhutprinzip“. Ich habe dieses Prinzip nach den aus Friedrich Schillers bekanntem Drama Wilhelm Tell benannt. – Der habsburgische Landvogt Geßler soll die Schweizer mit Gewalt dazu genötigt haben, einen auf eine Stange gesteckten Hut zu grüßen.

Der „Rechtsstaat“ ist keine Erfindung der modernen Demokratie, es gab ihn schon zu Zeiten des Alten Fritz. – Der Alte Fritz war zwar ein „aufgeklärter“ Monarch, aber er war ein ebenso absolutistischer Herrscher wie seine gekrönten Zeitgenossen in aller Herren Länder.

Und so nimmt es nicht wunder, daß die „Rechtquellenlehre“ sich seit den Tagen Friedrich des Großen nicht grundlegend geändert hat.

Stellen Sie sich vor, sie säßen am Pokertisch:

Einer Ihrer Mitspieler setzt buchstäblich Haus und Hof aufs Spiel. Sie gewinnen und der Mitspieler überschreibt auf einem Zettel Ihnen sein Grundstück. Sie freuen sich, kündigen Ihre Wohnung und stehen zum nächsten Ersten mit dem Möbelwagen vor dem Grundstück Ihres ehemaligen Mitspielers. – Der wird über Sie lachen, und zwar aus zwei Gründen, denn zum einen können durch Spiel und Wette keine Verbindlichkeiten begründet werden, zum anderen versperrt das Gesetz den Weg der Übertragung von Eigentumsrechten an Grundstücken auf mündlichem oder schriftlichem Weg. – Bei Grundstücksgeschäften muß ein Notar eingeschaltet werden. Alle anderen Vertragsformen, mündlich, Text- oder Schriftform sind nichtig. – Und was nichtig ist, ist nicht in der Welt.

Sie können vor Gericht ziehen, werden aber in diesem Prozeß regelrecht vor die Wand fahren. – Was nichtig ist,  ist nichtig, so wird Ihnen der Richter in einem knapp gefaßten Urteil mitteilen.

Eigentlich klar, werden Sie sagen, was nicht ist, das ist eben nicht.

Aber das ist nicht immer so, vor allem dann nicht, wenn es um „Gesetze“ geht. Da schert sich niemand um die Nichtigkeit derselben:

1. Nichtigkeit als Grundsatz

Entspricht eine Rechtsquelle dem einen oder anderen zwingenden Erfordernis nicht, so ist sie grundsätzlich ungültig (nichtig). Es spricht jedoch eine (widerlegbare) Vermutung dafür, daß die Angaben der amtlichen Veröffentlichung einer geschriebenen Rechtsquelle über ihr Zustandekommen richtig sind und daß die Rechtsquelle den jeweils ranghöheren, insbesondere den Rechtsgrundsätzen und verfassunggestaltenden Grundentscheidungen nicht widerspricht (s. Götz Meder, Das Prinzip der Rechtmäßigkeitsvermutung, 1970). Dies gilt insbesondere für alle förmlichen Gesetze, auf deren Nichtigkeit sich niemand rechtsgültig berufen kann, bevor sie von einem Verfassungsgericht durch Urteil ausgesprochen worden ist. Sie gelten sogar idR bis zur Verkündung der Nichtigkeitsentscheidung oder sogar über diese hinaus (Korrektionspflicht; s. § 31 II, § 79 BVerfGG; BVerfGE 18, 301; 22, 360; 33, 347f.; 34, 25f.; 35, 148; BVerwGE 41, 266f.; nwOVG, DVB1. 1970, 294 m. abl. Anm. v. Hoppe; Rupp, JuS 1963, 469ff.; C. Böckenförde, Die sog. Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze, 1966; Pestalozza, AöR [1971], 27ff.; Sche-fold/Leske, NJW 1973, 1297ff. mwN u. Söhn, Anwendungspflicht oder Aussetzungspflicht bei festgestellter Verfassungswidrigkeit von Gesetzen, 1974). Ähnlich verhält es sich mit Rechtsquellen des Gemeinschaftsrechts (Art. 174 EGV) sowie mit Rechtsverordnungen (§ 47 VI VwGO). Widerspricht eine innerstaatliche Vorschrift dem Gemeinschaftsrecht, dann ist sie lediglich unanwendbar und nicht nichtig (BVerwGE 87, 154, 158 ff.).

Ist ein oder sind einige Rechtssätze einer geschriebenen Rechtsquelle ungültig, so sind es andere derselben Rechtsquelle nur, soweit sie ihren logischen, sachlichen oder rechtlichen Sinn verlieren. In Betracht kommt also eine Teilnichtigkeit. Die Rspr. ist uneinheitlich (s. BVerfGE 8, 300f.; 9, 213, 217; aber auch 29, 71; BVerwG, DVB1. 1974, 295: Totalnichtigkeit bei wesentlicher Unvollständigkeit; nwOVG, DÖV 1973, 528. A. M. OVG Lüneburg, DÖV 1971, 821 u. z.T. v. Mutius, VerwArch. 65 [1974], 91 ff. mwN; BVerwG, NVwZ 1990, 157 und 159; UPR 1991, 447 zu Bebauungsplänen u. Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, 1973, der § 139 BGB analog anwendet).

Erfüllt ein bestimmter Staatsakt zwar nicht die an die intendierte, wohl aber die an eine andere Rechtsquellenart oder die an eine Verwaltungsvorschrift gestellten Geltungsbedingungen, so gilt sie als solche, sofern sie auch dann sinnvoll ist (Umdeutung- z.T. a.M. Wimmer, DVB1. 1970, 306)(Hans J. Wolff – Otto Bachof – Rolf Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Auflage, München 1994), S. 310 ff.)

Haben Sie genau gelesen? – Ich wiederhole zum Mitschreiben (Copy&Paste tun’s auch):

Dies gilt insbesondere für alle förmlichen Gesetze, auf deren Nichtigkeit sich niemand rechtsgültig berufen kann, bevor sie von einem Verfassungsgericht durch Urteil ausgesprochen worden ist. Sie gelten sogar idR bis zur Verkündung der Nichtigkeitsentscheidung oder sogar über diese hinaus .

Bezogen auf Ihren Pokergewinn könnten sie mit Sack und Pack bei Ihrem Mitspieler einziehen und dort wohnen bleiben, bis die Nichtigkeit der Eigentumsübertragung letztinstanzlich festgestellt wird. – Da gehen gut und gern 15 bis 20 Jahre ins Land…

Sie haben also kein Recht, aber obwohl Sie kein Recht haben, muß man Ihre angemaßte Rechtsposition so lange unbeschränkt beachten, bis die Tatsache, daß Sie das behauptete Recht nicht haben, höchstrichterlich festgestellt ist.

Das kann es doch wohl nicht sein! – Erst recht kann das kein „Recht“ sein, denn es läuft darauf hinaus, daß:

der Hut auf der Stange zu grüßen ist, auch wenn er nicht dem Landvogt Geßler gehört,

der Hut auch zu grüßen ist, wenn er nicht auf der Stange ist,

der Hut auch zu grüßen ist, wenn nicht einmal eine Stange da ist, auf der sich der Hut befinden könnte.

Und die Stelle, an der sich die Stange mit dem Hut, der nicht auf der Stange ist, nicht befindet, ist so lange zu grüßen, bis das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, daß sich an der Stelle, an der sich die Stange mit dem Hut, der nicht auf der Stange ist, nicht befindet, weder Hut noch Stange ist.

Das verstehe einer! – Vor allem vor dem Postulat der „Einheitlichkeit der Rechtsordnung“.

Aber wir sind tagtäglich mit dem Hut, der nicht auf der Stange ist,  und der Stange, die nicht einmal da ist, konfrontiert und müssen ihn grüßen. Anderenfalls wird  ein Bußgeld fällig oder es droht sogar ein Strafverfahren!

Aber der „Bundespräsident“, der nicht einmal im Amt ist, der hat

„denVertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus“

eilfertig und mit dem Kotau vor dem Hut, der nicht auf der Stange, die nicht da ist, unterzeichnet. Und das soll „rechtsverbindlich“ sein!?

Wie hätte Schiller es ausgedrückt?

„Bückst du dich doch vor manchem hohlen Schädel“.

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