Gewalt in Nahost: Der unendliche Bruderzwist

November 18, 2012

Gewalt in Nahost: Zwischen Bodenoffensive und Feuerpause | tagesschau.de.

der jüdische Ire

Schon einige Jahre alt, aber aktueller denn ja!

Der Nahe Osten erweckt in den letzten Tagen den Eindruck, als wäre er ein Pulverfaß. – Ich würde es etwas anders ausdücken wollen:

Der Nahe Osten ist einer der Blindgänger, die im Globalen Bürgerkrieg, der immer noch über den Planeten tobt, von der Propaganda in den „Weltfrieden“ hinübergerettet wurden.

 Und es gibt einen Politiker namens Benjamin Netanjahu, der versucht hat, den Blindgänger mit dem Vorschlaghammer zu entschärfen. – In seinem Unverstand hat er den Zeitzünder aktiviert, von dem keiner weiß, wann er die Bombe hochgehen läßt und welche Sprengkraft diese entfalten wird.

Die Medien halten Benjamin Netanjahu für einen „Staatsmann“ und berichten über ihn, als sei er von den Regeln der menschlichen Gemeinschaft befreit.

Da liegen die Medien, die unsere Meinung machen wollen, leider falsch. Auch Benjamin Netanjahu hat sich an die Grundspielregeln der menschlichen Gemeinschaft, des „globalen Dorfes“ zu halten. – Wie der Zufall es so will, war es ein Jude, der das Nadelöhr in das „Wort Gottes“ eigeführt hatte. Das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie griff 1999 die Metapher auf:

Kam der moderne Mensch durch ein „Nadelöhr“?

Die heutige Menschheit fing  ganz klein an / Schimpansen sind genetisch wesentlich vielfältiger als Menschen zeigen neue DNA-Analysen

Seit kurzem zählt man sechs Milliarden Menschen auf der Erde – verteilt über alle Kontinente sowie auf unzählige, nach Hautfarbe, Sprache, Religion, Kultur und Geschichte unterscheidbare Gruppen. Doch diese bunte Vielfalt ist nur „Fassade“. Denn auf molekulargenetischer Ebene, das zeigen jüngste Analysen an Schimpansen (Science, 5. November 1999), durchgeführt am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, bietet die Menschheit ein überraschend einheitliches, geradezu „familiäres“ Bild: Verglichen mit ihren nächsten tierischen Verwandten, den Schimpansen, sind alle derzeit lebenden modernen Menschen immer noch „Brüder“ beziehungsweise „Schwestern“…

Mörderische Absichten gegenüber dem eigenen Bruder sind den Völkern des Nahen Ostens nicht gerade fremd, wie die Geschichte von Kain und Abel zeigt. Und Kain schaut nach seinem Mordanschlag Gott mit den Augen eines Labradors an, der gerade eine „Schwarzwälder Kirschtorte“ vom Tisch gezogen und sich einverleibt hat. „Soll ich meines Bruders Hüter sein“?

Meine Frage an die Theologen der Welt lautet:

Warum hat Gott nicht

„Verdammt nochmal, Kain, ja, du sollst deines Bruders Hüter sein, wer denn sonst?“

gesagt?

Der Brudermord im Nahen Osten nahm schon zu alttestamentarischen Zeiten Dimensionen an, die im 20. Jahrhundert erst von Barry McGuire in seinem Lied „Eve of Destruction“ wiederentdeckt wurden:

„And even the Jordan has bodies float’n“ – Und sogar im Jordan schwimmen Leichen:

Das Grauen ist in der Bibel in zwei Versen zusammengafaßt:

Und die Gileaditer nahmen ein die Furten des Jordans vor Ephraim. Wenn nun die Flüchtigen Ephraims sprachen: Laß mich hinübergehen! So sprachen die Männer von Gilead zu ihm: Bist du ein Ephraimiter? Wenn er dann antwortete: Nein!

Hießen sie ihn sprechen: Schiboleth; so er sprach Siboleth und konnte es nicht recht reden; alsdann griffen sie ihn und schlugen ihn an den Furten des Jordans, daß zu der Zeit von Ephraim fielen zwei und vierzig tausend.

(Richter 12, 5,6)

Es war Jephthah, der diesen Genozid zu verantworten hatte.- Netanjahu ist von diesem seiner Brüder und den Brüdern, die er gedenkt zu „vernichten“, nicht weiter entfernt als von mir und dem Leser dieser Zeilen.

Wir müssen uns vor Augen halten: Die Erde beherbergt fast 7 Mrd. Menschen. Alle sind so „blutsverwandt“, daß ein „Jude“ seine Organe einem „Nigger“ spenden kann; jeder „Nigger“ oder jede „Rothaut“ kommt als Organ- bzw. Samenspender für den „Weißen Mann“ in Frage. – Außen vor bleiben merkwürdigerweise die „Asiaten“. Deren Stellung im „Rassenspektrum“ haben die Rassisten dieser Welt offenbar ausgespart. Bis auf „Rostock 1992“  blieben Asiaten in Europa von der Disussion über „Rassenfragen“ ausgenommen. – Japan und Deutschland waren „Achsenmächte“, die Deutschen galten im England des frühen 20. Jahrhunderst als „Hunnen“, und aus China bezogen die Juden des Altertums ebenso ihre Seide wie die Kalifen und Sultane des Nahen Ostens.

Menschen sind Menschen. Überall auf der Welt. – Alle Unterscheidungen sind nichts anderes als „Etiketten“, die man sich selbst oder anderen anheftet.  – Die grundlegenden Verhaltensmuster sind bei allen Menschen auf dem Planeten Erde gleich:

Benjamin Netanjahu denkt ebenso wie Barack Obame in die falsche Richtung. Beide sind bzw, waren auf der Schiene, die auf einer kleineren Größenskala als „Blutrache“ etikettiert wird. – Und Blutrache, die kann sich über Generationen hinziehen. – Wie der Nahost-Konflikt. – Aber „Blutrache“ ist keine gottgegebene Institution, sondern eine Entartung dessen, was ich als „Tausch-und-teile-Instinkt“ bezeichne:

Ein „gefundenes Fressen“ hatten unsere Vorfahren allenfalls dann, wenn sie irgendwo ein Stück Aas fanden. Ansonsten haben sie im Gegensatz zu den Schimpansen bereits frühzeitig nicht nur anderen Affen, Waldschweinen oder Antilopen nachgestellt, sie mußten mit größeren Brocken fertig werden und sie verteilen.

Stellen wir uns einfach einmal einen Trupp Australopithecinen vor, der einen Büffel erlegt hat. Die Männer stehen vor einem für ihre Verhältnisse gigantischen Fleischberg, Frauen und Kinder ziehen in der Nähe der ge- meinsamen Schafplätze auf der Suche nach pflanzlicher Nahrung umher. Hätten sich die Männer nach Altväter Sitte hingesetzt, dem letztlich „erfolgreichen“ Jäger das Recht der Zuteilung überlassen und ansonsten um Futter gebettelt, wäre die Menschheit seit damals keinen Schritt weiter. Damit zeigt sich aber, daß die Taktik des Bettelns und Gewährens für die Jägerhorde zunehmend unpassender wurde. Selbstverständlich beschwor diese Art der Erschließung neuer Nahrungsquellen Konflikte herauf, die das bis zu diesem Zeitpunkt vorherrschende Sozialsystem überforderte. Angesichts der im wahrsten Sinne des Wortes fetten Beute, die nun nicht mehr nur gelegentlich auf dem Speisezettel stand, mußte die gewöhnliche Konfliktlösungstrategie der Primaten versagen.

Der hier deutlich werdende Gabelungspunkt wirkte sich nicht nur auf die Beuteverteilung aus, sondern ebenso auf die Führung innerhalb der Gruppe. Denn mit der Jagd war der Macht des auf körperlicher Überlegenheit beruhenden Alphatieres die Konkurrenz des erfolgreichen Jägers erwachsen, der plötzlich ungewollt als „Herr der Nahrung“ dastand.

Es mußte sich also etwas ändern im menschlichen Verhalten.

Für eine Veränderung, die sich im subtilen Bereich des Verhaltens abspielen, sich also genetisch allenfalls als Nuance niederschlagen, fehlt zwangs- läufig jeder versteinerte Beleg. Deshalb müssen wir nach Verhaltensmustern suchen, die uns aus der heutigen Zeit geläufig sind, die aber auch,

ohne daß der Verstand eingeschaltet wird, für die Lösung des angesprochenen Problems einschlägig sind.

Merkwürdigerweise finden wir das, was wir weiter oben als Team beschrieben haben, unter dem Begriff Gesellschaft im Bürgerlichen Gesetz- buch (BGB) wieder; dort findet sich unter § 705 folgende Definition der Gesellschaft:

„Durch den Gesellschaftsvertrag verpflichten sich die Gesellschafter ge genseitig, die Erreichung eines gemeinsamen Zweckes in der durch den Vertrag bestimmten Weise zu fördern,…“

Lassen wir den Gesellschaftsvertrag als Rechtsinstitut einmal weg, so haben wir hier eine Beschreibung des Musters des ursprünglichen Jägertrupps. Demzufolge bestimmt das BGB, in § 726, daß die Gesellschaft endet, wenn der Zweck erreicht ist oder die Erreichung des Zwecks un- möglich geworden ist. – Und jetzt wird es interessant, denn in § 734 BGB regelt das Gesetz die Verteilung der „Beute“. Spontan würde man meinen, daß die Verteilung des Überschusses (Beute) einer Gesellschaft zu gleichen Teilen erfolgen würde. Das Gesetz sagt in § 734 BGB jedoch, daß der Überschuß den Gesellschaftern nach dem Verhältnis ihrer Anteile gebührt. Dem Gießkannenprinzip, das alle „gleich“ behandelt, folgt das Gesetz also nicht, vielmehr tariert es die Verteilung des Gewinns sehr fein aus.

Daß es sich bei der Gewinnverteilung im Rahmen der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft um ein aus unvordenklichen Zeiten stammendes Muster handelt, wird durch einen verblüffend ähnlichen Beuteverteilungsschlüssel der Pygmäen im südlichen Afrika belegt:

„Bei den Bayaka-Pygmäen gehört ein bei der Treibjagd erbeutetes Tier auf jeden Fall dem Besitzer des Netzes, in dem es sich gefangen hat. Der Töter bekommt Kopf und Hals. Das sind meist die älteren Männer, die mit ihren Speeren hinter dem Netz in Wartestellung hocken. Wer sonst beim Töten mitgeholfen hat, bekommt ein Stück Brust. Der Netzbesitzer, dem nach Traditionsrecht der ganze restliche Körper gehört, behält im allgemeinen einen Keule und alle Innereien einschließlich der Gedärme, bei den Pygmäen eine echte Delkatesse. Den Rest des Körpers teilt er dann nach eigenem Ermessen unter den an der Jagd beteiligten Leuten auf. Bei den Efe-Pygmäen im Ituri hat der Schütze auch Anrecht auf den Hauptteil der Beute, nämlich auf das Lendenstück mit den Hinterläufen. Der Organisator der Jagd erhält den Rücken, der Eigentümer des Hun- des, der das Wild aufgestöbert hat, bekommt Kopf und Hals. Der Rest wird an die übrigen Jagdteilnehmer verteilt. Man sollte annehmen, daß es sich in den verschiedenen Gemeinschaften um festgelegte Regeln han- delt, doch ganz ohne Streit geht eine solche Verteilung der Beute nie aus. Auch bei den Bayaka-Pygmäen war ich häufig Zeuge, wie es beim Vertei- len zu wilden und lautstarken Streitereien kam. Man beschimpfte sich mit den übelsten Verbalinjurien, zumal es den Pygmäen an einem lockeren Mundwerk nicht fehlt. Man bedrohte sich auf Distanz mit den Fäusten und ging auch einmal aufeinander los, ohne daß es dabei aber zu wirkli- chen Handgreiflichkeiten kam. Man blieb meist in etwa 2 m Abstand von- einander stehen und drohte und schimpfte mit einer ausdrucksstarken Gesichtsmimik. Dabei wurde laut und für alle hörbar hoch und heilig verkündet, daß man niemals mit dem da auf die Jagd gehen werde. Doch am gleichen Abend noch, ins Wohnlager zurückgekehrt, saßen alle wieder friedlich am Feuer vor ihren Hütten, verspeisten den Gemüse-Eintopf mit dem wohlschmeckenden Fleisch und stopften sich genüßlich schmat- zend die Bäuche voll. Wer beim Verteilen der Gazelle im Wald zu kurz gekommen war oder gar nichts abbekommen hatte, konnte dann spätes- tens beim Abendessen seinen Anteil verzehren…“(51)i

In dieser Schilderung können Sie nicht nur die Ähnlichkeit des Musters bei der „Beuteverteilung“ in einer reinen Jäger- und Sammlerkultur und bei der „zivilisierten“ Variante erkennen, Sie sehen auch den hohen Re- spekt, den das Eigentum des erfolgreichen Jägers genießt, was wiederum die Nahtstelle zu unseren felltragenden Vettern erahnen läßt. Die Ähnlichkeit eines von hochgebildeten Juristen ersonnenen Gesetzes (52)ii und natur- verbundem Gerechtigkeitsempfinden zeigt überdies, wie nahe wir alle den Pygmäen sind, die als einer der ältesten lebenden Volksstämme gelten. Wir mit unserer „fortschrittlichen“ Zivilisation sind im sozialen Bereich keinen Schritt weiter! – Die Fülle von Gerichtsentscheidungen zu § 734 BGB belegt nämlich ebenfalls unsere Nähe zu den Pygmäen.

Die Parallele der Verhaltensweisen rechtfertigt den Schluß, daß es sich um ein Verhalten handelt, das einer biologischen Wurzel entpringt und damit in den Tiefen des menschlichen Gehirns verankert ist. Es ist damit der Natur des Menschen zuzurechnen. Der hier wie dort auftretende Streit belegt ebenfalls, daß hier nicht kaltes Kalkül und nüchterner Verstand am Werke sind, sondern emotionale Antriebsmuster.

Das „Austarieren“ der Anteile, das Gewichten von Geben und Nehmen hat innerhalb der menschlichen Gemeinschaften überall auf der Welt einen hohen Stellenwert. Eibl-Eibesfeld hat das anhand vieler Beispiele aus verschiedenen Kulturkreisen und im Rahmen von Untersuchungen mit Kindern nachweisen können. (53)iii

Das Phänomen des Austauschs wird unter dem Begriff des reziproken Altruismus diskutiert. – Selbstverständlich passen die Ergebnisse der Humanethologie nicht in unsere vom Streit über die Richtigkeit miteinander wetteifernder Ideologien geprägte Zeit. Also schweigt man sie am liebsten tot und leugnet die Ergebnisse weg. Denn nur mit dem Homo oeconomicus, dem streng egoistisch und streng ratio- nal handelnden Menschen, lassen sich Ideologien von Kapitalismus bis Kommunismus rational begründen und verteidigen.

Und dennoch finden wir in unserer Zivilisation eine genaue Entsprechung für das Muster des reziproken Altruismus:

Sie gehen frühmorgens zum Büdchen. „Eine Bild-Zeitung, bitte.“ – „Siebzig Pfennig.“ – „Danke, Tschüs!“ – „Vielen Dank auch, schönen Tag!“ In diesem Augenblick haben Sie den ersten Vertrag des Tages schon hinter sich. Gegen Mitternacht verspüren Sie Hunger und bestellen eine Pizza. Wenn Sie den Pizzafahrer bezahlt haben, war das für diesen Tag der letzte Vertrag.

Wir sind unablässig damit beschäftigt, Verträge zu schließen und zu erfüllen. Das System des Gebens, damit der andere gibt, ist die Keimzelle dessen, das weltweit unter dem Begriff Zivilrecht bekannt ist. Es ist vollkommen gleichgültig, in welchen Winkel der Welt sie sich begeben. Überall, wo Sie auf Menschen treffen, können Sie deren reziproken Altruismus mit den dürren Worten der §§ 145 ff des § 305 BGB beschreiben: Die §§ 145 ff BGB beschreiben das Zustandekommen eines Vertrges durch die unmißvertändlich erklärte Willensübereinstimmung zweier oder mehrerer Menschen. § 305 BGB ((ursprüngliche Fassung!) spiegelt das Bedürfnis des Menschen zu reziprokem Verhalten wider: „Zur Begründung eines Schuldverhältnisses sowie zur Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses ist ein Vertrag zwischen den Parteien erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt.“

Sie werden unschwer feststellen, daß Vertrag etwas damit zu tun hat, daß man sich verträgt. Denn nur wer sich mit einem anderen verträgt, kann einen mit diesem übereinstimmenden Willen haben.

Allerdings wird die Unzahl von Verträgen, in die der Mensch in seinem Leben verwickelt wird, in der Regel nicht bemerkt. Daß es sich um „Schuldverhältnisse“ handelt, merkt der Mensch erst, wenn bei dessen Abwicklung etwas schiefläuft. – Bleiben wir bei unserem Beispiel: wenn Sie die Pizza in Empfang nehmen, dem Boten aber die Tür vor der Nase zuschlagen anstatt zu bezahlen, verletzen Sie die Regeln. Der Bote wird aber nicht zum Gesetzbuch greifen um festzustellen, gegen welche Regel Sie verstoßen haben, sondern sich spontan fürchterlich aufregen. Das wiederum zeigt, daß der gegenseitige Vertrag, wie ihn das BGB beschreibt, kein Konstrukt der Ratio des Menschen ist; seine Wurzeln reichen viel- mehr tief in den animalischen Teil des menschlichen Gehirns hinein.

Damit kam allerdings nichts grundsätzlich Neues in die Welt, denn das Prinzip des gegenseitigen Vertrages ist den Juristen unter der Bezeichnung Synallagma geläufig, die biologische Entsprechung heißt Symbiose. Auch die Partner in einer Symbiose geben, weil und damit der Partner gibt.

Australopithecus Superbus S. 95ff

Es hat einige Jahre gedauert, und ich mußte erst Armin Falks Abhandlung „Homo oeconomicus versus homo reciprocans“ lesen, bis es mir wie Schuppen von den Augen fiel: Reziprokes Verhalten, reziproker Altruismus sind Ausdrucksformen eines an Komplexität kaum zu überbietenden Instinkts.

Wir tauschen und teilen, weil wir nicht anders können. – Wir haben eigentlich nur die Freiheit,zu entscheiden, was wir tauschen und teilen. Und die Zahl der Freiheitsgrade sit so hoch wie die Zahl der Rotationsachsen eines Fußballs.

Dem Tausch-und-teile-Instinkt ist es vollkommen egal, ob man Informationen oder Artilleriegranaten tauscht. Allein die Begriffe „Vergeltung“ und  „Vergeltungswaffen“ im militärischen Sprachgebrauch deuten auf die Steuerung des Verhaltens durch einen Instinkt hin. – Instinkte sind nun einmal nur begrenzt durch das Großhirn und damit „bewußt“ steuerbar.

Vor einigen Jahren wurde von der der Uni Zürich, an der Armin Falk gearbeitete hatte,  nachgewiesen, daß „Rache“ tatsächlich „süß“ ist, weil „Bestrafung“ das „Belohnungszentrum“ im Gehirn aktiviert. – Benjamin Netanjahu, seine „Befehlsempfänger“ und auch seine „Widersacher“ im Gaza-Streifen wissen vielleicht gar nicht, was sie tun.

Das wird und muß sich ändern:

Der auf die Obrigkeit gemünzte Antrag Jesu:

„Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“

ist vom  Jüngsten Gericht zurückzuweisen.

Benjamin Netanjahu,  seine Soldatinnen und Soldaten können sich im Internet ebenso über die Grundlagen ihres eigenen Verhaltens informieren wie ihre „Feinde“. –

i (51) Armin Heymer, Die Pygmäen, München 1995, S. 204f

ii (52) Die Vorarbeiten zum Bürgerlichen Gesetzbuch begannen kurz nach der Reichs- gründung 1871, waren aber erst 1896 abgeschlossen. Das BGB faßt in seinem Kern die mitteleuropäischen Rechtstraditionen von Jahrtausenden zusammen.

iii (53) vlg. Eibl-Eibesfeld aaO 497 ff, er faßt seine Ergebnisse u.a. wie folgt zusam- men: „…In allen von uns untersuchten Kulturen verfügen bereits Säuglinge im vorsprachlichen Alter über die Strategien des Anbietens, und sie erfreuen sich spielerischer Dialoge des Gebens und Nehmens, die bereits die Regeln der Reziprozität beachten. Aus dem reziproken Geschenkeaustausch entwickelte sich der Handel. Die ethologischen Erhebungen bestätigen die Annahme von Marcel Mauss, daß die soziale Funktion des Objekttransfers am Anfang der Entwicklung stand. Bindungen an Mitmenschen werden als Besitz geachtet und verteidigt. Soziale Bindungen sind jedoch stets partnerschaftlich wechselseitig.( S. 508)


Wissenschaftler auf der Suche nach dem Garten Eden – Garten Eden gefunden!

November 13, 2012

Wissenschaftler auf der Suche nach dem Garten Eden – Garten Eden – PM Online.

Liebe Wissenschaftler, ihr könnt die Suche nach dem Garten Eden einstellen, denn den können wir eindeutig als die ostafrikanische Savanne identifizieren. – Den Beweis dafür bietet die Bibel selbst. Man muß sich lediglich in die Zeitalter zurückversetzen, in denen noch kein Wort gesprochen wurde und die Szenen des „Drehbuchs“ Bibel neu schneiden, dann ergibt sich sogar ein schlüssiges Bild:

Adam und Eva wurden nicht aus dem Paradies vertrieben, vielmehr ermöglichte die „Erfindung“ des „künstlichen Fells“ ihnen, die Savanne zu verlassen und sich auch in kälteren Regionen anzusiedeln. – Sie drangen in diese Lebensräume ein, wie es heute noch alle Exozooen tun.

Da ds nachfolgend vollständig wiedergegebene Kaptiel aus meinem Manuskript „Australopithecus Superbus – der Mensch im Licht nichtlinear-dynamischer Evolution“ – seit seiner Entstehung vor 12 Jahren mehrfach umformatiert werden mußte, sind die Fußnoten ein wenig „verrutscht“ – Ich bitte das zu entschuldigen; – das Manuskript war schließlich nicht geschrieben worden, um ’scheibchenweise“ an verschiedenen Stellen im Internet veröffentlicht zu werden.

Fahren wir nunmehr im rund 3.800 km langen Fluß des Lebens „nur“ 2 Km zurück. – Das Boot heißt,  weil durch den Film Reise in die Urwelt inspiriert, in dieser Version immer noch „Jirkas Boot“.  – Wir haben seit den Anfängen des Lebens schon 3.798 Km zurückgelegt, die ersten echten „Zweibeiner“ liegen jetzt rund vier Km im Fluß des Lebens zurück:

… und kleidete sie.

Jirkas Boot gleitet gemächlich den Fluß des Lebens hinab. Es sind noch knapp zwei Kilometer bis zur Gegenwart. Vor uns teilt sich erneut der Flußlauf, wir müssen mit Schrecken feststellen, daß ein Seitenarm nach einigen Hundert Metern verlandet.  Gott sei Dank treibt Jirkas Boot in den anderen Arm. Nach und nach entdecken wir am Flußufer behauene Steine. Erst grobes Geröll, dann zunehmend verfeinerte Werkzeuge. Die Gebeine unserer Vorfahren, Stein- und Knochenwerkzeuge sind zwar stumme Zeu- gen, dennoch können sie uns viel erzählen, nur eines nicht: sie geben kei- ne Auskunft über die Motivation der frühen Menschen, die sie zu ihrer Benutzung veranlaßte. Damit sind wir bei einer der wichtigsten Fragen an- gelangt, die Anthropologen und Evolutionsbiologen seit jeher beschäftigt, namlich die, warum die Menschen der Vorzeit anfingen, systematisch Werkzeuge herzustellen.

Bei den Gedanken, die ich mir zu der Geschichte von Kain und Abel machte, stieß ich auf einen Satz, der zwar zur Schöpfungsgeschichte ge- hört, aber in kaum einer Kirche vernommen wird, nämlich 1. Mose, 3
Vers 21:  Und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe Röcke von
Fell und kleidete sie.

„Lucy“ blieb ihr Leben lang nackt, aber die Geschichte mit Kain und Abel lag bereits hinter ihr. In der Bibel allerdings kommt das Feigenblatt vor dem Brudermord. Mit andern Worten, in der Bibel scheint die zeitliche Folge des Gehehensablaufs vertauscht zu sein. Wenn aber die Reihenfolge der Ereignisse nicht stimmt, drängt sich die Frage auf, ob bei deren Schil- derung im Laufe der Tradierung nicht auch Ursache und Wirkung ver- tauscht worden sein könnten. Rekapitulieren wir die den Menschen betref- fende Genesis in ihren wichtigsten Stationen, wie sie in 1. Mose 2   be- ginnt:

1. Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden gegen Morgen und setze den Menschen hinein, den er gemacht hatte.
8. Und Gott der Herr ließ aufwachsen allerlei Bäume, lustig anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen.
16. Und Gott der Herr gebot dem Menschen und sprach: Du sollst essen von allerlei Bäumen im Garten;
17. aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen sollst Du nicht essen; denn welchen Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben.

In der Folgezeit schnitt Gott Eva aus Adams Rippe und gesellte sie ihm zu.

25. Uns sie waren beide nackt, der Mensch und sein Weib, und schämten sich nicht.

In 1. Mose 3 folgt dann der Dialog mit der Schlange:

…3. aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott ge- sagt: Esset nichts davon, rühret’s auch nicht an, daß ihr nicht sterbet.
4. Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet mitnichten des Todes sterben;

5. sondern Gott weiß, daß, welchen Tages ihr davon esset, so werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.
6. Und das Weib schaute an, daß von dem Baum gut zu essen wäre und daß lieblich anzusehen und ein luftiger Baum wäre, weil er klug machte; und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann auch davon, und er aß.
7. Da wurde ihrer beider Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, daß sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schürze.
8. Und sie hörten die Stimme Gottes des Herrn, der im Garten ging, da der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seinem Weibe vor dem Angesicht Gottes unter die Bäume im Garten.

In der Folge verflucht Gott die Schlange und belehrt Adam und Eva über die Konsequenzen ihres Handelns:

16. Und zum Weibe sprach er: Ich will dir Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinde gebären;und dein Ver- langen soll nach deinem Manne sein, und er soll dein Herr sein.
17. Und zu Adam sprach er: dieweil du hast gehorcht der Stimme deines Weibes und gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot, und sprach: Du sollst nicht davon essen, – verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren ein Leben lang.

Gott der Herr eröffent Adam,er habe zukünftig sein Brot im Schweiße seines Ansgesichts zu essen. Er gibt Eva ihren Namen und dann geschieht etwas ganz Merkwürdiges:

21. Und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe Röcke aus Fell und kleidete sie.
22. Und Gott der Herr sprach: Siehe, Adam ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, daß er nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich.
23. Da wies ihn Gott der Herr aus dem Garten Eden, daß er das Feld baute, davon er genommen ist,
24. und trieb Adam aus und lagerte vor dem Garten Eden die Cherubin mit dem boßen hauenden Schwert, zu bewahren den Weg zu dem Baum des Lebens.

Wie bei Kain und Abel ist der Sachverhalt lückenhaft und in sich wider- sprüchlich. Gott sei mein Zeuge, und der Papst möge mir verzeihen, daß ich an den Zeugen einige Fragen habe:

Warum droht Gott Adam mit dem Tode für den Fall, daß er vom Baum der Erkenntnis nasche? – Denn bevor Adam von ebendiesem Baum aß, konnte er keine Kenntnis davon haben, daß ein Zuwiderhandeln gegen Gottes Gebot ein todeswürdiges Unrecht darstellt.

Gott erwischte Adam an einem kühlen Tag, Adam und Eva versteckten sich vor ihm unter Bäumen. Was veranlaßte Gott, ausgerechnet an einem kühlen Tag in den Garten zu gehen.

Warum hat Gott Adam nicht kurzerhand beseitigt, denn immerhin hatte er ihm den Tod für den Fall des Zuwiderhandelns gegen sein Gebot ange- droht?

Warum fällte Gott ein differenziertes Urteil, nämlich Schmerz und Lust für die Dame, anstrengenden Nahrungserwerb für den Herrn der Schöp- fung?

Warum kleidet Gott die beiden in zuvor nie gekannter Weise neu ein, be- vor er sie aus dem Paradies vertreibt und ihnen den Zugang zur Unsterb- lichkeit verwehrt?

Es sind durchaus legitime Fragen an den Zeugen; sie sind auch durchaus geeignet, Theologen in Erklärungsnot zu bringen. Gott freilich würde wahrscheinlich antworten, er sei mißverstanden worden, man müsse ledig- lich die Fakten der Genesis in die richtige Reihenfloge bringen. Damit könnte er recht haben.

Listen  wir  die  Hauptbestandteile  der  biblischen  Schöpfungsgeschichte einmal auf:

1.    Das Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen;
2.    Die Todesdrohung;
3.    Das Negieren der Todesdrohung durch die Schlange;
4.    Das Essen vom Baum der Erkenntnis;
5.    Die Feststellung der eigenen Nacktheit;
6.    Das Geflecht aus Feigenblättern;
7.    Das Verstecken vor dem Zorn Gottes an einem kühlen Tag;
8.    Die Veränderungen im Leben;
9.    Die Austattung mit Bekleidung aus Fellen;
10.    Das Verlassen des Paradieses.

Bevor wir die Elemente der Schöpfungsgeschichte in eine andere Reihen- folge bringen, müssen wir uns an einer Stelle vom Text lösen, nämlich von den Begriffen „gut“ und „böse“. Diese Begriffe ließen sich, ohne den Sinn zu verändern, dahingehend verstehen, daß sie das Prinzip der Alter- nativität verkörpern, also eine der Grundregeln der Logik. Diese wieder- um ist Grundlage des analytischen Verstandes. Allerdings ist noch eine andere Interpretation des Gegensatzes möglich, die mir wahrscheinlicher vorkommt. Es dürfte damit das Wechselspiel von Phantasie und Logik ge- meint sein, in deren Spannungsfeld das menschliche Seelenleben zuhause ist. Das ist gemeint, wenn im folgenden das Verbot, vom Baum der Er- kenntnis zu naschen, die Rede ist.

Gliedern wir vor diesem Hintergrund die Genesis neu:

1.    Die Todesdrohung;
2.    Das Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen;
3.    Das Verstecken vor dem Zorn Gottes an einem kühlen Tag;
4.    Die Feststellung der eigenen Nacktheit;
5.    Das Essen vom Baum der Erkenntnis;
6.    Das Geflecht aus Feigenblättern;
7.    Die Veränderungen im Leben;
8.    Das Negieren der Todesdrohung durch die Schlange;
9.    Die Ausstattung mit Bekleidung aus Fellen;
10.    Das Verlassen des Paradieses.

Ich glaube, bereits die Umgruppierung der Elemente erlaubt es uns, dem tatsächlichen Ablauf der Menschheitsgeschichte näher zu kommen, ohne – wie Charles Darwin es war – gezwungen zu sein, die Genesis grundsätz- lich in Frage zu stellen. Fangen wir also mit der Todesdrohung an.

Warum könnte die Menschheit vom Aussterben bedroht worden sein?

Die Antwort geben uns die Geologen. Vor etwa zwei bis 2,5 Millionen Jahren setzte die quartäre Eiszeit ein, die erst vor etwa 10.000 Jahren en- dete. Die erste Vereisung wird regional unterschiedlich als Biber- Brüg- gen oder Prä-Tegelen Kaltzeit genannt.76

In Neuseeland begannen die Wälder, die überwiegend aus thermophilen (wärmeliebenden) Baumarten bestanden, abzusterben; Pollenanalysen aus Kolumbien erhärten die Annahme, daß damals auch im Bereich der inne- ren Tropen eine sehr starke Temperaturabnahme zu verzeichnen war.77

Wenn selbst in tropischen Gefilden die Abkühlung der Erde spürbar wur- de, konnte das nicht ohne Einfluß auf unsere Vorfahren bleiben. Bereits eine Absenkung der Nachttemperaturen um wenige Grad hätte sich zu- mindest unangenehm auf deren Befinden ausgewirkt.

Die geologischen Zeiträume sind allerdings reichlich bemessen, sie zählen nach Tausenden oder Millionen von Jahren. Wir dürfen deshalb davon ausgehen, daß die Abkühlung sehr langsam vor sich ging.

Diese wird sich zunächst an den äußeren Rändern des Lebensraums be- merkbar gemacht und eine Wanderungsbewegung ausgelöst haben. Den- noch wird eines Tages die Abkühlung auch den Kernbereich erfaß haben.

Die Probleme, denen Säugetiere gegenüberstehen, wenn sie der isolieren- den Wirkung des Fells verlustig gehen, kennt jeder Schaf- bzw. Angora- ziegenzüchter. Die mitunter kühlen Frühjahrsnächte nach der Schafschur- saison werden nicht umsonst „Schafskälte genannt; es ist die Zeit, in der viele frischgeschorene Schafe von Unterkühlung und Krankheit bedroht sind.

Texanische Angorazüchter berichten, ihre Ziegen seinen normalerweise nicht gegen Regen empfindlich. Im Februar und im August, wenn sie frisch geschoren seien, könne eine Regenguß sie umbringen. So sollen am Morgen nach einem Regenguß 4000 tote Ziegen gezählt worden sein, die
„sind umgefallen, wo sie gerade gingen und standen.“78

Uns bleibt nur zu erahnen, wieviel Todesopfer ein Regenguß zu jener Zeit bei unseren Vorfahren fordern konnte. In erster Linie wird das die Kin- dersterblichkeit hat zunehmen lassen. Schlechtes Wetter konnte also den Tod mit sich bringen. Der Reproduktionsdruck des Australopithecus ließ dramatisch nach.

Unsere behaarten Verwandten lassen die Regenzeit im allgemeinen ohn- mächtig über sich ergehen, allenfalls versuchen sie, den „Wettergott“ zu mobben. Bei manchen Populationen hat es sich eingebürgert, in Richtung des Unwetters ein Verhaltenan den Tag zu legen, das gewöhnlich der Feindabwehr dient.79

Eine interessante Beobachtung wurde indes in Guinea gemacht: Dort führ- te der Zufall zur „Erfindung“ einer Art von Regendach. „Jeden Abend

76 vgl. Thome, Einführung in das Quartär, Heidelberg 1998, S. 21 (In den USA
wird diese als Prä-Illionois-Kaltzeit K bezeichnet); Ehlers, Quartärgeologie, Stuttgart 1994, S. 165
77 Frenzel, Die Klimaschwankungen des Eiszeitalters, Braunschweig 1967, S 86f
78 Penny Ward Moser, Kein Grund zum Meckern, GEO 7/1987,  S. 116
79 vgl. Dröscher, S. 44ff

bauen sich wildlebende Schimpansen in einer Baumkrone ein Schlafnest, indem sie Zweige von allen Seiten unter sich zusammenbiegen und etwas verflechten. Eines Tages hatte ein vierjähriges Jungweibchen sein Nest unmittelbar über dem seiner Mutter geflochten, als ein Schauer hernie- derprasselte. Sogleich sprang es eine Etage tiefer zu seiner Mutter und bemerkte, daß sie beide hier im Trockenen blieben. Seither flechten sich alle Schimpansen dieser Region bei Regen ein Dach über dem Kopf.“80

Australopithecus war mit Sicherheit nicht dümmer als diese Schimpansen. Also werden auch unsere Vorfahren in ihrem Lebensraum irgendwann entdeckt haben, wo man einen Untershlupf findet oder wie man ihn sich bauen kann. Da sie aber im Grasland lebten, war das „Erfinden“ eines
„künstlichen“ Unterstandes mit ungleich größeren Problemen verbunden als im Wald.

Eines aber werden unsere Vorfahren vom Stamme der Australopithecinen mit Sicherheit nicht getan haben, sie haben sich nicht zu den Höhlen- menschen entwickelt, die in den allgemeinen Phantasien über den Men- schen in seiner Frühzeit herumspuken.

Australopithecus  war nackt. Bei der Suche nach einem warmen Plätzchen wäre er in der Höhle vom Regen in die Traufe gekommen. In Höhlen ist es, auch in warmen Gegenden, verdammt kalt. Eine Höhle hat noch einen gravierenden Nachteil, den ein Mensch, der einen Lichtschalter zu betäti- gen weiß, kaum nachvollziehen kann: den Besuchern der Ailwee-Cave, ei- ner Höhle im Westen Irlands, wird bei jeder Führung drastisch und im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen geführt, was es bedeutet, sich in ei- ner Höhle aufzuhalten. Am Ende des erschlossenen Teils bleibt man als Besucher einfach stehen und schaut in die Düsternis des noch unerschlos- senen Teils. Und dann wird es finster, weil das Licht ausgeschaltet wird. Es wird so finster, als wäre das Augenlicht erloschen. Selbst verbundene Augen können diese Finsternis nicht wahrnehmen, weil der Sinnesreiz ei- ner Augenbinde immer noch irgendwie Trost spendet. Im Innern einer Höhle aber ist es beängstigend, es ist wirklich zappenduster.

Des weiteren sind Höhlen auch nicht so häufig, daß die gesamte damalige Menschheit hineingepaßt hätte, es sei denn, man erwartet, daß sich Aus- tralopithecien mit dem Platzangebot für moderne Batteriehennen begnügt hätten.

Den Ausweg aus ihrer mißlichen Situation fanden unsere Vorfahren über sich selbst, er war in ihren Gehirnen bereits vorgezeichnet. Das zuneh- mend schlechter werdende Wetter forderte die Intelligenz unserer Vorfah- ren geradezu heraus. Beim Menschen sind die intellektuellen Fähigkeiten normalverteilt. Bei Schimpansen ist diese Normalverteilung ebenfalls an- zunehmen.

Einer der bekanntsten Versuche mit unseren Vettern dürfte der sein, in dem einem Schimpansen eine Banane vor die Nase gehängt wurde, die er nicht ohne weiteres erreichen konnte. Erst eine Kiste und eine Stange konnten ihn in die Lage versetzen, die begehrte Banane zu erreichen. Der Schimpanse betrachtete die Szenerie und die Hilfsmittel eine gewisse Zeit aufmerksam und fand schließlich die richtige Lösung, ohne beim Hantie- ren mit Kiste und Stange den Umweg über Versuch und Irrtum zu gehen. Leider fehlen Informationen über den Intelligenzquotienten des handeln- den Schimpansen. Deswegen sind Angaben darüber, ob er möglicherwei- se ein überdurchschnittlich intelligenter Schimpanse war, nicht überliefert.

80 Dröscher, 78

Darauf kommt es aber nicht an, vielmehr ist entscheidend, daß Australo- pithecus über die gleichen Fähigkeiten verfügte, nämlich die Vorstellung vom eigenen Handeln und die Vorstellung der Konsequenz des eigenen Handelns: „Wenn ich so handele, wie ich es mir vorstelle, dann wird mein Handeln die vorgestellten Wirkungen erzielen.“

Damit ist das Fundament beschrieben, auf das die Natur bei der Bewälti- gung der Probleme des nackten Affen am Anfang des Eiszeitalters bauen konnte.  Es  war der  Startpunkt einer Rückkopplungsschleife,  die  nicht ohne Auswirkungen auf die physischen Strukturen bleiben konnte.

Im Leben der Menschheit gab es erneut eine Akzentverschiebung. Denn diejenigen, die die Sachlage nur ein klein wenig besser beurteilen konnten und ideenreicher waren als ihre Artgenossen, hatten, in diesem Falle muß man es wohl so drastisch sagen, erheblich bessere Überlebenschancen.

Bei der Frage nach den einzelnen Entwicklungschritten kommt uns  Ernst Haeckels biogenetisches Grundgesetz zur Hilfe, wonach bekanntlich die Individualentwicklung die wesentlichen Stationen der Stammesgeschichte im Ansatz wiederholt.

Die jugendliche Reifung intellektueller Fähigkeiten ist dank den Arbeiten von Jean Piaget und anderen sehr gut erforscht.81  Schauen wir uns einmal an, was sich diesbezüglich innerhalb der Individualentwicklung alles ab- spielt.

Zunächst müssen wir feststellen, daß wir mit der Konzentration unserer Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Punkt eine Aktivität entfalten, die beim Kleinkind nach und nach in Erscheinung tritt:

„Im allgemeinen sind wir nicht auf das angewiesen, was wir mit einem Blick, in einem ganz kurzen Augenblick wahrnehmen können. Häufiger können wir das visuelle Feld absuchen, es systematisch betrachten und erforschen, um bestimmte, besondere Aspekte wahrzunehmen. Piaget meint, dieses aktive Erforschen beginne schon in früher Kindheit, mit elf oder zwölf Monaten, wenn das Kind Gegenstände manipuliert, um mehr über sie zu erfahren, und seine Verhaltensweisen variiert, um festzustel- len, was dann geschieht. Die Fähigkeit zur >Wahrnehmungsaktivität<, dem eingehenden, systematischen Betrachten komplexen Materials zur genauen Feststellung seines Wesens, entwickelt das Kind jedoch erst spä- ter, mit etwa sieben Jahren. Bei dieser Aktivität wird die unmittelbare Wahrnehmung durch Vergleiche aller Einzelheiten korrigiert und verfei- nert, Piaget bezeichnet diesen Vorgang als >Koppelung<.82

Bei einigen Untersuchungen stellte sich heraus, daß der Effekt optischer Täuschungen mit fortschreitendem Alter ebenfalls zunahm, weil die jün- geren Kinder unterteilte Linien als Ganzes wahrnahmen, während die älte- ren sie analysierten und sukzessive die einzelnen Teile fixierten.83

81 vlg. Jean Piaget, Biologie und Erkenntnis, Frankfurt/Main 1974 , S. 18f; Piaget betrachtet das Aufeinanderfolgen der einzelnen Stadien, in denen mit zunehmen- dem Alter die intellektuellen Fähigkeiten des Kindes zunehmen als Reifungspro- zeß: „Dieser sequentielle Charakter der Stufen der Intelligenz scheint die Not- wendigkeit eines endogenen Faktors in der nervösen Reifung sicher zu beweisen, schleißt aber weder die Beteiligung der Umwelt (Erfahrung) aus noch vor allem Wechselwirkungen zwischen Reifung und Umwelt in einem Prozeß fortschreiten- der Äquilibration oder Selbstregelung.“ (S. 19 Fußnote 9)
82 M.D. Vernon, Wahrnehmung und Erfahrung, Müchen 1977, S. 97
83 Vernon, aaO, 98 m.w.Nw.

Allerdings sind die Augen nicht die einzigen Sinnesorgane, mit denen der Mensch sich ein präzises Abbild der ihn umgebenden Gegenstände macht. Von erheblicher Bedeutung in diesem Zusammenhang sind die Erfahrun- gen, die er dadurch sammelt, daß er sich mit einer Sache im wahrsten Sin- ne des Wortes „befaßt“:

„… Ein Experiment von Ling zeigte, daß Kinder mit sechs Monaten ler- nen können, Figuren wie Kreise, Quadrate, Dreiecke und Kreuze zu un- terscheiden, wenn sie paarweise dargeboten werden. Eine Figur war be- weglich und mit einer süßen Masse überzogen; das Kind konnte sie neh- men und daran lutschen. Zuerst lernten die Kinder sehr langsam, welche Figur sie nehmen mußten, und es bestanden beträchtliche individuelle Unterschiede.  Vom  siebenten  bis  zum  zwölften  Lebensmonat  steigerte sich die Lerngeschwindigkeit schnell. Die Aufgabe war jedoch schwerer zu bewältigen, wenn mehrere Figuren gleichzeitig dargeboten wurden, und wenn eine richtige Figur einer anderen ähnlich sah – beispielsweise Kreis und Oval. Es scheint, als hätten die Kinder während dieser Zeit all- mählich gelernt, einzelne, einfache Formen zu identifizieren. Babska un- tersuchte die weitere Entwicklung der Identifikation. Sie forderte Kinder auf , sich die Form einer Figur – etwa eines Kreises, eines Quadrates etc.
– zu merken und sie später wiederzuerkennen, wenn sie zusammen mit anderen Figuren gezeigt wurde. Bei Zwei- bis Dreijährigen entsprach die Zahl der richtigen Antworten der Zufallserwartung, dann aber verbesser- te sie sich allmählich, und mit fünf Jahren waren fast alle Antworten richtig. Wir können also schließen, daß zu diesem Zeitpunkt die Identifi- kation einfacher Formen gesichert war.(…)

Die exakte Diskriminierung und Identifikation einer Figur unter mehre- ren entwickelt sich nur langsam. Meyer untersuchte das Verhalten von Kindern zwischen eineinhalb und fünfeinhalb Jahren. Er forderte sie auf, Schachteln ineinander zu stecken und sie durch Öffnungen in einem Brett zu schieben. Natürlich war diese Aufgabe nur zu erfüllen, wenn die For- men genau paßten. Bis zum Alter von zweieinhalb Jahren gingen die Kinder ausschließlich nach  trial-and-error vor, sie stießen die Schachteln zusammen, ohne daß sie je zusammenpaßten. Mit drei bis vier Jahren be- gannen die Kinder mit dem Versuch, passende Formen zu wählen, aber erst mit mehr als vier Jahren stellten sie im voraus fest, wie die Formen zusammenpaßten. Zu ähnlichen Ergebnissen kam Venger, der gleichfalls bei  Zweijährigen  reines  trial-and-error-Verhalten  feststellte,  allerdings bei Zwei bis Dreijährigen gelegentlich direktes Zuordnen der Formen fand.

Es scheint als komme es bei jüngeren Kindern, wenn sie ausschließlich auf den Gesichtssinn angewiesen sind, zu einer bloß globalen Wahrneh- mung, und als könnten selbst bei einfachen Formen die Begrenzungslini- en nicht aus dem Gesamteindruck herausanalysiert werden. So stellte Ames et al. fest, daß Zweijährige in ihren Reaktionen auf Rorschachta- feln die Klecksbilder nur ungenau und vage als Ganzheit wahrnahmen. Oft aber ergänzen Kinder ihre visuelle durch taktile Wahrnehmung. Vor allem verfolgen sie die Begrenzungslinien mit dem Finger und werden so auf die Form aufmerksam.  Gellerman zeigte, daß ein zweijähriges Kind lernen kann, eine Dreiecksfigur durch Nachfahren mit dem Finger zu identifizieren und sie danach auch zu erkennen, wenn sie auf den Kopf gestellt wird oder Schwarz und Weiß vertauscht werden. Luria   stellte fest, daß Kinder unter fünf Jahren auch große Schwierigkeiten hatten, Unterschiede zwischen jeweils zwei Figuren zu behalten, wenn sie sie nicht in der Hand gehabt und die Konturen gefühlt hatten. Konnten sie

aber die Figuren in die Hand nehmen und sie befühlen und sie dabei be- nennen, dann gab es schon bei Drei- bis Vierjährigen selbst bei verwir- renden Figuren – etwa unregelmäßigen Vierecken – fast keine Fehler mehr. Es scheint also, als trage der taktile Umgang zur Identifikation bei, indem er die genaue Wahrnehmung der Kontur verstärkt. Nach der frühen Kindheit aber, wo sie Informationen über Festigkeit, Oberflächen- struktur usw. vermitteln, kommt taktilen Eindrücken an sich keine große Bedeutung mehr zu. Die taktile Formwahrnehmung ist stets weniger effi- zient als die visuelle, die die taktile beim Erwachsenen völlig verdrängt hat. Wenn also die taktile Wahrnehmung mit einer verzerrten visuellen Wahrnehmung in Konflikt gerät, dann bestimmt der visuelle Eindruck, was wahrgenommen wird.“84

Unsere Vorfahren beschäftigten sich zunehmend mit den Dingen, die sie umgaben und auch damit, welche Auswirkungen ihre Manipulationen hat- ten. Es liegt auf der Hand, daß dazu der Organisationsgrad eines „Schim- pansenhirns“ nicht mehr ausreichte. Der für die hochauflösende Wahrneh- mung  der  Umwelt  notwendige  „Arbeitsspeicher“  reichte  einfach  nicht mehr aus, er mußte größer werden.

Als Reaktion auf die tiefgreifenden Veränderungen in der Umwelt kam also eine Rückkopplungsschleife in Gang, die zu einer Hirnvergrößerung führte. Die oben zitierte Feststellung, daß die Wirksamkeit einer optische Täuschung im Laufe der Kindheit zunimmt, zeigt, wie sehr sich mit fort- schreitendem Alter auf der Wahrnehmungsseite das „Auflösungsvermö- gen“ steigert. Dabei galt es lediglich, die Länge zweier Strecken zu beur- teilen, deren eine mehrfach von Querstrichen geschnitten wird. Kleinkin- der betrachten auch die unterteilte Strecke als Ganzes, während ältere Kin- der sie analysierten und sukzessive betrachteten. Die Wirkung der Täu- schung steigerte sich damit.85

Aufgrund der verbesserten Detailwahrnehmung wurden unsere Vorfahren auch in die Lage versetzt, die Konsequenzen ihrer eigenen Handlungen immer besser zu erkennen. Die eigene Hand, das „Handeln“ des Ich wur- de zum Objekt der Beobachtung.

An dieser Stelle sollten wir die Verfolgung der Rückkopplungsschleife vorläufig einstellen und uns klarmachen, was es bedeutet, Erkenntisse über die Welt zu gewinnen:

Seit Tausenden von Jahren streiten die Gelehrten über das Wesen der Er- kenntis und darüber, ob es überhaupt möglich ist, die Welt zu erkennen. In die immerwährende Auseinandersetung der Philosophen will ich mich nicht einmischen, weil ich ihn für einen Streit um des Kaisers Bart halte. Obwohl die Fähigkeit zur Erkenntnisgewinnung zum Kernbereich menschlichen Lebens zählt und damit auch im Rahmen der menschlichen Evolution im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, lasse ich diese Frage au- ßen vor, eben weil der sich darum rankende Streit ein ewiges Scheinge- fecht ist, das seine Daseinsberechtigung aus dem Übergehen der wichtigs- ten Komponente des menschlichen Verstandes bezieht. Diese ist das Vor- stellungsvermögen, die Phantasie. Allenthalben ist von Vernunft und Ver- stand die Rede, aber diese Begriffe würden leerlaufen, gäbe es nicht die Phantasie, die mit ihrem Überschäumen den Verstand „schärft“. An ihren Produkten erst lassen sich die Kriterien der Vernunft messen.

84 Vernon aaO, S 42ff
85 Vernon, aaO, S 97f

Das Wesen, aber auch den Unterschied der Phantasie bei Mensch und Tier hat Eibl-Eibesfeldt veranschaulicht:

„Schon höhere Säuger können Aufgaben lösen, ohne erst verschiedene Möglichkeiten motorisch abhandeln zu müssen: Das Probieren ist nach innen verlegt. Der Schimpanse, der in einem Käfig sitzt, in dem sich eine Kiste und eine an der Decke befestigte Banane befrinden, probiert in Ge- danken Verschiedenes aus: Er überlegt, wohl ähnlich wie wir, setzt seine bisherigen Erfahrungen dazu in Beziehung und findet so die Lösung. Al- lerdings müssen die Gegenstände seiner Überlegung anwesend sein. Bei Menschen ist diese Fähigkeit, in der Vorstellung zu experimentieren, so- weit entwickelt, daß wir ihn mit Recht auch als >Phantasiewesen< be- zeichnen können. Wir kombinieren unsere Bewußtseinsinhalte im Geiste, und zwar nicht bloß, wenn eine Aufgabe konkret an uns herantritt. Wir spielen auch mit ihnen, fügen sie neu zusammen, bauen Luftschlösser auf, entwerfen Handlungsweisen als Pläne und lösen dabei Gewohnhei- ten wieder auf – ein Mechanismus, der uns vor Erstarrung schützt.Aller- dings ist der Schutz nicht absolut. Wir können in unserer Phantasie Leit- vorstellungen schaffen, die wie ein Zwang als >fixe Idee< unser Verhal- ten determinieren. Diese Gefahr besteht vor allem dann, wenn unsere Phantasiegebilde unter dem Einfluß starker Antriebe (Machtstreben, Se- xualität) geformt werden. Bis zu einem gewissen Grade können wir in der Phantaise ein zweites Leben führen und Antriebe ausleben, für die in der Wirklichkeit kein Raum ist.

Bemerkenswert ist, daß der Mensch, ohne es erst motorisch zu üben, auch rein zentral neue Bewegungskoordinationen erlernen kann. Wir können nicht nur ein neues Wot hören oder lesen und sogleich nachspre- chen, wir können auch neue Bewegungen in der Phantasie zusammen- bauen und danach der Vorstellung entsprechend ausführen.“86

Leider stellt auch Eibl-Eibesfeldt zu sehr auf die „Bewußtseinsinhalte“ ab, die da in der Phantasie durchgespielt werden. Meiner Meinung haben am Prozeß der Phantasie vor allem unbewußt ablaufende Vorgänge den ent- scheidenden Anteil. Eibl-Eibesfeldt deutet das in seinem Hinweis auf die
„Luftschlösser“ und den Hinweis auf den Einfluß starker Antriebe zwar an, nennt das Kind allerdings nicht beim Namen. Gerade im letztgenann- ten Fall stehen die Phantasien nicht unter dem Einfluß der Antriebe, sie werden durch die Antriebe erzeugt und ins Bewußtsein „geschoben“.

Wir brauchen uns nur in unserer selbstgeschaffenen Umwelt umzuschau- en: es ist die Phantasie, über die der Mensch so reichlich verfügt, daß dar- aus ein ganzes geistiges Universum entstand, nämlich die Literatur, das Erzählen erfundener Geschichten. Die Erzählkunst explodierte erneut, als die Bilder das Laufen lernten; seit Erfindung des Fernsehens leben wir fast nur noch in einer Art Cyberspace erfundener Geschichten. Bewußt und ausdrücklich zähle ich hierzu die zahlreichen „Legenden“ die ge- schichtsträchtige Personen in die Welt setzen oder die über sie kolportiert werden.

Die Phantasie ist es auch, die den Erkenntnistheoretikern aller Epochen den  irrtümlichen  Schluß  nahelegte,  auch  in  der  Natur  gäbe  es  einen Zweck, ein bestimmte Absicht.

„Die vier Gesichter der Ursache: Diese haben seit Aristoteles das Den- ken ebenso wie die Denker in Lager gespalten und die unterschiedlichen

86 Eibl-Eibesfeldt, Grundriß der vergleichenden Verhaltensforschung, München
1969, S. 476f m.w. Nachw.

Renaissancen erfahren: So in Schopenhausers Dissertation >Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde<. Der Leser aber bleibt davon verschont. Hier ist weder Anlaß nach Raum, alledem nach- zugehen. Nur der Klartext der klassischen Version ist für uns von Bedeu- tung.

Zumeist werden die vier Formen am Beispiel der Ursachen des Haus- baus folgendermaßen illustriert. Dieser hat erstens eine Antriebsursache, die causa efficiens, einen Aufwand nötig, Arbeitskraft oder Geld, zweitens eine Materialursache, die causa materialis, das Baumaterial, Sand, Zie- gel, Balken uns so fort; drittens eine Formursache, die causa formalis, Baupläne, die den Grundriß, Räume und Wände bemessen; und viertens eine Zweckursache, die causa finalis, das ist irgendjemandes Absicht, ein Haus zu bauen.

Tatsächlich, so wird man mit mir übereinstimmen, kann nicht eine der vier Ursachen beim Hausbau fehlen. Oder wäre ein reales Haus denk- bar, das jemand ohne irgendeinen Aufwand oder ohne Material oder ohne Plan, welcher Art auch immer, gebaut worden wäre. Oder hätte es ohne irgen jemandes, wenn auch noch so mißverstandener oder verse- henlicher Absicht entstehen können. Selbst für den Bau eines Bibers und den Köcherbau einer Fliegenlarve kann keine der Ursachen fehlen. Warum aber gerade vier Ursachen? Und dieser zweiten Komplikation ei- ner zersplitterten Ursachenvorstellung folgt eine dritte auf dem Fuß“.

Riedl meint damit die Ur-Ursache, die im Zweck gesehen wird. 87  Aristo- teles selbst meint zu diesem Thema: „(…) Denn in den Erzeugnissen der Kunst und in denen der Natur verhält sich offenbar das Spätere zum Frü- heren gegenseitig in gleicher Weise. Am meisten springt dies bei den Tie- ren in die Augen, die die Natur so schafft, daß sie etwas weder künstlich suchen, noch überlegen. Darum wirft man ja auch die Frage auf, ob die Spinnen oder die Ameisen oder ähnliche Tiere mit Verstand oder mit sonst einer Fähigkeit handeln. Geht man aber nur einen kleinen Schritt weiter, so zeigt es sich, daß auch bei den Pflanzen das entsteht, was für den Zweck zuträglich ist: z.B. die Blätter zum Schutz der Frucht. Wenn also die Schwalbe ihr Nest und die Spinne ihr Netz um eines Zweckes wil- len macht, und wenn die Pflanzen die Blätter wegen der Früchte hervor- bringen und der Ernährung wegen ihre Wurzeln nicht oben, sondern un- ten haben, so ist es klar, daß in dem, was von Natur wird und ist, eine solche Ursach wirksam ist. Un weil die Natur ein Dopeltes ist, einerseits Materie und andererseits Form, diese aber der Zweck ist und um des Zweckes willen alles übrige da ist, so wäre also dies, der Zweck, die Ur- sache….“88

Schauen wir uns ein wenig in der Natur um:

Der Spinne, die unlängst ihr Netz zwischen dem Außenspiegel und der Karosserie meines Wagens gesponnen hatte, war der Zweck ihres Hand- lens mit Sicherheit unbekannt. Sie spulte ein Programm ab, ohne über- haupt wahrzunehmen, was tatsächlich geschah: Bis etwa 80 km/h blieb sie seelenruhig in ihrem Netz hängen, etwa ab diesem Tempo lief sie rasch in Deckung. An jeder Ampel aber, wenn wieder weitgehend Windstille herrschte, kam sie wieder hervor, kontrollierte ihr Netz und beseitigte durch den Fahrtwind entstandene Schäden. Das wiederholte sie immer und immer wieder; sie tat mir hinterher richtig leid; aber wie hätte ich ihr erklären sollen, daß nach der nächsten Grünphase der „Sturm“ aufs Neue

87 Rupert Rield, Evolution und Erkenntnis, München 1984, S 126
88 Aristoteles, Aus der Physik, Kausale und teleologische Naturbetrachtung

losgehen würde? Wie selbstverständlich erscheint uns das Verhalten der Spinne zweckgrichtet. Sie webt ihr Netz, um damit Insekten zu fangen. Allerdings braucht dies die Spinne als Individuum nicht zu wissen. Denn unter gewöhnlichen Umständen werden Fluginsekten sich mit einer sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit im Netz verfangen, auch davon braucht die Spinne selbst keine Kenntnis zu haben. Sie kann sich auf ihr
„Artgedächtnis“ grundsätzlich verlassen. Nur in Ausnahmefällen, wie dem eben geschilderten, „versagt“ dieses.

Anders sieht es beim Hausbau aus. – Dem Biber bereits dürfen wir ruhig zubilligen, eine Vorstellung davon zu haben, wie sein Bau aussehen muß. Aber der Biber ist im Bereich des Baumaterials auf das Holz beschränkt, denn es ist das einzige Baumaterial, das er mit seinen Zähnen bearbeiten kann.

Die Errichtung eines Hauses erfordert aber bei weitem mehr. Die Kennt- nis davon, welche Materialien sich überhaupt eignen; Erfahrung im Um- gang mit den Baustoffen usw. Alles Wissen über die Eigenschaften der Baustoffe  und alle Erfahrung im Umgang mit denselben reichen aber nicht aus, ein Haus zu bauen. Ohne Vorstellung davon, wie das Haus aus- sehen soll, ohne Phantasie also, gäbe es kein einziges Haus. Das Vorstel- lungsvermögen ist demnach das Entscheidende. Hier ist die Zweckursache zu suchen, die scheinbar aus der Zukunft in die Vergangenheit wirkt.

Unsere Phantasie ist auch der chaotische Widerpart unseres analytischen Verstandes. Ihre Inhalte sind in der Tat unbegrenzt, sogar Fabelwesen sind denkbar. Und diese wiederum können unseren analytischen Verstand zum Narren halten:

Aristoteles nimmt zu den Tier-Mensch- Mischgestalten der Mythologie wie folgt Stellung:

„(…) Entstanden etwa, wie in der Tierwelt Ochsen mit Menschenköpfen, so auch in der Pflanzenwelt Mischbildungen aus Rebe und Ölbaum oder nicht? Das ist freilich unnatürlich. Aber es mußte wohl so sein, wenn ent- sprechendes in der Tierwelt vorkam. Dann mußte freilich bei den Samen der reine Zufall herrschen. Wer aber so etwas behauptet, der hebt damit das Natürliche und die Natur auf. Denn von Natur aus gelangt alles, was von einem in ihm selbst liegenden Prinzip ununterbrochen bewegt wird, zu einer gewissen Vollendung. Diese ist freilich bei den einzelnen Wesen entsprechend dem weiligen Prinzip verschieden, aber nicht etwas Zufälli- ges, sondern jeweils immer dieselbe, wenn kein Hindernis in den Weg tritt. Der Zweck aber und was seinetwegen geschieht, kann auch einen zufälligen Anlaß haben, wie wir z.B. sagen, es sei zufällig ein Fremder gekommen und, nachdem er eingekehrt, wieder weggegangen, wenn er handelt, als ob er deswegen gekommen wäre, während er doch nicht des- wegen gekommen ist. So urteilen wir nach dem äußeren Hergang; der Zufall gehört aber zu den Ursachen, die man auf Grund des äußeren Hergangs annimmt, wie wir früher gesagt haben. Wenn so etwas aber immer oder doch meistens geschieht, dann ist es nicht bloß ein äußerer Hergang und nicht Zufall. In der Natur aber ist es immer so, wenn nicht ein Hindernis eintritt. Es ist aber töricht, etwas nicht für ein zweckmäßi- ges Geschehen zu halten, wenn die bewegende und überlegende Ursache unsichtbar ist. Und doch überlegt auch die Kunst nicht; denn wenn in dem Holz die Schiffsbaukunst seckte, so würde sie ganz gleichartig ver- fahren wie die Natur. Wenn also der Kunst der Zweck innewohnt, dann ist es auch bei der Natur der Fall. Am deutlichsten wird es aber in dem Falle, wenn jemand sich selbst heilt. Einem solchen gleicht die Natur. Es

ist also klar, daß die Natur Ursache ist, und zwar im Sinne der Zweckmä- ßigkeit.“89

Es ist schon erstaunlich, wie nahe Aristoteles der Wahrheit kam, wenn man seine doch stark eingschränkten Möglichkeiten zur Erforschung der Natur  berücksichtigt.  Er  selbst  hat  bereits  eine  Vorstellung  von  der
„Vollendung“ des  Natürlichen durch innere Antriebe,  die  nach seinen Worten „nicht etwas Zufälliges, sondern jeweils immer wieder dieselbe ist, wenn kein Hindernis in den Weg tritt.“ Aber auch Aristoteles macht am Ende seiner Betrachtung den typisch menschlichen Fehler, die eigene Phantasie in die natürlichen Abläufe zu projizieren. Aber das ist nicht ver- wunderlich, weil wir dazu neigen, komplexe Zusammenhänge zu personi- fizieren: wir lassen das Feuer wüten, den Sturm toben, den Fluß über die Ufer treten. An der Nordseeküste holt sich der „Blanke Hans“ gelegent- lich seine Opfer, Vulkane „speien“ Feuer. Und die Evolution „schafft“ Lebenwesen.

Wenn wir uns also mit Dingen „befassen“, die wir nicht „begreifen“ kön- nen, billigen wir ihnen nahezu automatisch eine Subjektqualität zu, sie werden als handelnde Person wahrgenommen. Auch hier stehen wir wie- der nicht allein da; Sie haben es am Beipiel der Schimpansen gesehen, die wütend auf den „Wettergott“ losgegangen sind.

Von der Personifizierung können wir nicht einmal lassen, wenn es um komplexe Strukturen und Zusammenhänge geht, die der Mensch selbst erst geschaffen hat. Wir reden davon, „der Krieg“ sei der Vater aller Din- ge; „die Technik“ versage hin und wieder. Ob Wirtschaft, Politik, Medi- zin, Justiz oder Gesellschaft. All diesen Dingen, die wir nicht unmittelbar
„fassen“ können, verleihen wir den Status einer Persönlichkeit. Sie kön- nen das ganz einfach daran feststellen, daß sie diesen „Personen“ für ir- gendetwas die „Schuld“ in die Schuhe schieben können. Wobei der Schuh seinerseits für den Menschen „handhabbar“ ist. Wenn Ihnen ein Schuh nicht paßt, werden Sie kaum jemals behaupten, das sei ein Verschulden des Schuhs.

Diese  natürlichen Scheuklappen,  die  menschlicher Erkenntnis Grenzen setzen, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte und gelten auch heute noch, selbst für alle Formen der Wissenschaft:

„(…) Denn die Grenze, an die wir durch die Triebdiskussion geraten sind, zeigt sich auch, daß gerade die wissenschaftlich verwendete Spra- che vorwiegend im hellsten Bereich des tätigen Menschenlebens zu Hau- se ist, daß alle exakten Vorstellungen einer technischen Welt unseres ei- genen >Machens< entstammen, wo man genau weiß (oder es wenigstens meint), wer differenziert, wer gliedert, aufbaut, zerstört, umlagert. Ver- lassen wir diese helle klare Welt der Dinge, die wir geschaffen haben, so bleiben uns Worte, und diese müssen die Bilder und Vergleiche liefern für Vorgänge einer fremden, unmenschlichen Welt. Diese Fremdheit gilt ja auch dem eigenen Wesen gegenüber, das wir ja auch nicht denkend geschaffen haben, sondern das ohne unser Bewußtsein zu dem wird, was es später ist. Nun finden wir natürlich die Bilder aus der technischen Welt in einer Stufenfolge der sinnvollen Anwendung vor: ein Wort aus der Maschinenwelt ist relativ brauchbar, solange ich Funktionen und Or- gane bezeichne, in denen eine Leistung maschineller Art besonders ma- nifest ist. Ich kann das Herz als Motor oder als Pumpensystem beschrei- ben, wenn ich von recht vielen seiner Eigenheiten absehe, insbesondere von  seiner Entwicklungsweise. Wir können  im Bewegungsapparat  mit

89 Aristoteles, aaO

den Werkbegriffen der Hebelmaschinen recht vieles aussagen – immer indem wir von sehr Wesentlichem bewuzßt absehen.

Aber wenn unser Denken sich in die Grenzregion wagt, wo der >sich selbst differenzierende Keim< zu schildern ist, wo vom >sich verhalten- den< Lebewesen ausgesagt werden soll, da versagt die helle klare Spra- che des Alltags, und von den dunkleren Bildern der Imagination erwartet der Biologe in diesem Fall nicht die Lösung.

Es bleibt uns nichts anderes übrig, als zu wissen, daß wir sowohl in der Entwicklungsphysiologie wie in der Erforschung der Erbfaktoren und in der der Motivate des Verhaltens uns Grenzen nähern, in denen unsere Begriffsbildungen des Alltags ihre Geltung einbüßen.“90

Wie oben dargelegt, ist diese Feststellung nicht auf die Probleme in den Grenzbereichen der Biologie beschränkt, eben weil sie ein grundsätzliches Problem des menschlichen Erkenntnisvermögens widerspiegelt. In diesem Zusammenhang kommt es auch zu verschiedenen Begriffsverwirrungen. Bevor der Begriff der Vererbung Einzug in die Biologie hielt, war er über Jahrtausende hinweg von Jursisten geprägt worden. Im Kern handelt es sich dabei um die Übertragung des Vermögens von einer Generation auf die nächste. Er wurde von Biologen aufgeschnappt und inhaltlich so ver- ändert, daß er nicht einmal mehr für die so wichtige Weitergabe erlernter Verhaltensweisen verwendet werden kann.91

Nun bildet gerade die Biologie eine der Speerspitzen menschlichen Er- kenntnisstrebens. Wenn diese bei der Begriffsbildung komplexer Zusam- menhänge auf eine der höchstpersönlichen Aktivitäten des Menschen zu- rückgreifen muß, dann liegt auch darin eine Personifizierung natürlicher Vorgänge. Damit steht auch die Biologie in bester Tradition des menschli- chen Unvermögens, die Welt so zu erfassen und zu beschreiben, wie sie wirklich ist.

Nachdem wir das Wesen und die Grenzen menschlichen Erkennens ein wenig näher beleuchtet haben, können wir die Rückkopplungsschleife, die wir anläßlich der ersten Beobachtung eigenen Handelns angehalten hatten, weiter ablaufen lassen.

Die Einsicht in die Folgen der eigenen Manipulation von Objekten in der Umwelt reichen freilich für eine Weiterentwicklung geistiger Qualitäten innerhalb der Art allein nicht aus. Sie müssen auch irgendwie den Artge- nossen mitgeteilt werden können. Da die gesproche Sprache damals nicht einmal als Utopie vorhanden war, blieb nur der Weg über die Tradition.

Die  Tradition  erlertner  Verhaltensweisen  und  erworbener  Erfahrungen setzt auch beim modernen Menschen nur bedingt eine artikulierte Sprache voraus, wie Piaget und Inhelder zeigen konnten:

„Die Taubstummen beherrschen dieselben elementaren Klassifikationen wie die  Normalen,  zeigen  aber  eine  Verzögerung  bei  den  komplexen Klassifikationen (z.B. wenn für die gleichen Elemente ein Wechsel von ei- nem mgölichen Kriterium auf ein anderes impliziert ist usw.) – Das We- sentliche unserr Operationen ist demnach ist demnach bei den Taub- stummen vertreten, die übrigens natürlich im Besitz der symbolischen Funktionen (Sprache mittels der Gestik usw.) sind. die artilkulierte Spra-

90 Adolf Portmann, das Tier als soziales Wesen, Suhrkamp 1978, S. 199ff
91 Auf die Herkunft des Begriffes und die „Vererbung erworbener Eigenschaften“
findet sich bereits in: Konrad Lorenz, die Rückseite des Spiegels $1

che scheint so für die Bildung der operativen Strukturen nicht notwendig zu sein, sie spielt aber ohne Zweifel eine unterstützende Rolle und stellt vielleicht die notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für die Vollendung in ihren generalisierten Formen dar.“92

Damit  unterscheidet sich der  Mensch wieder einmal nicht von  seinen nächsten Verwandten. Langjährige Beobachtungen japansischer Forschern haben anhand von Rotgesichtsmakaken zeigen können, wie „vorkulturel- le“ Tradition funktioniert. Im Herbst 1953 wurde das eineinhalbjährige Affenweibchen Imo erstmals dabei beobachtet, wie es eine Süßkartoffel (Batate) im Wasser eines Baches wusch, ehe es sie fraß. Einen Monat spä- ter begann einer ihrer Spielgefährten mit dem Waschen von Süßkartof- feln; nach 4 Monaten tad dies auch Imos Mutter. Nach vier Jahren hatte sich diese „Erfindung“ bei 16 Tieren der insgesamt 60 Tiere umfassenden Gruppe durchgesetzt. Fünf Jahre später hatte sich das Waschen weitge- hend durchgesetzt, denn 1962 taten es 42 von 59 Tieren. Bei anderen Trupps der Rotgeschichtsmakaken haben sich andere Gewohnheiten durchgesetzt: eine Gruppe ist versessen auf Eier, ein andere nicht; die einen mögen keinen Reis oder keine Sojabohnen, andere gelten aus menschlicher Sicht in den Reis- und Sojafeldern als Schädlinge. – Über Geschmack läßt sich offenbar auch bei Rotgesichtsmakaken nicht streiten.

Dabei traten Unterschiede im Lernvermögen zutage. Manche lernten es nie, Imo hingegen erfand 1956 auch noch das „Goldwäscherverfahren“, um Getreidekörner von Sand zu trennen. Sie warf das Sand-Getreide-Ge- misch ins Wasser. Die schwimmenden Getreidekörner schöpfte sie ab. Da Rotgesichtsmakaken nun aber einmal keine Menschen sind, verbreitete sich die Kunde von der neuen Erfindung nur langsam. Die Verbreitung dieses Verhaltens folgte demselben Muster wie das Batatenwaschen. Nach sechs Jahren waren erst 19 der Gefährten Imos in der Lage, ebenso zu ver- fahren.

„Eine solche Erfindung zieht ferner leicht andere nach sich, Zunächst wuschen die Tiere ihre Bataten im Wasser eines Baches, später auch am Meeresstrand, und seit 1962 benutzen sie nur mehr Salzwasser und tauchten auch während des Fressens die angeknabberten Knollen immer weider ein und würzten so die Seise. Die Getreidewäscher, die oft die Hände voll hatten, lernten, besonders weit und geschickt aufrecht auf den Hinterbeinen zu gehen; auch beim Getreidewaschen stehen sie aufrecht. Im Wasser fanden sie jedoch zunächst bei Ebbe auch anderes Freßbares und sammelten es ein; sie lernten schwimmen und sogar ausgezeichnet tauchen und holten sich diese Nahrung auch bei höherem Wasserstand. Das Weibchen Eba und ihre Tochter Sago wuschen selbst niemals Ge- treide, sondern gründeten eine Bande und griffen andere an, sobald die ihre Last ins Wasser geworfen hatten.“93

Auch daran ist zu erkennen, daß für die Weitergabe von Erfahrungen und Techniken eine gesprochene Sprache nicht erforderlich ist. Bei den Rotge- sichtsmakaken  findet  auch  keine  gezielte  Unterweisung statt,  obgleich mitunter die Mütter durch besondere Verhaltensweisen die Beutefang- technint und Beuteauswahl so betonen, daß den Jungen die Nachahmung besonders leicht gemacht wird.94

92 Piaget/Inhelder, die Entwicklung der elementaren logischen Strukturen, Teil I, Düsseldorf 1973, S. 22
93 Wickler aaO, S 177f
94 Wickler aaO, S. 178

Die Verbreitung neuer „Erfindungen“ dürfte bei unseren Vorfahren erheb- lich schneller abgelaufen sein. Das ergibt sich aus der detaillierteren Wahrnehmung der Umwelt und der sich steigernden Fähigkeit zur Ein- sicht in die Geschehensabläufe.

Möglicherweise haben auch Rotgesichtsmakaken bereits eine Ahnung von den Folgen ihres eigenen Handelns. Fest steht, daß Schimpansen durchaus in der Lage sind, Wenn-Dann-Verknüpfungen herzustellen und sie auch im Rahmen der Kommunikation wiederzugeben. Das läßt darauf schlie- ßen, daß die Evolution auch bei der Entwicklung des logischen und des kausalen Denkens keine grundsätzlich neuen Wege einschlug. Sie verbrei- terte und verfeinerte lediglich ein schon vorhandendes Potential.

Unsere moderne Informationstechnologie führt uns mit ihrer rasanten Ent- wicklung der Größe von Arbeitsspeichern plastisch vor Augen, daß eine Erweiterung der  Informationsverarbeitung eine Vergrößerung des  „Ar- beitsspeichers“ voraussetzt.

Eine Eigentümlichkeit biologischer „Arbeitsspeicher“ besteht allerdings darin, daß das Hinzufügen einer einzelnen Hirnzelle mehrere Tausend neuer Verbindungen schafft. Eine Zunahme der Hirnsubstanz um nur we- nige Prozent je Generation ließ in jeder neuen Generation Milliarden neu- er Verknüpfungsmöglichkeiten entstehen. Daraus folgt, daß zu jener Zeit die Menschen von Generation zu Generation deutliche Unterschiede in ih- rer Wahrnehmungs- und Denkweise aufwiesen. Diese dürften dennoch so gering gewesen sein, daß sie im sozialen Kontext der damaligen Zeit nicht groß auffielen.

Wenn wir einen Vergleich zur heutigen Zei ziehen, ist dieser Vorgang mit dem beschleunigten Längenwachstum des Menschen in den letzten Hun- dert Jahren vergleichbar. Wir sind deutlich größer als unsere Ur- Urgroß- eltern, aber weder unsere Großeltern noch unsere Eltern haben es gemerkt, weil der Vergleich zwischen den Generationen so gering ausfiel, daß er nicht wahrgenommen wurde. Erst für uns erscheint er als „Sprung“. Die Veränderung der durchschnittlichen Körpergröße ist eine der wenigen Dinge, deren Veränderung wir quasi „live“ erleben können. Die „somati- sche Akzeleration“ ist ein zwar ein typisches Beispiel für eine Akzentver- schiebung innerhalb normalverteilter Merkmale, diese spezifische Akzent- verschiebung betrifft allerdings lediglich die Größe des gesamten Kör- pers, nicht die eines einzelnen Teils.

Vor gut 2 Millionen Jahren betraf die Evolution aber in erster Linie das menschliche Gehirn. Nun wird in der Evolution kaum jemals ein einzelnes Merkmal allein verändert, die mit der Vergrößerung des Hirnvolumens einhergehenden Veränderungen betrafen den gesamten Schädel. Deswe- gen erscheint es uns, als gehörten die sich allmählich verändernden Ge- sichter zu unterschiedlichen Arten.

Die Veränderung des Schädels beruht lediglich auf einer Akzentverschie- bung in der Normalverteilung. Einen Hinweis darauf, daß die späteren Menschen keine Australopithecinen mehr sind, kann ich darin jedenfalls nicht entdecken.

Wir können uns nun gut vorstellen, was die Menschen jener Zeit gatan ha- ben, um sich vor der Witterungseinflüssen zu schützen. Sie werden genau hingeschaut haben, wie es die anderen machen. Vom Grashalm bis zum Termitenhügel werden sie nahezu jeden Gegenstand in ihrer Umgebung eingehend begutachtet und ausprobiert haben,was sich damit machen läßt.

genauso, wie Kinder das auch heute noch tun. Das Zusammenflechten von Gräsern und Zweigen z.B kann man gut von den Vögeln lernen, man braucht schließlich nur ein Nest zu analysieren. Die möglichen Früchte vom Baum der Erkenntnis sind zu zahlreich, als daß sie vollständig wie- dergeben werden könnten. Eine der wichtigsten Entdeckungen, die der Mensch machte, war die wärmende Wirkung des Feuers. Sie konnte ihnen gar nicht verboren bleiben. Allerdings gibt es keine Zeitzeugen mehr, die uns darüber Auskunft geben können, wie lange es dauerte, bis unsere Vor- fahren gelernt hatten, damit sinnvoll umzugehen. In diesem Zusammen- hang halte ich ein bislang unbeachtetes Detail für wichtig, das der Evoluti- on den Weg zum modernen Menschen bahnte.

Schauen Sie sich einmal die Schädelfunde der aufeinanderfolgenden Epo- chen von „Lucy“ bis heute an. Sie werden feststellen, daß die Kiefer zu- nehmend schwächer wird, was unter den damaligen Lebensbedingungen nicht unbedingt als Fortschritt aufgefaßt werden kann. „Lucy“ war noch in der Lage, rohes Fleisch allein mit den Zähnen von der Beute abzubeißen. Kiefer und Kaumuskulatur unserer als homo erectus bezeichneten Vorfah- ren dürften dazu bereits zu schwach gewesen sein. Und wie sieht es bei uns aus? – Der zivilisierte Mensch hat schon Probleme, wenn das Steak ein wenig zäh ist. Nun hinterlassen Buschbrände nicht nur verkohlte Pflanzen, ihnen fallen auch Tiere zum Opfer. Unseren neugierigen Ver- wandten konnte daher nicht verborgen bleiben, daß mit Feuer behandeltes Fleisch erheblich leichter zu verzehren ist als rohes. Damit waren aber die Beschränkungen, die die Ernährungsgewohnheiten einer Veränderung des Gesichtsschädels hätten im Wege stehen können, beseitigt. Mankann mit Fug und Recht behaupten, der gesamte menschliche Schädel sei damit zur Umgestaltung freigegeben worden.

Das Beispiel der Rotgesichstsmakaken zeigt, daß all die über die Welt ge- sammelten Erkenntnisse, die Erfindungen und neu entwickelte Verhal- tensmuster sich innnerhalb weniger Jahre oder Jahrzehnte innerhalb der damaligen Menschheit verbreiteten. Und das, obgleich man die Natur als stockkonservativ bezeichnen kann:

Bei den Rotgesichtsmakaken hatte sich nach 10 Beobachtungsjahren das Batatenwaschen bei etwa 80 % der Truppmitglieder durchgesetzt. Nun könnte man daraus eine lineare „Wachstumsrate“ postulieren und ableiten, wann der Zustand erreicht werden würde, daß ausnahmslos alle Rotge- sichtsmakaken ihre Bataten waschen würden. Wir schreiben das Jahr 2000 und was ist passiert? – Wolfgang Wickler weiß über die Schwierikeit der weiteren Verbreitung des Batatenwaschens folgendes zu berichten:

„…Den Rest  (20%) bildeten einmal die Kleinkinder, aber auch die alten und ranghohen Männchen. Man sieht also nebeneinander >stockkonser- vative< alte Tiere, die auf keinen Fall Bataten waschen, und >progressi- ve< Jugendliche, die selbstverständlich Bataten waschen, weil sie es in- zwischen von ihren Müttern beigebracht bekamen.

Dieser Unterschied zwischen den  Generationen  hat einen besonderen biologischen Grund. Es ist nämlich, wo Tradition möglich wird, zweierlei wichtig: neue Erfahrungen zu sammeln und die schon gemachten Erfah- rungen zu bewahren. Die Erfahrungen sammeln sich automatisch bei dem an, der sie macht, und er macht sie mit der Zeit. Je älter er also ist, desto erfahrungsreicher wird er sein, desto mehr hat er zu bewahren. Daher bietet sich dort, wo alte und junge Tire zusammenleben, eine Auf- gabenverteilung an: Den Älteren wird das Konservieren von Erfahrun- gen, den> unvoreingenommenen< Jungen das Sammeln von neuen Er-

fahrungen zufallen. Im Zuge dieser Aufgabenteilung sollte sich also die Jugend auf neugieriges Experimentieren spezialisieren, das Alter dage- gen auf das Beharren und Festhalten an der Erfahrung. Deshalb lernt es sich rangaufwärts immer schlechter. Das ist biologisch notwendig, wenn überhaupt in solchen Sozietäten Erfahrungen sowohl gesammelt wie kon- serviert werden.“95

Da wir in einer schnellebigen Zeit beheimatet sind, in der ein guter Som- mer ausreicht, die Frage nach der kommenden Klimakatastrophe zu stel- len, muß ich nochmals betonen, daß sich der oben geschilderte Prozeß zu- nehmender  Einsichtsfähigkeit  in  die  Zusammenhänge  über  Dutzende, wenn nicht gar Hunderte von Generationen hingezogen hatte, immer auch im Wechselspiel zwischen „Konservativ“ und „Progressiv“, im Streit zwi- schen Alt und Jung.

Es war auch unvermeidbar, daß die Menschen Steinwerkzeuge entwickel- ten.– Durch diverse Funde ist belegt, daß bereits zu „Lucys“ Zeiten gele- gentlich Steinwerkzeuge benutzt worden waren. Grundsätzlich hatte der Mensch aber über die Jahrmillionen gänzlich ohne bearbeitete Steine er- folgreich gejagt und gesammelt. Demnach ist zu fragen, warum er nach und nach immer mehr Zeit damit verbrachte, Steine immer besser und ef- fizienter zu bearbeiten. Was also stand Pate bei der Entwicklung einer – wir würden es heute so ausdrücken – neuen „Technologie“?

Werfen wir erneut einen Blick auf unsere pelzige Verwandtschft. Wenn Schimpansen ein anderes Tier erlegt haben, reißen sie es auseinander. Bei kleinen Tieren werden unsere Vofahren genauso gehandelt haben. Bei größeren Tieren, die wahrscheinlich Geiern und Hyänen zum Aufbrechen überlassen worden waren, ging es auch bloß darum, das vom Kadaver ab- zureißen, was sich mit der Kraft eines Australopithecus ablösen ließ. Eine
„fachgerechte“ Zerlegung des erbeuteten Wildes darf niemand erwarten, sie war für unsere Vorfahren auch unwichtig.

Unsere Vorfahren, die im Laufe der Zeit über eine wesentlich differen- zierte Betrachtungsweise bezüglich ihrer Umwelt verfügten, könnten in ihrer Neugier eines Tages angefangen haben, auch die Kadaver ihrer Beu- tetiere genauer zu untersuchen, bevor sie sich über das Fleisch hermach- ten. Das aber würde voraussetzen, daß die jeweilige Jagdgemeinschaft in- nehielt und entweder eine Vereinbarung traf, das Opfer vor der Beutever- teilung zunächst zu „obduzieren“ oder aber daß ein Truppführer kraft sei- ner Autorität die Verteilung der Beute unterband, bis er oder ein anderer den Kadaver gründlich unter die Lupe genommen hatten. Dieser hypothe- tische Geschehensablauf ist also sehr unwahrscheinlich. – Damit sind wir beim Kern der Frage angelangt, nämlich, wie es dem Menschen gelingen konnte zu erkennen, daß man dem gejagten Wild das Fell abziehen und sich selbst überstreifen kann.

Wahrscheinlich wurden erlegte Kleintiere durch Einzelindividuen genau auf ihren Aufbau hin untersucht. – An dieser Stelle können wir ohne wei- teres die Schlange ins Spiel bringen. Schlangen häuten sich regelmäßig. Zurück bleibt eine leere Schlangenhaut.

Bis heute hat sich in vielen Köpfen unserer Artgenossen die Vorstellung erhalten, die „Affenmenschen“seien tumbe Geschöpfe gewesen. Diese Vorstellung spiegelt sich noch wider in der Anfangssequenz des berühm- ten Films von Stanley Kubrick „2001 – Odyssee im Weltraum. Dieser Film verficht die These, daß  die Intelligenz durch Außerirdische zum

95 Wickler aaO 179

Menschen gebracht worden sei. Nachdem diese die Erde wieder verlassen hatten, spielte sich folgende Szene ab:

Ein Affe nimmt einen Knochen in die Hand und betrachtet ihn. Er betastet ihn mit den Händen und spielt mit ihm. Er klopft mit diesem Knochen auf die Knochen eines Tierskeletts, vor dem er sitzt. Er klopft, zunächst sach- te, dann mit zunehmdender Stärke. Die Gewalt seiner Schläge steigert sich, bis er zuletzt in einem Finale furioso den bleichen Schädel buchstäb- lich in Stücke haut.

In der nächsten Szene, in der sich zwei Affengruppen um ein Waserloch streiten, wendet er die gewonnenen Erkenntnisse praktisch an, er schlägt mit aller Kraft auf die Mitglieder der Konkurrenz ein und vertreibt diese.

Nun folgt die weniger martialische Version, die nicht einmal das Eingrei- fen irgendeines „Alien“ erfordert.

Eine Menschenfrau begegnet auf der Suche nach Nahrung einer Felsen- schlange.96   Diese ist ungiftig, aber dennoch jagt ihr Anblick der   Frau einen gewaltigen Schrecken ein. Allerdings ist die Schlange selbst nicht auf Beute aus, sie will ihre Ruhe haben, weil ihre nächste Häutung unmit- telbar bevorsteht. Starr vor Angst muß die Frau mitansehen, wie die Schlange ihre Haut abwirft und sich davonmacht. – Argwöhnisch beäugt sie die Schlange, die immer noch an ihrem alten Platz zu sein scheint, ob- wohl diese sich doch offensichtlich davongemacht hat. Die Frau nimmt einen Stock, sie stubst die Schlangenhaut an und überzeugt sich von der Harmlosigkeit dessen, was sie vor sich sieht. Zaghaft nähert sie sich. Am Ende nimmt sie die Schlangenhaut in die Hand, um sie eingehend zu un- tersuchen. Sie dreht und wendet sie. – Eine Schlange, in der keine Schlan- ge steckt. Das ruft einen Widerspruch zwischen ihrem Vorstellungsver- mögen und ihrem Verständnis für die Welt hervor. Sie kann sich nicht helfen, aber irgend etwas stört sie; diese Störung weiß sie nicht einzuord- nen. – Plötzlich fällt ihr das Bild wieder ein, das sie zuvor gesehen hatte. Die Schlange hatte diese Haut abgestreift. Sie wiederholt den Vorgang in ihrer Phantasie, bis er ihr in umgekehrter Reihenfolge erscheint. – Sie legt die Schlangenhaut um ihrem Arm. Plötzlich steht es vor ihr: das Bild ei- nes Fells ohne Tier darin, in das sie selbst hineinschlüpfen kann. Aufge- regt rennt sie zum Lagerplatz und führt ihren Gefährten die Entdeckung vor…

Sie können sich nun gut vorstellen, daß ein derartiger Vorgang, der von zwanzig, vielleicht 50 Gehirnen wahrgenommen wird, eine Welle neue Entdeckungen und Erfindungen auslöst, an dessen vorläufigem Ende der erste Maßanzug der Weltgeschichte stand.

Niemand weiß, wie es sich genau abgespielt hat, ob die Schlange viel- leicht tatsächlich nur als Symbol  herhalten muß;  aber der  Fund  einer Schlangenhaut oder die Beobachtung, wie eine Schlange sich häutet, könnte durchaus den Ausschlag gegeben haben, sich mit dem Bau der Beutetiere näher zu beschäftigen.

Das systematische Häuten von Tieren erfordert Schneidwerkzeuge, deren systematische Entwicklung wiederum erst durch das Bedürfnis, die Decke eines Beutetieres als Ganzes zu erhalten, erforderlich wird. Das sukzessive Auftreten immer feiner werdender Steinwerkzeuge zeugt von dieser un- vermeidlichen kulturellenEvolution.

96 Eine nahe Verwandte der zu den Riesenschlangen zählenden Pythonschlangen, kommt in Ostafrika vor

Mit den Fellen der von ihnen erlegten Tiere konnten sich die Menschen den Pelz zurückholen, den die Natur ihnen genommen hatte. Erst das, erst die Möglichkeit, sich der Pelze aller anderen Arten zu bedienen, befähigte den Menschen dazu, nach der Krone der Schöpfung zu greifen.

Der Preis, den der Mensch dafür zu zahlen hatte, war erstaunlicherweise nicht sonderlich hoch, so daß die Krone der Schöpfung nachgerade als Geschenk erscheinen mag, auch wenn man diesen Teil der Evolution aus der weiblichen Perspektive betrachet:

Gott stellte Eva in 1. Mose 3,16 die Schmerzen der Geburt und das Ver- langen nach ihrem Manne in Aussicht, der ihr Herr sein sollte. Diese Pro- phezeihung läßt sich vor dem Hintergrund der Evolution folgendermaßen deuten:

Mit zunehmendem Hirnvolumen nahm die Schädelgröße auch der zu ge- bärenden Kinder zu. Folglich wurde für Menschenfrauen die Geburt an- strengender und schwieriger. Möglicherweise –ich mache an dieser Stelle von meinem Recht auf Spekulation Gebrauch – ist hier der Ursprung der besonderen Form weiblicher Lust am Sex zu suchen, den es so bei keiner anderen Tierart gibt. Das lustvolle Empfinden als Kompensation für die Unannehmlichkeiten der Geburt. Vom Standpunkt der Evolution aus wür- de es auch erst unter diesem Aspekt Sinn machen, die zu einer entprechen- den Akzentverschiebung führende Rückkopplungsschleife anzuticken; dennoch ist es nicht auszuschließen, daß die besondere Form der weibli- chen Sexualität beim Menschen rein zufällig ist und es sich eben so erge- ben hat, weil dem nichts im Wege stand. Die Entscheidung darüber bleibt nach wie vor offen.97

Jirkas Boot gleitet vorüber an den Lagerplätzen der Menschen vom Stam- me des homo habilis und anderer Artgenossen, denen die jüngste Variante des Australopithecus jeweils eigene Gattungs- bzw. Artnamen zudiktierte. Jirkas Boot kommt, da sich alle bisherigen Veränderungen nach Kilome- tern berechnen ließen, in einen Bereich, wo eine Bootslänge von drei Me- tern ( = 3.000 Jahre!) zu grob ist, die einzelnen Verzweigungspunkte in der Geschichte des Menschen zu erfassen. Denn bereits nach 700 Metern finden wir den Menschen als Homo erectus nicht nur in den tropischen Regionen Afrikas, er hinterließ seine sterblichen Überreste in Asien eben- so wie in Europa.

Wundert Sie das? – Mich nicht, und es sollte auch Sie nicht wundern. Nachdem die frühen Menschen gelernt hatten, sich in Felle zu kleiden wurden sie, wie einstmals die frühen Säugetiere, von der Umgebungstem- peratur unabhängig.

Nach den Gesetzen der laminaren Evolution mußte sich die Menschheit des Homo erectus -Kulturkreises über seine angestammten Grenzen hin- aus aubreiten. Infolge der neu gewonnenen Unabhängikeit konnte der Re- produktionsdruck des Menschen strark ansteigen. Es gab kein Hindernis, keine selektive Impedanz, und so preßte die Evolution mit der ihr inne- wohnenden „Explosionskraft“ den Menschen innerhalb weniger Jahrtau- sende in alle von diesem Lebewesen bewohnbaren Lebensräume. Damals kam es zur ersten „Bevölkerungsexplosion“ der Menschheitsgeschichte.

97  Bei den Zwergschimpansen (Bonobos), die als insgesamt „friedlicher“ als ande- re Schimpansen beschrieben werden, scheint Sex auch außerhalb der Fortpflan- zungszeit für den Zusammenhalt der Gruppe von Bedeutung zu sein.

Mit Feuer und Pelz „eroberte“ der Mensch erstmals die Welt. – Auch so läßt sich der Sachverhalt darstellen, ohne daß sich am tatsächlichen Ge- schehensablauf etwas ändern würde.

Anders ausgedrückt, der „nackte Affe“ hatte es geschafft, die Grenzen sei- nes ursprünglichen Lebensraums zu sprengen, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Die Art konnte sich über weite Teile des Globus ausbreiten. Damalige  Ökologen  hätten  in  der  rasanten  ausbreitung  des  Menschen wohl eine ernsthafte Bedrohung für das „Gleichgewicht“ der Natur gese- hen und dafür plädiert, dieses Exozoon (oder Neozoon) mit allen Mitteln zu bekämpfen. – Gott sei Dank gab es uns damals noch nicht!

Seit gut zwei Millionen Jahren belegen Funde die Tendenz zur Vergröße- rung des Gehirns. Nach klassisch menschlichem Verhaltensmuster wird jeder noch so kleine Unterschied zwischen den Fossilien der einzelnen Fundstätten ins Auge gefaßt, vergrößert und so überbewertet, daß den Zwischstufen eigene Artnamen zugeordnet werden. Das aber dürfe nicht richtig  sein.  Nehmen  wir  wieder  einmal  das  Beispiel  von  Wolf  und Dackel. Wenn Sie irgendwo das Skelett eines Wolfes finden, das 40.000
Jahre alt ist, und das Skelett eines modernen Dackels daneben stellen, könnten sie durchaus denken, daß es sich beim Dackel um eine eigene Art handelt und den „Zwischenstufen“, die ja immer kürzere Beine „entwi- ckeln“ mußten, ebenfalls eigene Artnamen zubilligen. Tatsächlich jedoch beruht die Morphologie des Dackels auf einer Akzentverschiebung, aus- gelöst durch den Menschen. Von Generation zu Generation wurden eben nicht die Exemplare zur Zucht ausgewählt, die durchschnittlich lange Bei- ne hatten, sondern die mit den kürzesten Beinen. Nur daß in diesem Falle die Rückkopplungsschleife durch den Menschen in Gang gesetzt und kon- trolliert wurde. In der Sache indes besteht kein Unterschied.

Die Veränderung ist von Generation zu Generation auch so geringfügig, daß sich die Enkel und Urenkel von ihren Groß- bzw. Urgroßeltern kaum unterschieden haben. Hündinnen werfen mindestens einmal im Jahr. In- nerhalb eines Menschenlebens kann auf dem Weg vom Wolf zum Dackel durchaus nach mehreren Jahren und Jahrzehnten ein bemerkbarer oder au- genfälliger Unterschied festgestellt werden. Bei der langsamen Generati- onsfolge des Menschen ist das innerhalb eines Menschenalters aber nicht mehr möglich. Ein signifikanter Unterschied in der Morphologie macht sich erst nach Hunderten, ja Tausenden von Jahren bemerkbar.

Außerdem würde die Ausbildung neuer Arten im sogenannten Tier- Mensch-Übergangsfeld grundlegende Veränderungen im Erbgut voraus- setzten, die mit Sicherheit nicht nur die Schädelform getroffen hätten. Von der „Rückbildung“ der langen Arme einmal abgesehen, sehen unsere Körper denen der frühen Hominiden verblüffend ähnlich. Es ist daher auch nicht verwunderlich, daß Funde des klassischen Australopithecus auch in den Schichten vorhanden sind, in denen die „modernere“ Variante ebenfalls auftritt.

Auch für deren „offizielles“ Aussterben gibt es ein Beispiel aus der vom Menschen „geschaffenen“ Tierwelt. Der Auerochse „überlebte“ seine Do- mestikation bis in das europäische Mittelalter hinein. Erst dann brach der Reproduktionsdruck zusammen, und die letzte Kuh starb, ohne Nachkom- men zu hinterlassen. Die weitgehend erfolgreiche Rückzüchtung, die heu- te im Neanderthal-Museum in Mettmann und an anderen Orten zu bewun- dern ist, beweist, daß damals nur der unmittelbare Phänotyp des Urrindes verschwand, nicht aber dessen Gene. Das gelang aber nur, weil die Do- mestikation des Rindes für biologische Maßstäbe erst vor kurzem statt-

fand. Auf unserer Zeitskala liegt das wenige Meter zurück. – Ein Rück- züchtung von Wölfen aus den heutigen Hunden dürfte sich erheblich schwieriger Gestalten, da der Mensch mit Hunden seit wahrscheinlich mehr als zwanzigtausend Jahre eine Lebensgemeinschaft bildet; mehr als
20 Meter also.

Die Menschen vom Typ Homo erectus waren, wie zuvor „Lucy“ und wie wir heutzutage, damals der letzte Schrei der Natur, nicht aber deren letztes Wort.

Die Entwicklung lief weiter und beschleunigte sich. Durch die Ausbrei- tung in alle Welt hatte auch die Zahl der Individuen zugenommen, was den Genpool, aus dem die Evolution schöpfen konnte, erheblich vergrö- ßerte. Einer der zentralen Bestandteile des menschlichen Wesens ist das reziproke Verhalten. Wir müssen daher annehmen, daß bereits damals die Menschen regen Tauschhandel pflegten. Der Mensch ist zudem ein exoga- mes Wesen, das sexuelle Kontakte mit denjenigen meidet, mit denen er aufgewachsen ist.98

Auch aus diesem Grunde standen die Menschen dieser Entwicklungsstufe ständig in Kontakt untereinander. Das blieb nicht ohne Einfluß auf das menschliche Kommunikationsverhalten. Die Entwicklung der Sprache markiert die letzte biologisch relevante Wegscheide in der Entwicklungs- geschichte des heutigen Menschen. Nur noch wenige Hundert, vielleicht nur einige Dutzend Meter trennen Jirkas Boot von diesem Punkt. Selbst- verständlich befinden  wir uns wieder im Nebel, aber das ist nicht so schlimm, denn wir können uns akustisch orientieren. Wir brauchen nur zu lauschen, ob wir Worte hören. Sobald wir das erste Wort vernehmen, sind wir unter unseresgleichen.

Doch bevor wir zum Endspurt ansetzen, wollen wir die Schöpfungsge- schichte der Bibel in der richtigen Reihenfolge wiedergeben:

Durch die einsetzende Kaltzeit war der Mensch vom Aussterben bedroht. Er aß die Früchte von Baum der Erkenntis, nämlich Phantasie und kausa- les Denken. Er erkannte, daß er nackt war und versuchte zunächst, sich mit den Dingen, die er in seinem Umfeld vorfand, vor Gottes Zorn, näm- lich den Witterungseinflüssen zu schützen. Gegenüber den Weibchen an- derer Säugtierarten wurde die Geburt für eine Menschenfrau zunehmend anstrengender, als Gegengewicht bekam sie ein in der Natur einzigartiges Sexualverhalten. Leider Gottes wurde der Mann zum „Herrn“ über die Frau, diese wurde zum ersten „Handelsobjekt“. Es könnte die Beobach- tung einer sich häutenden Schlange gewesen sein, die den Menschen auf die Idee brachte, die Haut von Tieren als Kälteschutz zu benutzen: „Und

98

Auf der ganzen Welt ist auch unter „modernen“ Menschen die Unsitte verbreitet, daß eine Eheschließung zwischen Mann und Frau nur dann erfolgen kann, wenn die Frau regelrecht „gekauft“ wird. – Manchmal gelten Frauen indes als so min- derwertig, daß ein Mann nur dann bereit ist, sie zu nehmen, wenn ihre Familie noch „einen draufsattelt“, die „Mitgift“ nämlich. Damit ist freilich der eherne Grundsatz der Evolution, daß das Weibchen unter den buhlenden Männchen den
„Stärksten“ zum Sex herausselektiert und „zuläßt“, gründlich auf den Kopf ge- stellt. Dieses ursprüngliche Verhaltensmuster hat sich beim modernen Menschen westlicher Prägung groteskerweise fast nur noch bei der Prostitution durchge- paust. – Wer entspechend zahlt, bekommt, was er will. – Die skurrilen Auswüch- se des weiblichen Sexualtriebs bei Boxkämpfen und gegenüber den „Idolen“ aus den diversen „Kunstszenen“ unserer Zivilisation zeigen ebenfalls, wen viele menschliche Weibchen für den biologisch „Stärksten“ halten.

Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fell und klei- dete sie.“ – Der Auszug aus dem Paradies begann, der Mensch verließ seinen angestammten Lebensraum und konnte sich auch in unwirtlichen Gegenden ernähren. Mit der Kraft seiner Phantasie und der Logik seines Verstandes hatte der Mensch mit Gott gleichgezogen, denn die Wechsel- wirkung zwischen dem Chaos der Phantasie und der alternativen Logik hatte der Mensch die Fähigkeit erlangt, selbst schöpferisch tätig zu wer- den. Andererseits ging die Anpassung an eine bestimme Umwelt verloren. Der Mensch wurde zu einem Kulturwesen, das sich aktiv einer Umwelt anpaßen muß, an die es von Natur aus nicht angepaßt ist. Seine natürliche Lebensweise ist das „unnatürliche“ Leben.99  Und der Mensch wird immer ein Sterblicher bleiben, denn den Weg zum Baum des Lebens ist gut ab- geschirmt.

Es ist schon erstaunlich, daß unser Schöpfungsmythos augenscheinlich nicht auf purer Phantasie beruht, sondern einen Kern enthält, der einer plausiblen Darstellung des tatsächlichen Geschehensablauf sehr nahe kommt. Er enthält Vorgänge, die bis in eine Zeit zurückreichen, in der es noch keine gesprochene Sprache gab. Dennoch müssen die Menschen es geschafft haben, die Erinnerung ihrer Vorfahren von Generation zu Gene- ration weiterzugeben. – Die eben geschilderte Schöpfungsgeschichte ent- hält die Elemente, die sich ohne gesprochene Worte darstellen lassen. Wahrscheinlich überlieferten unsere Vorfahren ihren Schöpfungsmythos nach Art der darstellenden Künste, nämlich mit viel Tamtam über kulti- sche Tänze. – Damit aber wären Pantomime und Ballett heutige Aus- drucksformen der ältesten Form künsterlischen Schaffens und hätten die Malereien in den Höhlen von Altamira, Lascaux u.a. mit einem Schlag enttrohnt.

Ob es sich tatsächlich so zugetragen hat, kann uns niemand sagen, denn das Wort, das in der Bibel an den Anfang gezogen wird, stellt  nach allem das Ende der Entwicklung zu den beiden jüngsten Varianten des Men- schen dar, von denen leider nur eine, nämlich die unsere, erhalten geblie- ben ist.

99 vgl. Portmann, S. 93f


Töten auf Kommando – N-24 6.9.2012 Die Pflicht der Offiziere

September 6, 2012

Töten auf Kommando – Krieg und Gewissen – Doku – YouTube.

Kann man rund fünf Millionen Jahre Menschheitsgeschichte in wenigen Worten zusammenfassen?

Der Dichter Ovid konnte es. Das Grundmuster des menschlichen Verhaltens, wie es bis hinein ins Neandertal Gültigkeit hatte, brachte Ovid in fünf Zeilen zu Papier, Hermann Breitenbach übertrug sie in die deutsche Sprache:

Und es entstand die erste, die goldene Zeit: ohne Rächer,

Ohne Gesetz, von selber bewahrte man Treue und Anstand.

Strafe und Angst waren fern; kein Text von drohenden Worten

Stand an den Wänden und Tafeln von Erz; es fürchtete keine

Flehende Schar ihren Richter: man war ohne Rächer gesichert.

Dann kam vor 93.000 Jahren die Eem-Warmzeit. Diese fand ihr Ende mit dem Beginn der letzten Eiszeit vor rund 60.000 Jahren.

Während dieser Periode verwandelte sich eine isolierte Neandertalerpopulation in den „modernen“ Menschen.. Der Gesichtsschädel verkrüppelte so weit es eben ging, nämlich auf die Proportionen, die man ansonsten nur bei Föten und Säuglingen anderer Primaten findet.

Die verheerendste Verkrüppelung fand jedoch im Schädelinneren statt. Der Mensch büßte seinen sozialen Instinkte teilweise ein und verlor die Tötungshemmung gegenüber dem Sozialpartner. – Bei anderen Primaten gibt es zwar einzelne Individuen, die ebenfalls keine Tötungshemmung gegenüber dem Sozialpartner haben, sie bilden aber die absolute Ausnahme, weil sie das Überleben der Sozialgemeinschaft gefährden.

Der mächtigste Verhaltensantrieb des Alltagslebens ist immer noch der Tausch-und Teile-Instinkt. Dieser ist indes soweit abgeschwächt, daß er durch kulturelle Normen ergänzt werden muß, um ein menschliches Miteinander halbwegs zu gewährleisten.

Das menschliche Sexualverhalten weist, man braucht sich in der Welt nur umzusehen, groteske Züge auf. Frauen, wurden dem Tausch-und Teile-Instinkt unterstellt; „weibliche“ Sexualität findet in manchen Kulturen so gut wie gar nichts statt. Daß sie nicht stattfindet, wird zum Teil gewaltsam „sichergestellt“. Frauen wurden zur „Handelsware“ zwischen den Gruppen.

Als das Wasser wieder zu Eis wurde, konnte dieses arg verkrüppelte Lebewesen die Insel, auf der es entstanden war, mit seinen Booten verlassen und mit einer bis dahin nicht gekannten Geschwindigkeit die Welt erobern.

In der Geschichte des Planeten sollte er das einzige Säugetier sein, das seinen „Fortpflanzungserfolg“ weniger der Kraft seiner Lenden verdankt als vielmehr seiner Fähigkeit zum „Kampf ums Dasein“.

Das ist nicht unbedingt ein Grund, stolz zu sein. Vielmehr sollte es Anlaß zum Nachdenken geben. Anlaß zum Nachdenken darüber, welche Stellung wir in der Natur einnehmen: Wir sind nicht die „beherrschende Lebensform“ des Planeten, vielmehr macht der Planet mit uns, was immer er will. Die sogenannten „Naturkatastrophen“ zeigen uns das jeden Tag.

Der Mensch ist so klein und unbedeutend, daß er Mutter Erde nicht einmal am Nagellack kratzen kann.

Das Kreuz, das der Mensch zu tragen hat, liegt im wesentlichen darin, daß er sein wahres Gesicht nicht sehen will. Er gab sich selbst den Namen „Homo Sapiens Sapiens“, maßte sich gar an , die „Krone Der Schöpfung“ zu sein.

Dieses Phänomen hat Oscar Wilde in „Das Bildnis des Dorian Gray“ sehr schön beschrieben. Dorian Gray behielt immer sein schönes, jugendliches Gesicht, als er Jahre später sein Bildnis anschaute, erschrak er, denn es war zu einer häßlichen Fratze entartet.

Es ist an der Zeit, das „Bildnis des Homo Sapiens Sapiens“ zu betrachten, es ist das Portrait des Australopithecus Superbus Procrustes, das Bildnis des überheblichen Südaffen, der sich mit Gewalt alles passend macht.

Die Dinge haben sich so ergeben, wie sie sich ergeben haben. An uns ist es, die Dinge zu vermeiden, die sich vermeiden lassen.

Australopithecus Superbus Procrustes wird die Kräfte der Natur niemals beherrschen. Wenn er aber schaffen sollte, sich selbst zu beherrschen, dann wäre vielen Menschen in aller Welt und der Welt an sich schon geholfen.

Wie beherrscht man ein Pferd?

Man legt ihm Zaumzeug und Zügel an.

Aus der Vorstellungswelt des Reiters stammt das lateinische Wort „religio“ ( re = „zurück“ und ligare = „binden“). „Religio“ bedeutet in erster Linie „Bedenken“, Skrupel“, Karl Kérenyi übersetzt es in seinem Werk „Antike Religion“ mit „wählerische Behutsamkeit“. Erst später kam die Bedeutung „Religion“ hinzu.

Bedenken gegenüber dem eigenen Handeln und Skrupel gegenüber dem Mitmenschen, das sind die Dinge, die die Zukunft der Menschheit prägen werden. In diesem Sinne stelle ich mit Vergnügen den Schluß meiner persönlichen „Reise in die Urwelt“ an den Anfang:

Neben uralten Mythen erzählen auch moderne Drehbuchautoren ewige Wahrheiten. Dazu zählt der englische Drehbuchautor und Regisseur Val Guest, der 1963 den Film „Der Tag, an dem die Erde Feuer fing“ produzierte.

Der Plot des Films ist simpel: Amerika und Rußland hatten in der Nähe der Pole durch zufällig gleichzeitige Zündung von Wasserstoffbomben den Planeten aus der Umlaufbahn geworfen. Die Politik versuchte das zu vertuschen, die Presse deckte es auf. Am Ende versuchte man, mit Wasserstoffbomben den Fehler zu korrigieren. Ob das gelang, läßt der Film offen.

In der Schlußsequenz läßt Val Guest seinen Protagonisten durchs Telefon diktieren:

Wir hatten den Wind gesät, jetzt haben wir den Sturm geerntet. Vielleicht wird er in wenigen Stunden die Erinnerung an das Vergangene und die Hoffnung auf die Zukunft ausgelöscht haben. Dann werden alle Werke des Menschen von dem Feuer verschlungen, das er selbst entfacht hat.

Aber vielleicht ist im Herzen des Feuers eine unfaßbare Kraft verborgen, die mehr zu seiner endgültigen Rettung beitragen wird, als er es selbst je konnte.

(Einblendung alternativer Schlagzeilen: „Wird die Welt gerettet? – Die Menschheit betet.“ – „Ist die Welt zum Untergang verdammt? – Die Menschheit betet.“)

Und sollte dem Menschen noch eine neue Zukunft gegeben sein, dann wäre es an der Zeit, daß er seinen erbarmungslosen Stolz und sein Streben nach Macht vergißt. Dann muß er an die Stelle all dessen die Liebe setzen. Vielleicht darf er dann eines Tages wieder sagen „wie schön ist doch das Licht!“ – und seine Augen zur Sonne erheben.

Ersetzen Sie einfach das Wort „Liebe“ durch religio. – Dann haben Sie das Ziel unserer Reise erreicht, von dem auch ich zu Beginn nicht ahnte, daß es überhaupt existiert.“

Religio“, das war auch für den Mann ein Fremdwort, der die Frage aller Fragen stellte:

Soll ich meines Bruders Hüter sein?

Bekanntlich entgegnete Kain nach dem Mordanschlag auf seinen Bruder auf die Frage Gottes, wo denn sein Bruder Abel geblieben wäre, „Ich weiß nicht, soll ich meines Bruders Hüter sein?“

Die Antwort des Allmächtigen auf diese Frage bleibt die Bibel merkwürdigerweise schuldig. In 1.Mose, 4, 10 heißt es lediglich: „Er aber sprach: Was hast Du getan? Die Stimme des Blutes Deines Bruders schreit zu mir von der Erde.“

Doch es gibt eine eindeutige Antwort.

Ich lade Sie ein, mich auf dem Weg zu dieser Antwort zu begleiten. Sie werden sehen, daß sich der Weg im Wechselspiel zwischen Geschichtschreibung und Evolution organisch zur Antwort hin entwickelt, deswegen habe ich von einer Unterteilung in einzelne Kapitel abgesehen.

Menschen töten in großer Zahl,

das soll man beklagen mit den Tränen des Mitleids.

Wer im Kampfe gesiegt,

der soll wie bei einer Trauerfeier weilen.

Obgleich sie ziemlich christlich klingen, stammen diese Worte nicht aus der Bibel, man findet sie in Laotse „Tao Te King“, Kapitel 31 am Ende.

Die christliche Welt verhält sich jedoch anders als Laotse fordert. Hier werden Siegesfeiern mit Pomp Militärparaden abgehalten und Jahr für Jahr am „Jahrestag“ wiederholt. „Gedenken“ an die Toten findet im allgemeinen nur im Hinblick auf die „eigenen“ Soldaten statt.

Obwohl der Tod nicht objektivierbar ist, wird er für uns immer existieren, denn die zeitliche Grenze des Lebensprozesses, den wir als „Individuum“ bezeichnen, wird immer als „Tod“ erlebt und ist von den entsprechenden Emotionen „Trauer“ und „Verlust“ begleitet. Diese Form der Weltsicht ist uns angeboren, sie steckt tief im sogenannten limbischen System des Gehirns, wo die Gefühle „gemacht“ werden. Der Tod ist somit unabänderlicher Bestandteil des subjektiven Welterlebens, das alle Menschen miteinander teilen; C.G. Jung hat diese gemeinsame Form des subjektiven Welterlebens das „Kollektive Unbewußte“ genannt.

Angesichts der Bestrebungen, die Welt mit immer mehr Waffengewalt zu „befrieden“, hielt ich es für angebracht, einmal der Frage nachzugehen, wie der Wahnsinn des Krieges überhaupt in die Welt kam. Gelegenheit hierzu bot sich im Jahre 2004, als sich D-Day, der 20.Juli und der Aufstand im Warschauer Ghetto zum 60. Male jährten. Da die Verantwortlichen in aller Herren Länder sich offensichtlich als unfähig erweisen, aus der Geschichte Lehren und handfeste Konsequenzen zu ziehen, gab ich der kleinen Betrachtung den Titel

-Die Pflicht der Offiziere-

In diesen Tagen häufen sich die Feierlichkeiten zu den jeweiligen 60. Jahrestagen. D Day, der zwanzigste Juli und der Beginn des Aufstands im Warschauer Ghetto. Historische Daten, von denen man meinen sollte, sie hätten einen Lernprozeß in Gang gesetzt, der ähnliche Ereignisse für die Zukunft unmöglich machen würde. – Aber weit gefehlt: Es wurde auch nach dem Ende des 2. Weltkriegs fleißig von Staats wegen gemordet. Und der Völkermord als Mittel dessen, was landläufig unter dem Begriff „Politik“ bekannt ist, ist auch heute noch in allen Teilen der Welt anzutreffen.

Der einzige Mörder im Präsidentenamt, der vor seinen zuständigen Richtern steht, ist Slobodan Milosevic, aber den kennt heute kaum noch jemand. Der arme Kerl hat Pech gehabt. Er stand auf der „falschen“ Seite. Dabei müßte die Anklagebank in Den Haag von Rechts wegen zum Bersten gefüllt sein, mit Männern und einigen Frauen, für die das Töten von Menschen zum Alltagsgeschäft gehört. – Die „Patinnen und Paten“ der in aller Welt herrschenden Politmafia töten freilich nicht selbst, sie haben dafür ihre bezahlten Killer. Das perfide daran ist, sie bezahlen die Killer nicht selbst, sie lassen sich diese und deren Ausrüstung vom sogenannten „Steuerzahler“ finanzieren. Sie „verkaufen“ dieses „Produkt“ als „nationale Sicherheit“. – Ich nenne das „globale Schutzgelderpressung“, und zwar aus den Gründen, die am 6. Juni 1944 in der Normandie zusammentrafen:

D-Day, zum 60. Male ein Anlaß zum Feiern, ein zweifelhafter Anlaß zum Feiern, denn die Erinnerung an einen Tag, an dem viele unserer Mitmenschen ihr Leben ließen, ist ein Trauertag, kein Anlaß zu irgendwelchen Feiern, auch wenn diese mit Kranzniederlegungen verbunden sind. (Zu diesem Zeitpunkt kannte ich Laotses Worte noch nicht.)

Diejenigen, die mit einstudierter Zerknirschungs- und Betroffenheitsmimik die Kränze niederlegen, geht das Schicksal derer, die sie dadurch zu ehren vorgeben, am Arsch vorbei. Die aber, denen die „Ehrung“ gilt, haben für das veranstaltete Affentheater auch nach 60 Jahren kein Verständnis. Im Grunde schreien sie noch heute: Warum habt Ihr uns in den Tod geschickt?

Am 29.5.2004 wiederholte Godehard Uhlemann in der RHEINISCHEN POST die Porpagandalüge:

Der Krieg ist so alt wie die Menschheit.“

Die „Menschheit“ existiert seit rund fünf Millionen Jahren. Das Phänomen „Krieg“ ist nicht älter als etwa 80.000 Jahre. Kriege waren in den Jahrmillionen, die vorangegangen waren, unmöglich. Krieg bedeutet immer Abbruch der Kommunikation. Das Leben unserer „vorsintflutlichen“ Ahnen war aber von einem solch starken Bedürfnis nach Kommunikation geprägt, daß die dem Menschen eigentümliche Wortsprache entstand. Mit anderen Worten: hätten sich unsere Ahnen so danebenbenommen, wie wir es seit einigen Generationen nicht anders kennen, kein Wort wäre je über die Lippen des Menschen gekommen.

Der Krieg kam nach der Sintflut in die Welt. – Es war nicht die biblische Sintflut, denn diese ist, wie der Tod des Abel, schon Teil des seit Jahrtausenden bestehenden Propagandaapparats.

Die „Sintflut“, der Anstieg des Meeresspiegels zu Beginn der Eem-Warmzeit vor rund 93.000 Jahren, isolierte eine Population von kaum mehr als zehntausend Neandertalern auf einer Insel und schnitt ihnen nicht nur den Kontakt, sondern jede Sichtverbindung zum „Festland“ ab. Aus Sicht der Insulaner, die natürlich noch keine Vorstellung von der Kugelgestalt der Erde hatten, war die übrige Welt und damit alles Leben in den Fluten untergegangen. Sie mußten sich als die einzig verbliebenen Menschen betrachten. Für diesen realen Kern des Sintflutmythos gibt es vier gewichtige Indizien:

  1. Eine Forschungsgruppe um den Genetiker Lynn Jordy (University of Utah) ist zu dem Schluß gekommen, der moderne Mensch sei aus einer Population von allenfalls einigen zehntausend Individuen hervorgegangen, die vor etwa 70 bis 80.000 Jahren die Erde bevölkerten. Jordy selbst nannte die von ihm entwickelte Theorie über die Anfänge des „modernen“ Menschen Bottleneck-theory = Flaschenhalstheorie.

  2. Seit dem 4. November 1999 liegt eine Presseerklärung der Max-Planck-Gesellschaft vor, Aktenzeichen PRI B 17/99 (63). Darin heißt es:

Verglichen mit ihren nächsten tierischen Verwandten, den Schimpansen, sind alle derzeit lebenden modernen Menschen immer noch „Brüder“ beziehungsweise „Schwestern“.

Das sind in Kurzform die Erkenntnisse des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. („Nadelöhrtheorie“ des MPI)

3. Vor rund 60.000 Jahren neigte sich die Eem-Warmzeit ihrem Ende entgegen, die letzte Eiszeit begann und erreichte vor etwa 18.000 Jahren ihren Höhepunkt. Der Unterschied zwischen dem eiszeitlichen Meeresspiegel und dem heutigen „Normalnull“ beträgt satte 130 Meter. Man kann also durchaus davon ausgehen, daß die Verhältnisse vor 93.000 Jahren nicht viel anders waren. Wenn ein flaches Becken vom Meer geflutet wird, versinkt aus Sicht der werdenden Insulaner tatsächlich die ganze Welt im Meer.

4. Auf die Isolation deuten auch die Werkzeuge hin, die seitdem entstanden sind. Im Wirtschaftsleben wird „Isolation“ gewöhnlich durch Embargo oder Boykott herbeigeführt, diesmal war es aber „nur“ das Wasser. Beleuchten wir die Unterschiede in den Werkzeugen der steinzeitlichen Menschen einmal näher:

Die Faustkeile der frühen Erectus – Kultur ließen sich mit etwa 25 Schlägen in einem Arbeitsgang fertigen, bei den späteren waren schon zwei Arbeitsgänge mit insgesamt 65 Schlägen erforderlich. Für ein Messer des Neandertalers bedurfte es drei Arbeitsgängen mit 111 Schlägen (Moustérien-Technik); demgegenüber erfordert ein nach der Aurignacien-Technik hergestelltes Messer des Crô – Magnon – Menschen 251 Schläge in neun Arbeitsgängen.“ ( George Constable, der Neandertaler, Time-Life, 5. Auflage 1979)

Der „Technologiesprung“ von 25 Schlägen in einem Arbeitsgang auf neun Arbeitsgänge mit 251 Schlägen läßt sich mit höherer Intelligenz kaum erklären, denn am Ende dieser vielen Arbeit stehen zwar „Spezialwerkzeuge“, die in ihrer Gesamtheit aber auch nicht mehr leisten als ein gut durchdachter simpler Faustkeil. Jeder Betriebswirt würde sich ob des Aufwands, den die Crô-Magnon-Menschen bei der Herstellung ihrer Steinklingen betrieben, die Haare raufen. Die Arbeitskosten für die Fertigung dieser filigranen Werkzeuge erscheinen unter ökonomischen Aspekten immens hoch.

Die hohen Herstellungskosten könnten sich allerdings als notwendiges Übel herausstellen, wenn man die Kosten des Ausgangsmaterials berücksichtigt.

Menschen haben zu allen Zeiten die verschiedensten Steinsorten als Werkzeuge verwendet. Eindeutiger Favorit war aber der Feuerstein wegen seiner besonderen Splittereigenschaften. Obsidian, schwarzes vulkanisches Gesteinsglas, hat ähnliche Eigenschaften und wurde damit – zumindest in Amerika – in bestimmten Gegenden der einzige echte „Konkurrenzwerkstoff“ zum Feuerstein. Aber nicht überall, wo die frühen Menschen siedelten, gab es Feuerstein oder Obsidian, Feuersteinknollen finden sich in Kreidefelsen, Obsidian in der Nähe von Vulkanen. Zur Beschaffung der begehrten Rohstoffe für ihre Werkzeuge waren die Menschen der Steinzeit also seit Erectus’ Zeiten auf den Handel angewiesen.

Wie hoch Feuerstein beim Übergang zur Kupferzeit an steinzeitlichen Börsen gehandelt worden wäre, zeigt sich daran, daß unsere Crô-Magnon – Vorfahren nicht mehr genug Feuersteinknollen an der Erdoberfläche aufsammeln konnten. Es hat sich für sie rentiert, Schächte in die Kreidefelsen Englands und in entsprechende Gesteinschichten Bayerns abzuteufen und tiefe Stollen zu graben, um den begehrten Rohstoff zu gewinnen.

Wäre die heutige Menschheit immer noch auf den Feuerstein angewiesen, er wäre wohl mit Diamanten nicht aufwiegen.

Im Zusammenhang mit der Verfeinerung der Abschlagtechnik ist daher eine Rohstoffverknappung wesentlich plausibler als der sogenannte „Fortschritt in der Entwicklung“ Der Mensch hatte frühzeitig das Bücken gelernt, denn offenbar waren bereits die Neandertaler dazu gezwungen, sich nach jedem Abschlag auch die Bruchstücke genau anzusehen, die ihre Vorfahren noch als Abfall betrachtet hatten. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn klimabedingt lag ein Teil der Rohstoffvorkommen über lange Zeiträume hinweg unter dem Inlandeis begraben.

Unsere Vorfahren vom Erectus – Typ lebten also vergleichsweise im Paradies. Sie konnten sich damit begnügen, aus einem Pfund Feuerstein nur 5 bis 20 cm Schnittkante herauszuholen. An dieser Stelle erinnere ich nochmals daran, daß alle Steinwerkzeuge der Welt ausschließlich dem Zweck dienten, Fleisch, Fell, Knochen und gelegentlich ein wenig Holz zu bearbeiten. Der Neandertaler war bereits gezwungen, seinen Einfallsreichtum darauf zu verwenden, aus einem Pfund Feuerstein 100 cm Schnittkante herzustellen. Mehr waren nicht nötig.

Ganz anders verhält es sich beim „Übergang“ zum rezenten Menschentyp:

Der „Technologiesprung“ vom Moustérienmesser des Neandertalers zur Aurignacienklinge des Crô-Magnon ließ nicht nur den Arbeitsaufwand zur Herstellung einer scharfen Klinge um mehr als 100 % ansteigen, die Gesamtlänge der Arbeitskante, die aus einem Pfund Feuerstein herausgearbeitet wurden, wuchs auf die Länge von 12 Metern. Der Verwendungszwecks änderte sich nicht. Daher erscheint ein solcher Arbeitsaufwand schon fast als übertriebener Luxus, war es aber nicht. Die Menschen, die sich später anschickten, die Erde zu dominieren, hatten keine andere Wahl, als auch noch aus dem letzten Splitter einer Feuersteinknolle etwas Brauchbares herauszuholen.“

Nach allem ist es als erwiesen anzusehen, daß wir alle Abkömmlinge der Population sind, die von der Sintflut auf „Bottleneck“ festgesetzt worden war.

Furcht und Schrecken vor Euch sei über alle Tiere auf Erden und über alle Vögel unter dem Himmel, über alles, was auf dem Erdboden kriecht, und über alle Fische im Meer; in eure Hände seien sie gegeben.“

Diese Worte soll Gott Noah und seinen Söhnen am Ende der Sintflut mit auf ihren weiteren Lebensweg gegeben haben. (1. Mose 9, 2)

Dieses vorgebliche „Wort Gottes“ war schon damals eine Bestandsaufnahme menschlichen Verhaltens. Es wurde Gott in den Mund gelegt, weil nicht nur Gott den Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen hatte, vor allem hatte der Mensch Gott nach seinem eigenen, unvollkommenen Selbstbild erschaffen. So projiziert der Mensch seine asozialen Neigungen gern auf die jeweils „herrschende“ Gottheit, von der er den „göttlichen Befehl“, ebenfalls unsozial zu handeln, ableiten kann. Als „Vollstrecker göttlichen Willens“ ist man schließlich jeder Verantwortung für das eigene Handeln enthoben. Man schaut mit den unschuldigen Augen eines Dackels oder Labradors, der soeben die besten Schuhe des Herrchens geschreddert hat, gen Himmel: „Lieber Gott, habe ich was Böses getan?“

Nein, niemand hat jemals etwas Böses getan. Von Anbeginn der Zeit, die uns als „Kulturgeschichte“ bekannt geworden ist, hat niemand irgendwann irgendwo „etwas Böses“ getan, von den „Nazis“ einmal abgesehen. Zu dumm, denn nach dem oben Gesagten sind „Nazis“ auch nicht mehr oder weniger als „gewöhnliche“ Menschen. – Nach den Feststellungen des MPI für evolutionäre Anthropologie waren auch die „Nazis“ Brüder und Schwestern Noahs und seiner Söhne. Noah und seine Söhne verbreiteten als gottesfürchtige Menschen Furcht und Schrecken, weil Gott es ihnen befohlen hatte. Noah hatte zwar nur drei Söhne, aber eine Unzahl von Nachkommen. Die sind, wie die Leipziger Forscher gezeigt haben, alle „Brüder“ und „Schwestern“.

Die Geschichte der „zivilisierten“ Menschheit ist angefüllt mit der Verbreitung von Furcht und Schrecken. Das wird dann Gott wohl so befohlen haben. Ausnahmslos beinhaltet der Befehl den Willen des Befehlshabers. Wenn der Befehlshaber Gott ist und „Furcht und Schrecken“ befiehlt? – Ist dann nicht jeder, der „Furcht und Schrecken“ verbreitet, ein „Befehlsempfänger Gottes“?

Terror als „Vollstreckung göttlichen Willens?“ – Das kann ja wohl nicht wahr sein! – Aber in der Bibel heißt es nun einmal ausdrücklich:

Furcht und Schrecken vor Euch sei über alle Tiere auf Erden und über alle Vögel unter dem Himmel, über alles, was auf dem Erdboden kriecht, und über alle Fische im Meer; in eure Hände seien sie gegeben.“

Offensichtlich kommt auch der „zivilisierte“ Mensch des 21. Jahrhunderts diesem „göttlichen Auftrag“ immer noch nach: „Alle Tiere auf Erden“ seien dem ungebremsten Terror Noahs und dem seiner Abkömmlinge ausgeliefert: Massentierhaltung als „Vollstreckung göttlichen Willens“. Tierversuche als „Vollstreckung göttlichen Willens“. Nun ist auch der Mensch ein Säugetier. – Die Frage, die sich an dieser Stelle aufdrängt, klingt vielleicht einfältig, dennoch möchte ich sie beantwortet haben:

Waren die Menschen, die ohne jeden vernünftigen Zweifel bei Entstehung der Bibel den Planeten Erde bevölkerten, aber keinen israelitischen „Reisepaß“ hatten, „Tiere“? – „Krochen“ sie über den Erdboden oder wurden sie zum „Kriechen“ gezwungen? – Man denke nur an die Behandlung der irakischen Gefangenen, die ihnen ihre „Brüder“ und „Schwestern“ aus Amerika angedeihen ließen.

Niemand darf in diesem Zusammenhang darüber hinwegsehen, daß man es sich seit unvordenklichen Zeiten sehr einfach macht, Artgenossen verbal aus der menschlichen Gemeinschaft auszuschließen: Sklaven galten zu allen Zeiten als „Sachen“. Für die belgische Kolonialverwaltung zählten Pygmäen bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts „zur Fauna des Waldes“. Unliebsame Art- und Zeitgenossen werden verbal auch heute noch mit Tieren gleichgesetzt. Die Begriffe „Judensau“ und „Nazischwein“ weisen auf ein- und dieselbe Vorstellungswelt hin. Schweine sind Tiere, denen der „moderne“ Mensch – zu Unrecht – mit der größten Geringschätzung begegnet. Und Schweine unterliegen zweifellos dem „Terrorgebot“ Gottes.

Daß es ein „Terrorgebot“ Gottes jedoch nicht geben kann, werden wohl auch Sie nicht in Abrede stellen wollen.

Es sieht demnach ganz danach aus, als könne allein der Sprachgebrauch den Artgenossen zum Un-, Nicht- bzw „Untermenschen“ machen. Und so ist es tatsächlich, wie Sie noch sehen werden. Diese Wahrheit wird Ihnen sehr unbequem vorkommen, auch das werden Sie sehen. Sie werden sie am liebsten übersehen wollen.

Eben weil die Wahrheit unbequem ist, wird in der Geschichtsschreibung geflissentlich übersehen, daß die totalitäre Herrschaftsform des Nationalsozialismus nicht aus heiterem Himmel über Europa hereinbrach. Sie war nicht einmal deutscher Provenienz:

Schreiben wir zur Abwechslung einmal einen Brief aus dem „Jenseits“ an den „Führer“ der „freien“ Welt:

Lieber Schorsch Dabbelju,

Der abwegigste Gedanke, auf den ein Politiker verfallen könnte, wäre die Annahme, daß ein Volk nur mit Waffengewalt bei einem anderen Volk einzudringen brauche, um es zur Übernahme seiner Gesetze und seiner Verfassung zu bewegen. Niemand liebt bewaffnete Missionare.“

Dein

Maxi“

Diese fundamentale Erkenntnis paßt so gar nicht in das Bild, das man sich gemeinhin von „Maxi“(milien Robespierre) macht. Dieser „Geistesblitz“ wird nämlich überschattet durch das alltägliche Wirken eines staatlich besoldeten „Terroristen“. Er begründete die „Banalität des Bösen“.

Das Regime des „Terreur,“ welches Robespierre während der französischen Revolution veranstaltet hatte, bildet das Grundmuster der „nachrevolutionären“ Regime im Europa des zwanzigsten Jahrhunderts: Bespitzelung und Denunziation; „Geheimpolizei“ und exzessiver Gebrauch der Todesstrafe.

Es änderte sich nach 1917 und 1933 die Größenskala, aber nicht das Muster staatlichen Terrors. Die „Weltrevolutionen“ endeten in einer Dikatatur. Geisteshaltungen und „Rezepte“ für die „Ordnung“ innerhalb des „Staates“ sind bei allen „großen Diktatoren“ den Gedanken Robbespieres verblüffend ähnlich. So ähnlich, daß eine Äußerung Robespierres taktische Erwägungen „moderner“ Politiker widerspiegelt, die bis zu einem Gerhard Schröder und Joschka Fischer reichen.

Ich habe mich nie gegen den Krieg ausgesprochen, sondern gesagt, man dürfe ihn erst führen, wenn man die Feinde im Innern mit Sicherheit ausgeschaltet hat.“

Die Feinde im Innern“ schaltet man in der „westlichen Welt“ freilich nicht mehr durch den Henker aus, willfährige Medien erledigen diesen Job unblutig und wesentlich eleganter.

Am 1.September 1939 waren die „Feinde im Innern“ sowohl im Deutschen Reich als auch in der Sowjetunion ausgeschaltet, der Krieg konnte beginnen. Merkwürdig ist schon, daß die „Westmächte“, die der Beistandspakts mit Polen dazu veranlaßte, dem Deutschen Reich am 3.9.1939 den Krieg zu erklären, diese Kriegserklärung nicht auf die Sowjetunion ausdehnten. Stalins Truppen marschierten nämlich wenige Tage später den deutschen Truppen entgegen. Aber nicht um diese aufzuhalten, vielmehr zwecks Beuteteilung. Man traf sich an der im Hitler-Stalin-Pakt vereinbarten Demarkationslinie. Auf beiden Seiten derselben ging alsdann der Terror los.

Die Ähnlichkeit der Terrorregime des zwanzigsten Jahrhunderts mit dem des „Terreur“ im revolutionären Frankreich belegt eine Äußerung des ehemaligen Kampfgenossen Robespierres, die durchaus von Heinrich Himmler hätte stammen können:

Seinen wir schrecklich, damit das Volk es nicht zu sein braucht.

Der Weggefährte Robespierres hieß Danton. Im Gegensatz zu Himmler überlebte Danton seinen „Führer“ nicht: Robespierres „Säuberungen“ begannen mit der Beseitigung des „linken“ Flügels seiner Bergpartei.

Robespierre ließ die Führer dieses linken Flügels, Hébert und seine Anhänger, im März 1794 verhaften und hinrichten. Nur wenige Tage später, Anfang April 1794, wurden zur allgemeinen Überraschung die Rechtsabweichleer, die Nachsichtigen, Danton, Desmoulins und ihre Freunde, eingekerkert, mit denen Robespierre bis zuletzt in einem Zweckbündnis gestanden hatte. Obwohl sie sich vor dem Konvent unerschrocken verteidigten und das Volk Anstalten machte, ihnen zur Hilfe zu kommen, ließ Robespierre im April auch diese alten Kampfgenossen guillotinieren. Nun schien es niemanden mehr in Frankreich zu geben, der ihm gefährlich werden konnte.“ ( Eberhard Weis, Propyläen Geschichte Europas, zitiert nach Weltbild Geschichte Europas 1776- 1847: Der Durchbruch des Bürgertums, Augsburg 2002, S. 148f)

Die Schicksale Trotzkis und Röhms waren zwar nicht von der „historischen Notwendigkeit“ oder der „Vorsehung“ beabsichtigt, aber auch nicht rein zufällig. Sie sind mehr oder weniger als „mustergültig“ zu betrachten.

Ebenso mustergültig war das Verhalten der Schergen, die Robespierre gedient hatten: Dem Henker von Paris war es vom Anfang der Revolution an egal gewesen, wer ihm seine Klientel aufs Schafott brachte. Seine einzige Sorge hatte einem scharfen Schwert gegolten. Diese Sorge nahm im der Klavierbauer Tobias Schmidt ab, indem er das Köpfen mechanisierte. 150 Jahre später feierte die Guillotine zur Beseitigung politischer Gegner ausgerechnet in der Heimat ihres Erfinders erneut Orgien.

Dann war der Spuk vorbei. – Und niemand, der sich am Terror beteiligt hatte, war’s gewesen:

Nach dem Sturz Robespierres hörte der Terror schlagartig auf. Schon zwei Tage danach gab es in Paris wieder Fröhlichkeit, Musik und Tanz. Die Gefängnisse öffneten sich, Frankreich erwachte wie aus einem bösen Traum. (…) Von den neun Männern, die Robeswpierre am 27. Juli 1794 gestürzt hatten, waren fünf ehemalige enge Mitarbeiter von ihm im Konvent und in den beiden Komitees, die anderen vier waren Dantonisten, die sich jedoch ursprünglich ebenfalls am Terror beteiligt hatten. Die neuen Machthaber, die Thermidorianer, wurden alsbald das Ziel heftiger Angriffe von zwei Seiten: vom gemäßigten Bürgertum und von den Sansculotten, die beide jetzt sogar eng zusammenarbeiteten. Gerade aus den Sektionen, welche die Tradition des von Robespierre hingerichteten Hébert fortsetzten, kamen die heftigsten Anklagen gegen die Terroristen. Der Konvent seinerseits war nur bereit, gegen extreme Terroristen von gestern vorzugehen, beispielsweise gegen den Massenmörder von Nantes, Carrier, den nun selbst die Todesstrafe ereilte. Im übrigen schützte der Konvent die Männer der neuen Regierung gegen ihre Ankläger. Er hätte sich sonst selbst desavouieren müssen; denn ein Jahr lang hatte derselbe Nationalkonvent gehorsam für alle von Robespierre gewünschten Maßnahmen gestimmt.“ ( E. Weis, aaO, S 151f)

Die Ähnlichkeiten mit “treuen Vasallen des Führers” und “linientreuen Kommunisten“, die nach 1989 zu „demokratischen Sozialisten“, Sozialdemokraten und „echten“ Christdemokraten mutierten, sind weder beabsichtigt noch zufällig: „Wendehälse“ gab es schon zweihundert Jahre vor dem Begriff.

Irgendwie hat all das eine unverkennbare Ähnlichkeit zur Symbolfigur der französischen Revolution. Diese befindet sich auch heute noch als mannshohe Skulptur in Paris. Ihre vergrößerte Kopie, die weltbekannte „Freiheitsstatue“ ziert den Hafen von New York. Die vergrößerten Kopien eines Maximilien Robespierre, nämlich Hitler, Stalin und dessen Nachfolger und Vasallen im „Ostblock“, mit der Freiheitsstatue in einen Topf zu werfen, das ziemt sich nicht, werden Sie einwenden. Natürlich ziemt sich das nicht. Die Wahrheit hat sich noch nie geziemt, aber auch nicht aufhalten lassen:

Denn die Wahrheit ist, daß die „amerikanische Nation“ den europäischen „Nationen“ in den Jahren 1860 bis 1865 geradezu „vorexerziert“ hat, wie man (als vergrößerte Kopie des französischen Bürgerkriegs) Bruder und Freund zum Feind erklärt und ohne die geringsten Skrupel auf ihn schießt.

Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber in all ihrer Unwiederholbarkeit bringt auch die „Geschichte“ immer wieder dieselben unverkennbaren Muster hervor:

Auch in der „Neuen Welt“ kam es wiederholt zu Situationen, die den militärischen Kräfteverhältnissen am 6.6.1944 verblüffend ähnlich waren.

Das beste Beispiel für „heldenhalften“ Widerstand gegen eine erdrückende Übermacht ist die Schlacht am Alamo. Am Alamo standen 190 Texaner gegen rund 1.500 Soldaten des mexikanischen Generals Santa Ana.

In den späteren „Beutefeldzügen“ der US-Army war es General Custer, der sich am Little Big Horn in einer an D-Day erinnernden militärischen Situation befand. Aber weder Davie Crocket am Alamo noch Custer am Little Big Horn spielten auch nur mit dem Gedanken, vor der Übermacht des „Feindes“ zu kapitulieren. Beide werden heute noch als „Helden“ verehrt und gepriesen.

Crocket und Custer waren freilich nicht die Erfinder des Heldentums. Das Kräfteverhältnis der Schlacht am Alamo entspricht in etwa dem des wohl berühmtesten „sinnlosen“ Widerstands gegen einen militärisch überlegenen Gegner, nämlich dem Widerstand der Spartaner gegen das persische Heer an den Thermopylen. „Wanderer, kommst Du nach Sparta, verkündige dorten, du habest uns hier liegen gesehen, wie das Gesetz es befahl.“

Auf den „Gesetzesbefehl“ werden wir noch zurückkommen, zunächst einmal wollen wir eine Vorstellung von der Zahl der „Helden“ gewinnen:

Leonidas hatte 300 Soldaten an seiner Seite, Custer 250. Auf die Schnelle konnte ich die Stärke der militärischen Kräfte der Perser bzw. der vereinigten Truppen der Sioux und Cheyenne nicht ermitteln. Jedenfalls dürfte die militätische Übermacht auch in diesen Fällen erdrückend gewesen sein.

Warum also, so frage ich Sie, hätten die deutschen Soldaten am 6.6.1944 und danach klein beigeben sollen? – Bloß deshalb, weil sie „Deutsche“ waren und am Ende die großen Verlierer?

Im Nachhinein ist man immer klüger. Und genau darin liegt übrigens die Crux einer jeden Geschichtsschreibung. Historiker beurteilen die „Geschichte“ vom grünen Tisch aus, nicht vom Schlamm her.

Für den Juristen gibt es zwei Formen der Betrachtung ein und desselben Sachverhalts. Einmal die -übliche- Betrachtung ex post, also die Sicht nach hinten, ein andermal die Sicht von der Vergangenheit in die Gegenwart, die ex-ante-Betrachtung. Und diese allein ist entscheidend für die Frage, ob für den Handelnden eine Handlungsalternative bestand. Ex ante betrachtet, bestand für keinen der Beteiligten eine Alternative. Sie alle hatten, wie man so schön sagt, „ihre Befehle“.

Wir werden noch sehen, was es damit auf sich hat, zunächst einmal aber zurück zu den Worten Gottes, die geprägt wurden, als Noah und seine Söhne längst das Zeitliche gesegnet hatten:

Du sollst nicht stehlen“

So heißt es in der Bibel. Gegen dieses Gebot verstößt seit unvordenklichen Zeiten jeder Kriegsherr, auch der gottesfürchtigste. Gegen dieses Gebot verstieß auch der Versailler Vertrag. Denn das „deutsche Volk“ hatte mit der Familienfehde europäischer Fürstenhäuser, die den ersten Weltkrieg ausgelöst hatte, nichts, aber auch gar nicht zu tun, außer daß ihm anschließend die Kosten auferlegt wurden. Und das reichlich. Vierzehn Jahre lang wurde das in der Mitte Europas lebende Volk von den „Siegermächten“ ausgepreßt wie eine Kolonie.

Man klebte Menschen, die unter dem Krieg gelitten hatten, die „Kriegsschuld“ an die Backe und bemäntelte die wirtschaftliche Kolonisierung Deutschlands mit dem Begriff „Reparationen“.

Es dürfte damals kaum einen Menschen gegeben haben, der es nicht als Versklavung empfand, allein wegen seiner deutscher „Staatsangehörigkeit“ verdammt zu sein, unentgeltlich für Dritte zu arbeiten.

Das konnte nicht gutgehen, und es ging auch nicht gut. Die verlogene Propaganda der Plünderer brachte ungewollt sogar ein eigenes Ministerium hervor, nämlich das „Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda“. Propaganda leitet sich ab aus dem lateinischen Wort propagare, das „sich fortpflanzen“ bedeutet. Und in aller Regel sind es dreiste Lügen, die sich da fortpflanzen solen. Nicht nur unter Reichsminister Goebbels; auch unter einem Präsidenten Bush und einem Kanzler Schröder. Seltsamerweise hatten nur die Nationalsozialisten für Propaganda ein eigenes Ministerium. In allen übrigen Ländern war

Propaganda Chefsache, und sie ist es heute noch. Propaganda hat sehr viel mit Wortwahl und Sprachgebrauch zu tun. Denn die Sprache erzeugt die Bilder in den Köpfen der Menschen und formt deren „Weltbild“ und das Bild, das sie sich von Menschen machen, die sie nicht kennen. Erinnern Sie sich an meine Worte: „Es sieht ganz danach aus, als könne allein der Sprachgebrauch den Artgenossen zum Un- bzw. „Untermenschen“ machen?“ Der Paß kann das auch, und zwar noch viel besser. Sie werden lachen, aber beide zusammen machen aus einem „Hunnen“ sogar einen „richtigen“ Engländer;

Machen wir eine Reise, und zwar von Sachsen-Coburg-Gotha nach Windsor und von Battenberg nach Mountbatton. Diese Reise nimmt exakt soviel Zeit in Anspruch wie eine Reise von der Rheinlandstraße 17 zur Lothringer Straße 43 in Düsseldorf. Ich will Ihnen die Reisedauer gerne verraten, aber vielleicht kommen Sie von selbst hinter das Geheimnis: die Reisedauer entspricht einer Reise von der Boelckestr. 14 zur Kehler Straße 14. Die Reise ist eine Zeitreise und dauert nicht einmal den geringstmöglichen Bruchteil einer Sekunde (sog. Planck-Zeit). Das Geheimnis heißt „Umbenennung“. Die Boelckestraße wurde nach dem zweiten Weltkrieg zur Kehler Straße, Nummer 14 war das Elternhaus meines Vaters; mein Elternhaus wurde in den 60ern des vorigen Jahrhunderts zur Lothringer Straße 43, weil der Hauseingang an der Lothringer Straße liegt. – Wenn Sie mich fragen, mehr als Etikettenschwindel ist all das nicht.

Und mehr als Etikettenschwindel ist das, was Geschichtsschreibung und „aktuelle Berichterstattung“ den Menschen als „große Staatsmänner“ seit rund 6.000 Jahren aufschwatzt und verkauft, auch nicht. Deswegen ist die Reise von Battenberg nach Mountbatton im Grunde „zeitlos“, aber es ist interessant, daß sie mitten im ersten Weltkrieg ihren Anfang nahm:

In der britischen und französischen Propaganda des ersten Weltkriegs wurden die Deutschen als „Hunnen“ diffamiert. Das sogenannte „Haus Windsor“ war bis in den ersten Weltkrieg das „Haus Sachsen-Coburg-Gotha“. Man glaubte, seine „deutschen“ Eigenschaften loszuwerden, indem man den Namen anglisierte. Bei „Sachsen-Coburg-Gotha“ geht das nicht so einfach, also nahm man den Namen des Stammschlosses an: Windsor. Die Battenbergs, die den späteren Prinzgemahlen stellten, hatten es da einfacher: Mountbatton. Läßt man all diese Namensspielchen beiseite, wird Willi Battenberg einmal König werden. „Hunnen“ werden die Royals trotz allem wohl geblieben sein…

Was Propaganda anrichten kann, wußte Konfuzius schon vor 2.500 Jahren:

(Der Schüler) Zi-lu sprach zu Konfuzius:

Wenn Euch der Herrscher des Staates Wei die Regierung anvertraute – was würdet Ihr zuerst tun?“

Der Meister antwortete: „Unbedingt die Namen richtigstellen.“

Darauf Zi-lu: „Damit würdet Ihr beginnen? Das ist doch abwegig. Warum eine solche Richtigstellung der Namen?“

Der Meister entgegnete: „Wie ungebildet du doch bist, Zi-lu! Der Edle ist vorsichtig und zurückhaltend, wenn es um Dinge geht, die er nicht kennt.

Stimmen die Namen und Begriffe nicht, so ist die Sprache konfus. Ist die Sprache konfus, so entstehen Unordnung und Mißerfolg. Gibt es Unordnung und Mißerfolg, so geraten Anstand und gute Sitten in Verfall. Sind Anstand und gute Sitten in Frage gestellt, so gibt es keine gerechten Strafen mehr. Gibt es keine gerechten Strafen mehr, so weiß das Volk nicht, was es zu tun und was es lassen soll. Darum muß der Edle die Begriffe und Namen korrekt benutzen und auch richtig danach handeln können. Er geht mit seinen Worten niemals leichtfertig um. („Gespräche“ XIII, 3)

Ob die Namen und Begriffe stimmten, als Ludwig XVI. in Gestalt des „Bürger Louis Capet“ zum Schafott gekarrt wurde.mag dahinstehen. Jedenfalls mußte der Mann mit Schrecken feststellen, daß man ihn schlicht „umetikettiert“ hatte.

Der „Bürger Louis Capet mußte am eigenen Leibe erfahren, daß viele Dinge, die uns im Umgang mit unseren Mitmenschen zu schaffen machen, weniger einer Frage der Etikette als des Etiketts sind. Hermann Göring hat es auf den Punkt gebracht. Er soll einmal gesagt haben: „Wer Jude ist, bestimmen wir!“

In gewisser Hinsicht hatte er damit recht, denn es gibt auf dem Planeten Erde weder Juden noch Deutsche. Es gibt weder „deutsches“ noch „jüdisches“ Blut, es gibt auch kein „Nigger“- oder „Indianerblut“. Wer etwas anderes behauptet, sollte dafür zumindest Beweis antreten können. Das aber kann er nicht, denn die gesamte Menschheit kennt nur vier Blutgruppen: A, B, AB und Null, und diese sind nach einem bestimmten statistischen Schlüssel unter allen Menschen verteilt. Nach irgendwelchen „Rassen“ oder „Rangabzeichen“ wurde und wird in der Evolution nicht gefragt. Das verbindet die Evolution mit dem Geist der französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Diesem Geist versuchte man, mit Gewalt zum Durchbruch zu verhelfen, was freilich gründlich in die Culotte ging.

Wieder einmal zeigt sich, daß wir Menschen Australopithecinen vom Stamme Superbus Procrustes sind: hochnäsig und geneigt, sich mit Gewalt alles passend zu machen. Das Prokrustesbett wandelte während der französischen Revolution ein wenig seine Gestalt, das Damoklesschwert der Antike wurde zum Fallbeil.

Und damit müssen wir die Frage stellen:

Warum war es dem Henker von Paris, Henri Sanson d.J. gleichgültig, wer ihm die Leute aufs Schafott schickte?

Von den V.I.P. des ausgehenden 18. Jahrhunderts kamen zunächst der König und seine Frau, dann Danton und zu guter Letzt Robespierre an die Reihe. Sanson hat sie alle geköpft. Und das nur deshalb, weil man ihn damit beauftragt hatte. Das unterscheidet ihn nicht von den Henkern im Staatsgefängnis von Huntsville, Texas. Um es der Vergessenheit zu entreißen: Huntsville war die „Place de la Condorde“ des texanischen Gouverneurs G.W. Bush. Huntsville und die Place de la Condorde provozieren in diesem Zusammenhang die zweite Frage:

Warum töten heute noch Menschen andere Menschen, die ihnen nichts getan haben, bloß weil ein Dritter sie damit beauftragt?

Fangen wir mit der ersten Frage an: Herrn Sanson war es egal, wer ihm den Auftrag gab, es war ihm aber durchaus nicht gleichgültig, wen er einen Kopf kürzer machte. So schreibt Ludwig Barring in „Götterspruch und Henkershand (Essen 1980)“ :

Unter den Guillotinierten von der Place de la Concorde waren auch die zwei berühmtesten Opfer der neuen Maschine, Ludwig XVI. Und Marie Antoinette, und wenn man in den Erinnerungen des Schafrichters Sanson liest, mit welcher Befangenheit er diesen Exekutionen entgegenging,, dann möchte man meinen, er habe alles vorausgeahnt und wegen dieser beiden Todesurteile auf die Ent-Schuldung seiner Hand, auf die Einführung einer Maschine gedrungen.“ (Barring, S. 164)

Barring fährt fort:

Er (Sanson) war als getreuer Diener der Obrigkeit und als Erbe einer alten Scharfrichter-Tradition vielleicht zum erstenmal tief uneins mit seinem Beruf, und wer glaubt, daß dieser verrufenste aller Berufe stets nur von völlig verrohten Individuen ausgeübt worden sei, der tut gut daran, das Tagebuch Sansons zumindest auszugsweise zu lesen“.(Barring aaO 165)

1119 Menschen starben allein auf der Place de la Concorde. Mit den 1306 Toten von der Place de la Nation und den 73 von der Place de la Bastille sind es rund zweieinhalbtausend Menschen, die „offiziell“ hingerichtet wurden. Von dieser „Statistik“ sind all jene nicht erfaßt, die in den Gefängnissen oder einfach auf der Straße abgeschlachtet wurden.

Einige Worte Barrings muß ich an dieser Stelle zur Verdeutlichung wiederholen und hervorheben:

Er war als getreuer Diener der Obrigkeit….

Getreue Diener der Obrigkeit waren auch die Männer, die am 6. Juni 1944 in der Normandie landeten. Getreue Diener der Obrigkeit waren aber auch die Männer, die sie an der Landung zu hindern versuchten. Auch die Männer des 20. Juli waren treue Diener der Obrigkeit.

Es ist, lassen Sie mich das hier kurz einfügen, verblüffend, daß die Männer des 20. Juli bis zum letzten Augenblick ihrer geplanten Tat von ähnlichen Gewissensbissen geplagt wurden wie 152 Jahre zuvor Charles-Henri Sanson.(vgl. Barring, S. 165-169)

Wie Sanson waren auch die Männer, die Jesus von Nazareth ans Kreuz nagelten, getreue Diener der Obrigkeit. Einen Mann ans Kreuz zu schlagen, das war für sie Alltag und ein Job, den sie beherrschten.

Wie aber, das ist die zweite und die Kernfrage, kommt es dazu, daß derartige „Jobs“ alltäglich werden können, gilt doch die Tötung eines Menschen als die schwerste Straftat, die man überhaupt begehen kann? – Eine Straftat, die in manchen „Rechtsordnungen“ so schwer wiegt, daß derjenige, der einen Menschen tötet, zur Strafe getötet werden muß.

Wirft man einen Blick auf die Vereinigten Staaten, zeigt sich, daß der Glaube an die Todesstrafe vor allem in Kreisen der biederen, obrigkeitsgläubigen Durchschnittsamerikaner unerschütterlich ist.

Aber mit der Biederkeit hat das so seinen Haken:

Während in Vietnam biedere Amerikaner auf Befehl Frauen und Kinder mit Bomben und Napalm überschütteten; während in My Lai der biedere Lieutenant Kelly Hunderte von Menschen niedermachen ließ, um die „Freiheit“ zu verteidigen, machte sich Stanley Milgram in aller Stille an ein Experiment, dessen Ergebnis die Menschheit eigentlich hätte aufhorchen lassen müssen:

Milgram ließ seine Probanden bei einem vermeintlichen Lernexperiment „Schüler“ für mangelnde Lernleistungen mit Elektroschocks „bestrafen“. Die Schocks reichten von 15 bis 450 Volt Spannung. – Milgram hatte erwartet, dass nur ein geringer Teil der Menschen zum Kadavergehorsam fähig wären. Entgegen allen Voraussagen und Erwartungen kannte die Mehrheit der Probanden trotz aller Gewissensbisse keine Skrupel. Rund 63% der (männlichen) Probanden waren bereit, auf Anweisung einer Autorität fremde Menschen zu quälen und zu töten.

63%, – dreiundsechzig (!) Prozent! – dieses überraschende Ergebnis passte weder seinerzeit noch passt es heute in die politische Landschaft. Es widerspricht dem Selbstverständnis des Homo sapiens sapiens. Es ist auch nicht kompatibel zum Menschenbild der großen Religionen. Deshalb wurde es auch in der Öffentlichkeit wenig beachtet und nicht weiter diskutiert. Man hat Milgram Fehler bei der Versuchsanordnung unterstellt und ansonsten das Ergebnis geflissentlich totgeschwiegen.

Das Milgram-Experiment“ gibt es als Taschenbuch. Meine Empfehlung: Schauen Sie sich gelegentlich den Film „I – wie Ikarus“ von Henri Verneuil an. Er enthält in einer ca. 10-minütigen Sequenz eine detailgetreue und eindringliche Darstellung dieses Experiments.

Wenn Sie einem Ihrer Mitmenschen begegnen, wird der mit einer Wahrscheinlichkeit von 63% ein kleiner Eichmann sein. Und Sie selbst sind mit derselben Wahrscheinlichkeit ebenfalls ein kleiner Eichmann. Ich selbst wäre vielleicht auch ein kleiner Eichmann geworden, hätte ich nicht im Sommer 1978 am Seminar „Abweichendes Verhalten und Labelling Approach“ bei Herrn Prof. (em.) Helmut Marquardt an der Universität Bonn teilgenommen. – Ohne diesen Hintergrund hätte ich 1991 in der Kreisverwaltung Rügen womöglich mit dem Stempel „sachlich und rechnerisch richtig“ und meiner Unterschrift als „getreuer Diener der Obrigkeit“ Schaden gestiftet: Der damalige Landrat des Kreises Rügen hatte von mir „erwartet“, zwei Kostenrechnungen eines Hamburger Rechtsanwalts über je DM 55.000,– „geräuschlos“ zu „bearbeiten“.

Ich weigerte mich, der „Bitte“ nachzukommen, machte mich auf die Suche nach den Akten und fand mich mitten in einem 4,4-Millionen DM schweren Schwindel wieder. Damit wurde ich für die Politik im Wahlkreis der gegenwärtigen CDU-Vorsitzenden so unbequem wie Milgram für die Weltpolitik.

Das Ergebnis des Milgram-Experiments mag unbequem sein, aber es darf nicht vergessen werden, dass die Bereitschaft zum Gehorsam gegenüber Inhabern sozialer Dominanzstellungen die Grundlage jeder Gesetzgebung darstellt. Kein Gesetz dieser Welt würde beachtet, wenn die Mehrzahl der Menschen nicht dazu bereit wären, es kritiklos zu befolgen. Allerdings zeigte Milgram auch die Grenzen der Möglichkeiten des „Gesetzgebers“ auf. Es ist nicht möglich, durch Gesetz ein den menschlichen Grundbedürfnissen entsprechendes Verhalten aus der Welt zu schaffen und gesellschaftliche Probleme durch Verbote zu lösen. Die Erwartung, daß alle dem Verbot Folge leisten werden, wird sich immer als Illusion erweisen. Es ist nämlich damit zu rechnen, daß mindestens 37% der vom Gesetz Betroffenen dieses einfach ignorieren werden.

Nicht nur Gehorsam, sondern auch Ungehorsam sind also genetisch determiniert. Deswegen ist jede Ideologie, deren Vertreter Macht erlangen, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gezwungen, im Laufe der Zeit immer mehr Zwang und Gewalt anzuwenden. Das System wird zunehmend Energie verzehren, bis es am Ende unter Turbulenzerscheinungen zusammenfällt. – So geschah es zuletzt mit dem „real existierenden Sozialismus“. Die verfallenen Städte des ehemaligen Ostblocks sind ein weithin sichtbares Zeichen dafür, dass die gesamte Energie in die Aufrechterhaltung des Zwangssystems geflossen war.

Die Mehrheit von uns ist zwar zum Kadavergehorsam fähig, aber nicht für alle Zeit bereit, wie der 20. Juli 1944 und der Aufstand im Warschauer Ghetto zeigen. Das entspricht dem Prinzip des geringsten Zwangs, wonach ein System, auf das ein Zwang ausgeübt wird, dem Zwang ausweicht. Kann es nicht ausweichen, erzeugt es Gegendruck.

Das Unverständnis des gegenwärtig herrschenden Weltbilds gegenüber der menschlichen Natur läßt sich anhand der Prohibition in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts gut verfolgen. Man hatte ein Gesetz erlassen, das den Amerikanern den Alkoholgenuss untersagte. Die geringe Akzeptanz des Gesetzes durch die Bevölkerung erforderte einen verstärkten Einsatz staatlicher Macht zu seiner Durchsetzung. Auf der anderen Seite waren die Anbieter der teuflischen Getränke; an deren Spitze waren wiederum die zu finden, die sich einen Teufel um Gesetze scherten. Es dauerte nur wenige Jahre, und das ganze Wechselspiel brachte das Sozialsystem der Gesetzlosen hervor, das heute noch als organisierte Kriminalität mit dem Sozialsystem „Staat“ rivalisiert. Mitglieder krimineller Organisationen befolgen keine staatlichen Gesetze. Sie gehorchen den Regeln ihrer Organisation und folgen den Anweisungen ihres Gangsterbosses. Am Ende wurden die USA von gravierenden wirtschaftlichen und politischen Instabilitäten heimgesucht. Auf die Prohibition folgte die „große Depression“.

Noch heute rivalisieren in aller Welt organisierte Kriminalität und staatliche Gewalt um Macht und Einfluss. – Beide Systeme sind offensichtlich zwei Seiten derselben Medaille. Immerhin beruhen beide Systeme auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam. Die staatliche Gewalt geht freilich weiter: Sie verlangt auch von Nichtangehörigen des Systems unbedingten Gehorsam gegenüber den „Gesetzen“ und Anordnungen des „Staates“.“

Die „Autorität“ der sogenannten staatlichen Gewalt geht auch ohne entsprechenden Fahneneid „bis in den Tod“. Die Bilder von nackten Menschen, die sich anläßlich ihrer eigenen Erschießung in Reih und Glied aufstellten, gelten heute noch als Zeugnis von der Unmenschlichkeit des nationalsozialistischen Regimes. Der „Gehorsamstrieb“ des Menschen ist offensichtlich stärker als der sogenannte „Selbsterhaltungstrieb“. Das ist auch kein Wunder, denn über Jahrmillionen hinweg konnten die Menschen ihren Hordenführern das gleiche Vertrauen entgegenbringen wie Stuten gegenüber ihrer Leitstute und Elefantenkühe gegenüber ihrer Leitkuh. Sie konnten sicher sein, daß dieses Vertrauen nicht mißbraucht wurde.

Milgram hat aufgezeigt, wie weit Menschen gehen können, wenn man ihnen den Befehl erteilt, andere zu schädigen. Ein entsprechendes wissenschaftliches Experiment, wie weit Menschen gehen, wenn man ihnen befiehlt, sich töten zu lassen, fehlt. – Es bedarf dieses Experiments nicht, denn die unfreiwilligen „Feldversuche“ zeigen überdeutlich, daß der Mensch auch im Angesicht des Todes Gehorsam leistet.

So ungern man es hören mag, aber in diesen Fällen verhalten sich Menschen nicht anders als Kavalleriepferde. Pferde rennen normalerweise von einer Gefahrenquelle davon. Kavalleriepferde rennen jedoch im gestreckten Galopp schnurstracks in den Untergang.

Wer über dieses Phänomen nicht ins Grübeln kommt und meint, das sei alles so in Ordnung, dem ist nicht zu helfen. In Zukunft darf er sich aber nicht beschweren und empören, wenn die Medien erneut über „Abschlachtungsorgien“ in dieser Welt berichten.

Ohne den „Gehorsamstrieb“ hätte es zu keiner Zeit irgendwelche „Lager“ gegeben, denn gerade das Leben in Konzentrations-, Gefangenen- und Internierungslagern basiert auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam. – Gehorsam bis in den Tod: Stillhalten, wenn das Beil fällt. Über diesen Sachverhalt müssen wir uns klar werden und ihn stets vergegenwärtigen.

Damit kommen wir der Beantwortung der Frage, die die Opfer der 60. Jahrestage stellen, freilich nur wenig näher: Sie starben, weil ihnen befohlen worden war, andere Menschen zu töten.

Aus ihrem Verhalten, nämlich dem Kampf, ergibt sich die andere Frage:

Warum setzten Menschen ihr Leben aufs Spiel?

Antwort: Im Gegensatz zum Krieg ist der Tatbestand der Selbstgefährdung, den wir im Alltagsleben als „Abenteuerlust“ bezeichnen, tatsächlich so alt wie die Menschheit:

Vor fünf Mio. Jahren erlebten unsere Vorfahren eine Art Klimakatastrophe.

Mit der Öffnung des ostafrikanischen Grabensystems wurde Ostafrika von der westafrikanischen Regenwaldzone gewissermaßen „abgekoppelt“ und trocknete aus.

Der Lebensraum für waldbewohnende Affen schrumpfte im Laufe der Zeit dramatisch.

Es vollzog sich der Übergang vom Regenwald zur Savannenlandschaft. Dies aber nicht ruckartig, sondern allmählich. Junge Bäume konnten mangels Wasser nicht mehr nachwachsen, die alten starben nach und nach ab.

In den dadurch freiwerdenden Lebensraum sickerten zunächst Pflanzen ein, denen Pflanzenfresser folgten. Diese wiederum lockten nach und nach die Fleischfresser an. – Die Natur folgte auch hier dem immer gleich bleibenden Muster der Besiedlung.

Unsere nächsten Verwandten im Tierreich sind Schimpansen und Bonobos. Weder Schimpansen noch Bonobos sind „Nahrungsspezialisten“, wir sind es auch nicht. Unsere gemeinsamen Vorfahren konnten es daher ebenfalls nicht gewesen sein.

Die frühen Australopithecinen mußten daher in der Lage gewesen sein, ihr Futter auch im offenen Gelände zu suchen. In den frühen Savannentagen, als es dort erst wenige andere Pflanzenfresser gab, war auch die Gefährdung durch die ihnen folgenden Raubtiere sehr gering.

Australopithecus war in der Savanne schon längst beheimatet, als Elefanten, Huftiere und deren Jäger aus Asien allmählich in die Savannenlandschaft einsickerten.

Freilich steht dem Nahrungserwerb eines Waldbewohners in der Savanne auch dann ein nicht zu unterschätzender Widerstand entgegen, wenn kein Jäger da ist. Dieser ist im Organismus selbst zu finden und heißt Angst. Angst ist eine körperliche Reaktion auf tatsächliche oder vermeintliche Gefahren. Sie setzt vor allem Adrenalin frei, das Hormon, das den Organismus auf die Reaktionen Kampf oder Flucht vorbereitet

Alle bekannten Wirbeltiere erleben ungewohnte Situationen als Bedrohung; das ist sinnvoll, weil Unbekanntes lebensgefährlich sein kann.

Diese Schwelle galt es für unsere Vorfahren zu überwinden, wenn sie den Wald und damit ihre gewohnte Umgebung verlassen wollten.

Nun gibt es innerhalb jeder Art Individuen, die ängstlicher sind als der Durchschnitt, aber auch Vertreter, die sich vom Durchschnitt durch mehr Mut unterscheiden. An diesem Ende des Spektrums sind diejenigen unserer Vorfahren zu finden, die sich als erste in das offene Gelände vorwagten. Sie stießen bei der Nahrungssuche zunächst einmal auf wenig Konkurrenz und ein niedriges Gefährdungspotential. Nach und nach, wohl über Generationen hinweg, zogen die ängstlicheren Vertreter der Art nach.

Wer aber gilt als der mutigste Artgenosse? – Wahrscheinlich der, der die Gefahrensituation als lustvoll erlebt. Das Lusterlebnis als Gegenspieler der Angst. In einem „intakten“ Ökosystem, in dem das Zusammenspiel von Fressen und Gefressenwerden eingependelt ist, bedeutet Lustgewinn durch Angst den frühen Tod. – Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.

Nicht so unsere Vorfahren. Sie trafen bei ihren Ausflügen unter den freien Himmel nur wenig reale Gefahren für Leib und Leben an.

Das muß so gewesen sein, denn die Lust an der Gefahr hat sich bis zum heutigen Tage in unserem Erbgut erhalten. Das können Sie beim Zappen durch die Sender leicht feststellen. Actionfilm hier, Kriegsfilm da, auf Kanal drei und fünf je ein Western; nach dem nächsten Werbeblock folgt dann ein Horrorfilm.- Allen gemeinsam ist, daß sie Bedrohung und die Gefahr für Leib und Leben des Protagonisten zum Thema haben. Von Homer bis Hitchcock finden Sie über die Jahrtausende hinweg kontinuierlich die Schilderung von Gefahrensituationen in den Bestsellerlisten. Aber nicht nur Filmindustrie und Verlage verdienen gut am Spaß mit dem Schrecken. Kein Jahrmarkt ohne Achterbahn, und die Geisterbahn darf auch nicht fehlen. Der zivilisierte Mensch gibt sehr viel Geld dafür aus, Angst lustvoll erleben zu dürfen.

Auch in der alltäglichen Realität ist Selbstgefährdung gang und gäbe. Bergsteigen und Skirennen, Fallschirmspringen und Bungeejumping. Diese Aufzählung ist keineswegs vollständig, es sind nur Beispiele für all die Situationen, in denen sich Menschen bewußt einer Gefahr aussetzen. Ohne diese Neigung wäre die Menschheit allerdings keinen Schritt weiter als vor etwa 5 Mio. Jahren, denn das lustvolle Erleben der Gefahr ist ein konstituierendes Element dessen, das wir gemeinhin als Pioniergeist bezeichnen. Expeditionen in unbekannte Gegenden gelten auch heute noch als das Erstrebenswerteste auf Erden. Auch hier ist es wieder einmal das biologische Erbe, das Geistesinhalten Gestalt verleiht.

Zum Leidwesen vieler gehört hierher aber auch das Rasen über Autobahn und Landstraße. Das lustvolle Erleben der Gefahr ist stärker als alle Vernunft. – Auch die härtesten Strafen werden das Phänomen nicht aus der Welt schaffen können, dafür ist es viel zu tief in uns verwurzelt. Die Kehrseite dieser Medaille sind Polizisten und Feuerwehrmänner, die im Rahmen ihres Dienstes zum Schutze anderer bewußt ihr Leben aufs Spiel setzen.

Die bewußte Selbstgefährdung ist das zweite Verhaltensmuster, auf das die Mächtigen der Welt zurückgreifen können, um ihre persönlichen Animositäten durch andere ausbaden zu lassen.

Das dritte Verhaltensmuster, das mit den Gehorsam und Selbstgefährdung im „Kriegszustand“ unheilvoll wechselwirkt, ist ausgerechnet das Verhalten, das in „Friedenszeiten“ Grundlage dessen ist, was man gemeinhin „Wirtschaft“ nennt:

Der Mensch ist als Organismus ein Untersystem der Evolution. Damit ist er Ausgangspunkt eines weiteren Subsystems des evolutionären Prozesses, nämlich Ausgangspunkt der Ökonomie.

Grundlage aller Ökonomie ist das reziproke Verhalten des Menschen. Durch dieses wird er tagtäglich in eine Vielzahl von Austauschverhältnissen verwickelt:

Jeder Mensch hat Bedürfnisse nach Gegenständen oder Arbeitsleistungen irgendwelcher Art, die er entweder nicht hat oder selbst nicht leisten kann. Dieses Phänomen kann ohne weiteres als Energiemangel gesehen werden.

Jeder Mensch verfügt über Dinge oder Fähigkeiten, die er zum Tausch anbieten kann. Es findet sich also hier ein Energieüberschuss.

Kommen Mangel und Überschuss in geeigneten thermischen Kontakt, kommt es zu einem Energieaustausch. Im Rahmen reziproken Verhaltens erwartet jeder Mensch für das von ihm Gegebene ein ungefähres Energieäquivalent. Bekommt er es nicht, nimmt er es als Ungerechtigkeit wahr.

Tauschgeschäfte sind mühselig, denn die Suche nach einem geeigneten Tauschpartner kann vielfach erfolglos sein. Im Laufe der Evolution entstand daher ein für alle Beteiligten akzeptables Tauschmittel, nämlich das Geld. Geld ist ein Energieäquivalent, denn es läßt sich im allgemeinen problemlos in „Nahrung“ umsetzen . Der „Energiebetrag“ eines Geldscheins bestimmt sich in diesem Zusammenhang ausschließlich im Hier und Jetzt: wieviel Nahrung kann ich hier und heute im Austausch gegen den Geldschein bekommen.

Das Grundmuster für die Ökonomie ist der gegenseitige Vertrag. Der gegenseitige Vertrag wird in der Juristensprache als Synallagma bezeichnet. Er wird zunächst durch Vereinbarung begründet und erlischt dann wieder durch Vertragserfüllung. Einfachstes Beispiel ist der tägliche Gang zum Bäcker: „Zwei Brötchen, bitte.“ – „neunzig Pfennig.“ – „Ich hab’s leider nicht kleiner.“ – „Neun Mark zehn zurück, vielen Dank.“ Der Austausch von Leistungen durch Vertrag entspricht dem symbiotischen Prinzip in der Natur. Der Begriff „Vertrag“ hat viel mit „vertragen“ zu tun. Mit gnadenloser „Konkurrenz“ und dem „Kampf ums Dasein“ nur sehr wenig. Und das hat seinen Grund im symbiotischen Prinzip.

Der eine gibt etwas, das er hat, aber nicht benötigt, und das der andere nicht hat. Dafür gibt der andere etwas, das er hat, aber nicht benötigt, und das der eine dringend braucht. – Das klingt etwas kompliziert, ist es aber nicht,

Auch der Vertrag ist ein Muster dieser Welt, das gebildet und wieder aufgelöst wird.. In diesem Zusammenhang bildet der einzelne Mensch die Grundeinheit der Ökonomie und entspricht damit der Zelle.

Die Menge aller Menschen bilden damit den ökonomischen Mikrokosmos. Daraus entstehen die Unternehmen, die ebenfalls auftauchen und wieder verschwinden. Sie sind wirtschaftliche Organismen, die durch Austauschverhältnisse am Leben erhalten werden. Ein Unternehmen ohne Lieferanten, Arbeitskraft oder Klientel stirbt ab, nur dass man im ökonomischen Bereich von „Insolvenz“ spricht. Tritt eine Neuerung auf oder ergibt sich eine „Marktlücke“, (Blindgängereffekt) setzt explosives Wachstum ein. Auch in der Wirtschaft wird ungezügeltes Wachstum entweder durch negative Rückkopplungsschleifen abgebremst oder es mündet ins Chaos, der Fortbestand von Unternehmen ist nicht mehr gewährleistet. Das jämmerliche Scheitern der sogenannten „new economy“, für die ungebremstes Wachstum Verkaufsargument war, ist mahnendes Beispiel.

Die Gesetze der Evolution gelten also auch für die etwas geisterhaft erscheinenden ökonomischen Organismen. Sie beruhen auf einem Verhaltensmuster, das über Jahrmillionen die Versorgung aller Menschen mit ausreichender Nahrung sicherstellte, eben dem reziproken Verhalten.

Die gegenwärtigen Verzerrungen der Ökonomie, die sich in der Verteilung von arm und reich, aber auch im Verhältnis des Menschen zu seinen Mitgeschöpfen niederschlagen, ändern an dem oben erwähnten Grundsatz nichts. Gerade sie sind es, welche die verheerenden wirtschaftlichen und sozialen Turbulenzen (Kriege) der vergangenen zwei Jahrhunderte hervorgerufen haben.

Dieses Verhalten, das die klassische Humanethologie als „reziproken Altruismus“ (gegenseitige Uneigennützigkeit) bezeichnet, wird vom Institut für experimentelle Wirtschaftswissenschaft der Universität Zürich einfach als „reziprokes Verhalten“ klassifiziert. Und man höre und staune, die statistischen Werte entsprechen in verblüffender Weise denen des Milgram-Experiments. Rund 63% der untersuchten Probanden neigen zu reziprokem Verhalten.

Nur da, wo es um das Ergattern von Waren geht, ist der Mensch geneigt, sich der klassischen Wirtschaftstheorie entsprechend zu verhalten: Da ist Geiz eben geil, weil die „Schnäppchenjagd“ eben eine echte Jagd ist. Wenn es um Dienstleistungen geht, verhält sich die überwältigende Mehrheit der Menschen aber anders, dann ist fairer Lohn für faire Arbeit angesagt. (vgl. Armin Falk, Homo Oeconomicus Versus Homo Reciprocans: Ansätze für ein neues Wirtschaftspolitisches Leitbild? Working Paper No. 79 – Institute for Empirical Research in Economics, University of Zurich, 2001).

Reziprokes Verhalten geht aber wesentlich weiter als der „reziproke Altruismus“ der klassischen Ethologie. Es hat auch seine negativen Seiten, nämlich Rache und Vergeltung. Und genau da liegt der Hund begraben. Bereits ein überschlägiger Blick in die Kulturgeschichte und eine überschlägige Betrachtung der gegenwärtigen Weltkarte zeigt, daß in den Kulturen, in denen menschliche Arbeitskraft mit Geringschätzung betrachtet wird, die Strafen exorbitant hoch sind.

Die Mächtigen in diesen Kulturen lenkten und lenken den Tausch-und-Teile-Instinkt auf das Verhängen sozialer Sanktionen für soziales Fehlverhalten einfach um. Dort darf sich dieser Instinkt, das menschliche Bedürfnis nach reziprokem Verhalten dann regelrecht „austoben“.

Im Sinne des Schöpfers ist das gewiß nicht. Nicht nur im Sport, sondern auch in allen anderen Lebensbereichen ist Unfairness nicht im Sinne des Schöpfers. In der denkbar schlimmsten Weise darf sich der „Tausch-und Teile“-Instinkt in der Schlacht austoben. Natürlicherweise fordert der Instinkt für den gefallenen Kameraden die allfällige „Vergeltung“. Für die Lücken, die er in die eigenen Reihen gerissen hat, will man es dem Feind „heimzahlen“.

Die Vergeltung kann sogar zu einer Art „Rauschzustand“ führen und süchtig machen. Die Forschungsgruppe um Dominique der Quervain, ebenfalls beheimatet an der Universität Zürich, hat nämlich festgestellt, daß beim Strafen das „Belohnungszentrum“ im Gehirn besonders aktiv ist. Das „Belohnungszentrum“ ist im „Zivilleben“ bei den sogenannten „Suchterkrankungen“ auch immer mit im Spiel. Diese Erkenntnisse verschlimmern das militärische Dilemma, in dem sich die Menschheit befindet, natürlich noch.

V 1 und V 2 waren ebenso Kinder des Tausch- und Teile-Instinkts wie die tagtägliche Vergeltung der israelischen Armee in ihrer Auseinandersetzung mit den Palästinensern.

Bei all den grausigen Szenarien, die dadurch im Laufe der Geschichte erzeugt wurden, gibt es Lichtblicke, die zeigen, daß Soldaten es „nicht böse meinen“. Im zweiten Weltkrieg war der Monte Cassino einer der am heftigsten umkämpften Punkte. Gerade in dieser erbitterten Schlacht kam es immer wieder zu Begegnungen zwischen den „verfeindeten“ Soldaten. In den Kampfpausen, in denen diese „nichtmilitärischen“ Begegnungen stattfanden, tauschte man Zigaretten.

Ähnliche Szenen sind von anderen Kriegsschauplätzen der Weltgeschichte ebenfalls verbürgt. Menschen lassen sich am Tauschen und Teilen eben nicht hindern.

Der Austausch von Zigaretten ist, das darf ich wohl hier festhalten, sinnvoller als der Austausch von Artilleriesalven.

Unfairness ist, ich sagte es bereits, nicht im Sinne des Schöpfers. Der wohl denkbar eklatanteste Fall der Unfairness ist aber wohl der, andere Leute für wenig Geld (Sold!) den Kopf hinhalten zu lassen. Solch ein Verhalten kann mit Fug und Recht als „ein nach allgemeiner sittlicher Anschauung als verachtenswert und auf tiefster Stufe stehend angesehen werden.“

Damit ist übrigens das Kriterium erfüllt, das nach den Gepflogenheiten deutscher Rechtsprechung die vorsätzliche Tötung eines Menschen zum Mord aus niedrigen Beweggründen werden läßt.

Deswegen entführe ich Sie an dieser Stelle kurz in die Vorstellungswelt der Juristen. Für Krimiautoren ist Mord Mord, für den Juristen ist der Begriff „Mord“ jedoch streng umgrenzt und in § 211 des Strafgesetzbuches niedergelegt:

Absatz 1.) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

Absatz 2.) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst niedrigen Beweggründen,

heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.

Wer aber tötet einen Menschen im Sinne des Gesetzes? – Die Beantwortung dieser Frage ist für einen Juristen nicht schwer. Ein Mensch tötet einen anderen, wenn er dessen Tod verursacht. Dabei, so lernt es jeder Jurastudent auf der Universität, ist eine Handlung für den Tod ursächlich, wenn sie „nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Tod des anderen entfiele“.

Nehmen wir den Fall des „Soldaten James Ryan“, einem Mann der ersten Stunde des „längsten Tages“. Nehmen wir ferner an, er wäre am Strand der Normandie von einer Granate in Stücke gerissen worden.

Kann der ihm erteilte Marschbefehl „hinweggedacht werden, ohne daß der Tod des Soldaten James Ryan entfiele“? – Nein! – Denn ohne Marschbefehl wäre der Soldat James Ryan nicht in die konkrete Lebensgefahr geraten, die sich am Ende mit seinem Tod realisierte. Der Marschbefehl ist also Ursache für den Tod des Soldaten James Ryan.

Wegen Mordes zur Verantwortung kann freilich nur derjenige zur Verantwortung gezogen werden, der vorsätzlich handelt. Entgegen der landläufigen Meinung, in der immer wieder vom „vorsätzlichen Mord“ die Rede ist, gibt es bei den Juristen keinen „fahrlässigen“ oder „unvorsätzlichen“ Mord. Die Juristen kennen verschiedene, abgestufte Formen des Vorsatzes, wobei alle von einer Grunddefinition abgeleitet sind:

Vorsatz ist definiert als die bewußte und gewollte Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes. Im Rahmen dieser Begriffsbestimmung setzen die Juristen nicht unbedingt eine exakte Gesetzeskenntnis voraus, sondern begnügen sich mitunter mit der sogenannten „Parallelwertung in der Laiensphäre“

Jeder weiß, daß er andere nicht einfach umbringen darf, vor allem nicht aus einem geradezu nichtigen Anlaß heraus. Wenn ein Mensch, der keiner Fliege etwas zuleide getan hat, an einer Bushaltestelle zu Tode getreten wird, ruft das zu Recht Empörung hervor. Man tut so etwas nicht, und das leuchtet jedem unmittelbar ein. In den Augen der Mitmenschen, die von einem derartigen Vorfall erfahren, ist das Verhalten des oder der Täter verabscheuungswürdig. – So etwa sieht die „Parallelwertung in der Laiensphäre“ aus.

Der Soldat James Ryan stand am 6.6.1944 an der Bushaltestelle, nur war er dort nicht freiwillig, er wurde dorthin beordert. Und die, die ihn dorthin beorderten, wußten, daß er dort auf Menschen treffen würde, die ihm nach dem Leben trachteten.

Bis hart an der Grenze zur fahrlässigen Tötung reicht die Form des „bedingten Vorsatzes“. Die Juristen sagen, jemand handele mit bedingtem Vorsatz, wenn er den Taterfolg, hier den Tod eines anderen, als sicher eintretend oder möglich voraussieht und billigend in Kauf nimmt. Bedingter Vorsatz ist also schon dann gegeben, wenn der Täter die Möglichkeit des Taterfolgs erkennt und diese billigend in Kauf nimmt.

Wer Soldaten in einen Kampfeinsatz schickt, weiß positiv, daß sich die Wege von Soldaten und Gewehrkugeln dort kreuzen. Den Gewehrkugeln macht das nichts aus, den Soldaten schon.

Nun könnte man freilich einwenden, daß der Unterzeichner des Marschbefehls den konkreten Tod des Soldaten James Ryan nicht habe voraussehen können.

Dieser Einwand ist juristisch irrelevant, denn auch der klassische „Bombenleger“ wird zur Verantwortung gezogen, denn wer Bomben legt, dem ist es schließlich egal, wen es trifft. Die Identität des Opfers spielt in diesem Falle keine Rolle. Das ist auch der Grund, weshalb die beiden Männer, die in Köln die Kofferbomben zur Bahn gebracht hatten, demnächst wegen versuchten Mordes vor Gericht stehen werden.

Somit kann sich der Unterzeichner des Marschbefehls für den Soldaten James Ryan nicht damit herausreden, er habe dessen Tod nicht voraussehen können. Den Tod des Soldaten James Ryan hat er vorsätzlich herbeigeführt.

Wegen Mordes kann freilich nur der bestraft werden, der rechtswidrig getötet hat. Sollte sich ein Rechtfertigungsgrund für die Tötung finden, hätte das die Straflosigkeit der Tötungshandlung zur Folge. Die Voraussetzungen der Notwehr und des rechtfertigenden Notstands sind viel zu eng, als daß sie hier auch nur annähernd in Frage kämen.

Man könnte hier noch über einen allgemeinen übergesetzlichen Rechtfertigungsgrund des „Krieges an sich“ sinnieren, der es erlaubt, andere für sich bluten zu lassen. Man könnte auch an eine „demokratische Legitimation“ denken, die es einer „Staatsführung“ gestatten würde, andere in den Tod zu schicken. Indes, gerade eine solche „demokratische Legitimation“ kann und wird es nicht geben. Sie scheitert an einem der grundlegensten Rechtsgrundsätze, die es überhaupt gibt:

Nemo plus ius transferre potest quam ipse habet.

Niemand kann mehr Recht übertragen, als er selbst hat. Der Einzelne hat keine Lizenz, seine Mitmenschen wahllos umzubringen, folglich kann er dieses „Recht“ auch nicht im Wege der „Wahl“ oder der „Volksabstimmung“ auf das, was sich „Staat“ oder „Regierung“ nennt, übertragen. Mithin besteht keine Möglichkeit, den Tod des Soldaten James Ryan als „gerechtfertigt“ anzusehen. Der Marschbefehl in den Tod kann nicht gerechtfertigt werden. Der Tod des Soldaten James Ryan wurde rechtswidrig herbeigeführt.

Halten wir als Zwischenergebnis fest, daß es für die Tötung von Soldaten per Marschbefehl unter keinem Gesichtspunkt jemals eine Rechtfertigung wird geben können.

Bleibt am Ende nur noch zu fragen, ob der Unterzeichner des Marschbefehls den Tod des Soldaten James Ryan auch verschuldet hat.

Das Rechtssystem kennt diverse Entschuldigungsgründe. Der bekannteste Schuldausschließungsgrund ist der sogenannte „Jagdschein“, früher „Paragraph einundfuffzig“, seit der Strafrechtsreform 1977 wird der „Jagdschein“ durch den § 20 StGB repräsentiert.

Mit der Strafrechtsreform 1977 wurde die „Unzurechnungsfähigkeit“ zwar in „Zurechungsunfähigkeit“ umgetauft, in der Sache änderte sich freilich nichts.

Ob die „Staats- und Regierungschefs“ dieser Welt, ob die Angehörigen der Gremien, die über Krieg und Frieden befinden, zurechnungsunfähig sind, vermag ich nicht zu entscheiden. Darüber müßte in jedem Einzelfall ein psychiatrischer Gutachter befinden. Das Gesetz jedenfalls unterstellt einem erwachsenen Menschen grundsätzlich die Schuldfähigkeit für die von ihm begangenen Unrechtshandlungen. Deswegen ist davon auszugehen, daß auch der Unterzeichner des Marschbefehls für den Soldaten James Ryan im „Vollbesitz seiner geistigen Kräfte“ war.

Auch ein Irrtum über die Grundlagen der Strafbarkeit kann im Einzelfall zu einer Entschuldigung der Tat führen. Wir brauchen uns allerdings an dieser Stelle mit diesem sehr weitläufigen Thema nicht zu befassen. Es dürfte zu weit führen, den Menschen, die sich an der Spitze staatlicher Hierarchie befinden, auch nur annähernd den Weg eines schuldausschließenden Irrtums zu eröffnen. Immerhin sind es die Menschen, die dem „gemeinen Volk“ die Gesetze vorschreiben, die von den Juristen gegen das Volk verwendet werden. Mitglieder der „gesetzgebenden Körperschaft“ und der „Regierung“ müssen mehr als die „Normalbürger“ die Normen beachten, die sie selbst setzen. Es müssen bei ihnen noch umfassendere Rechtskenntnisse vorausgesetzt werden als bei den Richtern an den obersten Gerichtshöfen. Ein Irrtum über die Grundlagen der Strafbarkeit des eigenen Handelns ist damit von vornherein für diesen Personenkreis auszuschließen.

Für den Tod des Soldaten Janmes Ryan gibt es mithin keine Entschuldigung.

Der Soldat James Ryan wurde, das muß hier klar festgehalten werden, aus niedrigen Beweggründen ermordet.

Mit ihm wurden denn alle die Männer, die ihr Leben an den Stränden der Normandie ließen, durch ihre eigenen Befehlshaber ermordet. Der Jurist würde die deutschen Soldaten, deren Waffen sie unmittelbar in den Tod geschickt hatten, als „absichtslos doloses Werkzeug“ einstufen. Dieser Terminus besagt, daß die deutschen Soldaten zwar in Tötungsabsicht auf den Soldaten James Ryan geschossen hatten, dabei aber die Motive des Unterzeichners seines Marschbefehls nicht teilten. Ohne den hier in rede stehenden Marschbefehl hätten sie nicht einmal mit dem Gedanken gespielt, auf den Soldaten James Ryan zu schießen.

Soldaten werden im allgemeinen dazu angehalten, neben ihrer „Standardwaffe“ auch Sprengmittel zu benutzen. Diese gelten im Rahmen des § 211 StGB als „gemeingefährliches Mittel.“ Die Verwendung eines „gemeingefährlichen Mittels“ macht nach deutschem Recht einen an sich simplen Totschlag zum Mord. Die üblicherweise angewandten „militärischen Mittel“ machen jeden, der ihre Anwendung befiehlt oder bei der Tötungshandlung durch ein absichtslos doloses Werkzeug voraussieht, zum Mörder.

Der von einer Granate zerfetze Soldat James Ryan wurde also aus niedrigen Beweggründen und mit einem gemeingefährlichen Mittel ermordet.

Zwei Mordmerkmale sind ohne vernünftigen Zweifel erfüllt, dennoch wurde der Unterzeichner des Marschbefehls für den Tod des Soldaten James Ryan niemals vor den Kadi gezerrt.

Denken Sie bitte daran, der „Soldat James Ryan“ steht hier für alle alliierten Soldaten, die am 6.6.1944 in der Normandie in den Tod geschickt wurden.

Auch wenn Churchill, Roosevelt und De Gaulle nie wegen Mordes an ihren eigenen Leuten angeklagt wurden, ist die Ironie des Schicksals unverkennbar und, ich gebe es zu, amüsant: Diejenigen, die den nationalsozialistischen „Ungeist“ mit Stumpf und Stiel aus der Welt schaffen wollten, müssen heute aus der Hölle heraus beobachten, wie sie an den Maßstäben des „Ungeistes“ gemessen werden. Die heute noch gültige Fassung des Mordparagraphen wurde nämlich während der „Nazi-Herrschaft” ins Strafgesetzbuch geschrieben.

Bei allen „Westalliierten“ war im Juni 1944 der Mord ein todeswürdiges Verbrechen. Somit wären die Herren Roosevelt, Churchill und de Gaulle im „Zivilleben“ für das, was sie getan haben, als „Massenmörder“ unter dem Jubel des Volkes auf dem Schafott gelandet. (Bei den letzten öffentlichen Hinrichtungen in den USA und Frankreich kletterten die Zuschauer sogar auf Laternenpfähle)

Sie haben das Schicksal der Männer des 20. Juli 1944 nur deshalb nicht geteilt, weil sie genau die sozialen Dominanzpositionen innehatten, die im „Deutschen Reich“ dem „Führer des deutschen Reiches und Volkes“ vorbehalten war: die unangefochtene Befugnis zur Entscheidung über Leben und Tod.

Ich höre förmlich den Protest, den diese Behauptung bezüglich der „Westalliierten“ hervorruft, aber ich kann und werde die Bewertung der Handlungen anhand der Maßstäbe des „Zivillebens“ nicht ändern. Mord muß Mord bleiben und als solcher benannt werden dürfen, selbst wenn er Bestandteil einer wie auch immer gearteten „Staatsdoktrin“ sein sollte:

D-Day, er wird als der Tag gefeiert, an dem die „Befreiung“ Europas von der Herrschaft des „nationalsozialistischen“ Terrors seinen Anfang nahm. Ganz bewußt habe ich den Begriff des nationalsozialistischen Terrors mit den Anführungszeichen als „nationalsozialistischen“ Terror gekennzeichnet und nicht als „nationalsozialistischen Terror“. Wir müssen nämlich folgendes festhalten:

Auf dem „alten Kontinent“ hatte sich, was in Geschichtsschreibung und veröffentlichter Meinung ganz offensichtlich bewußt verschlabbert wurde und wird, lange vor Hitler der an Robespierre orientierte „Terreur“ breitgemacht. Der aber war nicht nationalsozialistisch, der Robespierreismus des frühen 20. Jahrhunderts segelte unter roter Flagge:

Hitler kennt jedes Kind, die Opfer seiner „Gewaltherrschaft“ werden jedes Jahr beschworen. Lenin gilt als der Revolutionär des 20. Jahrhunderts. Auch Stalin wird nicht nur in Rußland als „großer Staatsmann“ und „Befreier“ nach wie vor gefeiert.

Um Mao Tse-Tung ist es still geworden, aber niemand von denen, die mir vor mehr als dreißig Jahren die „Mao-Bibel“ vor die Nase hielten, würde heute zugeben, einem der größten Menschenschlächter der Weltgeschichte nachgerannt zu sein.

Politische Macht kommt aus den Läufen des Gewehre“, sagt Mao. – Fragen Sie mich bitte nicht nach der Fundstelle.

Die Nationalsozialisten haben den Begriff geprägt, aber das Phänomen nicht erfunden: „Vernichtung durch Arbeit“. Den „Führern“ der kommunistischen Weltrevolution war der Begriff „Vernichtung durch Arbeit“ ebenso vertraut wie dem „Führer“. Sie haben sich nur gescheut, das Kind beim Namen zu nennen. Man nennt das Kind eben nicht beim Namen, daran hat sich seit Jahrtausenden hat nichts geändert. Gegen diesen Grundsatz der Politik haben eigentlich nur die Nationsozialisten verstoßen. Vielleicht nur deshalb, weil der „Führer“ zu einfältig war, die Grenzen de „political correctness“ zu erkennen und einzuhalten. Im Gegensatz zu ihren „roten“ Brüdern waren die Nazis geradezu herzerfrischend offen im sprachlichen Umgang mit dem Terror, den sie veranstalteten.

Vernichtung durch Arbeit“, das war schon im alten Rom an der Tagesordnung. Unliebsame Zeitgenossen schickte man „ad metalla“ oder auf die Galeeren. Die Bleibergwerke waren ebenso „Vernichtung durch Arbeit“ wie die Galeeren.

Die Galeere blieb in vielen Teilen Europas bis in die Neuzeit hinein die Domäne der „Vernichtung durch Arbeit“. Galeeren waren schließlich keine Handels- sondern Kriegsschiffe.

Auf der Galeere treffen wir den Geist des Soldaten James Ryan wieder.

Es wird in der Geschichtsschreibung gern übersehen, daß die Galeeren als Kriegsschiffe noch andere Besatzungsmitglieder hatten, nämlich die Soldaten. Betrachtet man die Besatzung einer Galeere näher, so erscheinen alle Besatzungsmitglieder in irgendeiner Weise als „Arbeitnehmer“, die ihrer „Vernichtung durch Arbeit“ entgegensehen.

Seit der Herresreform des Marius waren die Legionäre Roms „Arbeitnehmer“. Nicht nur im Teutoburger Wald starben sie zu Tausenden an ihrem Arbeitsplatz. „Arbeitnehmer“ blieben Legionäre und Söldner bis zum Unabhängigkeitskrieg der USA. Die französischen Revolution, die zunächst auf Freiwillige setzte, hatte am Ende im Schlepptau die „Allgemeine Wehrpflicht“. Diese war der „billigste“ Weg, Massenheere auszuheben und Abschlachtungsorgien zu veranstalten, wie sie die Welt nie zuvor gesehen hatte.

Ich bin so dreist, die „Allgemeine Wehrpflicht“ und die „Vernichtung durch Arbeit“ in einen Topf zu werfen. Die „Allgemeine Wehrpflicht“ hat sich in der Geschichte nicht nur einmal zum „Völkermord am eigenen Volk“ gesteigert. Die Einführung der „Allgemeinen Wehrpflicht“ war das größte Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ihre Aufrechterhaltung ist das größte Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und zwar auch dann, wenn die Juristen, die den „Staat“ bezahlten Talar tragen, etwas anderes behaupten.

Vernichtung durch Arbeit“, damit haben sich die Mächtigen der Welt freilich nie zufriedengegeben. Man hat die Soldaten bis zum Umfallen mit Mordbefehlen überschüttet. Die Mächtigen sind dabei auf nur wenig Widerstang gestoßen, weil der „moderne Mensch“ offensichtlich über eine ausgesprochene Neigung zum Genozid verfügt.

Diese genozidale Tendenz läßt sich seit rund 7.000 Jahren in allen Teilen der Welt belegen:

Vernichtungsfeldzüge“, die gab es schon, als noch mit jagdtauglichen Waffen gekämpft wurde und Mann gegen Mann stand. Der berühmteste von allen dürfte der Feldzug der Griechen gegen Troja gewesen sein. Weniger bekannt sind schon die punischen Kriege der Römer, die am Ende zur Zerstörung Carthagos führten und Rom zur ersten europäischen Supermacht werden ließen.

Auch Gaius Julius, genannt Cäsar, ließ sich diesbezüglich nicht lumpen. Anläßlich seiner Gallienfeldzüge ließ er mehr als einmal ganze Landstriche entvölkern. Bei seinen eigenen Landsleuten machte er sich allerdings erst durch sein perfides Vorgehen gegen die Usipeter und Tenkterer unbeliebt, die im Frühjahr des Jahres 55 v. Chr. in der Nähe von Nimwegen lagerten.

Die ahnungs- und führerlosen Germanen, die im Lager ruhig ihren täglichen Beschäftigungen nachgingen und an nichts Böses dachten, wurden vom römischen Heer plötzlich überfallen und abgeschlachtet. Cäsar beschreibt dieses »Heldenstück« geradezu mit einem gewissen Genuß. Die römische »Humanitas« und Cäsars »Clementia« (Milde) werden besonders durch folgenden Satz ins rechte Licht gerückt: »Die übrige Masse der Frauen und Kinder – die Germanen waren nämlich mit allem Volk ausgezogen und über den Rhein gegangen – begann allerorts zu fliehen. Zu ihrer Verfolgung sandte Cäsar die Reiterei aus.« Es ist besonders bezeichnend, daß Cäsar nicht wagte, die Reiterei gegen waffenfähige Männer, wohl aber gegen wehrlose Frauen und Kinder einzusetzen. Wieder schließt Cäsar seinen Bericht mit der ausführlichen Schilderung der Niedermetzelung der feige überfallenen Germanen. (Alfred Franke, Rom und die Germanen, Herrsching 1986, S. 191)

Cäsars Vorgehen in dieser Sache ging damals selbst den römischen Senatoren zu weit. Cato der Ältere hatte rund 150 Jahre vor Cäsar noch die Meinung vertreten, Carthago müsse zerstört werden, Cato der Jüngere hingegen beantragte im Senat wegen des geschilderten Vorfalls die Auslieferung Cäsars an die Germanen.

Wie es damals am linken Niederrhein wahrscheinlich ausgesehen hat, zeigt ein Fund, in Somerset (Südwestengland), nämlich die Keltenstadt „Cadbury-Camelot“. Bei der Ausgrabung des Südwesttores wurden die Überreste von Kindern entdeckt. Diese waren auf jede nur erdenklliche Weise zerstückelt worden und die Leichenteile waren über den ganzen Torweg verstreut. Der Anblick muß dermaßen grauenvoll gewesen sein, daß einige der freiwilligen Helfer sich weigerten, hier weiterzuarbeiten.(Franke aaO, S. 60). – Täter waren auch hier römische Legionäre. Keine wilden Barbaren, sondern Soldaten der größten „Kulturnation“ der Antike hatten das Massaker verübt. Ich setze in diesem Zusammenhang als bekannt voraus, daß römische Soldaten sich ein Ding mit Sicherheit nicht leisten durften: Disziplinlosigkeit.

Kavallerie gegen Frauen und Kinder. – Wie oft mag sich dieses Muster seit Cäsar überall auf der Welt wiederholt haben. Die bekannteste Wiederholung dürfte das Massaker vom Sand Creek sein, als US – Kavalleristen die Frauen, Kinder und Greise eines Indianerdorfes niedermetzelten.

150 Jahre nach Caesar wurde in Rom eine Art „Holocaust-Denkmal“ errichtet. Freilich wurde es nicht der Erinnerung an die Opfer gewidmet, sondern dem Ruhm der Täter. Die Trajanssäule verewigt den Völkermord an den Dakern.

Bei Trajans Feldzug sollen rund Eine Million Daker ums Leben gekommen sein.

Jesus soll den Evangelien zufolge nach Ephraim gegangen sein. War er sich dessen bewußt, das Jahrhunderte vor seiner Zeitrechnung an den Jordanfurten ein Genozid stattgefunden hatte, der von Gott offenbar billigend zur Kenntinis genommen worden war?

Im 20. Jahrhundert grenzte man seine Mitmenschen über das optische Merkmal des „Judensterns“ ab. Die Gileaditer, die damals die Jordanfurten besetzt hielten, gingen noch perfider vor (Richter 12):

5.(…) Wenn nun die Flüchtigen Ephraims sprachen: Laß mich hinübergehen! So sprachen die Männer von Gilead zu ihm: Bist du ein Ephraimiter? Wenn er dann antwortete: Nein!

6. hießen sie ihn sprechen: Schiboleth; so sprach er Siboleth und konnte es nicht recht reden; alsdann griffen sie ihn und schlugen ihn an den Furten des Jordans, daß zu der Zeit von Ephraim fielen zwei und vierzig tausend.

42.000 Tote, nach „Feststellung der Personalien“ einzeln erschlagen.

Gedankenstrich“

Der älteste Beleg für einen „Vernichtungsfeldzug“ ist gut und gerne 7000 Jahre alt. Er wurde in Talkirchen gefunden. Talkirchen liegt in Baden-Württemberg, Der Knochenfund umfaßt 34 Skelette und weist auf einen Genozid hin. Dieser wurde überwiegend mit Steinäxten verübt und kostete wohl alle Bewohner eines Dorfes das Leben. Sie waren zwischen zwei und etwa sechzig Jahren alt. Bedenkt man, daß noch in der Jungsteinzeit die Horde oder das Dorf mit 25 –50 Individuen ein „Volk“ bildeten, ist das Ereignis von Talkirchen der älteste nachweisbare Völkermord der Weltgeschichte.

Der Talkirchener Genozid ist der älteste nachweisbare, aber mit Sicherheit nicht der älteste Völkermord an sich. Aber bereits ein nachgewiesener steinzeitlicher Völkermord ist Indiz dafür, daß der Genozid, das willkürliche und rücksichtslose Töten von Artgenossen, zu den Eigenschaften des “modernen“ Menschen zählt. Genozidale Tendenzen zeigen sich in der ganzen Welt, bei allen Völkerschaften, wie der Genozid der Hutus an den Tutsis im Jahre 1994 mehr als deutlich macht. Wie in Talkirchen kamen keine „modernen“ Waffen zum Einsatz, erst recht keine sogenannten Massenvernichtungsmittel. Man benutzte wie vor 7.000 Jahren zum töten das Werkzeug, das man „gerade zur Hand“ hatte. (Der Völkermord im Süden des Sudan war, als die Ursprünge dieser Zeilen entstanden, noch Zukunftsmusik. Aber, seien Sie einmal ehrlich, wer kümmert sich schon um unsere Mitmenschen im Sudan?)

Die Bilder aus aller Welt sprechen eine deutliche Sprache: Der moderne Mensch hat bezüglich seiner Reaktion gegenüber dem Sozialpartner die Instinktbindung verloren und ist nicht mehr in der Lage, auf soziale Not- oder Unterwerfungssignale instinktsicher zu reagieren. Das macht ihn für seine Mitmenschen so gefährlich.

Der „moderne“ Mensch ist damit in eine Lage geraten, über die man erschaudern könnte, er zeigt, so die Beweislage, eine ausgesprochene Neigung zum Genozid, zum Völkermord. Darüber hinaus ist eine generelle Tendenz zum „Ausrotten“ unliebsamer Lebewesen nicht zu leugnen.

Soweit es die Wahrnehmung des Mitmenschen als Mensch betrifft, befindet ich der Mensch gegenwärtig auf einem niedrigeren Niveau als Schimpansen. Schimpansen haben keine Tötungshemmung gegenüber Angehörigen fremder Gruppen, wohl aber gegenüber den Angehörigen der eigenen Gruppe. Der „moderne“ Mensch verlor auch die Tötungshemmung gegenüber dem Sozialpartner.

Mit dem Fall dieser Tötungshemmung wurden die Bewohner Bottlenecks in ein Dilemma gedrängt: Rücksichtslosigkeit gegenüber den Nachbarn ermöglichte ihnen den gewaltsamen Zugriff auf deren „Vermögen“. Andererseits bezogen sie als exogame Wesen ihre Frauen von diesen. Das ungehemmte Vernichten artgenossenschaftlicher Konkurrenz hätte also rasch zum Untergang der entstehenden Subspezies des Menschen geführt. Die „Bremsen“, die den selbsternannten „Homo Sapiens Sapiens“ daran hindern, wahllos seine Artgenossen umzubringen, sind kultureller Natur. Deswegen können sie auch, die Geschichte zeigt es, jederzeit gelöst werden.

Die langfristige Isolation unserer Vorfahren auf „Bottleneck“ begünstigte die „Entartungserscheinungen“, die uns heute noch zu schaffen machen. Konrad Lorenz bezeichnete dies einmal als „Verhausschweinung des Menschen“.

Zusammengepfercht auf einer Insel „gewöhnte“ sich zumindest ein Teil der Bevölkerung genetisch an eine überwiegend seßhafte Lebensweise.

Wer seßhaft ist, der muß, das ist unabdingbar, mit erhöhter Aggressivität seine Lebensgrundlagen gegenüber nomadisierenden Artgenossen verteidigen. Denn diese werden ebenso arg- wie verständnislos versuchen, die Nahrungsquellen der Seßhaften zu nutzen. – Auch dafür gibt es eine Fülle von Beispielen aus dem heutigen Afrika, ja selbst aus Indien. So traurig es ist, aber es fand eher ein „Verkampfhunden“ denn eine „Verhausschweinung“ statt.

Auf „Bottleneck“ nahm der „Kampf ums Dasein“ seinen Anfang, den Charles Darwin später zu Unrecht in die Natur projizieren sollte.

Als vor rund 8.000 Jahren die dem Australopithecus Superbus Procrustes eröffneten Lebensräume mehr als gefüllt waren, gewann die latent vorhandene Fähigkeit zur seßhaften Lebensweise die Oberhand. Nomanden wurden an den Rand gedrängt. Aus europäischer Sicht kann man mit Fug und Recht behaupten, daß rund um das Mittelmeer die Nomandenvölker in die Wüste geschickt wurden.

Es entstanden die sogenannten „Hochkulturen“, die den Ausgangspunkt für die Entwicklung eines auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam beruhenden „Staatswesens“ bildeten. Das wurde zur Anfangsbedingung für die Entwicklung des Militärwesens. Dieses wiederum gipfelt in der der bedenkenlosen Erfindung von Atomwaffen, Stealth-Bombern und vor allem darin, daß diese Waffen ebenso bedenkenlos eingesetzt werden wie sich geschaffen wurden. – Und man ist sogar noch stolz auf diese Errungenschaften der „Zivilisation“.

Zivilisation“ – was ist das eigentlich? – Das lateinische „civilis“ läßt sich sowohl mit „bürgerlich, den Bürger betreffend“ übersetzen als auch mit „herablassend“. – Schaut man sich in dieser Welt einmal um, findet die „Zivilisation“ eher in der letztgenannten Übersetzung ihren Ursprung. Herablassend sind vor allem die Dominanten. Die Subdominanten leisten unbedingten Gehorsam, weil sie nicht anders können, denn ihr Instinkt leitet sie. Im Grunde wissen sie nicht, was sie tun.

Die „Allgemeine Wehrpflicht“ ist die wohl schamloseste Ausnutzung des Gehorsamstriebs durch die Inhaber der obersten sozialen Dominanzpositionen. Auch die Neigung zur Selbstgefährdung wird von dieser schamlosesten aller Ausnutzungen erfaßt. Mit Einführung der allgemeinen Wehrpflicht kehrte sich die genozidale Tendenz der „Mächtigen“ gegen die „eigenen“ Leute. Das „Diskriminierungsmerkmal“, das diesen den Tod bringt ist die „Staatsangehörigkeit“.

Begangen wird diese Form von „Völkermord am eigenen Volk“ durch die befehlshabenden Offiziere, verübt wird er letztlich durch Soldaten, die Reisepaß und Soldbuch eines „feindlichen“ Landes in der Tasche haben.

Halten wir zum Abschluß fest:

Nicht einer der Männer, die am 6. Juni 1944 die Landungsboote verließen, stand unter dem Schutz der Verfassung des Landes, dessen Uniform er trug. Sie alle waren ihrer Menschenrechte beraubt und wurden von ihren „Führern“ ermordet. Sie wurden ermordet wie ihre Kameraden, die am 20. Juli 1944 versucht hatten, sich vom Joch des unbedingten Gehorsams zu befreien. Bis auf die letzten Gabelungspunkte ist für die Männer des 6. Juni und die des 20. Juli 1944 der Weg identisch: Sie haben Befehlen gehorcht. Und auch die Männer, die den Aufstand im Warschauer Ghetto anzettelten, hatten bis zu diesem Zeitpunkt den „Anweisungen und Befehlen“ der „Besatzungsmacht“ offenbar widerspruchslos „gehorcht“.

Nicht nur für mich, ich hoffe, auch für Sie ergibt sich aus dem oben Gesagten, daß die Verhaltensmuster „Gehorsam“, „Tauschen und Teilen“ sowie „Selbstgefährdung“ niemals wieder in der Weise zusammentreffen sollten, wie es damals geschah.

Dennoch geschieht all das auch heute noch, Tag für Tag, ohne daß sich jemand darüber aufregen würde. Es war halt immer so.+

Stellen wir trotzdem, Konfuzius folgend, die Namen und Begriffe richtig:

Jeder militärische „Führer“oder „Unterführer“ hat für das Wohlergehen der ihm anvertrauten Männer zu sorgen. Der militärische Sprachgebrauch ist älter als der Nationalsozialismus und wird unabhängig davon bis heute weiterverwendet. – und das ist gut so: Horde, Herde, Rudel oder Schar, alle tierischen Sozialgemeinschaften, bis hin zum Insektenstaat – sie alle sind Überlebensgemeinschaften, präziser gesagt „Aufzuchtgemeinschaften“. Wenn Lebewesen in einer Sozialgemeinschaft leben, ist diese im Evolutionsprozeß unabdingbare Voraussetzung für die Erhaltung der Art. Sozialgemeinschaften können, ganz im Gegensatz zu den „Sozialgemeinschaften“ des Militärs, niemals „Untergangs- oder Sterbensgemeinschaften“ sein. Bis zum Auftreten des „modernen“ Menschen folgten menschliche Horden unbedingt diesem Pfad der Evolution. Das ist aus den Knochen der Neandertaler unschwer abzulesen. Daraus folgt: wie ein Hordenführer der Neandertaler ist jeder Offizier oder Unteroffizier dafür verantwortlich, daß die ihm anvertrauten Menschen die Ausführung einer jeden Weisung unbeschadet überstehen! –

Gedankenstrich“

In diesem Zusammenhang ist es nützlich, an die Definition des Befehls zu erinnern, die jeder, der in der Bundeswehr gedient hat, auswendig lernen mußte:

Befehl ist die Anweisung zu einem bestimmten Verhalten, die ein militärischer Vorgesetzter einem Untergebenen mündlich, schriftlich oder in sonstiger Weise mit Anspruch auf Gehorsam erteilt.

Es dürfte unmittelbar einleuchten, daß es den Befehl „stirb!“ nicht geben kann. Kann es ihn individuell nicht geben, ist er auch für den Trupp, an den er gerichtet ist, mit Sicherheit nicht bindend.

Sollten Sie es überlesen haben:

Jeder militärische „Führer“oder „Unterführer“ hat für das Wohlergehen der ihm anvertrauten Menschen zu sorgen.

Und nun lassen Sie sich folgende Worte auf der Zunge, die bislang nur den Geschmack der Propaganda gekannt hatte, genüßlich zergehen.

Hat nicht jeder Mensch das Recht auf Notwehr? – Und wenn jeder Mensch das Recht auf Notwehr hat, hat dann nicht jeder Mensch das Recht, dem Notwehrberechtigten beizustehen? – Sowohl zivil- als auch strafrechtlich ist derjenige im Recht, der Notwehr zugunsten eines Dritten ausübt (Nothilfe).

Notwehr ist, so steht es in § 32 des deutschen Strafgesetzbuches, „die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen, rechtswidigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwehren.

Das Erteilen des Befehls, die Grenzen des eigenen Territoriums mit Waffengewalt zu überschreiten (Angriffsbefehl), ist ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff auf Leben und Gesundheit der eigenen Leute und auf die Menschen, deren Rechte durch den befohlenen Angriff verletzt werden sollen.

Wer also einen Angriffsbefehl gibt, der stellt sich selbst außerhalb der Rechtsgemeinschaft, die alle Menschen nun einmal bilden. Nochmals: Wer einen Angriffsbefehl erteilt, schließt sich aus der Rechtsgemeinschaft selbst aus, wie jemand, der in Tötungsabsicht mit dem Messer auf Sie einsticht. Sticht jemand mit dem Messer auf Sie ein, dauert der „Angriff“ wenige Sekunden. Gibt ein „Führer“ einen „Angriffsbefehl“, kann die daraus resultierende Abschlachtungsorgie Jahre dauern. Damit bleibt der „Angriff“ im Sinne der Notwehr dauerhaft „gegenwärtig“. Folglich steht derjenige, der einen Angriffsbefehl erteilt, bis zum Befehl: „Feuer einstellen!“ außerhalb der menschlichen Rechtsgemeinschaft. Ihn zu töten, um das Töten zu beenden, ist nicht rechtswidrig.

Sie sollten, ich muß das hier einflechten, jedoch nicht versuchen, einem der „Mächtigen“ deswegen den Garaus zu machen, das könnte leicht in der Todeszelle oder, schlimmer noch, in Guantanamo enden! Denken Sie daran, die Mächtigen dieser Welt scheren sich einen feuchten Kehricht um das, was Recht ist. Sie benutzen die Gesetze zum Machterhalt, nicht im Sinne der Gerechtigkeit.

Das aber wiederum kann an den eigentlichen Verpflichtungen militärischer Führer gegenüber den ihnen Anvertrauten nichts ändern. Ich wiederhole:

Gibt ein „Führer“ einen „Angriffsbefehl“, kann die daraus resultierende Abschlachtungsorgie Jahre dauern. Damit bleibt der „Angriff“ im Sinne der Notwehr dauerhaft „gegenwärtig“. Folglich steht derjenige, der einen Angriffsbefehl erteilt, bis zum Befehl: „Feuer einstellen!“außerhalb der menschlichen Rechtsgemeinschaft. Ihn zu töten, um das Töten zu beenden, ist nicht rechtswidrig.

Nimmt man die Verpflichtung hinzu, die ein militärischer Führer nach dem oben Gesagten gegenüber seinen Untergebenen hat, folgt daraus die Pflicht des Offiziers, dem Vorgesetzten, der ihm einen Angriffsbefehls erteilt, die Pistole auf die Stirn zu setzen und abzudrücken.

Damit kommen wir zu der folgenden grausamen Einsicht:

Die Behauptung, mit der Invasion vom 6.6.1944 wäre die Befreiung Europas vom Joch des Terrors eingeleitet worden, wird weder den Opfern des 6.6.1944 noch denen des 20.7.1944 noch denen des Warschauer Aufstands gerecht.

Die „Helden“ des 6.6.1944 waren aus Gründen einer mehr als zweifelhaften „Staatsräson“ „Verbündete“ Stalins und damit dessen Helfershelfer. – Daß Stalin nicht ein Freund der Menschenrechte war, war den Herren Churchill, Roosevelt und De Gaullehinlänglich bekannt.. Dennoch lehnten sie einen separaten Waffenstillstand mit dem Deutschen Reich für den Fall der Beseitigung des „Führers“ ab.

Sie waren also bereit, ohne Wenn und Aber eine unbestimmte Anzahl ihrer eigenen Leute weiterhin in den Tod zu schicken.

Rund 50.000 davon verschlang allein der Hürtgenwald in der Nähe von Aachen.

Bei der „Befreiung“ Deutschlands vom Nationalsozialismus“ folgten sowohl Stalin als auch die „Führer“ der Westalliierten einer ganz simplen, und bewährten, wenn auch perfiden Strategie:

Schicke so viele deiner eigenen Leute in die Schlacht, daß es dem Gegner unmöglich ist, sie alle außer Gefecht zu setzen. – Man wollte den Sieg, ohne Rücksicht auf Verluste – und die gab es reichlich.

Und damit kommen wir zu einer noch grausameren Einsicht:

Es hätte ohne die Einführung der „Allgemeinen Wehrpflicht“ als Folge der französischen Revolution die Kriege des 19. und 20. Jahrhunderts nicht gegeben.

Qualifiziert man die „Allgemeine Wehrpflicht“ als Völkermord an den eigenen Leuten, dann ist sie das größte Verbrechen gegen die Menschlichkeit, daß die Welt je gesehen hat.

Ein Verbrechen, das nicht enden will. Deswegen ist jeder Offizier, der einem„Wehrpflichtigen“ einen Befehl erteilt, der diesen in Lebensgefahr bringt, vogelfrei, er steht außerhalb jeden Rechts.

Erst recht außerhalb der Rechtsgemeinschaft aller Menschen stehen die „Inhaber der obersten Befehls- und Kommandogewalt“. Sie haben im Grunde nichts zu sagen und erst recht nichts zu befehlen, maßen sich aber die Befugnis an, ganze Armeen in den Tod zu schicken.

Ein Offizier, der angesichts dessen seine Untergebenen nicht im Sinne der Notwehr vor ihnen schützt, hat auf seinem Posten eigentlich nichts verloren. Wo einer nichts verloren hat, hat er auch grundsätzlich nichts zu suchen. Es sei denn, er entscheidet sich für das Wohlergehen seiner Untergebenen.

Aber es wird einstweilen keinen Aufstand der Offiziere und Unteroffiziere geben, weil die Tradition stärker sein wird als die bessere Einsicht:

In dieser Hinsicht unterscheidet sich der Primat „Mensch“ nicht von japanischen Rotgesichtsmakaken. ja nicht einmal von Bären und Graugänsen. Bären und Graugänse müssen verhungern, wenn sie nicht die Nahrung bekommen, die sie von Kindesbeinen an gewohnt sind. Die Tradition hat sie unfähig gemacht, das Notwendige später zu lernen. Wenn es Sie in eine unwirtliche Gegend verschlägt, kann es sein, daß auch Sie eher verhungern als ungewohnte Nahrungsmittel zu verspeisen.

Was Sie fressen, ist Ihre Privatsache, wen Sie umbringen jedoch nicht!

Vor diesem Hintergund können wir zum eingangs erwähnten Dialog zwischen Kain und Gott zurückkehren.

Soll ich meines Bruders Hüter sein?“

Ja, Kain, Deines Bruders Hüter sollst du sein; nicht sein Vormund und erst recht nicht sein „Vorgesetzter“.

Weil die Bibel diese Anwort unterschlagen hat, schreit die Simme des Blutes unserer Brüder und Schwestern immer noch von der Erde zum Himmel.


Die ungerechte Welt der Menschenaffen – Das falsche Weltbild unserer Politiker

August 18, 2012

Experiment: Die ungerechte Welt der Menschenaffen – Nachrichten Wissenschaft – Natur & Umwelt – WELT ONLINE.

Ist die Welt der Menschenaffen „ungerecht“ – oder ist uns der in Jahrmillionen bei unsseren Vorfahren entstandene „Tausch- und-tiel-Instinkt teilweise abhanden gekommen. – Den Prozeß des „Abhandenkommens“ von körperlichen Strukturen oder Verhaltensmustern nennt der Biologe „Rudimentierung“.  Ist beim „modernen“ Menschen der Tausch- und-teile-Instinkt rudimentiert? – Es spricht einiges dafür.

Bevor Sie die „Zwei Seelen“ kennenlernen, die auch in Ihrer Brust wohnen, weise ich auf die in den letzen Jahren gewonnenen Erkenntnisse hin, die den von mir postulierten „Tausch-und teile-Instinkt“ nahzu unvermeidlich machen. Und leider auch dessen Verkrüppelung.

Armin Falk hatte in seiner grundlegenden Arbeit „Homo oeconomicus versus homo reciprocans“ die Verhaltensmuster beschrieben, die den Schluß auf „Gerechtigkeit“ als instinktives“, also „angeborere“ Weltanschauung nahelegen. – Falk wies schon damals auf das reziproke Verhalten als Ursprung der „Blutrache“ hin. – Der Biologe würde es als „Entartung“ bezeichenen.

Das „i“–Tüpfelchen erschien dann in  BILD DER WISSENSCHAFT

Rache und Gerechtigkeit spiegeln sich im „Belohnungszentrum des Gehirns wider. Das aber können sie nur tun, wenn sie vor jeder schulischen, erzieherischen oder juristisch eingebleuten Eerfahrung vorhanden sind. Als „A Priori“ im Sinne Immanuel Kants. – Etwas im voraus zu kennen, ohne je damit eine Erfahrung gemacht zu haben. – Der Biologe nennt das Instinkt.  –

Wir brauchen nicht bei Adam und Eva anzufangen, es reichen Kain und Abel, um dem Tausch-und-teile-Instinkt auf die Spur zu kommen:

…3. Es begab sich aber nach etlicher Zeit, daß Kain dem Herren Opfer brachte von den Früchten des Feldes;

4. und Abel brachte auch von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der Herr sah gnädig an Abel und seine Opfer.

5. Aber Kain und seine Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr, und seine Gebärde verstellte sich.

6. Das sprach der Herr zu Kain: Warum ergrimmst du? warum verstellt sich deine Gebärde?

7. Ist’s nicht also? wenn du fromm bist, so bist du angenehm, bist du nicht fromm, so ruhet die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Ver­langen, du aber herrsche über sie…(1. Buch Mose Kap.3)

Die Bibel läßt uns leider in Unkenntnis darüber, warum Kain seinen Bruder erschlug, überliefert ist lediglich: 9. Da sprach der Herr zu Kain, wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: ich weiß es nicht, soll ich meines Bruders Hüter sein?

Ebenso rätselhaft wie das Motiv für die sinnlose Bluttat des Kain ist der Umstand, daß Gott Kain dafür nicht bestrafte, sondern durch das „Kainsmal“ dafür Sorge trug, daß ihm die anderen kein Leid zufügten. – Irgendwie paßt die Geschichte hinten und vorne nicht.

Da wir uns mit Jirkas Boot mitten in der Schöpfungsgeschichte befin­den, könnte in den augenscheinlich widersprüchlichen und unvollstän­digen Angaben der Bibel dennoch ein Wegweiser der Evolution ver­steckt sein.

Dann müßte an dieser Stelle der Bibeltext eine verschlüsselte Botschaft enthalten, die eine evolutionäre Veränderung des Menschen zum Gegen­stand hat. Schauen Sie sich nochmals die oben zitierten Verse drei bis fünf an.

Es fällt auf, daß Gott offenbar das Opfer Abels höher bewertet als das des Kain. Abel bringt schließlich Fleisch, Kain nur Obst und Gemüse. Kain verfällt der Mißgunst und wird gewalttätig. Der Streit dreht sich folglich um die Art der Ernährung, ihre Wertschätzung und ihre Vertei­lung. Im Gegensatz zu Abel scheint Kain nur sehr widerwillg bereit ist, von den Früchten seiner Arbeit etwas abzugeben. Das alles hat noch sehr wenig mit unserer eigenen Vorstellungswelt zu tun, aber wir dürfen nicht vergessen, daß der Supermarkt an der Ecke uns die „Nahrungssuche“ und die „Beuteverteilung“ weitgehend abgenommen hat. Das gibt Anlaß, unser Verhalten und das unserer Verwandten bei der Nahrungsverteilung näher zu beleuchten.

In allen Kulturen gab und gibt es ein Problem, daß unter dem Schlag­wort Verteilungsgerechtigkeit auch bei uns Forore machte.

Wolfgang Wickler nimmt zur Beuteverteilung beim Schimpansen wie folgt Stellung:

…Der erfolgreiche Jäger ist dann im Besitz des von allen begehren Fleisches. Und nun zeigt sich, daß es in der Schimpansengruppe keinen Zweifel darüber gibt, wer der Eigentümer der Beute ist. Selbst ranghö­here Männer, die dem Jäger die Beute ohne weiteres mit Gewalt ab­nehmen könntten, setzen sich statt dessen neben ihn und bitten mit offen vorgestreckter Hand um ein Stück Fleisch. Meist bekommen sie auch etwas, aber durchaus nicht immer und oft erst nach langem Warten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang nicht so sehr, daß das Fleisch durch Bitten und Geben verteilt wird, sondern daß wieder das von allen begehrte Objekt als Eigentum eines einzelnen tabu ist un ihm von den anteren zugestanden wird.“1

Nachfolgend gebe ich einen Beitrag von Rudolf Bilz zu diesem Thema vollständig wieder, weil er sich meiner Meinung nach nicht kürzen läßt, ohne den Inhalt und den Sinn zu verfälschen. Ferner schlägt Bilz darin eine Brücke von der hier besprochenen Epoche menschlichen Daseins zu unserer unmittelbar anschaulichen Gegenwart. OhneSinnveränderung können Sie allerdings die darin enthaltenen Begriffe „Biologische Radikale“ und „Identische Exekutive“ durch den Begriff des Verhaltensmusters ersetzen.

Die Identische Exekutive einer Bejahung

Wir sind Zeuge, wie ein Kindermädchen, das soeben gemeinsam mit einem drei  oder vierjährigen Kinde Leckerei aufgenascht hat, ihm klarmachen will, daß nun nichts mehr »vorhanden« oder »zuhanden« ist. Unsere Hände sind es, die   ebenso wie die Affenhände   die Nahrung dem Munde zuführen. Das Mädchen streckt die offenen Handteller vor, während es mit weit offenem Munde sagt: »Ah, alles alle..< Die Anhäufung des A Lautes besagt: »Schaue mir in den Mund, da ist auch nichts mehr.< In den Händen nicht und im Mund nicht. Man kann tatsächlich feststellen, wie Kinder sich gegenseitig den Mund inspizieren. Man stellt empirisch das Nichts fest, ob es sich auf die Hände oder den Mund bezieht. Non habeo. Man kann auch feststellen, wie Hunde, die noch nicht gesättigt sind, einander die Schnauzen beschnuppern

.Die Stimmung (Erlebnisbereitschaft), die nun in dieser Situation aufkommt, könnte man als die Verzichts Stimmung bezeichnen. Es gibt drei Möglichkeiten menschlichen Reagierens im Appetenz Verhaltcn resp. im Hungern: I) Das Kind bettelt, d. h. es streckt die Non habeo Hände vor. Betteln ist sozusagen das angeborene Recht des Kindes. Man wird nicht sagen können, daß die kleinen Kinder neidisch auf ihre Eltern sind. Im Gegenteil, je reicher die Eltern anmuten, desto mehr erhöht sich das Selbstwert Gefühl der Kinder, vorausgesetzt, daß es sich um biologisch gesunde Relationen handelt. Angenommen, das Kindermädchen hätte einige Brocken versteckt, so würde das Kind endlos betteln, hätte es davon Kenntnis. Das Mädchen steht als eine Mutter Imago vor ihm. Jetzt dagegen, nachdem das Mädchen dem Kind das Nichts sinnfällig demonstriert hat, so daß Mißtrauen nicht besteht, ist das Kind beruhigt. Verzichtsstimmung. Es gibt 2) die Möglichkeit, daß zwei etwa gleichaltrige Geschwister gemeinsam über Nahrung verfügen. Ob in diesem Falle das Mißtrauen so rasch erlischt, ist die Frage. Hier bettelt man nicht, wenn das Subjekt Nahrung auf der anderen Seite vermutet, sondern man fühlt sich betrogen, fordert und wird aggressiv. So praktiziert sich >Brüderlichkeit< bei Kindern. Situation 3) ist gegeben, wenn Alpha über Nahrung verfügt, der Herr, der seit Urzeiten als der »Nahrungs Oberherr< respektiert wird. Wenn der mächtige Pavian mit einigen Weibchen oder auch untergeordneten Männchen im Käfig sitzt und ich werfe Bananen in den Raum, so gehören zunächst alle Früchte dem hohen Herrn. Er wird nicht von den anderen belästigt, weder angebettelt noch angegriffen, solange das »Prinzip des geleckten Knüppels< gilt, d. h. solange er sich radikal durchsetzen kann: Wenn er sie mißhandelt, weil sie sich unbotmäßig verhielten, nehmen sie ihm das nicht übel, sondern buhlen trotzdem oder sogar »erst recht  um seine Gunst. Geduldig warten sie, bis er gesättigt ist und in der Stimmung einer Jovialität das Interesse an den Früchten verliert.

J. van Lawick Goodall (I) berichtet aus ihren Aufzeichnungen: Ein junger Schimpanse hatte einen Colobus Affen getötet. Ohne viel Aufhebens wurde die Beute zerrissen »und unter der ganzen Gruppe verteilt, ohne Kampf und Streit . Diesem jungen Burschen kam das Nahrungs Privileg nicht zu, darum konnte man nach dem Likendeeler Prinzip verfahren: Aufteilung zu etwa gleichen Teilen, ohne daß Neidgefühle zustande kommen. Ganz anders dagegen liegen die Voraussetzungen, wenn einer der hohen Herren am Hebel sitzt. Ich möchte diese ganz andere Situation als die Feudalsituation bezeichnen: »Die anderen Mitglieder der Gruppe zeigen Ehrerbietung. Sie sitzen so nahe wie möglich bei dem Männchen, schauen mit Stielaugen auf das Fleisch und halten die Hände bittend hoch , lesen wir bei van Lawick , Goodall. Von einer Gleichteiler Gerechtigkeit kann hier sowenig die Rede sein wie in dem Paviankäfig. Im Gegenteil, van Lawick Goodall berichtet, daß der Herr des Fleisches die Artgenossen unterschiedlich behandelt, so daß es  wie in der Feudalzeit »bei Hofe< _ Günstlinge gibt, die bevorzugt werden. Ich könnte mir denken, daß die in unserer Sprache geläufige Wendung »jemand wird abgespeist< auf Situationen dieser Art hinweist: Der Herr selber >speist<, während die armen Schlucker »abgespeist< werden. Neid wird es in diesen Situationen nicht geben, solange die >Ehrerbietung< oder zumindest der Respekt vorhält.

Welche von den drei Situationen dominiert, wenn bei uns Notzeiten herrschen? Wir haben es erlebt, daß die Nahrung knapp war, im besonderen während der beiden Kriege, aber auch unmittelbar nach den beiden Kapitulationen. Die Ranghohen sind auch bei uns die Nahrungs Oberherren. Das Verteilungsprivileg liegt in des Wortes Wahrster Bedeutung »in ihren Händen. Irgendwie müssen wir »abgespeist« werden, was so geschieht, daß man sog. Kartenstellen errichtet: Wir erscheinen bei Alpha, diesen Ämtern, und erhalten Nahrungsäquivalente, d. h. farbige Karten, die mit Anweisungen bedruckt sind und die man damit den Banknoten vergleichen könnte. Aber wir haben keine Kontrolle und Mitbestimmung. Eins steht fest, wenn es wirklich zu einem allgemeinen Verhungern käme, würden die »Oberherren unserer Nahrung< die allerletzten sein, die am Nahrungsmangel sterben. Mit anderen Worten: Die  Stielaugen  derer, denen der Magen knurrt, und die Alpha Gestalten, denen die Verfügung über die eßbaren Dinge zusteht, sind auch noch bei uns, zum mindesten in den Hungerzeiten, sichtbar.

Bei uns ist es Alpha, die Bürokratie, die den Platz des ranghohen Schimpansen einnimmt und den Leuten den Brotkorb mehr oder weniger hochhängt. Was man am Gombe Strom in Ostafrika als die »gemeinsamen Futterstellen  (van Lawick Goodall) bezeichnet, sind bei uns die Lagerhäuser resp. die Lebensmittelgeschäfte. Bei uns sind die Beamten »die großen Tiere, denen wir Respekt zollen. Gleichzeitig, während in den Hungerzeiten die staatliche Bürokratie sich als die Nahrungs Oberherrin aufspielt, gibt es eine zweite Erscheinung, die einen paläoanthropologischen Akzent aufweist: Während in den Städten die Nahrungsknappheit herrscht, gewinnt das Land eine bis dahin unvorstellbare Bedeutung. Es etabliert sich dortselbst ein Tauschhandel allerprimitivster Art.

Während des letzten Krieges ging das bittere Scherzwort um, daß die Bauern ihre Kuhställe mit Perserteppichen auslegen könnten, wenn sie wollten, da die hungrigen Städter ihnen unglaubliche Tauschangebote machten. Wer Nahrung »erzeugt«, also die Bauern, erlangt jetzt ein Prestige, während die Städter, unabhängig von ihren Bankkonten, zu »armen Schluckern« degradiert sind. Geld oder Kontoauszüge sind nicht eßbar. Nahrungs Oberherren sind nun die Bauern, die »Erzeuger«, so daß man sagen kann, daß sich die Relationen einer Urzeit in Annäherung aufs neue etablieren: Die »Stielaugen« glotzen nun aus den freundlich höflichen Gesichtern der Stadtbewohner, die mit Rucksäcken weite Wanderungen über die Dörfer machen, um sich bei den »Erzeugern« anzubiedern. Fleisch und Feldfrüchte sind nun Trumpf. Diese Non habeo Hände kommen zu Fuß anmarschiert, da ihnen das vordem so repräsentative Automobil von der Wehrmacht beschlagnahmt wurde. Mit dem Aufkommen des Hungers ist ihnen die Tünche des Grandseigneurs abhanden gekommen. So treten sie bescheiden in die Erscheinung, wie es sich für »arme Schlucker« gehört. Selbst ein armer Dorfbewohner, der nichts als ein Schwein und eine Ziege besitzt, ist jetzt ein »Herr der Tiere«, verglichen mit diesen Leuten, die von der »Hand in den Mund« leben und die man »Hamsterer« nannte.

Bevor ich die Identische Exekutive einer Bejahung beschreibe, die noch heute, mitten im üppigsten Wohlstand, nahrungsbezogen lebendig ist, gebe ich noch einen Bericht über das Verhalten der wilden Schimpansen wieder: In dem Grundriß der vergleichenden Verhaltenserforschung von I. Eibl Eibesfeldt (2: S. I42) finden sich zwei Photos, die Schimpansenhände darstellen. Gerade auf die Hände kommt es mir an. Diese Aufnahmen gehen zurück auf die Eheleute van Lawick Goodall. Frappierend ist dabei die Tatsache, daß die Non habeo Hand erscheint, die bettelnd vorgestreckt wird. Man wird ohne weiteres erraten, daß hier ein Subjekt Nahrung »haben« will. Wenn Non habeo Hand gegen Non habeo Hand steht, so bedeutet die zweite Hand, daß die Bitte der ersten, die zugleich eine Frage Hand ist, negiert wird. Hier dagegen ist die zweite Hand in Pronations Stellung, d. h. daß der Handrücken nach oben gedreht ist. Man siehe auf dem Photo, wie die Pronations Hand in die Non habeo Hand hineingreift. Wir sind gespannt, was sich aus dieser Zuordnung ergibt. Eibl Eibesfeldt schreibt: »Der Rangniedere hält die Hand mit nach oben gekehrter Handfläche dem Ranghohen hin.« Wir brauchen dazu nichts zu bemerken: Das ist die Geste des Bettlers, der die Non habeo Hand vorstreckt. Im Text liest man alsdann: »Die Initiative geht vom Rangniederen aus, der in einer Bettelbewegung die nach oben offene Hand dem Ranghöheren reicht.« Und nun der entscheidend bedeutsame Satz, der das Kernstück unserer weiteren Erörterungen über die Identische Exekutive einer Bejahung ist: Rangniedere holen auf diese Weise auch das Einverständnis Ranghöherer ein, wenn sie z. B. in ihrer Gegenwart Futter von einer gemeinsamen Futterstelle holen wollen

Hier stoßen wir auf eine Geste der Bejahung: Die pronierte Hand des ranghohen Schimpansen bringt eine Zustimmung zum Ausdruck: »Ja, du darfst

dir Nahrung von der gemeinsamen Futterstelle holen.« Wenn man es mit einem im Viehhandel geläufigen Ausdruck der deutschen Sprache bezeichnen wollte, so müßte man sagen: Der Schimpanse, der die Non habeo Hand vorstreckt, erhält seitens des Ranghohen, der die pronierte Hand ausstreckt, »den Zuschlag«.

Es soll meine Aufgabe sein, abschließend über das Brauchtum des »Zuschlags« zu sprechen: Wenn wir im Krieg auf der sog. Kartenstelle die Lebensmittelkarten abholten, wurden uns diese in einer formlosen Weise ausgehändigt. Um es negativ zu sagen: Wir streckten die Non habeo Hände nicht vor, und der Beamte gab uns nicht mit betont pronierter Hand die Lebensmittelkarte in die offene Hand, die uns berechtigte, zu der »gemeinsamen Futterstelle«, nämlich in das Lebensmittelgeschäft, zu gehen. Dieses Parallelverhalten (Identische Exekutive) war nicht festzustellen, aber es gab und gibt genau diese Verhaltensexekutive bei dem sog. Zuschlag: Wenn ein Metzger auf dem Dorf eine Kuh kauft, die er schlachten und deren Fleisch er an die städtische Bevölkerung verkaufen wird, so hält er dem >>Oberherrn der Nahrung«, in diesem Falle dem Bauern, die Non habeo Hand vor, in die dieser genauso wie der ranghohe Schimpanse auf dem Photo mit pronierter Hand »einschlägt«. Aus der Vereinigung der supinierten (offenen) und der pronierten Hand ergibt sich der »Zuschlag«. Es hat sich uns bei diesem Anblick das Paradigma für die Identische Exekutive einer Bejahung bezeugt.

Ich darf sagen, daß ich in meiner Kindheit des öfteren einem Kuhhandel auf dem Dorfe beigewohnt habe. Bauer und Metzger mochten miteinander feilschen oder sich sogar Grobheiten sagen, d. h. sich als »Spitzbuben« titulieren, wenn der »Handel«   ein Wort, das auf die Hand hinweist  zustande kam, streckte der Metzger die Non habeo Hand vor, während der Bauer seine pronierte rechte Hand in die offene Hand des Partners hineinschob. Nun war das Rechtsgeschäft gültig. Seitens des Bauern war der »Zuschlag« erfolgt. Es ist unvorstellbar, daß umgekehrt der »Oberherr der Nahrung«, nämlich der Bauer, die offene Hand vorschiebt. Das wäre unsinnig, denn er will ja nichts »haben«. Er kann bei diesem »Handel« nur geben, nämlich sein »Ja« und mit diesem zusammen die Kuh. Dem Geldäquivalent kommt dabei nur eine sekundäre Bedeutung zu. Ich habe mich überzeugt: Das Zuschlagbrauchtum ist noch heute   im Jahre I969   auf den Dörfern in der Umgebung von Mainz bekannt. Es war mir wichtig, auch eine Geste der Bejahung als Identische Exekutive zu zeigen. Man darf annehmen, daß die Gestik älter ist als die verbale Sprache. Wer von uns hätte gedacht, daß sogar schon die wilden Schimpansen einen nahrungsbezogenen »Zuschlag erteilen«. So darf man wohl sagen, daß dieses »Ja« aus einer fernen Urzeit auf uns gekommen ist. Auch in dieser Situation   und zwar identischen Situation _ gilt die Formel: Semper idem. Es handelt sich um eine Abfolge von motorischen Zuordnungen, die so und nicht anders erfolgen. Die Umkehrung ist, wie bemerkt, unvorstellbar, wenn diese Situation gegeben ist. Das alles liegt in unserem >Es<. C.G. Jung würde sagen: in unserem kollektiven Unbewußten.

Einen »Oberherrn der Nahrung« gab es im menschlichen Dasein wohl seit den Uranfängen, was damit zusammenhänge, daß der Mensch als zoon politikon lebt, ebenso wie die Schimpansen. Das Nahrungsprivileg steht Alpha zu. Als unsere Vorfahren im Verlaufe der Evolution, wobei ich an die europäische Steinzeit denke, als Jäger und Sammler in Erscheinung standen, gab es Herren sogar der lebenden Wildtiere. Streng genommen müßte man den Alpha Schimpansen als »Herrn der Beute« und der Gemeinsamen Futterstellen« bezeichnen. Man stellte sich »Herren der Wildtiere« noch unlängst bei den Eskimos und den sibirischen Jägervölkern vor, nämlich göttliche Wesen, wie sie Speck (3) in seinem Buch Naskapi beschreibt. Auch da war von Zuteilungen die Rede, auch von Günstlingen, die bevorzugt wurden. Wir würden heute vom »Jagdglück« sprechen. Diese Vorstellungen gehörten zur Religiosität dieser Jäger, so wie sie zum religiösen Repertoire unserer Vorfahren gehörten, die mancherlei Tabus zu beobachten hatten, d. h. daß sie auch Verpflichtungen auf sich zu nehmen hatten.

Die nächste Stufe auf dem Wege dieser Evolution wäre darin zu sehen, daß sich eine Anzahl der Wildtiere zähmen ließ. Das war nun gleichsam der Akt einer Säkularisation: Jetzt waren die Viehzüchter »Herren der Tiere«, was zugleich heißt: Oberherren der Nahrung. Ich könnte mir vorstellen, daß es Jäger in der vorgeschichtlichen Zeit gegeben hat, die nach einem vergeblichen Jagdzug zusammensaßen und dabei die utopische Idee aussprachen, daß einmal die Zeit kommen möge, wo man die Tiere in seinem eigenen Gewahrsam hat, d. h. auf Viehweiden oder in Ställen, wo man sie ohne weiteres wegführen und töten kann. Um dieses »Wegführen« handelt es sich, wenn der Metzger auf dem Dorfe erscheint, der gleichsam im Namen der anderen, die über Schlachtvieh nicht gebieten, von einem Gutsherrn oder Bauern ein Tier kaufen will. Die utopische Idee, daß Menschen zu Herren der Tiere werden, wurde Wirklichkeit. Wenn wir in dem Aufsatz VII/34 hörten, daß der Eskimo Schamane bei der »Herrin der Tiere« erschien, um von ihr Rentiere zu erbitten, so darf man daran denken, daß nun, einige tausend Meilen entfernt, bei uns der Metzger zum Bauern geht, um für die Stadtbevölkerung Fleisch zu beschaffen. Jetzt fällt dem Viehzüchter die Alpha Rolle des Herrn resp. der Herrin der Tiere zu, während der Metzger in der Rolle des Eskimo Schamanen ist. Metzger wie Schamane sind in der Rolle des Mittlers oder Vermittlers, und in beiden Fällen muß eine Zustimmung eingeholt werden. Das Ziel ist dasselbe: Nahrungsbeschaffung für die hungernden Mitbürger. Überraschend ist die Tatsache, daß die genaue Übereinstimmung des Verhaltens festgestellt werden kann: Die Photos, die wir den Eheleuten van Lawick Goodall verdanken, zeigen uns die Non habeo Hand und die »Zuschlagshand«, d. h. die pronierte Hand, die die Zustimmung ausdrückt. Hier bezeugt sich ein »Ja«.

Die Tatsache, daß Alpha der Herr der Nahrung ist, was sich auf Fleisch ebenso wie auf vegetabilische Nahrung beziehen kann, zeigt uns auch die vierte Bitte des »Vaterunsers«. Der Passus lautet: »Unser täglich‘ Brot gib uns heute«. Die Idee eines göttlichen Zuschlags (Zustimmung) ist eine der elementaren Vorstellungen im Sinne das Ethnologen Adolf Bastian (4). C. G. Jung würde von den archetypischen Zuordnungen sprechen. Da hat sich im Verlaufe der Jahrtausende nichts geändert. Man kann nicht sagen, daß das, was sich am Gombe Strom in Ostafrika ereignete, als die rangtiefen Schimpansen ihre Non habeo Hände vorstreckten, viel zu lange zurückliegt, als daß es für uns noch bedeutungsvoll sein könnte. Man wird sich vorstellen dürfen, daß es im Dasein unserer Vorfahren auch einmal das gleiche Betteln um die Gemeinsame Futterstelle« gegeben hat. Hier handelt es sich um Identische Exekutiven. Ich erinnere an das menschliche Küssen, das ebenfalls zu den nahrungsbezogenen Erbkoordinationen des Menschen gehört, d. h. als Identische Exekutive gelten muß. Das Küssen vollzieht sich ebenso beim modernen Menschen, wie es sich noch bei den wildlebenden Schimpansen vollzieht. Ich spiele damit auf die Zählebigkeit der Erbkoordinationen (= Identischen Exekutiven) an. Nachdem ich eine Reihe von Identischen Exekutiven aufweisen konnte, die sich auf die Negierung beziehen, wollte ich auch eine auf die menschliche Hand bezogene Identische Exekutive der Bejahung beschreiben. Übrigens fällt das Küssen bereits in die Gruppe der bejahenden Gesten.

Man wird zweierlei Identische Exekutiven unterscheiden: Die eine Gruppe wird von der Tradition gepflegt, während die andere als verpönt gelten muß. Man wird nicht sagen können   wenn ich an den Wadenkrampf erinnern darf, der auf einen Zehenstand anspielt , daß der coitus stans a tergo in den zurückliegenden Jahrhunderten christlich abendländischer Prägung propagiert wurde. Im Gegenteil. Trotzdem gab und gibt es diese Erbkoordinationen unverändert. Mit anderen Worten: Lernvorgänge müssen dabei nicht im Spiele sein. Wenn die affektiv eigengesetzliche Situation es erfordert, und zwar von sich her, bricht diese motorische Exekutive als »archaische Funktionsreserven (s) unwillkürlich hervor, unwillkürlich und unerwünscht Impuls seit der Zeit in uns liegt, als unsere Vorfahren ihren Vettern, den Schimpansen, noch weitgehend glichen, sie wurde aber auch in dem anderen Sinne vererbt, wie Brauchtum und Sitte über das Vorbild und ein Erlernen weitergegeben werden. Erlernen bedeutet hier Billigung. Der Impuls wird alsdann geduldet und kultiviert. Dieser Impuls übrigens muß nicht in jedem Falle als Rechtsbrauch Gebärde in die Erscheinung treten, sondern kann auch in einem allgemeineren, umfassenderen Sinne Bejahung oder Wohlwollen ausdrücken oder besiegeln: Wenn zwei Freunde sich streiten und fürchten müssen, daß die »Entzweiung« zu einem Status andauernder Aggressivität wird, kann einer von beiden dem anderen die Non habeo Hand entgegenstrecken, etwa mit den Worten: Ich schlage dir

Bei der anderen Gruppe von Identischen Exekutiven kann man dagegen von »Tradition« sprechen, und man wird sogar sagen müssen, daß dabei Lernvorgänge in einem gewissen Ausmaße im Spiele sind. Die Zuschlagserteilung, die ein Rechtsgeschäft besiegelt, d. h. die Endgültigkeit einer Bejahung zum Ausdruck bringt, wurde von Metzger Generation zu Metzger Generation weitergegeben, und zwar in dem doppelten Sinne: sie wurde vererbt, weil dieser Impuls seit der Zeit in uns liegt, als unsere Vorfahren ihren Vettern, den Schimpansen, noch weitgehend glichen, sie wurde aber auch in dem anderen Sinne vererbt, wie Brauchtum und Sitte über das Vorbild und ein Erlernen weitergegeben werden. Erlernen bedeutet hier Billigung. Der Impuls wird alsdann geduldet und kultiviert. Dieser Impuls übrigens muß nicht in jedem Falle als Rechtsbrauch Gebärde in die Erscheinung treten, sondern kann auch in einem allgemeineren, umfassenderen Sinne Bejahung oder Wohlwollen ausdrücken oder besiegeln: Wenn zwei Freunde sich streiten und fürchten müssen, daß die »Entzweiung« zu einem Status andauernder Aggressivität wird, kann einer von beiden dem anderen die Non habeo Hand entgegenstrecken, etwa mit den Worten: Ich schlage dir vor, daß wir uns nun wieder versöhnen.< der Partner jetzt seine Rechte proniert und sie in die dargereichte offene Vola manus schiebt, so bedeutet dieser »Zuschlag« dasselbe wie bei einem hitzigen Viehhandel, nämlich die Zustimmung. Ja, man wird unsere alltäglichen Begrüßungen, soweit sie mit einem Handschlag verbunden sind, in diesem weiteren, allgemeineren Sinne zu deuten haben. Eine Atmosphäre der Zustimmung, der Friedfertigkeit, wird damit gleichsam besiegelt.

Ich weise in diesem Denk  resp. Deutungszusammenhang auf die Tatsache hin, daß Menschen, die einander ablehnen, einander die Hand nicht zum Gruß reichen, und zum anderen, daß wir unseren Kindern sagen, daß sie dem fremden Besucher »das Patschhändchen geben« sollen, was als Ausdruck der Höflichkeit gilt. Später allerdings hat man zu warten, ob der Ranghohe uns mittels des Händedrucks seiner Huld versichern will. Ich kann nicht einfach dem hohen Herrn meine Non habeo Hand entgegenstrecken. Sind wir etwa ranggleich, was man nie so genau wissen kann, und ich strecke meine Hand aus, ohne daß der andere einschlägt, so gilt das als eine schwere Kränkung. Ist er eindeutig ein Mann hohen Ranges und ich habe ihm meine Rechte »geboten«, so gelte ich als ein Tölpel. Es muß dem hohen Herrn überlassen bleiben, ob er sich mir gegenüber als »jovial« erweisen will. Ich habe abzuwarten. Er bezeugt, wenn überhaupt, eine »herablassende< Brüderlichkeit. Man sieht, wie unser Anstandskodex auf Zeiten feudaler Ordnung zurückweist.

Ganz allgemein gilt der Handschlag als eine Geste bejahender »Brüderlichkeit«. Unklar bleibt in diesem Zusammenhang, ob die Männer hohen Ranges prinzipiell die Pronations Hand vorstrecken, etwa in gewissen Riten, so daß die Rangtiefen damit gezwungen sind, die Bettler Hand vorzuweisen, die sich in die huldvolle Pronations Hand schiebt. Ich habe einen englischen Film gesehen und glaube mich erinneren zu dürfen, daß der ranghohe Offizier, der ein Kriegsschiff inspizierte, die Front der Offiziere langsam abschritt, die ihm namentlich vorgestellt wurden, wobei er jedem einzelnen, Mann für Mann, die pronierte Hand entgegenstreckte, in die sie alsdann ihre Non-habeo-Hände einlegten. Man wird sagen können, daß hier ein huldvoller Akt demonstriert wurde, da ja die Pronations Hand die schenkende Hand ist. Es könnte allerdings auch behauptet werden, daß die rangtieferen Offiziere damit gedemütigt wurden, denn es wurde ihnen damit klar gemacht, daß sie nur »Almosenempfänger« sind. Verlangt ein Abstandskodex, daß der ranghohe Offizier bei Ritualen dieser Art niemals seine Non habeo Hand vorstrecken darf?

Eine Feststellung empirischer Art liegt eindeutig vor: Wenn eine Dame der sog. oberen Zehntausend, z. B. auf einem Symposion von Wissenschaftlern, die männlichen Teilnehmer begrüßt, so wird sie ihre Rechte in Pronationshaltung vorstrecken. Von Männern, die Kinderstube haben« oder die zum mindesten bemüht sind, diesen Eindruck zu erwecken, wird diese Hand ergriffen und zum Mund geführt. Das ist der Handkuß, der auf den Handrücken gehaucht wird, nie jedoch in die offene Hand hinein. Nicht alle Männer sind zum Handkuß bereit. Sie schieben dann in diese Pronations-Damenhand ihre Non habeo Hand. Man beachte grundsätzlich die Hände der Frauen: die einen strecken einem die Non habeo Hand entgegen, während die anderen, die sich dabei auf einen AnstandskodEx berufen können, den Männern die Pronations Hand huldvoll herablassend wie eine Kostbarkeit reichen. Diagnostik zu treiben ist in dieser Situation ermöglicht. Man sieht, das hat alles Bedeutung sowohl als auch Geschichte.

Wenn ich darauf hinweisen darf, daß es sich dabei letzten Endes _ wir erinnern uns der Szene am Gombe Strom _ immer um Nahrungsmittelprobleme handelt, wozu selbst das Küssen in der Begrüßung gehört, könnte man an Bert Brecht erinnert werden und in Abwandlung eines häufig zitierten Wortes sagen: »Erst kommt das Fressen« (= die Stoffwechsel Notwendigkeit), damit verknüpft alsdann sind die Fragen der Rangbehauptung, worin der menschliche Anstand begründet ist. Vielleicht ist ein »Fressen«, das uns nicht in das Ranggefängnis zwingt, das sprichwörtlich gerühmte »gefundene Fressen«.

Ob es diese überraschende Aussage auch in anderen Sprachen gibt? »Es war mir ein gefundenes Fressen«, diese Wendung besagt, daß wir durch einen ungewöhnlichen Glücksfall überrascht wurden. Ich erlangte plötzlich Nahrung (Fressen) in Hülle und Fülle, ohne daß ich dabei in eine Partnerschaft verstrickt war.

Literatur:

1. J. van Lawick Goodall: My Friends   The Wild Chimpanzees, Washington T967

2. Eibl Eibesfeldt: Grundriß der vergleichenden Verhaltensforschung, 2. Auflage München 1969

3 F. G. Speck: The Savage Hunters of the Labrador Peninsula, Oklahoma 1955

4 A. Bastian: Ethnische Elementargedanken in der Lehre vom Menschen, Berlin 1895

5 R. Bilz: Pars pro toto. Ein Beitrag zur Pathologie menschlicher Affekte und Organfunktionen, Leipzig 1940“2

Ein „gefundenes Fressen“ hatten unsere Vorfahren allenfalls dann, wenn sie irgendwo ein Stück Aas fanden. Ansonsten haben sie im Gegensatz zu den Schimpansen bereits frühzeitig nicht nur anderen Affen, Waldschweinen oder Antilopen nachgestellt, sie mußten mit größeren Brocken fertig werden und sie verteilen.

Stellen wir uns einfach einmal einen Trupp australopithecinen vor, der einen Büffel erlegt hat. Die Männer stehen vor einem für ihre Verhält­nisse gigantischen Fleischberg, Frauen und Kinder ziehen in der Nähe der gemeinsamen Schafplätze auf der Suche nach pflanzlicher Nahrung umher. Hätten sich die Männer nach Altväter Sitte hingesetzt, dem letzt­lich „erfolgreichen“ Jäger das Recht der Zuteilung überlassen und an­sonsten um Futter gebettelt, wäre die Menschheit seit damals keinen Schritt weiter. Damit zeigt sich aber, daß die Taktik des Bettelns und Gewährens für die Jägerhorde zunehmend unpassender wurde. Selbst­verständlich beschwor diese Art der Erschließung neuer Nahrungsquellen Konflikte herauf, die das bis zu diesem Zeitpunkt vorherrschende Sozialsystem überforderte. Angesichts der im wahrsten Sinne des Wortes fetten Beute, die nun nicht mehr nur gelegentlich auf dem Speisezettel stand, mußte die gewöhnliche Konfliktlösungstrategie der Primaten versagen.

Der hier deutlich werdende Gabelungspunkt wirkte sich nicht nur auf die Beuteverteilung aus, sondern ebenso auf die Führung innerhalb der Gruppe. Denn mit der Jagd war der Macht des auf körperlicher Überlegenheit beruhenden Alphatieres die Konkurrenz des erfolgreichen Jägers erwachsen, der plötzlich ungewollt als „Herr der Nahrung“ dastand.

Es mußte sich also etwas ändern im menschlichen Verhalten.

Für eine Veränderung, die sich im subtilen Bereich des Verhaltens abspielen, sich also genetisch allenfalls als Nuance niederschlagen, fehlt zwangsläufig jeder versteinerte Beleg. Deshalb müssen wir nach Verhaltensmustern suchen, die uns aus der heutigen Zeit geläufig sind, die aber auch, ohne daß der Verstand eingeschaltet wird, für die Lösung des angesprochenen Problems einschlägig sind.

Merkwürdigerweise finden wir das, was wir weiter oben als Team beschrieben haben, unter dem Begriff Gesellschaft im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) wieder; dort findet sich unter § 705 folgende Definition der Gesellschaft:

Durch den Gesellschaftsvertrag verpflichten sich die Gesellschafter gegenseitig, die Erreichung eines gemeinsamen Zweckes in der durch den Vertrag bestimmten Weise zu fördern,…“

Lassen wir den Gesellschaftsvertrag als Rechtsinstitut einmal weg, so haben wir hier eine Beschreibung des Musters des ursprünglichen Jägertrupps. Demzufolge bestimmt das BGB, in § 726, daß die Gesellschaft endet, wenn der Zweck erreicht ist oder die Erreichung des Zwecks unmöglich geworden ist. – Und jetzt wird es interessant, denn in § 734 BGB regelt das Gesetz die Verteilung der „Beute“. Spontan würde man meinen, daß die Verteilung des Überschusses (Beute) einer Gesellschaft zu gleichen Teilen erfolgen würde. Das Gesetz sagt in § 734 BGB jedoch, daß der Überschuß den Gesellschaftern nach dem Verhältnis ihrer Anteile gebührt. Dem Gießkannenprinzip, das alle „gleich“ behandelt, folgt das Gesetz also nicht, vielmehr tariert es die Verteilung des Gewinns sehr fein aus.

Daß es sich bei der Gewinnverteilung im Rahmen der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft um ein aus unvordenklichen Zeiten stammendes Muster handelt, wird durch einen verblüffend ähnlichen Beuteverteilungsschlüssel der Pygmäen im südlichen Afrika belegt:

Bei den Bayaka-Pygmäen gehört ein bei der Treibjagd erbeutetes Tier auf jeden Fall dem Besitzer des Netzes, in dem es sich gefangen hat. Der Töter bekommt Kopf und Hals. Das sind meist die älteren Männer, die mit ihren Speeren hinter dem Netz in Wartestellung hocken. Wer sonst beim Töten mitgeholfen hat, bekommt ein Stück Brust. Der Netzbesitzer, dem nach Traditionsrecht der ganze restliche Körper gehört, behält im allgemeinen einen Keule und alle Innereien einschließlich der Gedärme, bei den Pygmäen eine echte Delkatesse. Den Rest des Körpers teilt er dann nach eigenem Ermessen unter den an der Jagd beteiligten Leuten auf. Bei den Efe-Pygmäen im Ituri hat der Schütze auch Anrecht auf den Hauptteil der Beute, nämlich auf das Lendenstück mit den Hinterläufen. Der Organisator der Jagd erhält den Rücken, der Eigentümer des Hundes, der das Wild aufgestöbert hat, bekommt Kopf und Hals. Der Rest wird an die übrigen Jagdteilnehmer verteilt. Man sollte annehmen, daß es sich in den verschiedenen Gemeinschaften um festgelegte Regeln handelt, doch ganz ohne Streit geht eine solche Verteilung der Beute nie aus. Auch bei den Bayaka-Pygmäen war ich häufig Zeuge, wie es beim Verteilen zu wilden und lautstarken Streitereien kam. Man beschimpfte sich mit den übelsten Verbalinjurien, zumal es den Pygmäen an einem lockeren Mundwerk nicht fehlt. Man bedrohte sich auf Distanz mit den Fäusten und ging auch einmal aufeinander los, ohne daß es dabei aber zu wirklichen Handgreiflichkeiten kam. Man blieb meist in etwa 2 m Abstand voneinander stehen und drohte und schimpfte mit einer ausdrucksstarken Gesichtsmimik. Dabei wurde laut und für alle hörbar hoch und heilig verkündet, daß man niemals mit dem da auf die Jagd gehen werde. Doch am gleichen Abend noch, ins Wohnlager zurückgekehrt, saßen alle wieder friedlich am Feuer vor ihren Hütten, verspeisten den Gemüse-Eintopf mit dem wohlschmeckenden Flesich und stopften sich genüßlich schmatzend die Bäuche voll. Wer beim Verteilen der Gazelle im Wald zu kurz gekommen war oder gar nichts abbekommen hatte, konnte dann spätestens beim Abendessen seinen Anteil verzehren…“3

In dieser Schilderung können Sie nicht nur die Ähnlichkeit des Musters bei der „Beuteverteilung“ in einer reinen Jäger- und Sammlerkultur und bei der „zivilisierten“ Variante erkennen, Sie sehen auch den hohen Respekt, den das Eigentum des erfolgreichen Jägers genießt, was wiederum die Nahtstelle zu unseren felltragenden Vettern erahnen läßt. Die Ähnlichkeit eines von hochgebildeten Juristen ersonnenen Gesetzes4 und naturverbundem Gerechtigkeitsempfinden zeigt überdies, wie nahe wir alle den Pygmäen sind, die als einer der ältesten lebenden Volksstämme gelten. Wir mit unserer „fortschrittlichen“ Zivilisation sind im sozialen Bereich keinen Schritt weiter! – Die Fülle von Gerichtsentscheidungen zu § 734 BGB belegt nämlich ebenfalls unsere Nähe zu den Pygmäen.

Die Parallele der Verhaltensweisen rechtfertigt den Schluß, daß es sich um ein Verhalten handelt, das einer biologischen Wurzel entpringt und damit in den Tiefen des menschlichen Gehirns verankert ist. Es ist damit der Natur des Menschen zuzurechnen. Der hier wie dort auftretende Streit belegt ebenfalls, daß hier nicht kaltes Kalkül und nüchterner Verstand am Werke sind, sondern emotionale Antriebsmuster.

Das „Austarieren“ der Anteile, das Gewichten von Geben und Nehmen hat innerhalb der menschlichen Gemeinschaften überall auf der Welt einen hohen Stellenwert. Eibl-Eibesfeld hat das anhand vieler Beispiele aus verschiedenen Kulturkreisen und im Rahmen von Untersuchungen mit Kindern nachweisen können.5 Das Phänomen des Austauschs wird unter dem Begriff des reziproken Altruismus diskutiert. – Selbstverständlich passen die Ergebnisse der Humanethologie nicht in unsere vom Streit über die Richtigkeit miteinander wetteifernder Ideologien geprägte Zeit. Also schweigt man sie am liebsten tot und leugnet die Ergebnisse weg. Denn nur mit dem Homo oeconomicus, dem streng egoistisch und streng rational handelnden Menschen, lassen sich Ideologien von Kapitalismus bis Kommunismus rational begründen und verteidigen.

Und dennoch finden wir in unserer Zivilisation eine genaue Entsprechung für das Muster des reziproken Altruismus:

Sie gehen frühmorgens zum Büdchen. „Eine Bild-Zeitung, bitte.“ – „Siebzig Pfennig.“ – „Danke, Tschüs!“ – „Vielen Dank auch, schönen Tag!“ In diesem Augenblick haben Sie den ersten Vertrag des Tages schon hinter sich. Gegen Mitternacht verspüren Sie Hunger und bestellen eine Pizza. Wenn Sie den Pizzafahrer bezahlt haben, war das für diesen Tag der letzte Vertrag.

Wir sind unablässig damit beschäftigt, Verträge zu schließen und zu erfüllen. Das System des Gebens, damit der andere gibt, ist die Keimzelle dessen, das weltweit unter dem Begriff Zivilrecht bekannt ist. Es ist vollkommen gleichgültig, in welchen Winkel der Welt sie sich begeben. Überall, wo Sie auf Menschen treffen, können Sie deren reziproken Altruismus mit den dürren Worten der §§ 145 ff des § 305 BGB beschreiben: Die §§ 145 ff BGB beschreiben das Zustandekommen eines Vertrges durch die unmißvertändlich erklärte Willensübereinstimmung zweier oder mehrerer Menschen. § 305 BGB spiegelt das Bedürfnis des Menschen zu reziprokem Verhalten wider: „Zur Begründung eines Schuldverhältnisses sowie zur Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses ist ein Vertrag zwischen den Parteien erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt.“

Sie werden unschwer feststellen, daß Vertrag etwas damit zu tun hat, daß man sich verträgt. Denn nur wer sich mit einem anderen verträgt, kann einen mit diesem übereinstimmenden Willen haben.

Allerdings wird die Unzahl von Verträgen, in die der Mensch in seinem Leben verwickelt wird, in der Regel nicht bemerkt. Daß es sich um „Schuldverhältnisse“ handelt, merkt der Mensch erst, wenn bei dessen Abwicklung etwas schiefläuft. – Bleiben wir bei unserem Beispiel: wenn Sie die Pizza in Empfang nehmen, dem Boten aber die Tür vor der Nase zuschlagen anstatt zu bezahlen, verletzen Sie die Regeln. Der Bote wird aber nicht zum Gesetzbuch greifen um festzustellen, gegen welche Regel Sie verstoßen haben, sondern sich spontan fürchterlich aufregen. Das wiederum zeigt, daß der gegenseitige Vertrag, wie ihn das BGB beschreibt, kein Konstrukt der Ratio des Menschen ist; seine Wurzeln reichen vielmehr tief in den animalischen Teil des menschlichen Gehirns hinein.

Damit kam allerdings nichts grundsätzlich Neues in die Welt, denn das Prinzip des gegenseitigen Vertrages ist den Juristen unter der Bezeichnung Synallagma geläufig, die biologische Entsprechung heißt Symbiose. Auch die Partner in einer Symbiose geben, weil und damit der Partner gibt.

Die Natur war in diesem Fall auch nicht auf irgendeine ominöse Mutation angewiesen, ein „Vertrags-Gen“ muß daher nicht postuliert werden. Die Wurzeln des reziproken Verhaltens haben ihre Wurzeln in der sozialen Bindungskraft des Gebens, des Geschenks.

Das „Geschenk“ zum Zwecke der sozialen Bindung ist nicht allein auf den Menschen und andere Primaten beschränkt, sie kommen auch bei anderen sozialen Tieren vor.

Nun könnte man freilich das Geben auch als die „voauseilende“ Duldung der Wegnahme durch den „Mächtigen“ interpretieren; Geben als Vermeidung der Aggression des Ranghöheren. Auch, so könnte man meinen, das Geben erspare dem „Herrn der Nahrung“ das lästige Betteln. Dagegen spricht jedoch die Tatsache, daß beim Schimpansen der „Herr der Nahrung“ sehr viel Geduld an den Tag legt. Gegen eine solche Interpretation spricht ferner der Umstand, daß sowohl beim Schimpansen als auch beim Menschen, selbst bei Kleinkindern, die Wegnahme von Dingen auf eine ausgeprägte Protesthaltung stößt. Zudem scheint es eine angeborene Wegnahmehemmung zu geben.6

Bezüglich des reziproken Altruismus können wir beim Menschen zumindest von einer Akzentverschiebung im Zuge der Evolution sprechen; denn keine andere Tierart hat diese Form der sozialen Umgangsform zu einem der wesentlichen und konstituierenden Grundmuster des Soziallebens erhoben.7

Damit wird auch verständlich, warum die Väter des Bürgerlichen Gesetzbuches gar nicht anders konnten, als die Regularien über den ggegnseitigen Vertrag so auszugestalten, wie wir sie im Gesetz vorfinden. Wir können mit dem BGB im wahrsten Sinne des Wortes in den Dschungel gehen, es erweist sich in seinen Grundzügen stets als anwendbar:

…Die Klane Neuguineas sind in der Regel exogam, d.h. die Frauen, die man heitratet, müssen aus einem fremden Klan stammen. (…) In Abschnitten von mehreren Jahren bis zu einer Generation gerechnet, sollten die Beziehungen eines exogamen Klans zu allen anderen daher ausgewogen sein. Dieser Grundgedanke zieht sich wie ein roter Faden durch alle Handlungen und Einrichtungen, mit deren Hilfe zwei gesellschaftliche Gruppen miteinander in Verbindung treten. Keine Gabe ohne Gegengabe, diese Einsicht dominiert in Neuguinea selbst das private Verhalten einzelner.(…) Viel plastischer sichtbar als auf dem Papier werden diese gesellschaflichen Zusammenhänge in der gelebten Wirklichkeit bei der Übergabe des sogenannten Brautpreises, mit dem der Übergang einer Frau vom Geburtsklan zum Klan des Ehemanns bestätigt wird. Ähnliche Tauschzahlungen von Wertgegenständen, wie Steinäxten, Muschelgeld und Muschelschmuck u.ä.m., markieren oft auch andere wichtige Übergänge im Leben eines einzelnen oder der Gemeinschaft. Damit werden einerseits Abmachungen bestätigt oder gefestigt, andereseits Leistungen (auch zukünftige, wie das Gebären von Kindern) abgegolten. Die Frauen werden also nicht im europäischen Sinn als Individuen mit Sklavenstatus gekauft, sondern ihr Übergang vom eigenen Klan zum anderen wird durch eine Zahlung der Gruppe des Bräutigams an die Gruppe der Braut rechtlich bekräftigt8

Es ist vollkommen gleichgültig, in welchem Teil der Welt sich ein Mensch aufhält. Er wird zu jeder Zeit an jedem Ort in die vielfältigsten Tauschbeziehungen verwickelt werden. Der Hang zum Tauschen ist bereits bei Kleinkindern vorhanden, einige Sozialpsychologen scheinen ernsthaft mit der Frage befaßt zu sein, ob es sich bei diesem „Tauschzwang“ nicht um eine seelische Erkrankung handeln könnte.9

Wir halten an dieser Stelle fest, daß sich unter den Bedingungen der systematischen Jagd beim Menschen ein ausgeprägter Hang zu reziprokem Verhalten ausbildetet. Aus einem ganz anderen, reichlich unbiologischem Zusammenhang ergibt sich, daß der Durchsetzung dieses Prinzips wiederum eine gewisse Zwangsläufigkeit innewohnt.

Im Verlaufe des Zweiten Weltkriegs entstand ein neuer Wissenschaftszweig, die Kybernetik, die sich mit Problemen der Kommunikation und den Steuerungsmechanismen verschiedener Systeme befaßte. Die Begriffe Rückkopplung, Selbstregulierung und Selbstorganisation, die in nichtlinearen dynamischen Systemen als selbstverständlich vorausgesetzt werden, entstammen der Kybernetik10 Mit der Entwicklung leistungsfähiger Computer und deren Fähigkeit zur Regelung der verschiedensten Prozeßabläufe gewann die Kyberentik in den Folgejahren zunehmend Bedeutung. Die zunehmende Leistungsfähigkeit der Computer hatte zur Folge, daß immer mehr Prozeßabläufe im Rechner simuliert werden.

Unter anderem wollte der amerikanische Politologe Robert Axelrodt wissen, wie sich Verhaltensweisen entwickeln konnten, die auf Zusammenarbeit, Freundschaft und gegenseitigem Vertrauen basieren, obwohl nach Darwin und seinen geistigen Enkeln der krasse Egoist der Erfolgreichste sein müßte.

Der von Axelrodt ausgeschriebene Wettbewerb, ein Computerprogramm zu ersinnen, das bestimmte Verhaltensweisen (egoistisch, betrügerisch, kooperativ, verzeihend usw.) simulierte, hatte am Ende 14 Teilnehmer. Das einfachste Programm hatte vier Zeilen, das umfangreichste 77 Zeilen. Verblüffenderweise trug der Vierzeiler den Sieg davon.Der amerikanischen Spieltheoretiker und Mathematiker Anatol Rappaport hatte es kreiert und ihm den Namen tit for tat gegeben. Auf Deutsch heißt das nichts anderes als „Wie Du mir, so ich dir!“

Die Strategie dieses Programms war ganz einfach; man könnte sie kooperativ und flexibel nennen. Am Anfang verhielt sich das Programm immer hilfsbereit und ehrlich. Danach tat es jeweils das, was der andere machte. Auf einen freundlichen Gegener reagierte es freundlich, auf einen betrügerischen mit Betrug – aber immer erst nachher, denn vorher war das Verhalten des Opponenten ja unbekannt.

Verlierer in dem Spiel waren diejenigen, die immer betrogen; woraus man schließen könnte, daß sich Egoismus langfristig doch nicht lohnt. Aber dieser Wettbewerb brachte einige weitere Überraschungen. So zeigte sich, daß das Siegerprogramm bei Begegnungen mit anderen Programmen niemals besser, meistens sogar schlechter abschnitt als das Gegenüber.

So paradox es klingt: Kurzfristig war tit for tat der Verlierer, langfristig der Gewinner. Vertrauen und rasche Reaktion zahlen sich offenbar aus.

Axelrod wiederholte den Versuch mit diesmal 62 Programmen in BASIC und FORTRAN. Einige der Programme benutzten sogar Methoden der künstlichen Intelligenz. Das überraschende Ergebnis der zweiten Runde: Gewinner war wieder tit for tat! Nun ging der Wissenschaftler einen Schritt weiter und simulierte die Evolution von Lebewesen mit verschiedenen Verhaltensformen.

Programme, die in der ersten Runde Punkte sammelten, waren in der nächsten Runde häufiger vertreten, sie konnten sich also >vermehren<. Programme, die schlecht abschnitten, waren in der nächsten Runde weniger häufig vertreten. Nach tausend Generationen schließlich hatte sich ein Programm durchgesetzt. Es war am häufigsten vertreten und hatte zudem die größte Zuwachsrate. Sein Name war:tit for tat.

Axelrods Computerwelt war eine künstliche Welt, und es bleibt die Frage, wie weit seine Ergebnisse auf die Wirklichkeit übertragen werden könen. Immerhin wissen wir, daß kooperatives Verhalten sozusagen aus dem Nichts (durch Zufallsmutationen) entsteht und sich langfristig durchsetzen kann, weil es bessere Überlebenschancen bietet als andere Strategien.“11

Damit nicht genug. In jüngster Zeit hat sich im Rahmen der Wirtschaftswissenschaften ein neuer Forschungszweig entwickelt, die experimentelle Wirtschaftsforschung. Insbesondere der Schweizer Porfessor Ernst Fehr von der Universiät Zürich fand bei seinen Studien heraus, daß der Homo oeconomicus eine Chimäre ist. Aufgrund seiner Experimente stellte er fest, daß auch im Wirtschaftsleben der Mensch nicht allein egoistisch handelt, er erscheint vielmehr aufgrund der Ergebnisse als „Homo – man muß es unterstreichen – reciprocans.12 – Ein Blick ins Gesetz und in die einschlägige Literatur der Verhaltensforscher hätten den experimentellen Wirtschaftsforschern diese Erkenntnis auch so nahebringen können; aus meiner Sicht bin ich allerdings dankbar, weitere sachverständigen Zeugen für die Richtigkeit der hier vertretenen These benennen zu können.

Die generelle Abwesenheit des Homo oeconomicus zeigt auch das Beispiel der Nama, einem Stamm in Namibia. Die Ethnologin S. Klocke-Daffa beschreibt das auf reziprokem Verhalten aufgebaute soziale Sicherungssystem dieses Volksstammes. Auch Klocke-Daffa kam nicht umhin festzustellen, daß sich die Austauschbeziehungen nicht allein aus ihrer ökonomischen Funktion heraus erklären lassen.13

Falls es Ihnen nicht aufgefallen sein sollte: im Rechner bedurfte die Durchsetzung des reziproken Verhaltens immerhin eintausend Generationen. Der Mensch aber ist weder Programm noch Rechner, sondern ein Lebewesen aus Fleisch und Blut, das bei allen „modernen“ Errungenschaften mit den „Altlasten“ der Vorfahren fertig werden muß.

Ich muß an dieser Stelle nochmals nachdrücklich auf den Unterschied zwischen der Evolution menschlicher Artefakte und der biologischen Evolution hinweisen. Der Mensch kann ein altes Haus abreißen und an dessen Stelle ein neues bauen. Die Natur kann indessen nur immer anbauen. Mit anderen Worten, das reziproke Verhalten trat neben die klassischen Primatenverhaltensmuster, ersetzte sie aber nicht.

Das reziproke Verhalten bedurfte, wie wir gesehen haben, keiner spontanen Entstehung aus dem Nichts, seine Grundlagen entstammen dem natürlichen Verhaltensrepertoie der Primaten. Es hat sich damals auf den Weg gemacht, sein Ziel aber noch lange nicht erreicht. Nur wenn die Menschheit lange genug exisitiert, können wir darauf hoffen, daß es nach und nach den Egoismus zurückdrängt.

In diesem Zusammenhang sehen wir eine weitere Akzentverschiebung, die sich auf die Führung der Gruppe bezieht. Während bei unseren behaarten Vettern es in erster Linie immer noch auf die körperliche Überlegenheit ankommt, bedingen die Erfordernisse der Jagd, daß weniger dem stärksten der Horde, sondern vielmehr dem erfahrensten und geschicktesten Jäger der Führungsanspruch zukommt. – Dieser aber ist durch das Prinzip der „Verteilungsgerechtigkeit“ anders in die Gruppe eingebunden als der „Stärkste“.– Das Dilemma ist perfekt, wir spüren es heute noch:

Der Zusammenhalt und der Respekt der Gruppenmitglieder einer Schimpansenhorde beruht auf dem aus dem Wechselspiel von Aggression und Beschwichtigung herrührenden Spannungsverhältnis. Wenn das Alphatier droht, kuscht der Angedrohte.

Im allgemeinen, so sagt man, gilt bei sozialen Tieren prima facie die Regel, daß das körperlich stärkste Individuum die Gruppe beherscht. Der Beweis des ersten Anscheins versagt allerdings schon bei Schimpansen

…Hierzu erzählt die englische Forscherin Dr. Jane Goodall eine typische Geschichte von ihren im ostafrikanischen Gombe-Reservat wild lebenden Menschenaffen.

Mit einem Trick hatte ein Schimpanse namens Mike, bezeichnenderweise der Schwächste der ganzen Horde, die Regentschaft an sich gerissen und mußte nun seine Stellung gegen den Neid der Masse der Stärkeren behaupten.

Eines Tages rempelte Mike einen alten Schimpansengreis grob an. Dieser suchte sofort bei seinem Freund Goliath, dem Ex-Boß, Schutz, drei weitere Mänchen sahen sofort ihre Chance und gingen zu fünft auf Mike los. Dieser floh auf einen Baum ganz nach oben. Die Verfolger, einer nach dem anderen, hinterher. Aber plötzlich jumpte Mike dem ersten auf den Kopf und brachte ihn zum Absturz. Dann ereilte auch alle Nachfolgenden das gleiche Schicksal.

Mut, gepaart mit taktischer Klugheit und Machtbesessenhei, hatte Mike zu einem glorreichen Sieg gegen fünffache Übermacht verholfen. Das beeindruckte die übrigen Schimpansen so sehr, daß sie Mike fünf Jahre lang als Anführer anerkannten.“14

Bei Primaten kann folglich die reine Körperkraft allein nicht mehr der ausschließlich bestimmende Faktor für das „Anrecht“ auf Führung innerhalb der Gemeinschaft sein.

Verschiedene Forscher haben, am deutlichsten wieder an Affen, die soziale Rolle der erfahrenen Alten gesehen. Neben den kräftigsten Männchen eines Paviantrupps, die nach Vorrang am Futter und an brünstigen Weibchen in der Rangordnung ganz oben stehen, gibt es zuweilen schon fast zahnlose Alte, die gewöhnlich in der Gruppe einfach mitlaufen, niemandem etwas streitig machen, aber auch von den anderen nicht ausgestoßen oder übervorteilt werden; dabei mögen Eigentumszugeständnisse (…) eine Rolle spielen. Gewöhnlich übernehmen die stärksten Männchen die Führung des Trupps und entscheiden, wohin der ganze Trupp morgens auszieht, um Nahrung zu suchen, und welchen Weg man abends zum Schlafplatz wählt. Begegnet ihnen auf diesem Wege etwas Unerwartetes, das Zweifel auslöst, oder sind etwa durch eine Überschwemmung nach plötzlichen Regenfällen alle den Führern bekannten Wege blockiert, so setzen sie sich einfach nieder und stellen damit gewissermaßen ihr Amt zur Verfügung. Und dann geschieht es immer wieder, daß die Alten vorangehen und, ihre Erfahrung ausnutuzend, einen Ausweg oder Umweg einschlagen, den die anderen noch nicht kannten; der ganze Trupp folgt ihnen dabei wie sonst den Führerern. Die erfahrenen Alten werden tatsächlich als >Rat der Weisen< in Reserve gehalten. Das ist – sogar mit dieser funktionalen Begründung – bei vielen Naturvölkern ebenso, bei den Buschleuten, den australischen Eingeborenen, den Eskimos wie bei den Tibetern, die eigene Gesänge haben, in denen betont wird, die Greise seien wegen ihrer Lebensweisheit und Erfahrung mit Achtung und Ehrfurcht zu behandeln.(…) Schon die Buschleute unterscheiden sehr fein zwischen >Rang < und >Ansehen<. Der Rang hängt am Amt, das jemand übernimmt; Sein Ansehen hängt davon ab, wie er das Amt verwaltet. Wenn Verhaltensforscher von >Rang< und >Amt< sprechen, übersehen sie diesen Unterschied oft. Schon bei verschiedenen Wirbeltieren wie Wildhunden, Elefanten oder Affen ist das Ansehen der einzelnen rollengebunden; der beste Wächter oder Jäger ist nicht auch der beste Babysitter. Wenn es um Jagdprobleme geht, hat auch bei den Buschleuten der nachweislich erfolgreichste Jäger das größte Ansehen und die entscheidende Stimme; wenn es um andere Dinge geht, kann man seine Meinung geflissentlich übergehen.15

Bei der Evolution des Menschen konnte die Natur auch hier auf das bereits vorhandene Verhaltensrepertoire zurückgreifen. Der „Fall Mike“ zeigt, daß bereits beim letzten gemeinsamen Vorfahren von Schimpansen und Mensch geistige Fähigkeiten neben die rein kräftemäßige Überlegenheit trat, wenn die Frage der Führerschaft einer Gruppe zur Debatte stand. Und die Anforderungen im Rahmen einer systematisch bertriebenen Jagd sind andere als beim Früchtesammeln.

Die gemeinschaftliche Jagd erlaubt auf der einen Seite kein großes Palaver. Bis man sich geeinigt hat, wie man die Beute erlegt, ist sie weg. Einer muß führen. Auf der anderen Seite ist größtmögliche Flexibilität erforderlich, jeder einzelne muß fähig und ggf. bereit sein, den Platz des anderen einzunehmen, wenn dieser durch Verletzung oder Tod ausscheiden sollte. Jeder muß also grundsätzlich in der Lage sein, auch den Platz des „Häuptlings“ einzunehmen. Ebenso muß der „Häuptling“ jederzeit abgelöst werden können, etwa für den Fall häufigen Versagens, was unter den Lebensbedingungen der Wildnis eine Frage des Überlebens sein kann. Der „Häuptling“ kann also nur so lange „Häuptling“ bleiben, wie er das Vertrauen der von ihm Geführten genießt. Die Vorrangstellung muß sich aus dem Vertrauen der Gruppe oder Horde ergeben; wer als „Häuptling“ anfängt, willkürlich Gruppenmitglieder umzubringen, um seine Vormachtstellung zu sichern, ist bald ein toter „Häuptling“. Solange einem ablösungswilligen Rivalen des „Häuptlings“ die Mehrheit der Gruppe nicht bereit ist zu folgen, wird er sich gegen den alten nicht durchsetzen können.16

Auf den Wert des Vertrauens gegenüber der Führung einer menschlichen Gruppe oder Horde hatte bereits Wolfgang Wickler unter dem Rubrum Tradition und Gehorsam hingewiesen.

Das Tradieren als Weitergeben von Erfahrungen begann als Beispielgeben und Nachahmen. So lernen auch heute noch Kinder von der Mutter und vom Vater vielerlei; was und wie man ißt, wen man Vater, Tante usw. nennt, übernimmt man unmittelbar und tut es dann wie welbstverständlich genauso. Das Beispielgeben aber ist auf das Vorexerzieren am Objekt mit unmittelbarer Erfolgskontrolle gemünzt und erfordert wohl deswegen viel weniger Begründungen als jede abstrakt vermittelte Tradition. Das hat zur Folge, daß z.B alles, was ein Kind den Eltern unmittelbar absieht, ohne abstrakte Begründung übernommen werden kann, während schon der Sexualbereich, den die Eltern aus dem Beispielgeben ausklammern, mit abstrakten (sinnigen oder unsinnigen) Begründungen überladen wird. Das Tradieren durch Reden oder Schrift umgeht das Beispielgeben, verlangt daher mehr Begründungen.

Das Weitergeben von Erfahrungen ermöglicht, aus den Fehlern anderer zu lernen; allein durch Schaden klug zu werden und doch konkurrenzfähig zu bleiben, kann sich daneben höchstens jemand leisten, der sein Leben wiederholen könnte. Sich auf die Erfahrungen anderer zu verlassen, nennt man Gehorsam. Da es außerdem das Individuum entlastet, wenn es sich auf andere verlassen kann, ist Gehorsam ursprünglich zur Entlastung des Individuums da, zu seiner Befreiung oder Freistellung für typisch menschliche Lebensinhalte. Dieser Gehorsam, das Sich-auf-einen-anderen-Verlassen setzt aber Vertrauen voraus. Blinder Gehorsam überzieht das Vertrauen, denn es gibt ja erfahrungsgemäß auch falsche Autoritäten; und deshalb ist Mißtrauen eine ebenfalls notwendige Haltung….“17

Wie wichtig eine Führung ist, die auf einer Kombination von Vertrauen und Gehorsam im Sinne Wicklers für den Menschen ist, zeigt das sogenannte Iowa-Experiment, das Kurt Lewin bereits im Jahre 1939 durchführte. Wir müssen uns in diesem Zusammenhang erneut vor Augen führen, daß unsere Zivilisation vor mehr als 5.000 Jahren in Gesellschaften lebt, die die Größe der ursprünglichen Horde von 25 bis 50 Individuen bei weitem überschreitet.

Lewin experimentierte in Jugendgruppen von Jungen mit drei verschiedenen „sozialen Atmosphären“. Er unterwies deren Lehrer in den drei möglichen Grundmethoden der Führung, nämlich der autokratischen, der demokratischen und des laissez-faire, einem mehr oder weniger anarchischen Führungsstil. Der autokratische „Führer“ schrieb den Jungen vor, was sie zu tun hätten; der demokratische Leiter half den Jungen zu planen und das Geplante durchzuführen; der Anarchist ließ die Jungen tun, was immer sie wollten.

Es stellte sich heraus, daß die autokratisch beherrschte Gruppe nur arbeiten konnte, wenn der Gruppenleiter dabei war. in seiner Abwesenheit stritten sie miteinander. Sie verhielten sich nur richtig, wenn sie unter Kontrolle standen. Im Gegensatz dazu war die demokratisch angeleitete Gruppe auch in Abwesenheit des Gruppenleiters arbeitsfähig. Es kam auch kaum zum Streit, vielmehr übten sie eine Art interner Kontrolle aus. Es stellte sich heraus, daß laissez-faire und demokratisch sich in den Auswirkungen unterschieden. Heute würde man sagen, bei laissez-faire war die „Arbeitsproduktivität“ geringer.

Auf der anderen Seite war auf den ersten Blick beim autokratischen und demokratischen Führungsstil kaum ein Unterschied auszumachen. Im Gegenteil, die Arbeitsleistung war unter der autokratischen Leitung sogar ein wenig höher. Aber um welchen Preis!:

…Im wesentlichen zeigten sich sehr viel mehr Streitereien und Feindseligkeiten in der autokratisch geführten Gruppe und sehr viel mehr Freundlichkeit und Gruppengeist in der demokratisch geführten. Die Kinder in der autokratischen Gruppe schikanierten ihre Sündenböcke und legten Verhaltensweisen an den Tag, die gewissen zeitgenössischen Diktaturen zu ähnlich sind, um als bloßer Zufall abgetan werden zu können.

Die Unterschiede, die dieses erste Experiment erbrachte, schienen auffällig genug zu sein, um zu weiteren und detaillierteren Untersuchungen zu berechtigen. Deshalb wurde im nächsten Jahr eine zweite Folge von Experimenten durchgeführt. Dieses Mal wurden mehr Gruppen verwendet; sie bestanden nur aus Jungen, Mitgliedschaft und Beschäftigungen wurden sorgfältig kontrolliert, um die Stichproben vergleichbarer zu machen. (…) Dieses besser kontrollierte Experiment erbrachte ungefähr sechsmal soviel beweiskräftige Daten wie das erste. Die Studie berücksichtigte den grundlegenden Faktor der kindlichen Persönlichkeit, und jedes Kind machte die Erfahrung sowohl einer autokratischen als auch einer demokratischen Führerschaft. Der erweiterte Versuchsplan verschaffte auch Informationen über andere Gegenstände – besonders über die Merkmale der Übergangsphase. Viele Ergebnisse dieser Studie waren sehr auffällig. Beispielsweise war die Wahrscheinlichkeit in der autokratischen Atmosphäre viel größer, daß die Jungen jede Initiative verloren, ständig unzufrieden waren, aggressiv wurden, miteinander kämpften, Spielzeug beschädigten und individuell handelten, ohne sich um Gruppenziele oder die Interessen anderer Mitglieder zu kümmern. In der laissez-faire Atmosphäre orientierten sich Verhalten und Diskussion in wesentlich geringerem Maße an der gemeinsamen Arbeit als unter einem der beiden anderen Führungstypen. Einige Jungen, die man aus der autoritären Gruppe genommen und der laissez-faire – Gruppe zugewiesen hatte, zeigten sich ängstlich und verstört. Bis auf eine Ausnahme brachten alle 20 Jungen aus den vier Gruppen ihre Präferenz für die demokratische Führerschaft deutlich zum Ausdruck.

Die autokratische Bedingung schuf viel Unzufriedenheit, die sich nicht unmittelbar, sondern auf andere Weise zeigte. Die vier Jungen, die als einzige aufgaben, taten dies beispielsweise während des Zeitraumes, da sie sich unter autokratischer Führerschaft befanden. Während dieser Phasen zeigten sie auch mehr Unzufriedenheit, verhielten sich aber weiterhin gefügig. Autokratische Führerschaft induzierte mehr Bedürfnis nach Zuwendung und mehr Zerstörung persönlicher Arbeitsmaterialien. Außerdem unterdrückte sie die individuelle Originalität. Die Neigung, Sündenböcke zu schaffen, machte sich deutlich bemerkbar.

Das Bedürfnis nach Sündenböcken war auch unter der laissez-faire – Bedingung zu verzeichnen. Die Forscher führten diese Ergebnisse darauf zurück, daß die Kinder dort durch die mangelnde Führung und das Fehlen grundlegender Regeln frustriert werden. Daraus resultiert ein vages Gefühl von Unzulänglichkeit, das in gewissem Umfang dadurch reduziert werden konnte, daß man sich über die weniger geschickten oder weniger beliebten Mitglieder der Gruppe lustig machte.“18

Im Verlaufe des Experiments änderte man den Führungsstil. Der demokratische Leiter verhielt sich plötzlich autokratisch. Es geschah weiter nichts, seine Gruppe hatte Vertrauen zu ihm und benahm sich nach kurzer Zeit wie die autokratisch geführte Gruppe. Dramatische Veränderungen traten indes ein, wenn der autokratische „Führer“ zur demokratischen Methode wechselte. Es brach die Hölle los. Der Leiter brauchte eine Woche, bis dies Jungen sich beruhigten und so verhielten, wie es in einer demokratischen Gruppe möglich und erforderlich ist.

Der Wegfall autokratischen Drucks führt leicht zur Anarchie, denn die einzelnen können nun tun, was sie wollen, und sie tun es dann auch ohne jedes Verantwortungsgefühl.19

Der Mensch entwickelte in seiner Frühzeit neben den überkommenen Sozialstrukturen der Primaten die neue, an die Erfordernisse der systematischen Jagd angepaßte Hierarchien, die nach heutigen Maßstäben eher demokratisch anmuten. Die autokratische Herrschaftsstruktur ist eindeutig die ältere. Wir dürfen also durchaus annehmen, daß, solange sich der Mensch auf der reinen Jäger- und Sammlerebene bewegte, in seinen Sozialsystemen häufiger „demokratische“ als „autokratische“ Züge zu finden waren.

Vor mehr als 30 Jahren fand Stanley Milgram in dem nach ihm benannten Experiment heraus, daß im Durchschnitt 63% der Menschen bereit sind, unbedingten Gehorsam zu leisten. Mit anderen Worten: 63% der Menschen sind bereit, auf Anweisung einer Autorität fremde Menschen zu quälen und zu töten. Erwartet worden war, daß auch die Bereitschaft zum absoluten Gehorsam normalverteilt wäre, also nur einen kleinen Prozentsatz der Menschen erfaßt hätte.

63%, in Worten: dreiundsechzig Prozent – dieses überraschende Ergebnis wollte niemand. Vor allem paßte es seinerzeit nicht in die politische Landschaft. Es widersprach sowohl dem Selbstverständnis aller Demokraten als auch dem aller Sozialisten, Kommunisten und Faschisten. Auch Theologen weigerten sich, das Ergebnis zu diskutieren. Deshalb wurde es auch in der Öffentlichkeit wenig beachtet und nicht weiter diskutiert. Man hat Milgram Fehler bei der Versuchsanordnung unterstellt und ansonsten das Ergebnis geflissentlich totgeschwiegen. Dennoch ist es nicht aus der Welt zu schaffen, sondern beeinflußt unser Leben Tag für Tag.20

Neben die auf Aggression und Beschwichtigung (Unterwerfung) basierende Gruppenhierarchie trat mit der systematisch betriebenen Jagd eine auf Tradition und Gehorsam gegründete Hierarchie. Zeitlich und inhaltlich begrenzt werden Führungsbefugnis und Verantwortung für das gesamte Sozialsystem auf ein Mitglied desselben übertragen und von Vertauen der Gruppenmitglieder getragen.

Die Menschheitsgeschichte, soweit sie überliefert ist, lehrt uns, daß der Streit der Systeme bis heute andauert. Autokratische Systeme und Diktaturen basieren auf Gewalt, Demokratie und Rechtsstaat gründen auf Vertrauen und Machtwechsel, Tradition und kritischem Gehorsam bzw. Ungehorsam.

Ich behaupte deshalb, daß wir die Demokratie weniger den Philosophen verdanken, die sich seit mehr als zwei Jahrtausenden abmühen, die Probleme einer Staatsorganisation in den Griff zu kriegen, als vielmehr unserer eigenen Natur.

Wir können also festhalten, daß mit der Beginn der systematischen Jagd Verhaltenänderungen einhergingen, diese sich aus dem bereits vorhandenen Verhaltensrepertoire entwickelten. Die wesentlichen Merkmale dieser Veränderung sind das Teilen, reziprokes Verhalten und auf Vertrauen und Gehorsam basierende Hierarchie. Die ursprünglichen Verhaltenstendenzen sind indes immer noch wirksam. Mit dem Hinzutreten neuer Verhaltensmuster zu den hergebrachten erwarb der Mensch eine bis dahin nicht gekannte Freiheit, sein Verhalten zu variieren.

Damit haben wir auch den Schlüssel zur Geschichte von Kain und Abel in der Hand. Kain verkörpert den egoistischen Teil des Menschen, der ungern und mit Murren teilt; Abel ist der, der freiwillig gibt. Daß Gott Kain nicht strafte, sondern nur kennzeichnete, ist die Mahnung, daß er –zumindest vorläufig – unsterblich in des Menschen Seele verankert ist. Es ist an uns Menschen, dafür Sorge zu tragen, daß sein Einfluß begrenzt und seine Neigung, Konflikte gewaltsam zu lösen, so gut wie möglich unter Hemmung gesetzt wird.

Ich halte es für geboten, an dieser Stelle nochmals auf das Trugbild vom „Homo oeconomicus“ hinzuweisen. Dieses virtuelle Wesen ist der Kain in uns, auf den uns Wirtschaft und Politik reduzieren möchten. Sie setzen auf den Kain in uns. Wir alle aber sind auch Abel. Für Kain brauchen wir nichts zu tun. Er tritt von selbst hervor, wenn wir ihn nicht zügeln; er ist der „Autokrat“ und nicht seines Bruders Hüter. Deswegen zeigt er auch nur eine geringe Neigung, seine „Sündhaftigkeit“, nämlich seinen Egoismus zu beherrschen. Es ist an uns, Abel zu hüten und zu fördern, denn solange Kain seinen Egoismus nicht zu beherrschen gelernt hat, ist Abel in Gefahr. Das gilt auf allen Größenskalen menschlicher Gemeinschaften, vom Individuum selbst bis hin zu den Vereinten Nationen.

Kain steht für das „alte“ Primaten-, das generelle Säugetiererbe in uns. In welcher Weise er uns damit bedroht, können wir erst dann ermessen, wenn wir ihn näher kennenlernen. Erneut offenbart uns eine Blick auf unsere behaarten Vettern sein wahres Gesicht. Insoweit will ich meiner – unabsichtlichen – „Hauptbelastungszeugin“ Jane van Lawick-Goodall uneingeschränkt das Wort erteilen:

Louis Leakey schickte mich nach Gombe in der Hoffnung, daß wir ein neues Fenster zu unserer Vergangenheit aufstoßen würden, wenn wir das Verhalten unserer nächsten Verwandten besser verstünden. Er hatte Berge von Material gesammelt, die es ihm erlaubten, die physischen Merkmale der frühen Menschen in Afrika zu rekonstruieren, und er konnte Vermutungen über den Gebrauch der verschiedenen Werkzeuge und Geräte anstellen, die an ihren Wohnstätten gefunden worden waren. Aber Verhalten hinterläßt keine Fossilien. Leakeys Neugier in bezug auf die Menschenaffen beruhte auf der Uberzeugung, Daß ein Verhalten, das Menschen von heute und Schimpansen von heute gemeinsam haben, wahrscheinlich auch bei unseren gemeinsamen Vorfahren und also auch den frühen Menschen vorhanden war. Louis war in seinem Denken den meisten seiner Zeitgenossen weit voraus, und seine Einstellung scheint heute noch lohnender in Anbetracht der überraschenden Entdeckung, daß, wie bereits erwähnt, die menschliche DNS sich von der der Schimpansen nur in etwas mehr als einem Prozent unterscheidet.

Es gibt viele Ähnlichkeiten im Verhalten von Schimpansen und Menschen – die liebevollen, solidarischen und dauerhaften Bindungen zwischen Familienmitgliedern, die lange Phase der kindlichen Abhängigkeit, die Bedeutung des Lernens, die vonverbalen Kommunikationsmuster, die Benutzung und Herstellung von Werkzeugen, die Zusammenarbeit bei der Jagd, die differenzierten gesellschaftlichen Manipulationen, das aggressive Territorialverhalten und vielfältiges Hilfsverhalten, um nur ein paar zu nennen.

Ähnlichkeiten in der Struktur des Gehirns und des Zentralnervensystems haben zur Ausbildung ähnlicher intellektueller Fähigkeiten, Empfindungen und Emotionen in den beiden Spezies geführt. Daß diese Informationen zur Naturgeschichte der Schimpansen für diejenigen eine Hilfe war, die sich mit der Erforschung der frühen Menschen befassen zeigt sich immer wieder an der Häufigkeit, mit der in anthropologischen Lehrbüchern auf das Verhalten der Gombe-Schimpansen hingewiesen wird.

Natürlich müssen Theorien über das Verhalten des frühen Menschen Spekulation sein – wir haben keine Zeitmaschine, wir können uns nicht zurückversetzen in die Morgendämmerung unserer eigenen Art, um das Verhalten unserer Vorfahren zu beobachten und ihre Entwicklung zu verfolgen: Wenn wir diese Dinge ein bißchen verstehen wollen, müssen wir das Beste aus dem spärlichen zur Verfügung stehenden Material machen. Mir selbst scheint die Vorstellung, daß die frühen Menschen mit Zweigen nach Insekten bohrten und sich mit Blättern säuberten, absolut vernünftig. Der Gedanke, daß diese Vorfahren einander mit Küssen und Umarmungen begrüßten und beruhigten, daß sie bei der Verteidigung ihres Territoriums oder bei der Jagd zusammenarbeiteten und Nahrung miteinander teilten, sagt mir zu. Der Gedanke an enge Bande der Zuneigung innerhalb der Steinzeitfamilie, an Brüder, die einander beistanden, an jugendliche Söhne, die zur Verteidigung ihrer alten Mutter herbeieilten, an heranwachsende Töchter, die sich um die Babys kümmerten, macht mir die versteinerten Zeugnisse ihrer physischen Existenz auf dramatische Weise lebendig.

Aber die Forschung in Gombe hat mehr erreicht, als nur Material zu liefern, von dem aus wir unsere Spekulationen über das Leben prähistorischer Menschen anstellen können. Der Blick durch dieses Fenster auf die Lebensweise unserer nächsten lebenden Verwandten vermittelt uns ein besseres Verständnis nicht nur von der Rolle der Schimpansen in der Natur, sondern auch von der Rolle der Menschen in der Natur. Wir wissen, daß Schimpansen kognitive Fähigkeiten haben, von denen einst angenommen wurde, daß sie den Menschen vorbehalten wären; wir wissen, daß sie (wie andere <<dumme>> Tiere) logisch denken können, daß sie Gefühle, Schmerz und Furcht erleben, und das macht uns bescheiden. Wir sind nicht, wie wir einst glaubten, durch eine unüberbrückbare Kluft vom übrigen Tierreich getrennt.

Trotzdem sollten wir aber eines auch nicht einen Augenblick vergessen: Selbst wenn wir uns nicht in der Sorte, sondern nur im Ausmaß von den Menschenaffen unterscheiden, ist dieses Ausmaß überwältigend. Wenn wir das Verhalten von Schimpansen verstehen, so hilft uns das, bestimmte Aspekte menschlichen Verhaltens zu beleuchten, die wirklich einzigartig sind und uns wirklich von den anderen lebenden Primaten unterscheiden. Vor allem haben wir intellektuelle Fähigkeiten entwickelt, die diejenigen auch der begabtesten Schimpansen in den Schatten stellen. Eben weil der Unterschied zwischen dem menschlichen Gehirn und dem unseres nächsten Verwandten, des Schimpansen, so groß war, haben die Paläontologen jahrelang nach einem halb äffischen, halb menschlichen Skelett gefahndet, das diese Kluft zwischen menschlich und Nichtmenschlich überbrückt.

Tatsächlich besteht dieses Missing link aus einer ganzen Reihe von verschwundenen Gehirnen, die eines immer komplexer waren als das andere: Gehirnen, die für die Wissenschaft verloren sind, bis auf ein paar schwache Eindrücke in fossilen Hirnschalen; Gehirnen, die in ihren zunehmend komplizierten Windungen die dramatische Fortsetzungsgeschichte des sich entwickelnden Verstandes verkörperten, der zum Menschen von heute geführt hat.Von all den Merkmalen, die Menschen von ihren nichtmenschlichen Vettern unterscheiden, ist die Fähigkeit, durch eine differenzierte gesprochene Sprache miteinander zu kommunizieren, nach meiner Auffassung die bedeutsamste. Nachdem sich unsere Vorfahren dieses machtvolle Instrument erst einmal angeeignet hatten, konnten sie Begebenheiten besprechen, die in der Vergangenheit geschehen waren, und komplexe Planungen für die nahe und die fernere Zukunft machen. Sie konnten ihre Kinder lehren, indem sie ihnen etwas erklärten, ohne es demonstrieren zu müssen Wörter gaben Gedanken und Vorstellungen Substanz, die für immer ungenau und ohne praktischen Wert geblieben wären, wenn man sie nicht hätte ausdrücken können. Geistige Interaktionen erweiterten das Denken und präzisierten die Begriffe. Manchmal habe ich, wenn ich Schimpansen beobachtete, das Gefühl gehabt, sie wären, ohne eine Sprache wie die der Menschen, in sich selbst gefangen. Ihre Rufe, Körperhaltungen und Gesten verbinden sich zu einem reichhaltigen Repertoire, einem vielseitigen und differenzierten System von Kommunikation. Aber es ist nonverbal Wieviel mehr könnten sie erreichen, wenn sie nur miteinander sprechen könnten!

Schon richtig, sie können lernen, die Zeichen oder Symbole einer Sprache vom Typus Menschensprache zu benutzen. Und sie haben die kognitiven Fähigkeiten, diese Zeichen zu sinnvollen Sätzen zusammenzufügen. Geistig zumindest scheinen Schimpansen an der Schwelle zum Spracherwerb zu stehen. Aber die Kräfte, die wirksam waren, als Menschen zu sprechen begannen, haben offensichtlich keine Rolle bei der Formung des Verstandes der Schimpansen in dieser Richtung gespielt.Schimpansen stehen auch an der Schwelle zu einem anderen ausschließlich menschlichen Verhalten – dem Kriegführen.

Die Kriege der Menschen, definiert als organisierte bewaffnete Konflikte zwischen Gruppen, haben im Laufe der Zeit einen tiefgreifenden Einfluß auf unsere Geschichte gehabt. Wo immer Menschen leben, haben sie irgendwann irgendwelche Kriege geführt. Es scheint deshalb wahrscheinlich, daß es primitive Formen von Krieg auch bei unseren frühesten Vorfahren schon gab und daß derartige Konflikte bei der menschlichen Evolution eine Rolle spielten. Krieg, so ist vermutet worden, könnte einen beträchtlichen selektiven Druck bei der Entwicklung von Intelligenz und zunehmend differenzierter Kooperation ausgeübt haben. Dieser Prozeß habe eskaliert – denn je größer Intelligenz, Fähigkeit zur Kooperation und Mut einer Gruppe, desto mehr verlangt das auch von ihren Feinden.

Darwin gehörte zu den ersten, die die Ansicht äußerten, daß Krieg einen mächtigen Einfluß auf die Entwicklung des menschlichen Gehirns ausgeübt haben könnte. Andere sind davon ausgegangen, daß Kriegführung verantwortlich gewesen sein könnte für die tiefe Kluft zwischen dem menschlichen Gehirn und dem unserer nächsten lebenden Verwandten, der Menschenaffen: Hominiden mit unterlegenem Gehirn konnten keine Kriege gewinnen und wurden ausgerottet.So ist es sowohl faszinierend als auch schockierend, wenn man entdeckt, daß Schimpansen ein feindseliges, aggressives Terriorialverhalten zeigen, das bestimmten Formen primitiver Kriege nach Art der Menschen nicht unähnlich ist.

Manche Stämme unternehmen zum Beispiel Überfälle, bei denen sie sich «. . . zerstreuen wie bei der Jagd, (sie) pirschen sich durch das Dickicht an den Feind heran», schreibt Renke Eibl-Eibesfeldt, ein Verhaltensforscher, der Aggression bei Völkern der ganzen Welt untersucht hat. Lange bevor sich differenzierte Kriegführung bei unserer eigenen Spezies entwickelt hat, müssen unsere prähumanen Vorfahren Präadaptationen gezeigt haben, die denen, die heute bei Schimpansen zu beobachten sind, ähnlich oder gleich waren, wie das Leben in Gruppen, kooperative Territorialität, Fähigkeit zur gemeinschaftlichen Jagd und Waffengebrauch. Eine andere notwendige Präadaptation würde die angeborene Furcht vor oder der Haß auf Fremde gewesen sein müssen, die sich manchmal in aggressiven Angriffen äußerte. Aber erwachsene Einzelwesen der eigenen Spezies anzugreifen ist immer ein gefährliches Unternehmen, deshalb war es in historischen Zeiten in menschlichen Gesellschaften notwendig, mit den Mitteln der Kultur Krieger heranzubilden, etwa indem man ihre Rolle verherrlichte, Feigheit verurteilte, Tapferkeit und Geschick auf dem Schlachtfeld belohnte und den Wert der Ausübung von <<männlichen» Sportarten in der Kindheit hervorhob.

Schimpansen aber, vor allem junge ausgewachsene Männchen, finden Konflikte zwischen Gruppen offensichtlich reizvoll, trotz der Gefahr. Wenn junge männliche Vormenschen in Zusammenstößen dieser Art auch einen Reiz sahen, könnte das eine feste biologische Basis für die Verherrlichung von Kriegern und Kriegen geliefert haben.

Bei Menschen sehen sich Angehörige der einen Gruppe oft als völlig unterschieden von den Angehörigen einer anderen Gruppe und behandeln dann die Gruppenmitglieder und Nichtmitglieder verschieden. Tatsächlich werden Nichtmitglieder manchmal «entmenschlicht> und beinahe wie Wesen einer anderen Spezies betrachtet. Wenn das geschieht, sind die Leute von den Hemmungen und gesellschaftlichen Sanktionen befreit, die innerhalb ihrer eigenen Gruppe gelten, und können sich den Nichtgruppenangehörigen gegenüber auf eine Weise verhalten, die unter den eigenen Leuten nicht toleriert werden würde. Das führt unter anderem zu den Ungeheuerlichkeiten des Krieges. Schimpansen zeigen ebenfalls unterschiedliches Verhalten gegenüber Gruppenangehörigen und Nichtgruppenangehörigen. Ihr Gefühl für Gruppenidentität ist stark, und sie wissen genau, wer «dazugehört» und wer nicht: Nichtmitglieder können so heftig angegriffen werden, daß sie ihren Verletzungen erliegen. Und das ist nicht einfach die <<Furcht vor Fremden» – die Mitglieder der Kahama-Gesellschaft waren den Kasakela-Angreifern gut bekannt und wurden doch brutal überfallen. Dadurch, daß sie sich abgespalten hatten, hatten sie anscheinend ihr <<Recht>> verwirkt. wie Mitglieder der eigenen Gesellschaft behandelt zu werden. Außerdem, manche gegen Nichtgruppenangebörige gerichteten Angriffsmuster sind niemals bei Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern derselben Gesellschaft beobachtet worden – das Verdrehen der Glieder, das Herausreißen von Hautstreifen, das Bluttrinken. Damit wurden die Opfer in jeder Hinsicht «entschimpansiert», denn diese Verhaltensweisen sieht man gewöhnlich, wenn ein Schimpanse ein ausgewachsenes Beutetier zu töten versucht – ein Tier einer anderen Spezies.

Schimpansen haben infolge ungewöhnlich feindseliger und gewalttätiger Aggressionshaltungen gegenüber Nichtgruppenan gehörigen offenbar ein Stadium erreicht, wo sie an der Schwelle zur menschlichen Leistung an Zerstörung, Grausamkeit und planvollen Konflikten zwischen Gruppen stehen. Wenn sie je die Macht von Sprache entwickelten, könnten sie dann nicht die Tür aufstoßen und mit den Besten von uns Krieg beginnen?“21

Ich will an dieser Stelle nicht verschweigen, daß Jane van Lawick-Goodall, die hier über Kain den Stab gebrochen hat, im gleichen Atemzug für unsere felltragenden Verwandten die Lanze bricht:

Und wie sieht das andere Extrem aus? Wo stehen die Schimpansen, verglichen mit uns, in ihrem Ausdruck von Liebe, Mitgefühl und Selbstlosigkeit? Da gewalttätiges und brutales

Verhalten lebhaft ist und Aufmerksamkeit erregt, könnte man leicht den Eindruck gewinnen, daß Schimpansen sehr aggressiv sind, was nicht der Wirklichkeit entspricht. Tatsächlich sind friedliche Interaktionen viel häufiger als aggressive; milde Drohgebärden normaler als heftige; Drohungen per se häufiger als Streit und ernste Konflikte mit Verletzungen selten im Vergleich zu kurzen, relativ milden. Außerdem haben Schimpansen ein reichhaltiges Repertoire an Verhaltensweisen, die dazu dienen, die soziale Harmonie zu erhalten oder wiederherzustellen und den Zusammenhalt zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft zu fördern: das Umarmen, Küssen, Tätscheln und Händehalten, das zur Begrüßung nach einer Trennung dient oder mit dem dominante Tiere nach einem Streit die Untergebenen wieder beruhigen. Die langen, friedlichen Sitzungen entspannter sozialer Fellpflege. I:)as leiten von Nahrung. Die Sorge um Kranke oder Verwundete. Die Bereitschaft einem Gefährten in Not zu helfen, auch wenn das Gefahr für Leib undLeben bedeutet. All diese versöhnlichen, freundschaftlichen, helfenden Verhaltensweisen sind zweifellos unseren eigenen Wesenszügen von Mitgefühl, Liebe und Selbstaufopferung ganz nahe.

In Gombe die Fürsorge für Kranke nicht zu den gewöhnlichen Hilfsverhalten unter nicht miteinander verwandten Schimpansen. Tatsächlich wird ein schwerverletztes Tier von Nichtangehörigen oft gemieden. Als sich Fifi mit einer klaffenden Wunde am Kopf wiederholt um Fellpflege von anderen Tieren ihrer Gruppe bemühte, sahen die sich die Wunde an (in der ein paar Fliegenlarven zu sehen waren) und entfernten sich dann eilig. Aber ihr kleiner Sohn groomte sie sorgfältig um die Ränder der Wunde herum und leckte sie manchmal. Und als die alte Madam Bee nach dem Überfall der Kasakela_Männchen im Sterben lag, brachte Honey Bee täglich Stunden bei ihr zu, groomte ihre Mutter und hielt die Fliegen von ihren schrecklichen Wunden ab. In Gruppen von gefangenen Schimpansen kommt es vor, daß die zusammen aufgewachsenen Tiere, die so vertraut miteinander sind wie nahe Verwandte in der Wildnis, sich gegenseitig eifrig den Eiter aus Wunden drücken oder polken oder Splitter ausziehen. Einer holte seinem Gefährten ein Schmutzkörnchen aus dem Auge. Ein junges Weibchen gewöhnte sich an, ihren Gefährten mit Zweigen die Zähne zu putzen. Besonders faszinierend fand sie es, wenn deren Milchzähne locker und wacklig waren; sie zog ihnen sogar ein paar Zähne! Solche Handlungen sind überwiegend auf ein Fasziniert sein von der Tätigkeit selbst zurückzuführen und leiten sich sicherlich von der sozialen Fellpflege her. Die Ergebnisse sind jedoch manchmal für die Empfänger wohltuend, und das Verhalten bildet zusammen mit der so oft gegenaber Familienmitgliedern gezeigten Sorge die biologische Grundlage für das Auftreten der mitfühlenden Gesundheitsfürsorge beim Menschen.

Bei nichtmenschlichen Primaten in der freien Wildbahn teilen Erwachsene nur selten ihre Nahrung untereinander, mit Ausnahme von Müttern, die im allgemeinen mit ihren Jungen teilen. In der Schimpansengesellschaft jedoch teilen auch nicht miteinander verwandte Erwachsene oft miteinander, auch wenn sie es bevorzugt mit Verwandten oder nahen Freunden tun. In Gombe kann man Teilen am häufigsten beim Fleischfressen beobachten, wenn der Besitzer in Reaktion auf eine ausgestreckte Hand oder sonstige Bettelgebärde zuläßt daß ihm ein Stück Fleisch abgenommen wird – oder gar selbst ein Stück abreißt und dem Bittenden überreicht. Manche Tiere sind dabei großzügiger als andere. Gelegentlich werden auch andere Nahrungsmittel geteilt, wenn sie knapp sind – etwa Bananen. Unter in Gefangenschaft lebenden Schimpansen sieht man oft, daß sie abgeben. Wolfgang Köhler schloß einmal «im Interesse der Wissenschaft» das junge Männchen Sultan ohne Abendbrot in seinem Käfig ein und fütterte dann das alte Weibchen Tschego draußen. Während sie fraß, wurde Sultan immer wilder in seinen flehentlichen Bitten an sie. er winselte und kreischte und streckte die Arme nach ihr aus und warf sogar Strohhalme in ihre Richtung. Schließlich (vermutlich, nachdem sie ihren ärgsten Hunger gestillt hatte) nahm sie ein Häufchen Futter und schob es ihm in den Käfig.

as Teilen der Nahrung bei Schimpansen wird von Wissenschaftlern meist wegdiskutiert als die einfachste Art, ein Ärgernis – das Betteln eines Gefährten – abzustellen. Manchmal trifft das sicher zu, denn bettelnde Tiere können außerordentlich hartnäckig sein. Aber oft sind die Geduld und die Toleranz dessen, der die erwünschten Dinge besitzt, wirklich erstaunlich. Zum Beispiel, als die alte Flo das Stock Fleisch haben wollte, auf dem Mike gerade kaute. Sie bettelte, indem sie ihre beiden Hände um sein Maul legte, mehr als eine Minute lang. Dabei näherte sie nach und nach ihre schmollend aufgeworfenen Lippen den seinen, bis sie nur noch zwei Zentimeter entfernt waren. Endlich gab er nach und schob den Bissen (inzwischen gut durchgekaut) direkt von seinem Mund in ihren. Und was ist mit Tschegos Abgeben an Sultan? Zugegeben, sein lärmendes Wüten mag sie irritiert haben – aber sie hätte sich auch in eine entfernte Ecke ihres Geheges zurückziehen können. Robert Yerkes berichtet von einer Schimpansin, der durch die Gitterstäbe ihres Käfigs Fruchtsaft in einer Schale angeboten wurde. Sie füllte sich den Mund und lief dann, als Reaktion auf bettelndes Winseln aus dem nächsten Käfig, hinüber und flößte den Saft ihrer Freundin ein. Dann lief sie zurück und holte den nächsten Mundvoll und lieferte den auf die gleiche Weise ab. Sie fuhr fort damit, bis die Schale leer war.

Als Madam Bee schon sehr alt war, hatten wir einen ungewöhnlichen trockenen Sommer in Gombe, und die Schimpansen mußten weite Entfernungen von einer Nahrungsquelle zur nächsten überwinden. Madam Bee war krank und schwach und wurde bei diesen Wanderungen manchmal so müde, daß sie nicht mehr die Energie aufbrachte, zum Fressen auf einen Baum zu klettern, wenn sie ankamen. Ihre beiden Töchter stießen leise Rufe des Entzückens aus und kletterten hinauf, um zu fressen, aber sie blieb einfach völlig erschöpft unten liegen. Bei drei verschiedenen Gelegenheiten stieg Little Bee, die ältere Tochter, nachdem sie etwa zehn Minuten gefressen hatte, wieder hinunter, mit Nahrung im Mund und in einer Hand. Die Nahrung aus der Hand legte sie neben Madam Bee auf den Boden. Dann saßen die beiden Seite an Seite und aßen gemeinsam. Little Bees Verhalten war nicht nur ein Beweis für absolut freiwilliges Geben, sondern es zeigte auch, daß sie die Bedürfnisse ihrer alten Mutter begriff. Ohne ein solches Verstehen kann es kein Einfühlungsvermögen, kein Mitleid geben. Und es sind diese Wesenszüge, die bei Schimpansen wie Menschen zu altruistischem Verhalten und Selbstaufopferung führen.

Auch wenn Schimpansen eine Gefahr meistens zugunsten von Familienmitgliedern auf sich nehmen, gibt es Beispiele dafür, daß einzelne auch Verletzungen oder ihr Leben riskiert haben, um einem nichtverwandten Gefährten beizustehen. Evered trotzte einmal bei einer Jagd der Wut erwachsener Pavianmännchen, um den kreischenden jungen Mustard zu retten, den die Paviane an den Boden gedrückt festhielten. Und als Freud bei einer Buschschwein-Jagd von einer wütenden Sau gepackt wurde, setzte Gigi ihr Leben aufs Spiel, um ihn zu retten: Als das Schwein Freud von hinten anfiel, hatte Freud das gefangene Ferkel losgelassen. Er kreischte und strampelte, um sich zu befreien, als Gigi mit gesträubtem Fell herbeifegte. Die Sau fuhr herum, um Gigi anzunehmen, und Freud, der tüchtig blutete, konnte sich auf einen Baum flüchten.“22

Diese Ausführungen dürfen indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß allein im Menschen die hier ansatzweise erkennbare Abel-Seele voll entwickelt ist. Allerdings zeigt das Verhalten unerer felltragenden Verwandten, auf welch breitgefächertes Verhaltensrepertoire die Evolution zurückgreifen konnte. Mit anderen Worten, die von uns als positiv empfundenden Verhaltensmuster begegneten in der Frühzeit des Menschen keinem nennenswerten Widerstand und konnten sich ungehindert ausbreiten.

Abel kam auf die Welt. Und damit verurteilte die Evolution den Menschen, mit den zwei Seelen, die seitdem in seiner Brust hausen, fertig zu werden.

Das Iowa-Experiment hat gezeigt, wie schnell sich der Rückfall von einer an Abel orientierten Gesellschaft in die Kain-dominierte zurückfallen kann. Nicht nur das Iowa-Experiment, auch die dokumentierte Geschichte von den Tyrannen Athens bis zu Slobodan Milosevic offenbart diesen Befund in vielfältiger Weise.

Allerdings ist die Bedrohung nicht auf die Großsozietäten der modernen Zivilisation beschränkt:

… Das Leben spielte sich ab im Zyklus von Kriegen und Festen mit Kannibalismus, in Exzessen sexueller Natur und in der Sicherung der Sippe vor Überfällen. Der Völkerkundler Ronalsd Berndt hat es in einer Monographie beschrieben. Doch folgen wir den Schilderungen von Famane und dem Bild, das sich für uns daraus ergibt. Von der Kraft ist die Rede. Damit man kräftig, jung und für Frauen attraktiv bleibt, übt man in der avagli-Zeremonie das Schwitzen und Aushalten von Muskelanstrengung. Es vergeht keine Woche, in der nicht etwas Gewaltsames geschieht. Wer sich als der Stärkste durchsetzt, setzt damit auch sein Recht. Es gibt keine Häuptlinge, aber es gibt die souwäs, die Starken, die ihren Willen durchsetzen, weil die anderen sich vor ihnen fürchten. Nur zu Überfällen tut man sich zusammen und stellt sich unter das Regiment eines solchen Starken. Sonst geht jeder seinen Weg. Zum Hausbau hilft man sich gegenseitig. Ebenso zur Rodung und bei der Anlegung von Gemeinschaftsgärten. Darüber hinaus weiß sich jeder frei und unabhängig. Jagd, Feste, Zauberei, Flötenkulte, Schweinezucht und Krieg sind die Hauptthemen. Angst und Mißtrauen liegen über allem. Betrug, Überfälle, Vergewaltigungen und Morde lassen niemanden recht glücklich werden. Aber man weiß ja nichts anderes. Bis zum Tod verbringt man so sein Leben und denkt nicht weiter nach. Das Unangenehme wird hingenommen wie Sonne und Regen auch. Es gehört mit zur Existenz.

Wenn jemand stirbt, dann wird er verspeist. Eine Pflege der Schwachen kennt man nicht. Bei Famane vollzog sich insofern ein Bruch, als er mit etwa fünfundzwanzig Jahren mit den Europäern in Berührung kam und sein Leben damit eine entscheidende Wendung erhielt. In der alten Kultur aber geht alles seinen Gang weiter. Es gibt keine Hoffnung, dem Kreislauf des Unterdrückens und Unterdrücktwerdens zu entrinnen.“ 23

Nun kann niemand sagen, wie lange dieser Zustand schon andauert, und ob er möglicherweise erst durch die Berührung der Ureinwohner Neuguineas mit der „Zivilisation“ ausgelöst wurde. Eines jedenfalls ist sicher, auch die diversen Völkerschaften der Papuas kennen die Gefahren des Bruderzwists, den die Bibel beschreibt, denn dieser ist auch in ihren Schöpfungsmythen lebendig.

Die sogenannte „Kilibob-Manub-Mythe“ erscheint zwar in vielen Variationen, das Grundmuster wird indes wie folgt beschrieben:

Zwei Brüder, von denen im allgemeinen der jüngere fortschrittlicher und geschickter, der ältere konservativer ist, geraten in Streit um eine Frau, meist die Ehefrau des älteren, mit der der – unbeweibte – Bruder Ehebruch begeht und/oder der er ein spezifisches Muster, das sie auf seinem fehlgeschossenen Pfeil bewundert hat, auf den Schamhügel tatauiert. Der betrogene Ehemann macht den Ehebrecher ausfindig, indem er ihn anläßlich des Baus eines Kulthauses Pfosten beschnitzen läßt. Er erkennt dabei das verräterische Muster und versucht, den Ehebrecher im Pfostenloch mit einem Pfosten zu erschlagen…“24

In der Regel entkommt der Angegriffene und wird zum Stammvater einer Reihen von Gruppen, die er an seinem Wissen und seinen Erfahrungen teilhaben läßt.

Wir haben in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, daß in der Vorstellungswelt der Papuas die Frau zum Besitz des Mannes gehört. Der oben angesprochene „Ehebruch“ ist daher nicht an europäischen Maßstäben zu messen; vielmehr ist die Reaktion des Kilibob so zu interpretieren, daß er von seinem Besitz nichts abgeben will. – Manub hat die Frau des Kilibob offensichtlich nicht vergewaltigt, was einer Wegnahme gleichkäme, der „Besitz“ seines Bruders hat sich mehr oder weniger „verselbständigt“ und eine eigene Entscheidung getroffen. Das aber kommt einem „Opfer“, das Kilibob zu bringen hat, in etwa gleich, denn er muß verzichten. Dieses Verzichtenmüssen lastet er seinem Bruder an und wird gewalttätig, genau wie Kain es tat. Manub erweist sich nach seiner Flucht als derjenige, der bereitwillig sein „Know-how“ zur Verfügung stellt. Er ist also derjenige, der freiwillig mit anderen teilt. Er hat die Rolle des Abel. Obwohl der Ursprungsort der Bibel von den Quellen dieser Variante des vorsintflutlichen Bruderzwists etwa 20.000 km entfernt liegt, sind beide Mythen in ihrem Kern verblüffend ähnlich. Das mag reiner Zufall sein, an den ich allerdings nicht glaube.

Die Geschichten von Kain und Abel, von Kilibob und Manub zeigen vielmehr deutlich, daß die beiden zugeordneten Verhaltensmuster in jedem Menschen vorhanden sind. Systemtheoretisch könnte man es so ausdrücken, als spiele sich alles menschliche Sozialverhalten zwischen dem Kain- und dem Abelattraktor ab.

Persönliche Eigenschaften, die gern als Persönlichkeitsmerkmale bezeichnet werden, sind normalverteilt. Anhaltspunkte für einen von der statistischen Normalverteilung abweichenden Wert finden sich nicht. Betrachten wir die Enden der Skala, werden wir Menschen, die dem Kainattraktor zuneigen, eher in den Gefängnissen finden als Artgenossen, die eher den Abel verkörpern. Diese wiederum sind die Garanten dafür, daß unsere Krankenhäuser und Pflegeinstitutionen funktionstüchtig bleiben.

Wir haben hier die Extreme herausgearbeitet, die Grenzen der Möglichkeiten menschlichen Verhaltens aufzeigen. Dennoch sei davor gewarnt, Kain zu verteufeln und das Abel-Extrem zu verabsolutiernen und als das erstrebenswerte neue Ziel für die gesellschaftliche Entwicklung zu betrachten, das notfalls mit brachialer Gewalt durchzusetzen sei.

Aus der Gegenseitigkeit der Tauschbeziehungen ergibt sich, daß es für das Geben ein Optimum gibt. Zuwenig ist sicher nicht gut, und Geiz ist in Stammeskulturen verpönt. (…) Wenn einer allerdings zuviel gibt, so daß der Beschenkte das nicht so ohne weiteres erwidern kann, dann muß er durch seine Position, etwa als Häuptling, daz befugt sein. Einem Häuptling zahlt man auch Tribut, damit er verteilt und so die Gruppe bindet. In weniger hierarchisch organisierten Stameskulturen gilt aber der zuviel Gebende als Dummkopf oder als einer, der nichts Gutes im Sinn hat“25.

Wir müssen uns an dieser Stelle erneut vor Augen halten, daß es den „modernen“ Menschen erst seit rund 40.000 Jahren gibt. Das sind auf unserer Zeitskala 40 Meter. Der Zeitpunkt, zu dem sich die Kluft zwischen Kain und Abel auftat, liegt aber mindestens vier Kilometer hinter uns. Der Mensch lebte damals in einem relativ eng begrenzten Lebensraum. In diesem konnte er sich über Jahrmillionen als Sammler und Jäger erfolgreich behaupten. Das rechtfertigt den Schluß, daß es unseren Vorfahren gelungen ist, den Kain in ihnen weitgehend zu zügeln.

Der Weg, der den Menschen von den Bäumen des Tropenwaldes in die Weiten der Savanne Ostafrikas führte und ihm seine markante äußere wie innere Gestalt verlieh, wäre damit in groben Umrissen nachgezeichnet. – Mehr als diese Skizzierung ist wegen fehlender direkter Beweise auch nicht möglich.

Wie lange die Evolution zur Erreichung dieses Zustandes tatsächlich gebraucht hat, ist ungewiß. Jedenfalls wurde 1,5 km vom Startpunkt unserer Reise entfernt ein Mädchen geboren, das man mehr als 3,5 Mio. Jahre später auf den Namen „Lucy“ taufte. – In der Krabbelgruppe würde „Lucy“ als Baby auch nach 3,5 Mio. Jahren durch ihr Verhalten nicht auffallen, weil alle Verhaltensmuster, die wir von uns selbst kennen, bereits zu ihrer Zeit voll ausgeprägt waren.

Lucy“ war an ihre Umwelt vollkommen angepaßt; sie war darin geborgen. Diese Geborgenheit spiegelt sich zum einen darin wieder, daß bis zur nächsten belegbaren Veränderung im Körperbau des Menschen gut und gerne 120.000 Generationen ins Land gingen. Zum anderen ergibt sich der Beleg für die Geborgenheit aus den Fossilien unseres Gehirns, die der große Psychologe C.G. Jung als „Archetypen“ bezeichnet:

Wolfgang Wickler hat den Wert und die Bedeutung der Tradition für die Anpassung an die Umwelt aufgezeigt. Tradition als Zusammenfassung kollektiver Erfahrung und Gehorsam gegenüber dem Tradierten als Ausdruck des Vertrauens waren bereits C.G. Jung geläufig. Jung berichtet vom merkwürdigen Sonnnenkult der Elgonyi. Auf seine Frage, was dieser Kult bedeute, erhielt er die Antwort, man hätte das immer so getan und es von den Eltern gelernt; der Medizinmann wüßte, was es bedeuten würde. Allerdings konnte auch der Medizinmann keine Auskunft über die Bedeutung des Rituals geben, nur darüber, daß sein Großvater diese noch gekannt hätte. „Man mache das eben so, bei jedem Sonnenaufgang und wenn die erste Mondphase nach dem Neumond erscheint. (…) Dieses Verhalten der Elgonyi will uns allerdings als sehr primitiv vorkommen, dabei vergessen wir aber, daß auch der gebildete Abendländer nicht anders verfährt. Was der Christbaum bedeuten könnte, haben unsere Vorfahren noch weniger gewußt als wir, und erst die neueste Zeit hat sich darum bemüht herauszufinden, was er bedeuten könnte.

Der Archetypus ist reine, unverfälschte Natur (>Natur< hat hier die Bedeutung des schlechthin gegebenen und Vorhandenen), und es ist die Natur, die den Menschen veranlaßt, Worte zu sprechen und Handlungen auszuführen, deren Sinn ihm unbewußt ist, und zwar so unbewußt, daß er nicht einmal darüber denkt. Eine spätere, bewußtere Menschheit kam angesichts so sinnvoller Dinge, deren Sinn doch niemand anzugeben wußte, auf die Idee, daß es sich um Reste eines sogenannten goldenen Zeitalters handle, wo es Menschen gab, die wissend waren und den Völkern die Weisheit lehrten. Spätere, verkommene Zeiten hätten diese Lehren vergessen und nur noch mechanisch unverstandene Gesten wiederholt. Angesichts der Ergebnisse der modernen Psychologie kann kein Zweifel mehr darüber walten, daß es vorbewußte Archetypen gibt, die nie bewußt waren und indirekt nur durch ihre Wirkungen auf die Bewußtseinsinhalte festgestellt werden können. Es besteht meines Erachtens kein haltbarer Grund gegen die Annahme, daß alle psychischen Funktionen, die uns heute als bewußt erscheinen, einmal unbewußt waren und doch annähernd so wirkten, wie wenn sie bewußt gewesen wären. Man könnte auch sagen, daß alles, was der Mensch an psychischen Phänomenen hervorbringt, schon vorher in naturhafter Unbewußtheit vorhanden war… .26

Lucy“ war, legt man als Kriterium die ihr möglichen Verhaltensalternativen zugrunde, eindeutig ein Mensch. Ihre sterblichen Überreste wurden zum wohl bekanntesten Skelett eines Zweibeiners, dem man den wissenschaftlichen Namen Australopithecus Afarensis verpaßte.

Die uns bekannte Form des menschlichen Bewußtseins ist, die Ausführungen C.G. Jungs zeigen es, keine notwendige Bedingung dafür, in einer von unserer Zivilisation unberührten Natur als Mensch zu überleben. Der Fortpflanzungserfolg gab „Lucy“ und all ihren Nachkommen Recht. Wir aber haben keinen Beweis dafür, daß der heutige Mensch sich seitdem in einer Form weiterentwickelte, die den Gebrauch neuer Gattungs- und Artnamen rechtfertigen würden. Aus diesem Grunde gibt es entweder nur Australopithecus oder nur homo als biologische Artbezeichnung des Menschen. Bei den Römern war homo nicht nur das Wort für Mensch, sondern auch das für Mann. Aus Gründen der Objektivität und zur Vermeidung sexistischer Tendenzen sollte daher meiner Meinung nach für den Menschen die Artbezeichnung Australopithecus beibehalten werden. Der Mensch geht aufrecht. Aufrecht, hochaufragend heißt auf Latein superbus. Superbus in der Bedeutung „überheblich“, war der Beiname des letzten römischen Königs. Die schillernde Bedeutung dieses Attributs lassen es mich gerechtfertigt erscheinen, uns selbst als Australopithecus superbus in die biologische Nomenklatur aufzunehmen.

Nach Konrad Lorenz ist der heutige Mensch der letzte Schrei, aber nicht das letzte Wort der Natur. Wenn Zinjanthropus in der Straßenbahn schon nicht auffiele, ließe sich „Lucy“ wohl im Playboy als die exotische Schönheit des Jahres vermarkten. „Lucy“ war schließlich auch einmal der letzte Schrei der Natur – Jedenfalls hätte sie keine Scheu, ihre Reize vor der Kamera zu zeigen, weil jegliche Form von Bekleidung zu ihren Lebzeiten unbekannt war.

Wir winken „Lucy“, ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln freundlich zu und schalten unseren Walkman ein. Wir hören „Lucy in the Sky with Diamonds“, den Song der Beatles, der diese unfreiwillig zu Taufpaten der junge Dame aus der Olduvai-Schlucht machte.

Von Ferne ertönt allerdings schon das dumpfe „Hey, Neanderthal Man“. Das signalisiert uns bereits das nahende Ende unserer Reise. Denn wir haben nur noch zwei Gabelungspunkte vor uns, bevor wir den Menschen von Crô – Magnon27 und aus dem Neandertal gegenüberstehen.

Diese Artgenossen müssen sich noch ein wenig gedulden, denn bevor wie sie erreichen, müssen wir noch unseren Freunden vom Stamm des Homo erectus einen Besuch abstatten. „Lucy“ lebte in einer evolutionär unspektakulären, paradiesischen Zeit; über weitere 1,5 km treibt JirkasBoot ruhig dahin, erst danach beginnen sich die Verhältnisse zu ändern, zunächst nicht dramatisch, aber kontinuierlich. Dann geht es turbulent zu in unserem Fluß, aber bereits nach wenigen hundert Metern wird es wieder ruhig und Jirkas Boot erreicht das von Homo erectus beherrschte Gebiet.

Langsam wird es Zeit, daß Sie sich eine Jacke anziehen, denn der folgende Teil unserer Reise führt aus den Gefilden des Paradieses hinaus.

1 Wolfgang Wickler, Die Biologie der Zehn Gebote, München 1977, S. 143

2 Rudolf Bilz, Paläoanthropologie, Frankfurt/Main 1971, S. 488ff

3 Armin Heymer, Die Pygmäen, München 1995, S. 204f

4 Die Vorarbeiten zum Bürgerlichen Gesetzbuch begannen kurz nach der Reichsgründung 1871, waren aber erst 1896 bgeschlossen. Das BGB faßt in seinem Kern die mitteleuropäischen Rechtstraditionen von Jahrtausenden zusammen.

5 vlg. Eibl-Eibesfeld aaO 497 ff, er faßt seine Ergebnisse u.a. wie folgt zusammen: „…In allen von uns untersuchten Kulturen verfügen bereits Säuglinge im vorsprachlichen Alter über die Strategien des Anbietens, und sie erfreuen sich spielerischer Dialoge des Gebens und Nehmens, die bereits die Regeln der Reziprozität beachten. Aus dem reziproken Geschenkeaustausch entwicklte sich der Handel. Die ethologischen Erhebungen bestätigen die Annahme von Marcel Mauss, daß die soziale Funktion des Objekttransfers am Anfang der Entwicklung stand. Bindungen an Mitmenschen werden als Besitz geachtet und verteidigt. Soziale Bindungen sind jedoch stets partnerschaftlich wechselseitig.( S. 508)

6 vgl. Eibl-Eibesfeldt aaO, S. 508

7 vgl. auch Zimmer aaO S. 255 ff, Zimmer nennt das beschriebene Phänomen „Obligationsmuster“, dasd letzlich unser Gerechtigkeitsgefühl erzeugt.

8 Christian Kaufmann in: Heinrich Harrer: Unter Papuas Frankfurt/Main 1978, S 198f.

vgl. auch Friedrich Klausberger, Ruoni Murlen – Recht ohne Gesetz, Göttingen 1989, S xy; Die Murle, ein Volkstamm im Südsudan beschreiben ihre Vorstellung vom Vertrag in verblüffend ähnlicher Weise wie das BGB.

9 vgl. Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Die Biologie des menschlichen Verhaltens, München 1995, S. 506

10 Das Wort „Kybernetik“ leitet sich aus dem griechischen kyberentes (Steuermann) ab, es geht auf Norbert Wiener zurück

11 Peter Ripota, Wie man Erfolgsstrategien im Rechner testen kann, in: PM – Magazin 7/92, S. 64

vgl. auch Robert Axelrodt u. William D. Hamilton, The Evolution of Cooperation, Science Bd. 211 (1981), S. 1390, 1393 ff

12 vgl. Wolfgang Ukatius, Der Mensch – kein Egoist, in: Die Zeit, 31.5.2000, S. 31

13 Sabine Klocke-Daffa, „Wenn Du hast, mußt Du geben.“ – Traditionelle Sicherungssysteme im neuen Staat. Das Beispiel der Nama; in: Zeitschrift für Ethnologie 1999, 299, 303

14 Vitus B. Dröscher, Wie menschlich sind die Tiere?, München 1985, S. 144

15 Wolfgang Wickler, Die Biologie der Zehn Gebote, München 1977, S 184 ff

16 Es gibt wohl eine Reihe von Kulturen, die den Status eines formalen Häuptlings nicht kennen, wie z.B die Aboriginees Australiens. ( vgl. Helmut Uhlig, Menschen der Südsee, Berlin 1974 S. 43): Es gibt in den australischen Horden kein Häuptlingstum. Der Zäheste, Tüchtigste, Erfahrenste, der auch über die mythisch-religiösen Bindungen genau Bescheid weiß, führt die Horde. Meist sind es alte Männer, denen diese Aufgabe zufällt und die auch darüber zu wachen haben, daß die strengen Gesetze der bestehenden Gesellschaftsordnung eingehalten werden.“ – Wenn auch nicht formal ein Häuptling, der Stellung und Funktion nach aber doch!

17 Wolfgang Wickler aaO, S 210f

18 Alfred J. Marrow, Kurt Lewin – Leben und Werk, Stuttgart 1977, S. 142 f;

vgl. auch Manfred Sader, Psychologie der Gruppe, Weinheim 1991, S. 271ff; Jean Pierre Poitou, Macht und Machtausübung, in: Serge Moscovici, Forschungsgebiete der Sozialpsychologie, Kronberg 1976, S. 123f; Rudolf Dreikurs, Selbstbewußt, München 1995, S. 212ff

19 Dreikurs, aaO, S. 214

20 Man hat bei der Diskussion über das Ergebnis vergessen, daß die Bereitschaft zum Gehorsam gegenüber Autoritäten die Grundlage jeder Gesetzgebung darstellt. Kein Gesetz dieser Welt würde beachtet, wenn die Menschen nicht dazu bereit wären, es auch zu befolgen. Allerdings zeigt es auch die Grenzen der Möglichkeiten des Gesetzgebers auf. Es ist nicht möglich, durch Gesetz ein gesellschaftlich anerkanntes oder überwiegend geduldetes Verhalten aus der Welt zu schaffen und gesellschaftliche Probleme durch Verbote zu lösen. Die Erwartung, daß alle dem Verbot Folge leisten werden, erweist sich als Illusion. Denn es ist damit zu rechnen, daß sich etwa 37% der vom Gesetz Betroffenen widersetzen werden.

21 Jane Goodall, Ein Herz für Schimpanen, Reinbek 1991, S. 236

22 Goodall, aaO, S. 241

23 Dr. Friedrich Steinbauer, Tarabo, in: Heinrich Harrer, Unter Papuas, Frankfurt/Main 1978, S. 61

24 Dr. Rose Schubert, Mythen und Erzählungen, in : Heinrich Harrer aaO, S. 189

25 Eibl-Eibesfeldt, 1995, S. 504

26 Carl Gustav Jung, Gesammelte Werke Band VIII, Zürich 1967, Rnr. 411f, S.240f

27 Das in der Höhle von Crô – Magnon gefundene Skelett ist ca. 40.000 Jahre alt und das älteste bislang gefundene, das eindeutig die Züge des heutigen Menschen aufweist.


Die SS, die Bibel und die Jurisprudenz

März 29, 2012

ZDFinfo – ZDF.de.

Als größter Ketzer aller Zeiten kann ich von Glück sagen, daß Scheiterhaufen ein wenig aus der Mode gekommen sind. – Vor wenigen Jahrhunderten wäre ich dort nämlich schon vor geraumer Zeit gelandet.

„Alle haben es gewußt – oder nicht wissen wollen“ – das ist der Tenor des Films.

Alle haben es gewußt, alle wissen es, aber keiner reißt die Schnauze auf:

Millionenfach gefährlicher als die SS ist die Justiz in der Gestalt der Jurisprudenz. Unter dem Deckmantel der „Rechtswissenschaft“ töteten und töten Juristen ohne jegliche Skrupel. – Und das mit Zustimmung der Bevölkerung. – Das böse Spiel nennt sich „Todesstrafe“.

Die sogenannte Todesstrafe ist der kleine schmutzige Bruder des Menschenopfers. – Wir geben den Götern das, was sie unserer Meinung nach wollen, damit sie uns geben, was wir wollen. – Die Todesstrafe war und ist nicht in allen Kulturen die alttestamentarische „Vergeltung“ für die Auslöschung von Menschenleben. – Selbst im Alten Testament ist die Anwendung der „Todesstrafe“ eher chaotisch als systematisch:

„Wer Vater oder Muter flucht, der soll des Todes sterben.“ (2. Moses 21, 15)

Fünf Verse weiter ist ein Menschenleben kaum noch einen Pfifferling wert:

„Wer seinen Knecht oder seine Magd schlägt mit seinem Stabe, daß sie sterben unter seinen Händen, der soll darum gestraft werden.

Bleibt er aber einen oder zwei Tage am Leben, so soll ernicht darum gestraft werden, denn es ist sein Geld“ (2. Moses 21, 20f.)

Die „Nebengesetze“ zu den 10 Geboten fangen in 2. Mose 21 an und tauchen danach in unregelmäßigen Abständen in unterschiedlicher Form immer wieder auf und ordnen die Todesstrafe an:

3. Mose 19ff

5. Mose 17ff

Die größte Orgie der Todesstrafe vor Errichtung des Volksgerichtshofes findet man wohl im 20. Kapitel des 3. Buches Mose.  – Vor allem für sexuelle Vergfehen gibt es nichts als die Todesstrafe. – Ein gefundenes Fressen für die Freislers aller Glaubensrichtungen.

– Und das, obwohl ein Kapitel zuvor bereits die Ansätze zum bürgerlichen Recht und zu rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien durchschimmern:

„Es soll des Tagelöhners Lohn nicht bei dir bleiben bis an den Morgen“ – (3. Mose 19, 14,2) – Wer einen anderen für sich arbeiten läßt, hat ihn zum vereinbarten Zeitpunkt zu entlohnen!

„Ihr sollt nicht unrecht handeln im Gericht, und sollst nicht vorziehen den Geringen noch den Großen ehren; sondern du sollst deinen Nächsten recht richten“ ( 3. Mose 19, 15) – Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich!

Nur wenige Verse weiter befiehlt Gott: „Ihr sollt nicht unrecht handeln im Gericht, mit der Elle, mit Gewicht, mit Maß.“ – (3.Mose 19, 35) – Das ist nur konsequent, denn Maße und Gewichte müssen stimmen.

3. Mose 19 ist aber nicht nur unter rechtsstaalichem Gesichtspunkt interessant, denn er zeigt, wie ungenau es auch die Angehörigen des „Auserwählten Volkes“ mit der Integration nehmen:

„Wenn ein Fremdling bei dir in eurem Lande wohnen wird, den sollt ihr nicht schinden.

Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland. Ich bin der Herr Euer Gott.“ (3. Mose 19, 33f)

Auf die beiden letztgenannten Bibelstellen bin auch ich gerade erst gestoßen; – ich hatte eine andere gesucht. – Aber interessant ist sie trotzdem, vor allem vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Situation im „Nahen Osten“. – Dort berufen sich alle Streithähne auf das „Alte Testament“ als „Rechtsquelle“.

Wer „gottesfürchtig“ leben will, der muß den „göttlichen Auftrag“ zum Terrorismus akzeptieren, der Noah nach der Sintflut erteilt wurde. – „Furcht und Schrecken sei vor Euch…“

Auch Völkermord läßt Gott glatt durchgehen: – Richter 12,6

Trotz allem käme niemand auf die Idee, die SS als „Vollstrecker göttlichen Willens“ zu bezeichnen.

Ob man zwischen 1933 und 1945 in Deutschland „was gewußt“ hat oder „nicht gewußt“ hat, spielt keien Rolle. Denn auch heute weiß man, was Assad anrichtet, man weiß, daß Israels Regierung im Rahmen ihres fortschreitenden Verfolgunswahns dabei ist, junge Menschen für eine „gerechte Sache“ zu opfern und damit Instabilität in die Welt hineinzutragen. – Die  „organisierte Weltgemeinschaft“ wird das ebensowenig verhindern wie Assads Morde.

All das weiß ein gewisser Ahmadnieschad. – Der braucht gar keine Atomwaffen zu bauen, um Israel zu vernichten. – Eer braucht nur darauf zu warten, daß Isreals Ministerpräsident die Lunte anzündet. – Der Nahe Osten ist mit Waffen und Munition mehr als vollgestopft.

Und die Jursiten der Welt werden sich wieder einmal schulerzuckend abwenden, weil sie eine „politische Entscheidung“ brauchen, die ihnen den Weg zu einem „Prozeß“ gegen die „Verbrecher“ öffnet.

Die abwartende Haltung der Jurisprudenz und ihr steter Kotau vor der „Politik“ macht sie gefährlicher als die militärische und friedliche Nutzung der Kernenergie zusammen. Die Gefahren, die von der Jurisprudenz ausgehen, lassen sich in wenigen Worten und in einer Art „Fünf-Tage-Woche“ zusammenfassen:

Montags fängt man damit an, am Volksgerichtshof Todesurteile wegen „Wehrkraftzersetzung“ zu verhängen.

Dienstags bringt man beim Nürnberger „Kriegsverbrechertribunal“ die an den Galgen, die sich der „Wehrkraftzersetzung“ widersetzten.

Mittwochs verkündet man in Schauprozessen die todesurteile, die in der STASI-Zentrale gefällt wurden.

Donnerstags läßt man mit der Scharia unter dem Arm vergewaltigte Frauen kurzerhand steinigen

und

am Freitag lehnt man die Annahme offensichtlich begründseter Verfassungsbeschwerden ab und verhängt gegen den Beschwerdeführer eine vom „Gesetzgeber“ angeordnete „Mißbrauchsgebühr“.

Und jetzt wissen es alle – oder können es alle wissen – , wie die Justiz ian aller Herren Länder und zu allen Zeiten funktioniert. – Das „Wissenkönnen“, das wird von den Juristen oft genug dem „Wissen“ gleichgestellt. – Und wenn man auch das weiß, dann reicht „Wissenkönnen“ zum Vorwurf des „Wissens“ allemal aus!

Als das Bundesverfassungsgericht – unter Federführung des Herrn Prof. Dr. Udo di Fabio dem Schröder die Fahnenflucht erlaubte, dachte ich spontan: „man müßte sich eigentlich schämen, Jurist zu sein“.


Ratingagenturen – den „Weisen“ ins Revier gepinkelt

Oktober 1, 2011

US-Börsenaufsicht wirft Ratingagenturen Mängel vor | tagesschau.de.

Manchmal kann es ganz nützlich sein, die Festplatte aufzuräumen. So eine Festplatte hat manchmal „Dachbodenfuktion“. – Man findet in einer alten Kiste eine Notiz, , die man schon lange vergessen hatte. – Und siehe da, manchmal erweist sie sich als hochaktuell. – Nachfolgende Notiz stammt vom 28.4.2005:

Beginn des Zitats:
Die Hiobsbotschaften häufen sich: In der „Wirtschaft“ werden exorbitante Gewinne erzielt und trotzdem Arbeitsplätze abgebaut. Franz Müntefering, der unlängst gefordert hatte, dem „Staat“ mehr Geld zu geben, entpuppt sich als Killerdackel, denn zu mehr als zur Wadenbeißerei ist er nicht fähig.
In der ganzen Diskussion zeigt sich, daß mit Schlagworten um sich geworfen wird, die letztlich keinen Inhalt haben. So konnte denn die „Volkswirtschaftlehre“ still und sanft entschlafen, ohne daß es jemand gemerkt hätte. Eingeschläfert wurde sie an der Universität Zürich, genauer gesagt vom Institute for Emperical Research in Economics. Eine der grundlegenden Arbeiten wurde von Armin Falk als Working Paper Nr 79 unter dem Titel „Homo Oeconomicus versus Homo Reciprocans“ veröffentlicht. Danach entspricht die absolute Mehrheit der Menschen nicht dem Standardmodell der Wirtschaftswissenschaften, die den Menschen für ein streng rational handelnden und nur auf den eigenen Vorteil bedachtes Wesen hält. Die Lehren vor Volks- und Betriebswirtschaft sind ausnahmslos auf dieser Prämisse aufgebaut. Stimmen aber die Prämissen nicht, ist die Lehre falsch.
Ich wußte nichts von den Forschungsarbeiten der Schweizer Volkswirte, als ich 1999 begann, den Tausch-und-teile-Instinkt aus alten Mythen, Berichten über das Verhalten von Schimpansen und dem Bürgerlichen Gesetzbuch zu extrahieren. Konfuzius und Aristoteles waren vor langer Zeit auch auf diesen Instinkt gestoßen, ohne ihn aber einordnen zu können, weil für sie der Begriff „Instinkt“ noch in ferner Zukunft lag. Das alles hier näher auszuführen, würde zu weit führen, aber ich kann Ihnen versichern, daß Abel lebt. Er mußte nur in der alttestamentarischen Erzähltradition sterben, weil das alttestametarische Israel eine voll entwickelte Sklavenhaltergesellschaft war. Und Sklaverei ist nun einmal eine eklatante Frustration des Tausch-und-teile-Instinkts.
>>Als ob es eine Ironie des Schicksals gäbe, spiegeln gerade die kulturell vorgegebenen Tötungsweisungen reziprokes Verhalten wider: Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Die Todesstrafe, die Blutrache, die „Vergeltungswaffen“ V-1 und V-2, die „Vergeltung“ Israels für palästinensische Terrorangriffe und die „Vergeltung“ Amerikas für das zerstörte World-Trade-Center durch Krieg gegen den Irak haben im reziproken Verhalten ihren Ursprung. Und als hätte es der „moderne“ Mensch nicht schwer genug, aber hier fällt ihm reziprokes Verhalten leichter als beim Zahlen fairer Löhne für ordentliche Arbeit.
Hier redet man seit Adam Smith  Kain das Wort. Der alte Früchtefresser, der nichts abgeben will, gewann in der Wirtschaft die Oberhand, obgleich sowohl die klassische chinesische Philosophie als auch die griechische das reziproke Verhalten als Grundlage der Wirtschaft erkannt hatten. Der kindliche Nachahmungstrieb wird wieder einmal Pate gestanden haben. Im Absolutismus gab es nur einen, der sich die Taschen nach Belieben auf Kosten anderer füllen durfte. Nach dem Abschütteln des absolutistischen Jochs konnte im Prinzip jeder diese Rolle übernehmen. Das Echo des Absolutismus, die starren Grenzen zwischen den Bevölkerungsschichten  bildete den Nährboden für das aufstrebende Bürgertum. Seit  Generationen kannten die Menschen in Europa nichts anderes, als daß die höheren Schichten die jeweils niederen ausplünderten.
Auf diesen Nährboden fiel 1859 Charles Darwins Arbeit „Die Entstehung der Arten  durch natürliche Zuchtwahl“. Darwins unvermeidlicher Fehler, der „natürlichen Zuchtwahl“ oder „Selektion“ den aktiven Part im Evolutionsgeschehen zuzubilligen, mündete nach kurzer Zeit in den „Sozialdarwinismus“. Und dieser wiederum führte Schnurstracks an die „Selektionsrampe“ von Auschwitz. Auf unserer Skala macht das gerade einmal eine Zigarettenlänge aus. Nahezu zeitgleich mit Darwin erschien Karl Marx auf der Weltbühne und stellte seine Theorien vor. Auch der Marxismus blieb von Darwin nicht unbeeinflußt. Denn der „Kampf ums Dasein“ als Grundlage des Lebens eint Kapitalismus und Kommunismus. Die „Arbeit“ fing an, mit dem „Kapital“ um die Macht zu rivalisieren. Man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, daß die NSDAP nicht von „Kapitalisten“ gegründet worden war, sondern von Hoffnunglosen, die die Abschlachtungsorgie des ersten Weltkrieges überlebt hatten. Der erste Weltkrieg war zu Beginn noch eine Art Familienfehde“ der europäischen Fürstenhäuser gewesen. Der „Kampf ums Dasein“ der Weltmodelle gipfelte in den Abschlachtungsorgien des zweiten Weltkriegs, den Abschlachtungsorgien der chinesischen Kulturrevolution und den Abschlachtungsorgien in Südostasien. Vietnam, Laos, Kamboscha.
Das alles mit rationalen Argumenten nicht erklärbar, denn das Scheitern des Kommunismus hatte bereits Aristoteles  erkannt  Bezüglich des Gemeineigentums an Land und Erträgen schreibt er:
„Wenn die Leute, die die Felder bebauen, andere sind (als die Staatsbürger), dann ist es etwas anderes  und die Sache geht leichter; wenn aber die Bürger für sich selbst arbeiten, dann wir der Kommunismus große Schwierigkeiten mit sich bringen. (…) Dagegen wird der Egoismus mit Recht getadelt. Denn dieser besteht nicht darin, daß man sich selbst liebt, sondern daß man sich mehr liebt als man darf: geradeso tadelt man die Habsucht, obwohl jeder etwas zu haben liebt. Es gewährt ja doch auch große Freude, Freunden oder Fremden oder Bekannten zu helfen oder einen Dienst zu erweisen. Das aber ist nur möglich unter der Voraussetzung des Priavteigentums (Älteste Politik, Kap. 2)
Im vorletzten Satz läßt Aristoteles die Neigung zu reziprokem Verhalten anklingen, dessen Wert für das Zusammenleben er in seiner Nikomachischen Ethik nicht zuletzt durch die Worte unterstreicht:
„Allerdings bewährt sich die wiedervergeltende Gerechtigkeit in allem auf Gegenseitigkeit beruhenden Verkehr eine zusammenhaltende Kraft, aber nach dem Grundsatz der Proportionalität und nicht der Gleichheit. Denn dadurch, daß er verhältnismäßig Vergeltung ausübt, erhält sich der Staat. Denn entweder versucht man das Böse zu vergelten, weil man ohne das keinen Staat, sondern einen Zustand der Sklaverei hätte, oder das Gute, weil ohne das keine Mitteilung des Guten stattfinden würde, worauf doch die Volksgemeinschaft beruht“ (Nikomachische Ethik, Ethische Tugenden: Gerechtigkeit)
Die konfuzianische Lehre erschließt sich nicht so einfach durch den Ur-Text wie bei Aristoteles, da Konfuzius selbst keine Schriften hinterlassen hat. Ein Bestandteil der konfuzianischen Lehre ist ren, welches „Fähigkeit zur Integration in die Gemeinschaft“ und  „Mit-Menschlichkeit“  bedeutet.
In Kapitel XII,22 finden wir den Satz:
(Der Schüler) Fan Chi wollte wissen, was sittliches Verhalten (ren) sei.
Konfuzius antwortete: „Die Menschen lieben.“
Die Menschen lieben, das heißt sich selbst zurücknehmen, sich eben nicht selbst lieben, sondern Eigensucht und Egoismus ablegen und die Expansion des Ego verhindern. (…) Das Verfahren, in welchem ren umgesetzt wird, ist shu, oft als „gegenseitige Rücksichtnahme“. „Reziprozität“ übersetzt. Wir verstehen die folgende Textstelle aus XII, 2 als Erklärung:
„Was du selbst nicht wünschst, das tue auch anderen nicht an.“
Auffällig ist die negative Formulierung dieses Grundsatzes, bei der nicht davon ausgegangen wird, daß das, was für einen selbst gut ist, auch für andere gut sein muß; sie bedeutet damit eine stärkere Zurücknahme des Ego im Verhältnis zu einer positiven Formulierung. (Moritz, Ralf, Konfuzius „Gespräche“, Stuttgart 1998, S. 193f
Also stellt auch bei Konfuzius das reziproke Verhalten eines der wichtigsten Verhaltensmuster dar, das für ein geordnetes menschliches Miteinander unabdingbar ist. Aber weder die Kaiser noch die Diktatoren Chinas wollten diesen Teil der konfuzianischen Lehre in die Tat umsetzen.
Weder im Kommunismus noch im Kapitalismus, vor allem in seiner heutigen Gestalt des Shareholder-Value-Kapitalismus hat reziprokes Verhalten seinen Platz. Es ist aber auch aus Sicht der menschlichen Evolution unabdingbar. Deswegen ist der Shareholder-Value-Kapitalismus ebenso zum Scheitern verurteilt wie der Kommunismus. Die Frage ist nur, unter welchen Turbulenzerscheinungen er zugrunde gehen wird.
Das über die Jahrmillionen herausgebildete reziproke Verhalten des Menschen ging nur zu einem geringen Teil verloren, aber das reichte aus, die Welt auf den Kopf zu stellen. Die explosive Verbreitung des Crô-Magnon-Typs trug der Evolution erneut eine turbulente Phase ein, von der niemand sagen kann, wann sie abgeschlossen sein wird. Jeder von uns ist Teil und Zeuge dieses Prozesses. Eines ist allerdings mit Sicherheit auszuschließen: es wird nie gelingen, einen „perfekten“ Menschen zu „züchten“ oder gar durch Genmanipulation zu „kreieren“. Die Evolution läßt sich nicht überholen, und wenn wir es übertreiben, wird sie uns ad acta legen. Und es wird niemand geben, der sich für die Spuren, die wir hinterlassen, interessieren wird. So einfach ist das.
– So einfach vollzog sich die Evolution des Menschen. Aber sie ist noch nicht an ihrem Endpunkt angelangt. Wir dürfen gespannt sein, wie sie weitergeht. Trotz allen gegenteiligen Beteuerungen führender Politiker hängt es nicht von uns ab, wie es mit der Menschheit weitergeht. Im Positiven wie im Negativen sind wir zu unbedeutende Lebewesen, als daß sich die Evolution in ihrem Wirken davon großartig beeinflussen ließe. Die Tendenz ist freilich unverkennbar: Alles in der Natur strebt nach Selbstähnlichkeit und Harmonie, nach gleichmäßiger Energieverteilung. Ohne dieses Streben gäbe es keinen osmotischen Druck, ohne osmotischen Druck kein Leben. Die durch das Ungleichgewicht der Energieverteilung bewirkten Ströme sind es, die uns am Leben halten. Wie der Mensch im Alltagsleben nicht mit dem Feuerzeug in den Benzintank hineinleuchten sollte, wie er vermeiden sollte, Stromkreise kurzzuschließen, so muß er dafür Sorge tragen, daß die innerartlichen Energieströme in den Bahnen des Handels und Wandels fließen und nicht durch Plünderung und Krieg wirkungslos verpuffen. Die Prinzipien der Evolution lassen sich durch menschliches Handeln nicht aushebeln. Wir werden uns diesen beugen müssen, es sei denn, wir entschließen uns in einem demokratischen Prozeß für den gemeinschaftlichen Untergang der Menschheit.
Dazu wird es jedoch nicht kommen, denn  vielleicht ist es ja wirklich so, wie Hoimar von Ditfurth vor mehr als dreißig Jahren schrieb:
Bei ihren Versuchen, Pflanzen in Atmosphären künstlicher, „nichtirdischer“ Zusammensetzung aufzuziehen, machten  amerikanische Raumfahrtbiologen jüngst eine bemerkenswerte Entdeckung. Ihre Schützlinge gediehen am besten nicht etwa in der gewöhnlichen Luft, die wir auf der Erde atmen, sondern in einem experimentell erzeugten Gasgemisch. Am üppigsten wucherten Tomaten, Blumen und andere Alltagsgewächse dann, wenn man das Sauerstoffangebot auf etwas weniger als die Hälfte reduzierte und gleichzeitig den CO2-Anteil  – normalerweise nur 0,3% – kräftig erhöhte.
Dieses Resultat erscheint zunächst einmal deshalb bemerkenswert, weil es eine geläufige und ohne großes Nachdenken für selbstverständlich gehaltene Ansicht als Vorurteil entlarvt, die Ansicht nämlich, die auf der Erde herrschenden Bedingungen seinen für alle hier existierenden Lebensformen optimal. Aber die Bedeutung des Befundes der amerikanischen Biologen reicht darüber weit hinaus. Ihr Experiment erweist sich bei näherer Betrachtung als ein Exempel für die von vielen Zeitgenossen noch immer nicht erkannte Tatsache, daß die Menschen heute erst die Erde wirklich kennenlernen, da sie sich anschicken, sie zu verlassen. Erst die Beschäftigung mit dem, was jenseits der Erde liegt, gibt uns die Möglichkeit, zu begreifen, was uns als alltägliche Umwelt umgibt.
Pflanzen setzen bei der Photosynthese Sauerstoff frei. Ohne Pflanzenwelt wäre der Sauerstoffvorrat der Erdatmosphäre innerhalb von etwa drei Jahrhunderten verbraucht, wäre die Erde nach dieser Zeit für Menschen unbewohnbar. Die Versuche der Exobiologen erinnern uns nun daran, daß auch das Umgekehrte gilt. Bevor die Pflanzen auf der Erdoberfläche erschienen, war die Erdatmosphäre praktisch frei von Sauerstoff. Als die Pflanzen ihn zu erzeugen begannen, gab es noch niemanden, dem er hätte nützen können. Er war Abfall. Dieser Abfall reicherte sich  in der Atmosphäre unseres Planeten mehr und mehr an bis zu einem Grad, der die Gefahr heraufbeschwor, daß die Pflanzen in dem von ihnen selbst erzeugten Sauerstoff würden ersticken müssen. Der Versuch der Exobiologen zeigt, wie nahe die Entwicklung dieser Gefahrengrenze tatsächlich schon gekommen war.
In dieser kritischen Situation holte die Natur zu einer gewaltigen Anstrengung aus. Sie ließ eine Gattung ganz neuer Lebewesen entstehen, deren Stoffwechsel just so beschaffen war, daß sie Sauerstoff verbrauchten. Während wir gewohnt sind, die Pflanzen einseitige als die Lieferanten des von Tieren und Menschen benötigten Sauerstoffs anzusehen, verschafft uns die Weltraumforschung hier eine Perspektive, die uns das gewohnte Bild aus einem ganz anderen Blickwinkel zeigt.: Wir stehen unsererseits im Dienste pflanzlichen Lebens, das in kurzer Zeit erlöschen würde, besorgten wir und die Tiere nicht laufend das Geschäft der Beseitigung des als Abfall der Photosynthese entstehenden Sauerstoffs
Wenn man auf diesen Aspekt der Dinge erst einmal aufmerksam geworden ist, glaubt man, noch einen anderen seltsamen Zusammenhang zu entdecken. Die Stabilität der wechselseitigen Partnerschaft zwischen dem Reiche pflanzlichen Lebens und dem von Tier und Mensch ist ganz sicher nicht so groß, wie es die Tatsache vermuten lassen könnte, daß sie heute schon seit mindestens einer Milliarde Jahre besteht. Es gibt viele Faktoren, die ihr Gleichgewicht bedrohen. Einer von ihnen ist der Umstand, daß ein beträchtlicher Teil des Kohlenstoffs, der für den Kreislauf ebenso notwendig ist wie Sauerstoff – keine Photosynthese ohne CO2 –, von Anfang an dadurch verlorengegangen ist, daß gewaltige Mengen pflanzlicher Substanz nicht von Tieren gefressen, sondern in der Erdkruste abgelagert und von Sedimenten zugedeckt wurden. Dieser Teil wurde dem Kreislauf folglich laufend entzogen, und zwar, so sollte man meinen, endgültig.
Wieder aber geschieht etwas sehr Erstaunliches: In eben dem Augenblick – in den Proportionen geologischer Epochen –, in dem der systematische Fehler sich auszuwirken beginnt, erscheint wiederum eine neue Lebensform und entfaltet eine Aktivität, deren Auswirkungen die Dinge wie beiläufig wieder ins Lot bringen. Homo faber tritt auf und bohrt tiefe Schächte in die Erdrinde, um den dort begrabenen Kohlenstoff wieder an die Oberfläche zu befördern und durch Verbrennung dem Kreislauf von neuem zuzuführen.
Manchmal wüßte man wirklich gern, wer das Ganze programmiert. (Hoimar v. Ditfurth, Zusammenhänge, Reinbek 1979, S. 18ff)
Wer das Ganze programmiert? – Das Ganze! – Aber das Ganze „programmiert“ nicht. Es wirkt, aber keiner wird je erfahren, wie. Eines jedenfalls steht fest, der 2. Hauptsatz der Thermodynamik duldet auf Dauer keine Energiekonzentrationen an einem Ort. Wie wir gesehen haben, bilden Feuer, Wasser; Luft, Erdball und Zellen ein Gesamtsystem. Keines dieser Teilsysteme kann mehr oder gänzlich andere Eigenschaften haben als das Gesamtsystem selbst, auch der Mensch nicht.
Aus diesem Grunde ist es nicht so falsch, was am Anfang des Dekalogs gesagt wird:
Ich bin der Herr!
Und die Vorstellung der alten Griechen, Göttervater Zeus schleudere die Blitze zur Erde, ist ebenfalls nicht ganz unrichtig. Denn es ist der 2.Hauptsatz der Thermodynamik, die Trennung elektrischer Ladungen anläßlich eines Gewitters wieder aufhebt. Damit läßt sich das 1. Gebot unschwer in eine physikalische Fassung bringen:
Wer vorsätzlich oder fahrlässig den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik verletzt, mißachtet oder im Einzelfall Für nicht anwendbar erklärt, kann Katastrophen unübersehbaren Ausmaßes für sich und andere bewirken.
Niemand macht uns das Recht streitig, die Wege der Natur zu erforschen. Aber das angemaßte Recht, die Natur zu beherrschen, wird, wenn wir nicht darauf verzichten, uns gnadenlos um die Ohren gehauen.
Das größte Spannungsverhältnis, das der Mensch je auf Erden erzeugt hat, hat er durch Einsperren ungeheurer Energien in die nuklearen Knallfrösche geschaffen. Kehren wir zum Anfang und zum Ohmschen Gesetz zurück: Wie lange können die Isolatoren der nach Entladung drängenden Energie standhalten. Wohlgemerkt, es geht nicht um die Frage, wie lange die Behälter bei guter Pflege halten; der Mensch mit seinen Entscheidungsalternativen ist Bestandteil der „Isolatoren“. Und er ist die entscheidende Schwachstelle im Gesamtsystem. Wie lange kann er die Finger noch weit genug vom „roten Knopf“ weglassen? – Wird es ihm gelingen, Atomwaffen zu delaborieren und das spaltbare Material für uns nutzbringend in Wärme umzurubeln?
Oder wird das eintreten, was anläßlich des „Militärschlags“ der NATO gegen Jugoslawien beinahen eingetreten wäre, demnächst Wirklichkeit:
Der Fehlwurf eines Bombers traf seinerzeit die chinesische Botschaft. Es bedurfte aller nur erdenklichen diplomatischen Anstrengungen, die chinesische Führung davon abzuhalten, dies als „feindseligen Akt“ zu betrachten und die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen
.Der arme Pilot, dem das Malheur passiert war, hatte dem Kaiser von China nur versehentlich „ins Revier gepinkelt“. Die „diplomatischen Kanäle“ waren intakt und haben gehalten. Was aber ist, wenn ein unpassendes „Bächlein“ über keinen diplomatischen Kanal mehr abfließen kann?  – Wenn der, dessen Hose naß wird, ähnlich borniert reagiert wie der Präsident der Vereinigten Staaten auf den 11.9.2001? << G. Altenhoff, Australopithecus Superbus Procrustes – der Mensch, ein Hologramm der Evolution, unv. Manuskript, 2001)
„Soziale Spannungen“ sind ganz in Ordnung. Ohne sie gäbe das Phänomen „Wirtschaft“ gar nicht. Aber diese Spannungen sind, in die Sprache der Elektrotechniker übersetzt, Niederspannungen. Lege ich an an ein Niederspannungssystem Hochspannung an, geht es unweigerlich kaputt. Und „soziale Hochspannung“ entsteht unweigerlich bei dauerhafter Verletzung des Tausch-und-teile-Instinkts. Sie entwickeln sich gerade jetzt unter unseren Augen, mitten in Deutschland.
Sie brauchen mir all das, was Sie gelesen haben, nicht zu glauben. Aber wenn Sie mir nicht glauben wollen, machen Sie zumindest folgendes Experiment: Verbinden Sie Ihre Modellbahnanlage unter Umgehung des Trafos unmittelbar mit dem 220 Volt-Netz. Aber informieren Sie bitte vorher die Feuerwehr, damit das Haus Ihrer Nachbarn nicht auch noch abfackelt.
Ich glaube nicht, daß es Ihnen aufgefallen ist, aber ich habe soeben – in aller Weltöffentlichkeit, denn das „Web“ ist die Weltöffentlichkeit – in das Revier eines „staatstragenden“ Wissenschaftszweigs hineingepinkelt.
Ende des Zitats.

Gier und Eigennutz, die findet man ohne Zweifel auch beim Menschen. – Aber Gier und Eigennutz als Verhaltensantrieb sind am Rande angesiedelt. – Sie gehören zur Normalität, bilden aber nicht das „Normal“. – Sie stehen am Rande der Normalverteilungskurve – wie auch die totale Selbstlosigkeit.
Was wir zur Zeit erleben, ist die Suche nach Halt in der Normalität, vor allem in den Ländern des „Nahen Ostens“.
In Europa versucht man, den Verfall von Gier und Eigennutz aufzuhalten. – Ein Unterfangen, das scheitern muß und das scheitern wird. – Börsen sind, vor allem seit der „Handel“ elektronisch gesteuert wird, nichts anderes mehr als giganitsche Spielautomaten.
Und unsere „Politiker“, die Alleskönner der Unfähigkeit, unterwerfen sich dem Urteil einiger „Rating-Agenturen“ wie die alten Griechen dem Urteil dem Orakel von Delphi.


Christian Wulff, die Juristen und das Buch der Richter

November 30, 2010

Presseinformation.

——– Original-Nachricht ——–

From: – Tue Nov 30 00:04:21 2010
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To: Bundespräsident <poststelle@bpra.bund.de>
CC: Express <redaktion@express.de>, meinung@n24.de, Tagesschau <redaktion@tagesschau.de>, Bild-Zeitung <leserbriefe@bild.de>, Berlin Mitte <berlinmitte@zdf.de>, Heute Journal <HeuteJournal@zdf.de>
Subject: Christian Wulff, die Juristen und das „Buch der Richter“
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Lieber Bruder Christian Wulff, wer als Jurist nach Yad Vashem geht, sollte ein wenig bibelfester sein als Du. Er sollte vor allem das Buch der Richter, Kapitel 12, 4 -6 kennen, der den Ur-Holocaust enthält. Zu biblischen Zeiten kamen nur 42.000 Menschen ums Leben, dafür von Hand „selektiert“ und Mann für Mann abgeschlachtet. – Bedenkt man die Bevölkerungsdichte zur Bronzezeit, war das ein veritabler Völkermord. – Und der Norddeutsche Christian Wulff kann sich sicher das in der Bibel beschriebene akustische Ausgrenzungskriterium bildhaft vorstellen: Schiboleth gegen Siboleth. – Norddeutsche s-tolerpn über den s-pitzen S-tein. Im Rheinland oder in Bayern würden sie über den schpitzen Schtein schtolpern – es würde sie allerdings nicht mehr den Kopf kosten. Es ist elf Jahre her, da veröffentlichte das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie auf seiner Website einen Beitrag, in dem festgestellt wurde, daß alle lebenden Menschen so nahe miteinander verwandt sind, daß sie auch heute noch als „Brüder und Schwestern“ zu gelten haben:

http://www.mpg.de/bilderBerichteDokumente/dokumentation/pressemitteilungen/1999/pri63_99.htm

Nimmt man diese Erkenntnisse ernst, muß sich das doch wohl auch auf Palästinenser beziehen – oder?

Kann es sein, lieber Bruder Christian, daß es nie Juden gegeben hat? – Kann es sein, daß das Gefühl, „Jude“ zu sein, nur ein subjektiver Eindruck ist, der von anderen im richterlich-biblischen Sinne als „Abgrenzugskriterium“ benutzt wird? Wir leben unter der vielbeschworenen „christlich-jüdischen“ Leitkultur momentan in der sogenannten „Adventszeit“. Historisch betrachtet begann die „Adventszeit“ am 15. März des Jahres 44 v.Chr.: Am Tag, als Caesar starb, begann der Aufstieg des Mannes, der später die Weihnachtsgeschichte in Gang setzte. Ich darf erinnern: „Es begab sich aber zu der Zeit, als von Kaiser Augustus ein Gebot ausging…“ Ohne die „Gier“ des Octavian wäre Jesus von Nazareth heute unbekannter als alle unbekannten Soldaten zusammen. Von Kaiser Augustus gingen viele Gebote aus und viele Statthalter (Steuereintreiber) wurden in die Provinzen geschickt. Dazu gehörte auch ein Quinctilius Varus. – In Palästina hatte er sich unbeliebt gemacht. In Germanien wurde er noch unbeliebter. Er wurde in seiner impertinenten Art so unbeliebt, daß die Germanen ein Exempel statuieren mußten.

Die Freiheit Germaniens forderte freilich weniger Todesopfer als der innerjüdische Völkermord, den die Bibel beschreibt. Drei Legionen sind „nur“ 18.000 Mann. – Mehr als genug, aber weitaus weniger als die Römer rund 65 Jahre später im „Heiligen Land“ umbrachten. Für Germanien, damals bar jeder Regierung oder „Zentralgewalt“, hatte sich das Thema Tributzahlungen an Rom ein für allemal erledigt. Weder Augustus noch seine „spätrömisch dekadenten“ Nachfolger im Amt wagten jemals wieder, Germanien die Pax Romana aufzuzwingen.

Im Nahen Osten sah das anders aus. Die Völker dort waren seit Urzeiten daran gewöhnt, von ihren Herrschern ausgebeutet zu werden. Ob Herodes oder Augustus – man zahlte eben. So war es 79 n. Chr. nur ein kleiner versprengter Haufen, der den Legionären Roms die Stirn bot. Den „Staat“ der Israeliten aber, den „radierten“ die Legionären buchstäblich „aus“. – Hätten die Israeliten rechtzeitig auf Jesus gehört, wäre dieses Unglück wohl vermieden worden.

Christen spielten damals keine Rolle. Sie kamen erst ins Spiel der Weltgeschichte, als sich „Heiden“ reihenweise taufen ließen, vor allem Germanen und Kelten. Sie besiegelten am Ende den Untergang der Caesaren in Rom und Byzanz. Und der Übergang Roms vom Polytheismus zum christlichen Monotheismus war auch nicht von der feinen englischen Art: Wer den alten Göttern huldigte oder ihnen Opfer brachte, wurde behandelt wie ein Deutscher, der Feindsender hört: Todesstrafe und Einziehung des Vermögens. – Für Juristen nichts Ungewöhnliches, ist ja immer schon normal gewesen, Todesstrafe und Einziehung des Vermögens, für was auch immer.

Nur für die von verschiedenen Seiten beschworene christlich-jüdische Tradition reicht das nicht. Der Weg des europäischen Christentums ist unzweifelhaft der Weg des heidnisch-christlichen. Vom Nordkap bis nach Sizilien, von der Algarve bis zum Kaukasus – alle christianisierten Völker waren zweifelsfrei „Nichtjuden“. – Scheiße für die Propaganda!

Und wer den Namen Christian trägt, müßte sich eigentlich darüber klar sein, welche Agression darin steckt: Bonifatius fällte die Donar-Eiche, Karl der Große gar die Irminsul. – Mit Frieden und Freundschaft hat das Christentum nix, aber auch gar nix am Hut! – Es ist nicht weniger agressiv als der „Islamismus“. Daran ändert auch der Papst nichts. Und wenn Du nochmals in die Bibel schaust und mit den Augen des Juristen die „Nebengesetze“ zu den 10 Geboten studierst, wirst Du unschwer und mit Schrecken feststellen, daß die „heiligen Schriften“, die im Nahen Osten entstanden, in erster Linie politische Kampfschriften sind. – Im Namen Gottes läßt sich seit Moses leichter knechten und morden!

Und hast Du daran gedacht, daß unsere Brüder und Schwestern in Asien gegenwärtig vor dem Problem stehen, das uns in Europa erspart geblieben ist? – Die Durchgeknallten in Pjöngjang schießen auf ihre eigenen Leute! – Aber der Wulff, der schweigt dazu, zieht sich die Kippa an und geht nach Yad Vashem.

-Es ist ja auch einfacher, den Toten Schuld zuzuweisen als Todesopfer zu verhindern.

Der Staat „Israel“ hat kein Existenzrecht – auch die „Bundesrepublik Deutschland“ nicht. – Sie erinnern sich daran, wie sterblich das „Existenzrecht“ der „UdSSR“ und vor allem das der „DDR“ war: Alle Menschen auf dieser Welt haben ein „Existenzrecht“, nicht aber Gebietskörperschaften. Auf der einen Seite ist es einfacher als Sie denken, auf der anderen schwieriger, als Sie sich vorstellen können, weil das „real exitierende“ Israel vielen Menschen palestinesischer Herkunft schlicht und ergreifend das Wasser vorenthält, das diese Menschen zum Leben und wirtschaften brauchen. – Nicht gerade die feine, englische Art. Christian! – Laß die Toten ruhen, die Lebenden warten

auf Dich! Du brauchst Phonic – Das ist die Wahrheit!

Gruß

Gerhard Altenhoff

Bismarckstr. 40

41542 Dormagen

02133 97 30 29

0178 84 83 904


Kippt der verkaufsoffene Sonntag: Verfassungsgericht urteilt über Ladenöffnungszeiten am Sonn- Feiertagen – Politik – Bild.de

Dezember 3, 2009

Kippt der verkaufsoffene Sonntag: Verfassungsgericht urteilt über Ladenöffnungszeiten am Sonn- Feiertagen – Politik – Bild.de.

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Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden – ganz im Sinne der klagenden Kirchen. – Aber die Kirchen haben darob wohl ihre eigene Geschichte vergessen, die bezüglich der Sonntagsarbeit durchaus peinlich ist. – Irgendwo paßt es, daß die Entscheidung der Verfassungsrichter ausgerechnet am „Welt-Aids-Tag“ verkündet wurde. Der Feldzug der Kirchen gegen verlängerte Ladenöffnungszeiten ist ja nicht neu und nicht weiter originell. Er tobte schon im Jahre 2000.

– In Sachen Kirchen :/. Ladenschluß ist es mir daher eine Ehre, folgendes Zitat aus „Der Bundesadel“ zu präsentieren:

Der Staat hat Regeln da aufzustellen, wo sie notwendig sind, nicht aber in den Fällen, in denen es auch Sicht der Politik wünschenswert erscheint. Die Regulierungswut der Regierungen und Parlamente führt wegen der positiven Rückkoppelung zwangsläufig zu Reformunfähigkeit und zunehmender Bevormundung des Bürgers.

Nur ein Beispiel: Rabattgesetz und Zugabeverordnung sollen abgeschafft werden. Das ist auch gut so, aber warum macht man es nicht sofort, sondern erst zur Mitte des nächsten Jahres? Der Text für ein Gesetz, das ein bestehendes Gesetz aufhebt, ist in weniger als zwei Minuten niedergeschrieben:

Art. 1

Das ….gesetz vom soundsovielten, zuletzt geändert durch.Gesetz vom… wird aufgehoben.

Art. 2

Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft

Sehen Sie, so einfach ist das. Mehr als diese Worte braucht man nicht, um dem Bürger mehr Freiheit und Handlungsspielraum zu geben. Man kann daraus sogar ein Formular machen, damit unsere wahlkampfgestressten Abgeordneten nicht soviel schreiben und lesen müssen.

Aber den Handlungsspielraum des Einzelnen zu erweitern, scheint für unsere Politgrößen ein ungeheures Schreckgespenst zu sein. Das gilt übrigens auch bezüglich des Ladenschlußgesetzes. – Hier wird die Republik endgültig zum Tollhaus. Da mischen sich „gesellschaftlich relevante Gruppen“ in die Diskussion, die Kirchen werben für den arbeitsfreien Sonntag. Jahrhunderte hatten sich die Hirten nicht um die Sonntagsruhe ihrer Schäflein gekümmert, erst das Verbot der Sonntagsarbeit für Frauen und Kinder durch das säkulare Preußen im Jahre 1839 läutete in Europa den Ausstieg aus der Sonntagsarbeit ein.

Folge der gegenwärtigen Diskussion aber ist, daß mehr als 625 Abgeordnete, die dafür bezahlt werden, Entscheidungen zu treffen, sich dafür entscheiden, die Entscheidung aufzuschieben. – Und Sonntags trifft man den Nachbarn dann eben immer noch nicht im Supermarkt, sondern an der Tankstelle. Merkwürdig, aber da arbeiten auch Menschen. Ja dürfen die denn das?

Auf die staatlichen Repressalien gegen Autofahrer und andere gesellschaftlich nicht relevante Gruppen wie Raucher und Zecher hatte ich bereits hingewiesen. In all diesen Fällen wird vor allem mit den Kosten für das Gesundheitswesen argumentiert, die diese Gruppen verursachen.

Nun bin ich einmal an der Reihe mit einer linearen Extrapolation: Die Anzahl der Aids-Kranken nimmt auch in unserer Republik beständig zu. Aids-Kranke verursachen, vor allem dann, wenn man sie so lange wie möglich am Leben erhält, immense Kosten. Das einzig bekannte Mittel gegen die Ausbreitung dieser Krankheit ist bislang, den Kontakt mit Körperflüssigkeiten von Infizierten zu verhindern. Seit einigen Jahren hat jeder Autofahrer Aids-Handschuhe im Verbandskasten, weil es sie dort zu haben hat. – So will es der Verkehrsminister. Außer dem Straßenverkehr gibt es noch andere Gelegenheiten, bei denen man sich infizieren kann. Bei steigenden Zahlen der Infektionen dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auf Kondompackungen der Hinweis zu finden ist: – „Die EG – Verkehrsminister: Bumsen ohne Gummi gefährdet die Gesundheit!“- Pardon, ich habe die Ressorts verwechselt, es muß natürlich heißen: „Die EG – Gesundheitsminister.“

Freilich wird auch das die Menschen in unserem Lande nicht davon abhalten, es auch „ohne“ zu treiben. Die Zahl der Aids-Infizierten steigt folglich weiter. – Ausreichend wäre allerdings, wenn die Zahl der Erkrankten nicht sinkt, um folgendes Szenario realistisch erscheinen zu lassen:

Die Kosten für die Behandlung der AIDS-Kranken und die Zahl der Aids-Toten ist so hoch, daß ein Eingreifen des Gesetzgebers erforderlich ist.

Also wird der Verkehr zwischen den Geschlechtern durch Gesetz geregelt. „Ohne“ ist nicht mehr drin. – Es besteht Kondompflicht.

In § 1 des „Gesetzes zur Regelung des Verkehrs zwischen getrennt- und gleichgeschlechtlichen Paaren“ (KondomG) wird es zunächst Begriffsbestimmungen geben.

Die Hauptarbeit der Parlamentarier und ihrer Adlaten in den Ministerien wird über Monate hinweg darin bestehen, eine gesetzliche Definition des Kondoms zu finden. Ferner muß der Begriff des Geschlechtsverkehrs definiert werden. Nicht nur die Affäre Clinton ./. Lewinski hat gezeigt, das es äußerst schwer ist festzulegen, wann man Sex hat und wann nicht. „Der Begriff des Geschlechtsverkehrs (…) umfaßt nicht jede unzüchtige Handlung, ist aber auch nicht auf den Beischlaf beschränkt. Er umfaßt den gesamten natürlichen und naturwidrigen Geschlechtsverkehr, also außer dem Beischlaf auch alle geschlechtlichen Betätigungen mit einem Angehörigen des anderen Geschlechts, die nach der Art ihrer Vornahme bestimmt sind, anstelle des Beischlafs der Befriedigung des Geschlechtstriebes zumindest des einen Teils zu dienen.“ ( Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen, 70. Band S. 375 )

Deswegen wird im Gesetzgebungsverfahren zunächst eine Expertenanhörung stattfinden. Vielleicht kommt Dolly Buster noch zu ungeahnten Ehren.

Wenn die o.g. Fragen soweit geklärt sind, muß in den Ausschüssen über Ausnahmeregelungen diskutiert werden, denn die ständige Benutzung von Kondomen führt bei Entbindungsstationen und Hebammen zu erheblichen Auswirkungen auf die Zahl der Arbeitsplätze. Katholische Bischöfe werden mit blankem Entsetzen reagieren und fordern, dann den Sex doch ganz zu verbieten…

Und dann wird zu allem Überfluß das Gesetz mit Straf- und Verwaltungsvorschriften garniert.

Zumindest wird jeder, analog zu den Bestimmungen der Straßenverkehrszulassungsordnung ( dieses Monster gibt es wirklich!) über die Mitführungspflicht von Gummihandschuhen, ständig ein Kondom mit sich führen müssen, was natürlich durch die Polizei überwacht werden muß. Wird jemand ohne Kondom angetroffen, ist ein Bußgeld fällig.

Die Dritte Durchführungsverordnung zu § 4711a KondomG z.B. wird die Betreiber von Bordellen zur Verkehrsüberwachung verpflichten. Nach der fünften Verwaltungsanordnung zur Dritten Durchführungsverordnung zu § 4711a KondomG haben die Puffmütter täglich der zuständigen Behörde die Zahl der Besucher zu melden und die Zahl der benutzen Kondome unter Beifügung der Originale nachzuweisen…

Sich die Geschichte weiter auszumalen, überlasse ich Ihrer Phantasie.  (Gerhard Altenhoff, Der Bundesadel)

Die Verfassungsrichter haben sich offenbar keine Gedanken gemacht, daß nach der Bibel der „siebte Tag“, an dem Gott nach der Schöpfungsgeschichte geruht haben soll, von den Juden, wo der Kreationismus herkommt, auf unseren heutigen Samstag gelegt wurde. Bei den Muslimen, die auch ein Recht auf Ruhetag haben, fand dieser siebte Tag am Freitag statt. – Somit ignoriert Karlsruhe die religiösen Empfindungen und Riten gesellschaftlich relevanter Gruppen. Dann machen wir doch gleich, um alle „zu Frieden zu stellen“ den Kompromiss:

Freitag, Samstag, Sonntag geschlossen!