Des Schröders Harras

September 19, 2023
Harras war früher nicht nur ein geläufiger Name für scharfe Hunde, sondern Harras war der Name der Hauptfigur in Carl Zuckmayers ‚Des Teufels General“.
Im Jahre 2003 wurde der heute als Bundeskanzler bekannte Olaf Scholz zum Generalsekretär der SPD gewählt. In seiner nassforschen Art ließ er sich zu der Äußerung hinreißen, die SPD müsse die Lufthoheit über den Kinderbetten erobern.
Heute wissen alle, die damals in den Kinderbetten lagen, durch die Berichterstattung von der Front in der Ukraine, daß „Lufthoheit“ nichts anderes bedeutet als Tod und Verderben.
Ich gehe einmal davon aus, dass Olaf Scholz wieder einmal vergessen hat, dass er jemals Generalsekretär der SPD war und vor allem, dass er diese Äußerungen jemals tätigte. Mit dem nachfolgend wiedergegebenen Text meiner Mail vom 30.09.2003 an ihn rufe ich ihm und allen anderen von „Polit-Demenz“ Betroffenen seine Äußerung in Erinnerung.
Ich sage dazu weiter nichts; – sondern überlasse das Schlusswort Karl Zuckmayer und Curd Jürgens

Lieber Olaf Scholz,

das mit dem Wählerauftrag, das mußt Du mir einmal erklären. – Aber bitte so, als wäre ich vier Jahre alt. Das mußt Du können, wenn die SPD die Lufthoheit über den Kinderbetten erringen soll.

Da habe ich doch im Morgenmagazin der ARD vom 29.9.2003 aus Ihrem Munde gehört, daß die „Abweichler“ der SPD-Fraktion lernen müßten, die Mehrheitsentscheidung zu akzeptieren. Gilt das für Olaf Scholz und die SPD nicht? – Sind wir alle schon so PISA-geschädigt, daß wir nicht mal mehr das kleine Einmaleins beherrschen? – Oder beschränken sich die Bildungslücken vielleicht doch auf die SPD:

38,5% der Wähler bei der letzten Bundestagswahl haben pro Schröder gestimmt. Wenn ich richtig rechne, haben 62,5% der Wähler einen Kanzler Schröder abgelehnt. Wo bleibt der Respekt des Olaf Scholz und der SPD vor der Mehrheitsentscheidung? 

Aber beleuchten wir das Märchen vom Wählerauftrag einmal ein wenig näher:

„Unterzieht man die politische Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland einer näheren Prüfung, offenbaren sich rasch drei Verwerfungen, die zeigen, daß das gegenwärtige politische System, das auch als Verfassungswirklichkeit bezeichnet wird, von den Vorstellungen des Verfassungsgebers erheblich abweicht:

Nach Art. 21 des Grundgesetzes sollen die Parteien an der Willensbildung des Volkes mitwirken. Die Art und Weise, in der die politischen Parteien diesen Verfassungsauftrag erfüllen, läßt die erste Verwerfung sichtbar werden:

Tatsächlich versuchen die Parteien, die über eine parlamentarische Mehrheit verfügen, dem Volk, also dem Souverän, ihre Vorstellungen rücksichtslos aufzuzwingen. Der Streit um den sogenannten „Ausstieg aus der Kernenergie“ macht dies überdeutlich. Ein Bruchteil der Bevölkerung hat qua Stimmzettel bei den Wahlen die Position der „Grünen“ befürwortet. Die Äußerungen des Bundesumweltministers in dieser Debatte lassen indes darauf schließen, dieser sei dazu ausersehen, der Stromerzeugung durch Kernenergie den Garaus zu machen. Trittin ist nicht der einzige, der sein Amt mit dem des lieben Gottes verwechselt, aber er ist ein gutes, weil markantes Beispiel.

Ihre Befugnis zu einem derartigen Vorgehen leiten Parlamentarier und Regierungen aus dem sogenannten Wählerauftrag ab. Die Mehrheit der abgegebenen Stimmen soll es rechtfertigen, die parteipolitischen Vorstellungen per Gesetz allgemeinverbindlich durchzusetzen. Diese Auffassung, die letztlich in allen Parteien herrschend ist, ist grundfalsch. Denn auch eine bei Wahlen erzielte absolute Mehrheit repräsentiert tatsächlich nur eine Minderheit der Gesamtbevölkerung. Erstens ist die gesamte Jugend von der Mitentscheidung über die eigene Zukunft ausgeschlossen. Und zweitens beträgt die Wahlbeteiligung nie 100%. Auch eine absolute Parlamentsmehrheit ist zwangsläufig ein Minderheitsvotum. Der „Wählerauftrag“ ist eine Fiktion. Tatsache ist, daß Parlamentarier und Regierung für die Mehrheit des Volkes gewissermaßen als „Geschäftsführer ohne Auftrag“ agieren müssen. Das aber tun sie zweifellos nicht.

Wie sehr unsere Politiker den „Wählerauftrag“ mißverstehen, zeigt sich auch an ihrem Verständnis für die Aufgaben des Bundesrates. – Knackpunkt Numero Zwei. – Nach Art. 50 GG wirken über den Bundesrat die Länder an der Gesetzgebung des Bundes mit. Der Bundesrat ist damit zwar ein Bundesorgan, aber in erster Linie das Gremium, in dem die Interessen der Bundesländer gegenüber dem Bund vertreten und gewahrt werden sollen. Vereinfacht gesagt, stellen die Mitglieder des Bundesrates die Anwälte der Länder gegenüber dem Bund dar.

Bereits seit geraumer Zeit stehen aber bei den Beratungen im Bundesrat parteipolitische Interessen und Auseinandersetzungen im Vordergrund. Das geht so weit, daß die Medien (sic!) davon reden, die gegenwärtige Bundesregierung verfüge nicht nur über eine Mehrheit im Bundestag, sondern auch im Bundesrat. Der offene Verfassungsbruch, nämlich das Umfunktionieren der Länderkammer in ein Instrument der Parteipolitik, bleibt nicht nur unbeanstandet, sondern wird von Presse, Funk und Fernsehen als Normalität vermarktet.“

„Habe ich es nicht gleich gesagt: der Bundesbürger ist nicht mehr Herr im eigenen Haus. Politik wird nicht in den Parlamenten gemacht, sondern in den Parteizentralen. Als ob er angetreten wäre, meine Auffassung zu bestätigen, versuchte der FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt, die frei gewählten FDP- Abgeordneten des hessischen Landtages dahingehend zu beeinflussen, die Koalition mit der CDU zu beenden.

Ich darf in Erinnerung rufen, daß nach den demokratischen Verfassungen des Bundes und der Länder der Abgeordnete als Vertreter des ganzen Volkes und nicht einer Partei gilt. Er ist an Aufträge nicht gebunden und nur seinem Gewissen unterworfen.

Ist das FDP-Präsidium das Gewissen ihrer Abgeordneten? – Mit Sicherheit nicht. Mit Sicherheit sind es auch nicht die Kreisverbände der hessischen FDP, die jetzt einen Sonderparteitag durchgesetzt haben, um eine Entscheidung herbeizuführen.

An diesen Vorgängen offenbaren sich erneut die Verzerrungen der Demokratie in Richtung auf ein Diktat der Parteien. Das gegenwärtige Parteiensystems ist ein komplexes adaptives System, das alle qualitativen Merkmale einer Adelsschicht aufweist. Es reagiert in seiner Gesamtheit und in seinen Teilen irrational. Weil auch die FDP irrational reagiert, kann sie das Aufbegehren des hessischen Landesverbandes nicht tatenlos hinnehmen. Die Behauptung, der Parteivorsitzende Wolfgang Gerhardt sei nun geschwächt, ist zwar durchaus zutreffend, aber nur unter irrationalem Aspekt; denkt man darüber nach, was er aus verfassungsrechtlicher Sicht getan hat, mußte er scheitern, denn in einer Demokratie kann der Vorsitzende einer Partei keine Weisungen mit Anspruch auf Gehorsam erteilen.

Auf dem Parteitag werden Delegierte (auf deutsch: Abgeordnete) abstimmen, die von der “Basis” mit entsprechenden Vollmachten versehen sind. Wo aber bleibt der Wählerwille? – Einen Wählerauftrag gibt es zwar nicht, aber die Mehrheit der Wähler hat sich für eine Koalition der Fraktionen von CDU und FDP ausgesprochen und es ist alleiniges Entscheidungsrecht der Fraktion, diese unter den gegebenen Umständen fortzuführen.-

Sollte der Parteitag das Ende der Koalition beschließen, würde das nicht nur einen Angriff auf die Rechte und verfassungsmäßigen Pflichten der Abgeordneten darstellen; die Abgeordneten selbst würden in ein Dilemma gedrängt:

Folgt die FDP-Fraktion dem Beschluß des Parteitages, kommt sie einer “Weisung” nach, was sie nicht darf. Das wäre verfassungswidrig, zumal seit dem Beschluß, die Koalition fortzusetzen, sachlich keine Änderung eingetreten ist. Widersetzt sich die Fraktion der Partei, ist das mit Sicherheit die letzte Wahlperiode, die die konkreten Abgeordneten für die FDP in irgendeinem Parlament absolvieren durften. Ihre politischen Karrieren finden ihr Ende, weil die Namen nie wieder auf einer Landesliste auftauchen werden. Listenabgeordnete sind die “Lenkwaffen” der Parteien in den Parlamenten. Abgeordnete, die unfolgsam sind, sind aus der Sicht der jeweiligen Partei zwangsläufig unbrauchbar. Zur Strafe entzieht man ihnen das Adelsprädikat. Das wiederum kommt einer tiefen Demütigung gleich, und freiwillig demütigen läßt sich niemand. Folglich liegt die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, daß die FDP-Fraktion des hessischen Landtages einen Beschluß zur Beendigung der Koalition ohne inhaltliche Diskussion in die Tat umsetzen wird. Was in der Verfassung steht, bindet ja nicht. Jeder Adelige hat sich dem Kodex des Adels zu unterwerfen – auch bei der FDP.“

„Nun sind die Wahlen in Nordrhein-Westfalen gelaufen, die SPD und die Grünen haben „gewonnen“. Die Regierungsbildung ist abgeschlossen und stolz wird verkündet, man habe dem „Wählerauftrag“ Folge geleistet. Der Wähler habe die Parteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen beauftragt, miteinander einen Koalitionsvertrag abzuschließen und eine gemeinsame Regierung zu bilden. – Der Koalitionsvertrag wurde nach einigen Geburtswehen abgeschlossen; alles, was die Vertragsparteien nach der Wahl miteinander ausgekungelt hatten, wurde als dem Wählerwillen entsprechend verkauft. Die zuständigen Parteigremien der Koalitionsparteien segneten diese Vereinbarung ab, die Regierungsbildung in NRW konnte endlich anlaufen. – Da kann doch was nicht stimmen. So weit kann die Liebe des Souveräns zu seinen Repräsentanten nun wirklich nicht reichen; denn der Inhalt der Koalitionsvereinbarung war nämlich dem Wähler vor der Wahl nicht bekannt. Und daß die Parteien im nachhinein den Wählerwillen repräsentieren könnten, das finde ich in keiner Verfassung dieser Republik niedergelegt. Die Möglichkeit einer Verfassungsänderung durch Parteienbrauch ist mir bislang auch unbekannt. Vielleicht habe ich aber auch nur die entsprechende Vorlesung versäumt. – Kann ja sein.

Aber nehmen wir den „Wählerwillen“ einmal unter die Lupe: Rund 56% der Wähler hatten ihre Stimme abgegeben. Rund 7% davon haben sich für die Grünen entschieden. Der Rest der Wahlberechtigten hat den Grünen eine klare Absage erteilt. – Dennoch geht die Firma Bärbel Höhn & Co hin und maßt sich an, den Menschen im Lande Vorschriften machen zu wollen, weil diese das so gewollt hätten.

Obgleich anonym, ist die Wählerstimme eine rechtsverbindliche Willenserklärung. Mit ihr entscheidet der Souverän rechtsverbindlich über die Zusammensetzung seiner Vertretung für die kommende Legislaturperiode. Man kann daher unter diesem Aspekt die Kandidaturen für ein Abgeordnetenmandate als ebenso rechtsverbindliche Angebote auffassen. Aus gutem Grunde gibt es im deutschen Recht den Grundsatz, daß das Schweigen auf ein rechtsverbindliches Angebot einem klaren „Nein!“ gleichkommt. Diesen Grundsatz setzen auch Grundgesetz und die Länderverfassungen stillschweigend voraus, denn sonst hätte es für Wahlen eine abweichende Regelung getroffen.

7% von 56% der Wahlberechtigten haben den Grünen ihre Stimme gegeben. 49% der Wahlberechtigten haben mit dem Stimmzettel den Grünen eine Absage erteilt. Die Fraktion der Nichtwähler, immerhin 44% der Wahlberechtigten, haben durch ihr Schweigen ebenfalls ihre Ablehnung gegenüber den Grünen zum Ausdruck gebracht. – Ergo haben rund 94% allein der Wahlberechtigten die Politik der Grünen abgelehnt. – Da die Jugend nicht wählen darf, schrumpft  die Zustimmung – bezogen auf die Gesamtbevölkerung – auf ein geradezu unbedeutendes Maß.

Daß damit die Legitimation für den Ministerpräsidenten Wolfgang Clement auf tönernen Füßen steht, versteht sich von selbst. Jedenfalls kann er sich zur Rechtfertigung seiner Handlungen und Unterlassungen nicht auf den „Wählerauftrag“ berufen. Die Mehrheit des Wahlvolkes hat er nicht hinter sich scharen können.

Wenn man das Wort „Wählerauftrag“ in den Mund nimmt, sollte man die Landesverfassung zumindest greifbar haben. Dort ist nämlich festgehalten, daß der Landtag einen Ministerpräsidenten wählt. Der tatsächliche „Auftrag“ des Wählers richtet sich an die Abgeordneten, einen Dummen zu finden, dem sie nach ihrer freien Überzeugung das Amt des Ministerpräsidenten anvertrauen können.

Die Regierungsbildung in Nordrhein-Westfalen bietet auch ein augenfälliges Beispiel dafür, daß in unserer Republik der Souverän nicht mehr Herr im eigenen Hause ist, weil die Parteien längst in verfassungswidriger Weise die Macht an sich gerissen haben.

Die Koalitionsvereinbarung hatten zwar Landesfürst Wolfgang und seine Umweltministerin Höhn ausgekaspert; die tatsächliche Zusammenarbeit der entsprechenden Parlamentarier und die Vergabe der Ämter und Posten war aber davon abhängig, daß die jeweiligen Parteien diese Vereinbarung absegneten. Ob und wie Parlament und Regierung arbeiten können, wurde dem Willen der Parteitage unterworfen.“ ( alle Zitate aus Gerhard Altenhoff, „Der Bundesadel“ –  unveröffentlichtes Manuskript 1999-2000)

Dein Vorgänger im Amt des Pontifex Maximus der SPD, General a.D. Franz Müntefering, hatte seinerseits nach der Wahl in NRW den ebenfalls auf Fortsetzung der rot-grünen Koalition gerichteten „Wählerwillen“ in alle Welt hinausposaunt. Insbesondere hatte er seinerzeit betont, daß der „Wähler“ SPD und Grüne beauftragt hätte, eine Regierung „unter der Führung von Ministerpräsident Wolfgang Clement“ zu bilden. – Da bleibt mir die Luft weg , denn da frag ich mich und Dich doch: wenn „der Wähler“ das getan hat, durfte der Genosse Wolfgang dann so mir nichts, dir nichts seinen Posten verlassen, als Wirtschaftsminister nach Berlin gehen und dort einen weiteren Pensionsanspruch erwerben? Und bitte erläutere mir, wieso der Peer Steinbrück jetzt Ministerpräsident von NRW ist. Den kannte vor der Wahl 2000 niemand von „Wir in Nordrhein-Westfalen“. Vor der Wahl 2000 hatte die SPD den zukünftigen Weggang des Fürsten Wolfgang nicht angekündigt. Mit anderen Worten, „der Wähler“, der dem Wolfgang Clement den „klaren Regierungsauftrag“ erteilt hatte, wußte zum Zeitpunkt der „Auftragserteilung“ nicht, daß der „Beauftragte“ seinen Auftrag nicht würde ausführen können.

Der „Wählerbeauftragte“ hat ohne Not den Bettel hingeschmissen. Nach Euren eigenen Worten hatte er einen auf fünf Jahre befristeten Festauftrag. Er hat nach nicht einmal der Hälfte dieser Zeit seinen Posten verlassen. Somit  hat er das Auftragsverhältnis zur Unzeit gekündigt. Und er hat den Auftraggeber nicht gefragt, ob dieser mit der Erledigung der Auftrags durch einen Unbekannten einverstanden wäre. Dem gegenwärtigen Ministerpräsidenten des Landes NRW fehlt damit jede demokratische Legitimation. Er ist ein Usurpator.

Da Dein Kanzler sich in seiner ersten Regierungserklärung ebenfalls auf den Wählerauftrag beruft, müssen er und seine Partei in absehbarer Zeit mit einer Reihe von Kündigungen rechnen. Den „Wählerauftrag“ gibt es zwar nicht, aber zur Sicherheit kann jeder, dem ein Rechtsverhältnis angedichtet wird, dieses vorsorglich kündigen…

Und, mein lieber Olaf Scholz, mit Leuten, die ihren Posten zur Unzeit verlassen, läßt sich weder ein Krieg noch eine Wahl gewinnen. Mit dem Personal läßt sich nicht einmal die Lufthoheit der SPD über den Kinderbetten erringen. Zur Erinnerung an Deine eigenen Worte:

Wie gut, daß Du den Begriff Lufthoheit in die Debatte geworfen hast. Denn mehr als Luft-Hoheiten sind Du und Dein Kanzler nämlich nicht. Warum das so ist, erklären Dir gerne Deine „Abweichler“.

Liebe Grüße

Dein

Gerhard Altenhoff

Ausschnitt „Des Teufels General“

Nach über 200 Jahren aktueller denn je!

August 4, 2023
Doch haben sich viele in diese französischen Herrlichkeiten vergafft und stehen und staunen sie an und meinen immer noch, einmal müsse die verzauberte Prinzessin doch vor aller Augen verwandelt herausfliegen und als eine glänzende Lichtgestalt der Schönheit zu uns auf die Erde herabkommen und irdisch unter uns wandeln. Dies gewahrt man bei jeder Bewegung der Welt, besonders bei jeder neuen Bewegung in Frankreich. Da stehen Tausende in Erstaunen und gaffen, nicken, winken und verkünden: Nun wird's bald sein! Und es wird nicht, und der gleißende Frosch platzt wieder, der sich zu einem Ochsen aufblasen wollte. – Und ich habe das rechte Gleichnis gefunden und das rechte Wort für die Sache: Aufgeblasenheit. Das waren vormals andere Menschen, welche Gesetze gegeben und den Völkern die Bürgerordnung und die Freiheit befestigt haben, als die Leute von heute und von gestern sind. (...) Wir Jetztlebende – und ich meine die Franzosen und die meisten von uns – haben Ideen genug gehabt von Gesetzgebung und Staatsverfassung und Ansichten genug, ja zuviele, aber der Mäßigung haben wir gemangelt und jener stattlichen und großartigen Männertugend, welche nach der eigenen Unvollkommenheit und Gebrechlichkeit das Maß und Verhältnis der irdischen Dinge wägt und mißt, besonders der Dinge, die von dem Menschen gemacht werden, welche daher nicht mehr will, als sie wollen kann und darf. Daher die Sprünge in den Ideen und in den Werken oder vielmehr in den Proben von Werken, welche das letzte Jahrdreißig uns gezeigt hat, das Prahlerische, Unstete, Übermütige, ja Verbrecherische; denn die meisten Gesetzgeber unserer Tage mit den großen Worten und mit der hellklingenden Glocke von Freiheit und Gleichheit, durch Einbildung und Aufgeblasenheit verführt, heuchelten sich und ihr Volk besser und edler, als sie waren, und daher ist uns das Unheil gewachsen und wächst uns bis diesen Tag. (Ernst Moritz Arndt, Kleine Schriften II, Phantasien zur Berichtigung der Urteile über künftige deutsche Verfassungen, 1815, S. 74f)

Doch haben sich viele in diese französischen Herrlichkeiten vergafft und stehen und staunen sie an und meinen immer noch, einmal müsse die verzauberte Prinzessin doch vor aller Augen verwandelt herausfliegen und als eine glänzende Lichtgestalt der Schönheit zu uns auf die Erde herabkommen und irdisch unter uns wandeln. Dies gewahrt man bei jeder Bewegung der Welt, besonders bei jeder neuen Bewegung in Frankreich. Da stehen Tausende in Erstaunen und gaffen, nicken, winken und verkünden: Nun wird’s bald sein! Und es wird nicht, und der gleißende Frosch platzt wieder, der sich zu einem Ochsen aufblasen wollte. – Und ich habe das rechte Gleichnis gefunden und das rechte Wort für die Sache: Aufgeblasenheit. Das waren vormals andere Menschen, welche Gesetze gegeben und den Völkern die Bürgerordnung und die Freiheit befestigt haben, als die Leute von heute und von gestern sind. (…) Wir Jetztlebende – und ich meine die Franzosen und die meisten von uns – haben Ideen genug gehabt von Gesetzgebung und Staatsverfassung und Ansichten genug, ja zuviele, aber der Mäßigung haben wir gemangelt und jener stattlichen und großartigen Männertugend, welche nach der eigenen Unvollkommenheit und Gebrechlichkeit das Maß und Verhältnis der irdischen Dinge wägt und mißt, besonders der Dinge, die von dem Menschen gemacht werden, welche daher nicht mehr will, als sie wollen kann und darf. Daher die Sprünge in den Ideen und in den Werken oder vielmehr in den Proben von Werken, welche das letzte Jahrdreißig uns gezeigt hat, das Prahlerische, Unstete, Übermütige, ja Verbrecherische; denn die meisten Gesetzgeber unserer Tage mit den großen Worten und mit der hellklingenden Glocke von Freiheit und Gleichheit, durch Einbildung und Aufgeblasenheit verführt, heuchelten sich und ihr Volk besser und edler, als sie waren, und daher ist uns das Unheil gewachsen und wächst uns bis diesen Tag. (Ernst Moritz Arndt, Kleine Schriften II, Phantasien zur Berichtigung der Urteile über künftige deutsche Verfassungen, 1815, S. 74f)


Australopithecus Superbus Procrustes

Juli 18, 2023
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Brexit – Fax an Martin Schulz

Juli 16, 2016

 

Gerhard Altenhoff – Bismarckstr. 40 – 41542 Dormagen

Herrn
Martin Schulz
-Präsident des EU – Parlaments-
via FAX
00 32 2 28 49503

Betrifft: BREXIT

Lieber Martin Schulz,

seit dem 24. 6. 2016 verfolge ich mit zunehmendem Entsetzen die Reaktion der „politisch Verantwortlichen“ in der vermeintlich verbliebenen Europäischen Union. – Immer mehr fokussieren sich meine Gedanken auf die Frühstückstische, Spülen und Spülmaschinen der „politisch Verantwortlichen“. Dort befinden sich mit Sicherheit Tassen, und zumindest die, so ein einfacher Schluß, befinden sich nicht mehr in den Küchenschränken. – Also haben die Verantwortlichen offensichtlich nicht mehr alle Tassen im Schrank.

Daß ich mit dieser Schlußfolgerung nicht nur unwesentlich richtig liege, erhellt die Tatsache, daß der durchaus ehrenwehrte Mr David Cameron von unserer Rügenwalder Teewurst und 26 ihr gleichgestellten Primaten der Politik beim „EU-Gipfel“ behandelt wurde wie ein „Nigger“ in Louisiana. Für „Fremdenfeindlichkeit“ gibt es in der Weltgeschichte wohl kein schöneres Beispiel. – Die Nase so hoch, daß es reinregnet, weist man die Dienerschaft an, nur für 27 Personen einzudecken. „Der“ – und die Hälse überdehnen sich bis nahe an den Genickbruch – „speist nicht mit uns!“

Was da veranstaltet wurde, ist ein Sandkastenspiel. Aber nicht das erfahrener Führungsoffiziere, sondern das von Kindergartenkindern. „Wir spielen nicht mehr mit dir!!!!!!“

So, lieber Herr Schulz, geht es nicht! So, lieber Herr Schulz darf sich einfach ein Kollektiv angeblich vernunftbegabter Wesen nicht verhalten, wenn es sich anmaßt, die Verantwortung für das Wohlergehen von rund 450.000.000 Menschen zu tragen.

Daß wir in Europa keine Verfassung haben, die dem zulässigen Verhalten der „politisch Verantwortlichen“ enge Grenzen setzt, ist schon eine Schande und offenbart die überwiegende Abwesenheit der europäischen Parlamente bei der politischen Entscheidungsfindung in Europa. Das hat nun eine fatale Folge: Organe der Exekutive, die eigentlich weder zu entscheiden noch zu richten haben, maßen sich seit einer gefühlten Ewigkeit nicht nur die Kompetenzen der Legislative an, sie schwingen sich jetzt auch noch zu Richtern auf. Ihr rechtswidriger Höhenflug macht vor der eigenmächtigen Gründung eines (externen) „Verfassungsgericht des Vereinigten Königreichs“ nicht halt; vielmehr, und das ist das Entsetzliche, peilen sie den Gipfel des „Olymps“ an. Selbsternannte „Richter am Verfassungsgericht der Europäischen Union“, EuVerfG – sozusagen! – Und – nicht mehr und nicht weniger – zu Richtern in eigener Sache. Das alles läßt sich in einem Satz zusammenfassen, der an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte erinnert: Was Recht ist, das bestimmen wir!

Ooops!?

Damit, darin werden Sie mir wohl zustimmen, ist die Gewaltenteilung in Europa einstweilen außer Kraft gesetzt. – Alle drei Staatsgewalten befinden sich spätestens seit der Brexit-Abstimmung so offensichtlich wie nie zuvor in der Hand des Rates der Europäischen Union. – Wohl nicht nur aus ostalgischen Gründen wird der inoffiziell auch „Ministerrat“ genannt. – Ich würde den „Rat der Europäischen Union“ eher als „Politbüro“ oder „Wohlfahrtsausspadfieldrefchuß“ bezeichnen.

Und das „einstweilen“ droht, sich in ein „endgültig“ umzuwandeln, wenn das Europäische Parlament nicht beherzt eingreift und einen möglichen Austrittsantrags des UK als unzulässig verwirft. Das kann es durchaus tun, wenn es sich das „House of Commons“ der vergangenen Jahrhunderte zum Vorbild nimmt. Das hat der britischen Krone immer und immer wieder Kompetenzen abgetrotzt.

Obwohl die Europäischen Verträge dem Europäischen Parlament diese Kompetenz nicht zubilligen, hat das Europäische Parlament unter dem Gesichtspunkt der „Gechäftsführung ohne Auftrag“ die Befugnis, das von den Exekutivorganen ins Auge gefaßte „Brexit-Procedere“ zu unterbinden, weil sowohl die Rechtsauffassung der britischen Regierung als auch die der „hinterbliebenen“ EU-“Partei- und Regierungschefs“ die Endgültigkeit des „Brexit“ auf Dauer blockieren, weil beide Parteien auf der Unumkehrbarkeit des Ergebnisses eines Referendums beharren.

Reiben Sie sich ruhig die Augen und fragen Sie: „Wieso steht das britische Referendum dem Brexit im Wege?“ – Nun, ich habe eingangs von „einem“ britischen Referendum gesprochen, nicht von „dem“ britischen Referendum; und was, um alles in der Welt, hat das Europäische Parlament mit der „Geschäftsführung ohne Auftrag“ zu tun?

Ich will Ihnen gerne all die prima facie ergebenden Widersprüche erklären. Das Gedächtnis von Politikern ist ebenso schwach ausgeprägt wie ihr Rechtsgefühl. Fangen wir daher mit Letzterem an:

Unterzieht man die politische Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland einer näheren Prüfung, offenbaren sich rasch drei Verwerfungen, die zeigen, daß das gegenwärtige politische System, das auch als Verfassungswirklichkeit bezeichnet wird, von den Vorstellungen des Verfassungsgebers erheblich abweicht:

Nach Art. 21 des Grundgesetzes sollen die Parteien an der Willensbildung des Volkes mitwirken. Die Art und Weise, in der die politischen Parteien diesen Verfassungsauftrag erfüllen, läßt die erste Verwerfung sichtbar werden:

Tatsächlich versuchen die Parteien, die über eine parlamentarische Mehrheit verfügen, dem Volk, also dem Souverän, ihre Vorstellungen rücksichtslos aufzuzwingen. Der Streit um den sogenannten „Ausstieg aus der Kernenergie“ macht dies überdeutlich. Ein Bruchteil der Bevölkerung hat qua Stimmzettel bei den Wahlen die Position der „Grünen“ befürwortet. Die Äußerungen des Bundesumweltministers in dieser Debatte lassen indes darauf schließen, dieser sei dazu ausersehen, der Stromerzeugung durch Kernenergie den Garaus zu machen. Trittin ist nicht der einzige, der sein Amt mit dem des lieben Gottes verwechselt, aber er ist ein gutes, weil markantes Beispiel.

Ihre Befugnis zu einem derartigen Vorgehen leiten Parlamentarier und Regierungen aus dem sogenannten Wählerauftrag ab. Die Mehrheit der abgegebenen Stimmen soll es rechtfertigen, die parteipolitischen Vorstellungen per Gesetz allgemeinverbindlich durchzusetzen. Diese Auffassung, die letztlich in allen Parteien herrschend ist, ist grundfalsch. Denn auch eine bei Wahlen erzielte absolute Mehrheit repräsentiert tatsächlich nur eine Minderheit der Gesamtbevölkerung. Erstens ist die gesamte Jugend von der Mitentscheidung über die eigene Zukunft ausgeschlossen. Und zweitens beträgt die Wahlbeteiligung nie 100%. Auch eine absolute Parlamentsmehrheit ist zwangsläufig ein Minderheitsvotum. Der „Wählerauftrag“ ist eine Fiktion. Tatsache ist, daß Parlamentarier und Regierung für die Mehrheit des Volkes gewissermaßen als „Geschäftsführer ohne Auftrag“ agieren müssen. Das aber tun sie zweifellos nicht.

Wie sehr unsere Politiker den „Wählerauftrag“ mißverstehen, zeigt sich auch an ihrem Verständnis für die Aufgaben des Bundesrates. – Knackpunkt Numero Zwei. – Nach Art. 50 GG wirken über den Bundesrat die Länder an der Gesetzgebung des Bundes mit. Der Bundesrat ist damit zwar ein Bundesorgan, aber in erster Linie das Gremium, in dem die Interessen der Bundesländer gegenüber dem Bund vertreten und gewahrt werden sollen. Vereinfacht gesagt, stellen die Mitglieder des Bundesrates die Anwälte der Länder gegenüber dem Bund dar.

Bereits seit geraumer Zeit stehen aber bei den Beratungen im Bundesrat parteipolitische Interessen und Auseinandersetzungen im Vordergrund. Das geht so weit, daß die Medien (sic!) davon reden, die gegenwärtige Bundesregierung verfüge nicht nur über eine Mehrheit im Bundestag, sondern auch im Bundesrat. Der offene Verfassungsbruch, nämlich das Umfunktionieren der Länderkammer in ein Instrument der Parteipolitik, bleibt nicht nur unbeanstandet, sondern wird von Presse, Funk und Fernsehen als Normalität vermarktet.

Wie konnte es aber dazu kommen, daß die politischen Parteien eine Geltung im Lande erlangen konnten, die praktisch kaum einen Bereich des öffentlichen Lebens unbeeinflußt läßt? – Das ist die Frage nach der dritten Verwerfung in unserer Verfassungswirklichkeit.

Die Parteien konnten allenthalben in die Machtpositionen drängen, die sie heute besetzt halten, weil unser gegenwärtiges Wahlrecht ihnen das Hölzerne Pferd bereitstellte. Bei Bundes- und Landtagswahlen gilt eine Kombination des Mehrheits- und des Verhältniswahlrechts. Je zur Hälfte werden die Parlamente von Abgeordneten gebildet, die in ihrem Wahlkreis direkt vom Volke gewählt wurden. Die andere Hälfte wird über eine Landesliste von den Parteien in das Parlament entsandt. Listenkandidaten werden von den Parteien dem Wahlvolk präsentiert, ohne daß dieses direkten Einfluß darauf hätte, ob es solche Kandidaten überhaupt haben und wählen will. Verkauft wird das übrigens als Zweitstimme für die „Partei“. Das Wahlrecht koppelt also 50% der Gewählten vom Wähler ab. Eigentlich kein Wahlkreiskandidat, der ein getreuer Parteisoldat ist, braucht um den Einzug ins Parlament zu fürchten. Wenn der Wahlkreis für eine Direktwahl nicht sicher genug ist, kommt er auf einen sicheren Listenplatz, der ihm den Einzug in das gewünschte Parlament beschert. – Freilich muß er dafür zahlen, wie die jüngsten Ereignisse gezeigt haben.

Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament wurde die grotesken Züge der Listenwahl deutlich gemacht. Auf dem Wahlzettel erschienen nur die „Großen Unbekannten“. Zufällig erkannte ich den Kandidaten „meiner“ Partei als denjenigen wieder, den ich Jahre zuvor als Referendar kennen- aber nicht schätzen gelernt hatte. Meine Stimme war damit für „meine“ Partei natürlich verloren.

Aber dieses Ereignis zeigte mir, daß diese Wahlen nach dem Losbudenverfahren stattfanden, denn der Wähler hatte lediglich die freie Auswahl innerhalb des von den Parteien festgelegten Angebots. Auch die deutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments werden ihren Obolus an die Parteien entrichten müssen, was bedeutet, daß sich unsere Mitbürger in 14 nichtdeutschen EU-Staaten an der Finanzierung bundesdeutscher Parteien beteiligen müssen. Toll!

Demokratie heißt aber Volks-, nicht Parteienherrschaft. Bei einer repräsentativen Demokratie leitet sich die Gesetzgebungsbefugnis des Parlaments aus den Wahlen ab. Nehmen wir das beim Wort: „Abgeordnet“ kann nur jemand sein, den das Wahlvolk „entsandt“ hat. Es kann daher nur derjenige sein, der sich unmittelbar im Wahlkreis um Wählerstimmen bewirbt. Das kann nur der sogenannte Direktkandidat sein. Diese Kandidaten machen aber nur die Hälfte des Parlaments aus. Jedem direkt gewählten Abgeordneten steht in der Bundesrepublik infolge des Wahlrechts automatisch ein „Schattenabgeordneter“ zur Seite, der zwangsläufig reiner „Parteisoldat“ ist, sonst wäre er nicht auf einem „sicheren“ Listenplatz gelandet. Denn wer auf die Landesliste kommt, das bestimmen ausschließlich die Parteien nach ihrem Gutdünken.

Irre ich mich? – Oder haben wir tatsächlich dadurch eine Verdoppelung der notwendigen Parlamentsgröße bewirkt?

Parlamentarier pflegen ihre Existenz damit zu rechtfertigen, daß die Aufgaben der Gesetzgebung in einer immer komplizierter werdenden Welt nicht weniger werden; es seien noch längst nicht alle Lebensbereiche so geregelt, wie es im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Gleichheit, insbesondere der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Chancengleichheit politisch wünschenswert und erforderlich wäre; außerdem sei in der laufenden Legislaturperiode noch der eine oder andere Wählerauftrag zu erfüllen; dies müsse notfalls im Wege der Gesetzgebung geschehen, wenn die laufenden Konsensgespräche zu keinem greifbaren und alle gesellschaftlich relevanten Gruppen befriedigenden Ergebnis kommen sollten… – In ähnlich geschwollener Art und Weise versuchen Politiker zu begründen, daß der Gesetzgeber einen nahezu unendlichen Handlungsbedarf habe.

Unendlich ist nicht der Handlungsbedarf des Gesetzgebers, unendlich sind lediglich die Geschichten, die diese Legende produziert. Ich darf in diesem Zusammenhang auf das Titelblatt der „Rheinischen Post“ vom 8.7.1974 verweisen. Dort wird unterhalb des Konterfeis des damals frischgebackenen Weltmeisters Paul Breitner die Frage gestellt: Doch noch Steuerreform?

Wir Bürger der Bundesrepublik Deutschland und wir Bürger der Europäischen Union werden mit Vorschriften des Bundes und der Länder sowie der EU überschüttet. Langsam aber sicher fragen sich alle, ob das denn wirklich alles sein muß. Präzisiert man diesen Unmut, muß die Frage richtigerweise lauten: haben wir alle Gesetze, die wir brauchen, oder brauchen wir alle Gesetze, die wir haben?

Widmet man sich dieser Frage eingehend, kommt man sehr schnell zu dem Ergebnis, daß wir nicht alle Gesetze brauchen, die wir haben. Denn selbst im wohlorganisierten Deutschland ist ein Rechtsgebiet, das für die Wirtschaft wie für den privaten Bereich von zentraler Bedeutung ist, nur fragmentarisch gesetzlich geregelt, nämlich das Arbeitsrecht. Seit den Zeiten Willy Brandts versuchte man ein einheitliches Arbeitsgesetzbuch zu schaffen; ein Vorhaben, das glücklicherweise bislang scheiterte. Das Arbeitsrecht ist in Deutschland die unangefochtene Domäne dessen, was man im angelsächsischen Rechtskreis als common law bezeichnet. Das aber, glaubt man deutschen Rechtsgelehrten, dürfte es im durchkodifizierten Kontinentaleuropa eigentlich gar nicht geben… Es geht also auch ohne detaillierte gesetzliche Regelung nebst fünfzig Durchführungsverordnungen und ähnlichem Schnickschnack – Auch andere Gesetze haben über die sogenannten Generalklauseln den Strukturen des common law den Weg in das deutsche Rechtsleben geebnet. Daher ist der Handlungsbedarf für den Gesetzgeber kleiner als gemeinhin angenommen. Die Produktivität des Parlaments als Gesetzgeber erweist sich unter diesen Gesichtspunkten bei aller Geschäftigkeit als erstaunlich gering.

So viele Abgeordnete, wie wir haben, brauchen wir nicht. Durch das Wahlrecht haben wir aber ein Parlament, das mindestens die doppelte Anzahl der notwendigen und unmittelbar demokratisch legitimierten Abgeordneten enthält.“

Sie werden lachen, lieber Herr Schulz, aber die zitierte Passage hatte ich 1999 im Rahmen der Abfassung meines „Der Bundesadel“ niedergelegt.

Seit mehr als 2000 Jahren bildet das „Common Law“ die Grundlage britischen Rechts und seit der Magna Charta auch die Grundlage der britschen Variante einer „Verfassung“. Die war allerdings ursprünglich und auch zu späteren Zeitpunkten alles andere als „demokratisch“. – Über das, was „demokratisch“ ist, können wir uns gern zu einem späteren Zeitpunkt unterhalten, jedenfalls ist der nun anstehende „Brexit-Vollzug“ in sich so widersprüchlich wie ein Sir Lancelot, der sich mit der eigenen Lanze vom Pferde fegt:

Das Hauptargument der „Brexit“-Beschleuniger besteht darin, daß am 23. 6. 2016 der „Souverän des Vereinigten Königreichs“ mit Mehrheit den Austritt aus der Europäischen Gemeinschaft beschlossen hätte und dieser Beschluß weder reversibel noch revisibel noch widerrufbar wäre. – Man tut so, als wäre das Volk des Vereinigten Königreichs so etwas wie der Häuptling eines Indianerstamms aus den Karl-May-Romanen: „Hugh, ich habe gesprochen“

Dem ist aber nicht so.

Laut Colin Padfield, „British Constitution – Made simple“ birgt die Institution des „Referendums“ eine Reihe von bisher ungelösten Verfassungsfragen des UK. Diese Verfassungsfragen wurden ausgelöst durch ein Referendum, daß sich bereits 1975 zur Frage des Verbleibs des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Gemeinschaft beschäftigt hatte. Von rund 70% der Wahlberechtigten sprachen sich damals rund 60% für den Verbleib in der EU aus.

1.) Das Referendum, so Padfield, ist eine Methode, den Wünschen der Wähler im Rahmen einer beabsichtigten Gesetzgebung Ausdruck zu verleihen; in einer Demokratie sollte einem Referendum ein Programm der Aufklärung und eine breite Debatte vorangehen. – (Lieber Herr Schulz, von „Wahlkampf“ ist hier nicht die Rede!)

Ein Referendum berührt und beeinträchtigt in Großbritannien

a.) die Souveränität des Parlaments,

b.) die kollektive Verantwortlichkeit (der Regierung)

c.) das Parlament als Volksvertretung insgesamt

d.) bereits eingegangene zwischenstaatliche Vertragsbindungen, vor allem die Europäischen Verträge.

e.) von der Unterwerfung des Rechts unter den „Volkswillen“ ganz zu schweigen…

2.) Ein Referendum bedeutet für Großbritannien eine gewaltige Veränderung der Verfassung, das, wenn überhaupt, nur nach eingehender Beratung genutzt werden sollte.

3.) Sollte ein Referendum für die Regierung bindend sein, würde dies die Souveränität des Parlaments außer Kraft setzen.

(Nach meiner -unmaßgeblichen- Auffassung könnte dies im Rahmen des demokratischen Gedankens nur der Fall sesin, wenn die Zahl der zugunsten des angestrebten Ergebnisses abgegebenen Stimmen 50% der Stimmen aller Wahlberechtigten übersteigt, also die absolute Mehrheit der Wahlberechtigten erreicht. – Alles andere führt in die Diktatur der „absoluten Minderheit“, die unter dem Begriff „Bolschewiki“ -Mehrheitler- im 20. Jahrhundert mit dazu beigetragen hat, Europa in den Abgrund zu stürzen.)

4.) Die Aufgabe der Regierung in wichtigen Dingen ist die Entscheidung. Wenn ein Minister die Entscheidung seiner Kollegen nicht akzeptieren kann oder will, sollte er zurücktreten. Das Referendum könnte als „Rückgabe des Schwarzen Peters“ an das Volk angesehen werden. (Das war „keine Entscheidung der Regierung“. – sozusagen der Pontius-Pilatus-Effekt)

5.) Bei einer geringen Wahlbeteiligung an einem Referendum könnte man wohl kaum von einer Entschiedenheit des Volkes sprechen. Die Unsicherheit würde wachsen. – (Diese Worte Padfields, niedergeschrieben 1977, können nicht oft genug wiederholt werden, weil sie sich zur Zeit jeden Tag auf‘s Neue bewahrheiten.)

6.) Wenn ein Referendum als taktisches Mittel eines Ministers heute benutzt wird, könnte es von einem anderen Minister morgen für ein anderes Problem benutzt werden.

7.) Das Volk hatte nicht um ein Referendum für den Verbleib in der EU gebeten (1975). Auch die EU-Staaten hatten das Instrument des Referendums bei Gründung der EU nicht genutzt.

8.) Nachdem das Vereinigte Königreich schon 1972 das Gesetz über die Europäische Union verabschiedet hatte und durch die Verträge von Rom gebunden war (EU-Mitgliedschaft auf „unbegrenzte Dauer“), konnte das Abhalten des Referendums nur die Stellung des UK in der Welt und den den Augen der übrigen EU-Mitgliedstaaten beschädigen. Sie werden in Frage stellen, ob England die Ausübung eines Referendums eines Tages wiederholen werde. (So ist es beim Brexit-Referendum tatsächlich gekommen!)

Soweit Colin F. Padfield, British Constitution – made simple, 4. Auflage, London 1977, S. 325f. padfieldref

Wer hätte gedacht, daß sich Padfields Gedankengänge und Befürchtungen rund 40 Jahre nach ihrer Niederlegung über Nacht in einem politischen Erdbeben der Magnitude 9 entladen würden.

Das Referendum 1975, was durchaus nicht einer die Regierung rechtlich bindenden „Volksabstimmung“ gleichgesetzt werden darf, ging zugunsten der EU aus, daher konnten die verfassungsrechtlichen Fragestellungen innerhalb des UK bis heute offenbleiben. Sie stellen sich erst jetzt erneut und schreien nach Beantwortung. – Dazu braucht das Vereinigte Königreich allerdings Zeit, die man dem britischen Volk gewähren muß. Und diese Zeitspanne darf nicht kürzer sein als die Dauer eines Verfahrens vor dem am langsamsten arbeitenden ordentlichen Verfassungsgericht eines Mitgliedstaates der EU.

Wenn heute von der Regierung des UK verlangt wird, unverzüglich einen Austrittsantrag zu stellen, weil die Mehrheit der abgegebenen Stimmen einen Austritt aus der EU zwingend vorschreiben würde, so ist das angesichts der hierzu herangezogenen Argumente nicht mehr als reinster

BULLSHIT!

Weder der Regierung Ihrer Majestät noch dem Politbüro der Europäischen Union noch der Europäischen Kommission steht es zu, die Relevanz des Referendums vom 23. Juni 2016 für das Handeln der britischen Regierung zu bestimmen. Selbst das britische Parlament ist an das Referendum von 1975 gebunden. Anderenfalls würde es sich 40 Jahre nach der Pro-Europa- Entscheidung des britischen Volkes dem Vorwurf des „venire contra factum proprium“ auszusetzen, also der unzulässigen Rechtsausübung. – Noch ein Grund, das „Brexit-Referendum“ für Europa unbeachtlich zu machen.

So haben die Gremien der EU nach der von ihnen vertretenen Rechtsauffassung, die wegen des Nachdrucks, mit der sie in die Welt posaunt wurde und wird, einen eventuellen Antrag nach „Artikel fünfzig“ so zu bescheiden, daß sie nicht Gefahr laufen, den „Paragraph Einenfuffzig“ zu kriegen. Ich darf hier noch einmal zusammenfassen:

Nach der übereinstimmenden Rechtsauffassung sämtlicher zuständigen Gremien der EU und des UK hatte das britische Volk mit dem Referendum 1975 seinen „Vorrat“ an Referenden über die Frage der Zugehörgkeit zur Europäischen Union schon endgültig „verbraucht“. Daß das Referendum 1975 bei allen Beteiligten in Vergessenheit geraten war, spielt dabei keine Rolle. Aus britischer Sicht widerspricht „BREXIT“ dem bereits 1975 bereits abschließend geäußerten Volkswillen zum Verbleib in der EU. Aus europäischer Sicht ist das Referendum vom 23. 6. 2016 so schlicht wie ebenso ergreifend im Rahmen der europäischen Vertragsbindungen wirkungslos, unverbindlich und damit am Ende unbeachtlich, weil es den verfassungsrechtlichen Standards des Vereinigten Königreichs offensichtlich nicht genügt.

Ein von der Regierung des Vereinigten Königreichs gestelltes „Austrittsgesuch“ muß zwingend als unzulässig verworfen werden, denn nach Auffassung aller Beteiligten in der EU bewirkt ein Referendum innerhalb des Vereinigten Königreichs einen unwiderruflichen, nicht reversiblen und nicht einmal revisiblen Rechtszustand.

Es bedarf im „Brexit-Verfahren“ nach allem keiner näheren Erörterung der internen Verfassungsfragen Großbritanniens. Weil aber weder das EU_Politbüro noch die EU-Kommisssion zu diesem Schritt bereit ist, ist das EU-Parlament die einzig verbliebene Institution, den durch das Referendum von 1975 herbeigeführten Rechtszustand aufrecht zu erhalten. Es ist dazu berechtigt und sogar verpflichtet. – Es sei denn, ein EU-weites Referendum würde sich für eine Entlassung des UK aus der Europäischen Union mit der geforderten qualifizierten Mehrheit aussprechen. – Unter 50% + 1 der Stimmen aller Wahlberechtigten wäre da freilich nichts zu machen.

Das Vereinigte Königreich von England, Schottland, Wales und Nordirland ist also Mitglied der Europäischen Union aufgrund des Referendums von 1975 bis

1.) zum jüngsten Tag,

2.) hilfsweise bis zur Auflösung der Europäischen Union oder der Auflösung des Vereinigten Königreichs,

3.) mindestens aber bis zum Tag nach der Eröffnung des Flughafens BER.

Für Ihre freundliche Kenntnisnahme und Bemühungen danke ich im voraus.

Ich schließe mit meinem Facebok-Eintrag vom 24. 6. 2016:

Gerhard Altenhoff Referendum: Diktatur der absoluten Minderheit. Denn seit wann sind 51% von 72% mehr als 50%? Wenn ein Referendum überhaupt „demokratisch“ sein soll, müßte zumindst ein Quorum erreicht werden, daß die Hälfte aller Wahlberechtigten übersteigt. – Alles andere ist Analog-demokratisch und läßt einem den kalten Schauer den Rücken herablaufen. Machen wir ein Referendum über die Todesstrafe im Anschluß an einen Kindermord oder Bombenattentat…

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Herzlichst

Ihr

Gerd Altenhoff

Wer mitreden will, sollte zunächst einmal lesen lernen: http://filestore.nationalarchives.gov.uk/pdfs/small/cab-129-181-c-19.pdf

http://filestore.nationalarchives.gov.uk/pdfs/small/cab-129-181-c-19.pdf


In Sachen CDU & Co ./. Pressefreiheit

Mai 4, 2016

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Erdogan und Ernst Moritz Arndt

Mai 3, 2016

Ernst Moritz Arndt, der berühmteste Sohn der Insel Rügen, hatte bereits vor mehr als 200 Jahren eine supermoderne Einstellung zum Verhältnis der Politiker zu den Organen der freien Presse. In seiner Schrift VERFASSUNG UND PRESSFREIHEIT forderte er die „unbeschränkteste Preßfreiheit“und riet den  „Mächtigen“, sich auf’s politische Altenteil zurückzuziehen, falls sie den Schmähungen der Presse nicht standhalten könnten. – Ich empfehle Erdogan und seiner Milchdrüsenfreien Busenfreundin dringend die Lektüre von Arndts o. g. Schrift, die auch für das verquere Demokratieverständnis des 21. Jahrhunderts durchaus lehrreiche Erkenntnisse und Schlußfolgerungen enthält.

Was wir schon gesehen haben, wird dann täglich allgemeiner werden. Ja was wir schon gesehen haben? Was ist es denn? Einzelne Pamphlets, die sich um Persönlichkeiten drehen, wodurch einzelne Staatsmänner oder Beamte und Gelehrte beleidigt und gemißhandelt oder auch nur öffentlich hingestellt sind? – Das ist freilich unvermeidlich, wann Preßfreiheit da ist, ja es ist notwendig mit der Preßfreiheit verbunden. Wo Freiheit ist, muß, wer öffentlich auftritt, sich auch öffentlich behandeln und verhandeln und mitunter wohl mißhandeln lassen. Diese Stärke des Gemüts, diese Tugend muß er haben. Mag er das nicht, so setze er sich in der Werkstatt hin und nähe Schuhe und Röcke, oder an den Zahltisch und ziehe Rechnungen aus, statt daß er Heere befehligen oder Staaten einen neuen Rock anmessen will – oder er treibe den Pflug ins Feld und pflanze seinen Kohl, statt daß er durch Bücher unterweisen und strafen oder gar glänzen will.

Noch Fragen?

 


Angela Merkel und Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes

Dezember 10, 2013

http://www.bundeskanzlerin.de/Webs/BKin/DE/Startseite/startseite_node.html

Angela Merkel – Diese Frau ist wie ihre „Amtsvorgänger” nichts anderes als ein wandelnder „Geßlerhut”.

„Bundeskanzlerin” ist diese Frau jedenfalls nicht.

Um in der Bundesrepublik Deutschland „Bundeskanzler” oder  „-kanzlerin“ zu werden, muß man sich dem Verfahren stellen, das Art. 33 des Grundgesetzes vorschreibt:

Nach Str. 33 Absatz 1 haben alle Deutschen in allen Ländern die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

Art. 33 Absatz 2 schreibt vor, daß jeder Deutsche nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung Zugang zu jedem öffentlichen Amt hat.

Art. 33 GG schränkt den Begriff des „öffentlichen Amts” in keinster Weise ein, also gilt er auch für die „höchsten” Ämter im „Staate”..

Es gibt auch sonst keine verfassungsrechtlichen Einschränkungen von diesem Grundsatz. Vor allem findet die sogenannte „demokratische Tradition”, daß man sich um die „höchsten Staatsämter” nicht bewirbt, sondern sich „nominieren läßt”, keine Stütze im Grundgesetz.

Und das mit gutem Grund. Hitler kam „an die Macht”, eben weil „man sich nicht um die höchsten Staatsämter bewirbt, sondern nominieren läßt”.

Diesem Procedere wollte das Grundgesetz, das den Willen des „Inhabers der verfassungsgebenden Gewalt“ verkörpert, ein für allemal den Riegel vorschieben.

Art. 33 Abs. 2 GG bildet das „politische Grundrecht” aller Deutschen, jedes öffentliche Amt anzustreben. Die Auswahlkriterien Eignung, Befähigung und fachliche Leistung haben unmittelbaren Verfassungsrang. – Daneben gibt es nichts. Keine „demokratische Tradition“, kein Gewohnheitsrecht der Parteien, erst recht keine „herrschende Meinung in der Kommentarliteratur“ ist berechtigt, diese Kriterien in irgendeiner Weise aufzuweichen oder gar auszuhebeln.

Sichergestellt wird dieses „politische Grundrecht“ aller Deutschen durch die öffentliche Stellenausschreibung, auf die sich jedermann bewerben kann.

Der „Ausschreibungszwang” wurde indes bereits vom 1. Deutschen Bundestag im Jahre 1949 elegant ausgehebelt, und zwar mit dem ebenso falschen wie schlagkräftigen Slogan: „Man bewirbt sich nicht um die höchsten Staatsämter, man läßt sich nominieren”

Die „Presse” hat das unreflektiert geschluckt und bis heute als Propaganda verbreitet.

Aber „wahr” wird diese Lüge auch nach 18 Wahlperioden nicht. – „Schneewittchen und die sieben Zwerge” bleibt auch heute noch ein Märchen, obwohl es seit weiß wie vielen Generationen erzählt wird. – Und Merkel, die entgegen den oben erwähnten Auswahlkriterien ohne Ausschreibung auf den Schild der „BRD“ gehoben worden war, wurde nicht in Übereinstimmung mit Art. 33 Abs. 2 GG vom Bundestag gewählt, demzufolge war ihre Wahl ungültig. Sie ist also de jure nie Bundeskanzlerin geworden.

Aber selbst wenn man großzügigerweise ihre Wahl anerkennen wollte, spätestens seit dem 22. 10. 2013 11.00 Uhr ist sie „draußen“. – Kraft Art. 69 Abs. 2 GG vom Inhaber der verfassungsgebenden Gewalt höchstpersönlich aus dem Amt geworfen.

Dessen ungeachtet mimt sie immer noch die „allmächtige“ Amtsinhaberin und reist auf Kosten des Steuerzahlers in der Weltgeschichte (räumlich wie zeitlich!) herum.

Auch der „Kanzler“ ist ein Diener, wie die anderen Minister auch. Bei denen ist schließlich die lateinische Bezeichnung für „Lakai“ bis zum heutigen Tage beibehalten worden.

Selbstverständlich hatte der „cancellarius“ (Schreiber) eine Sonderstellung bei früheren Kaisesrn und Königen inne. – Viele von ihnen waren Analphabeten. Deswegen hatte der cancellarius eine besondere Stellung inne Kein Herrscher konnte es riskieren, das eigene Todesurteil oder die eingene Abdankung zu unterzeichnen.

Dieses besondere Vertrauensverhältnis fällt in der Beziehung des demokratischen Souveräns zum Kanzler weg. – Daß wir in Deutschland als „Regierungschef“ keinen „Ersten Minister“ als Gleichen unter Gleichen in der Lakaienspielschar haben, ist ohnehin lediglich der Entwicklungsgeschichte innerhalb der deutschen „Kleinstaatereiii“ geschuldet. Auch der Bundeskanzler ist und bleibt ein Diener.

Wenn sich also eine Angela Merkel in aller Öffentlichkeit als machtbewußte Herrscherin aller Deutschen und Gebieterin des Deutschen Bundestages darstelt, dürften Zweifel an ihrer Eignung für das von ihr zukünftig angestrebte Amt angebracht sein. – Wer sich schon im Vorfeld öffentlich als geradezu herrschsüchtig selbst inszeniert, dürfe als treuer Diener des Volkes offensichtlich nicht empfehlen. Kann die „Kanzlerin“? – Ist sie dazu befähigt, die einem Bundeskanzler abverlangte Leistung zu erbringen?

Welche Leistung erwartet der Souverän von einem Bundeskanzler? – Das Grundgesetz gibt als der verkörperte Wille des Volks als Inhaber der verfassungsgebenden Gewalt umfassend Auskunft:

Gemß Art. 64 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 56 GG haben der Bundeskanzler und die Bundesminister zu schwören, daß sie ihre Kraft dem Wohl des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, ihre Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werden. – So wahr ihnen Gott helfe!

Bisher hat Gott allenfalls dem ollen Adenauer und dem „Vater“ der sozialen Marktwirtschaft, Ludwig Erhard, geholfen. – Alle „Kanzler“ die danach kamen, saßen im gottverlassenen Bonner Nest, sie waren nicht nur von Gott, sondern selbst von allen guten Geistern verlassen.

Nach Erhardt hat der „Nutzen“ (der wirtschaftliche Vorteil) des deutschen Volkes kontinuierlich gelitten, der „Schaden“, für das deutsche Volk in atemberaubender Weise zugenommen. – jeder Euro, der im „Staatssäckel“ verschwindet, ist ein Schaden für das deutsche Volk, weil der „Staatshaushalt“ nebst „Steuern“ ein Relikt des Absolutismus ist.

Die Einstellung einer Angela Merkel gegenüber dem Grundgesetz und den Gesetzen des Bundes offenbart sich schon in ihrem gegenwärtigen Gehabe als „geschäftsführende Bundeskanzlerin“,das in greifbarer Nähe zu den §§ 132, 132a des Strafgesetzbuches (Amtsanmaßung, Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen).

Wer „Machtworte“ spricht, verletzt, das ist wohl klar, seine Pflichten als Diener. Und wer „Schutzschirme“ über Banken aufspannt, die Existenz von „Tafeln“ für Arme schulterzuckend hinnimmt, läßt nicht einmal Ansätze erkennen, die ihm/ihr obliegenden Pflichten (dem Wohl des Deutschen Volkes zu dienen, seinen Nutzen zu mehren, Schaden von ihm zu wenden sowie das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes zu wahren und zu verteidigen) gewissenhaft erfüllen zu wollen. – Vom Üben der Gerechtigkeit gegenüber jedermann ganz zu schweigen.

Artikel 33 Abs. 2 GG dürfte einer zukünftige Kanzlerschaft einer Frau Angela Merkel von Grundgesetzes wegen massiv im Wege stehen.


VW – Verfassungsgericht und Wulff – die zwei Seiten ein und derselben Medaille

Dezember 8, 2013

http://www.ndr.de/regional/niedersachsen/hannover/wulff2087.html

Als der Wulff noch den Ministerpräsidenten des Landes Niedersachesn mimte, war er „kraft Gesetzes“ Mitglied im Aufsichtsrat des VW-Konzerns. Gleichzeitig war er „kraft seinen Amtseides“ und damit auch „kraft Gesetzes“ einem anderen gegenüber zur Loyalität verpflichtet:

„Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Volke und dem Lande widmen, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und die Niedersächsische Verfassung sowie die Gesetze wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegenüber allen Menschen üben werde.“

Daß der Wulff es mit dieser Pflicht nicht ganz so genau genommen hat, ist wohl hinlänglich bekannt. und das, obwohl er dieselbe Ausbildung durchlaufen mußte, die sowohl die Richter am Bundesverfassungsgericht als auch der Verfasser dieses Beitrages genießen durften: Er hatte dereinst die „Befähigung zum Richteramt“ nach § 5 des deutschen Richtergesetzes erworben:

(1) Die Befähigung zum Richteramt erwirbt, wer ein rechtswissenschaftliches Studium an einer Universität mit der ersten Prüfung und einen anschließenden Vorbereitungsdienst mit der zweiten Staatsprüfung abschließt; die erste Prüfung besteht aus einer universitären Schwerpunktbereichsprüfung und einer staatlichen Pflichtfachprüfung.

(2) Studium und Vorbereitungsdienst sind inhaltlich aufeinander abzustimmen.

Wenn sich eine Person, die diesen strengen Anforderungen einmal gerecht geworden ist, sich selbst als geistig so „minderbemittelt“ darstellt, daß einem die Tränen kommen, was hat er dann im „höchsten Staatsamt“ zu suchen? – Und was haben Personen, die pflichtvergessen auf dem Richterstuhl tief und fest schlafen, auf der Richterbank des Bundesverfassungsgerichts zu suchen? –

Deutsche Richter verkünden ihre Urteile

IM NAMEN DES VOLKES!

Ob all das, was „Im Namen des Volkes“ für „Recht erkannt“ worden ist, will ich offenlassen. Jedenfalls ist das, was in dieser Sache:

http://www.welt.de/politik/deutschland/article122648309/Eilantrag-gegen-den-Mitgliederentscheid-scheitert.html

als Gerichtsbeschluß gefaßt und verkündet-  Gott sei Dank(!) also nicht als Urteil „im Namen des Volkes“ – verkündet wurde, mit dem erklärten Willen des Inhabers der verfassungsgebenden Gewalt nicht wirklich kompatibel. Der Inhaber der verfassungsgebenden Gewalt kann nicht wollen, daß ein kleiner Haufen von rund 475.000 Männekes darüber befindet, ob und ggfs. wie lange die „Mehrheit“ des 18. Deutschen Bundestages daran hindert, das zu tun, was ihre Aufgabe ist: Wahl eines Bundeskanzlers und Gesetzgebung. – Aber eigentlich hindert die Mehrheit der Mitglieder des 18. Deutschen Bundestages sich selbst an der Erfüllung der ihnen vom Souverän übertragenen Aufgaben. – Damit widersetzen sie sich dem vom Souverän klar und eindeutig erteilten „Wählerauftrag“.

Ihr habt zu tun, was euch das Grundgesetz befiehlt! – Ende der Ansage und „Aus die Maus“!

Nein, man wartet mit Billigung des allerhöchsten Bundesgerichts ab, bis 0,59% des Volkes darüber befunden haben, ob den Abgeordneten der „Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“ bei der längst überfälligen Wahl eines Bundeskanzlers ihre Stimme für eine gewisse Angela Merkel abgeben dürfen. – Nein, dieses Procedere schräkt die Arbeit der frei gewählten Abgeordneten in keinster Weise ein!

Da kann man eigentlich nur sagen: „Furchtbare Juristen“! („Furchtbare Juristen – die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz“ – so betitelte Ingo Müller sein Buch über die Geschichte der deutschen Justiz von Anbeginn des Untergangs der Weimarer Republik bis zum untauglichen Versuch, die Justiz des „Dritten Reichs“ juristisch aufzuarbeiten.)

Als ob der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) es darauf angelegt hätte, meine Definition des „furchtbaren Juristen“ mit aller Gewalt bestätigen zu wollen:

Montags fällt man am Volksgerichtshof Todesurteile wegen Wehrkraftzersetzung. Am Dienstag bringt man Kriegsverbrecher in Nürnberg an den Galgen. Der Mittwoch bleibt der Verkündung von Todesurteilen vorbehalten, die in den Diensträumen der Stasi bereits vorformuliert worden waren. Donnerstags läßt man – mit der Scharia unter dem Arm – vergewaltigte Frauen öffentlich steinigen. Und am Freitag nimmt man offensichtlich begründete Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung an und verhängt eine „gesetzlich vorgesehene Mißbrauchsgebühr“ in Höhe von € 500,–.

Der „furchtbare Jurist“ läßt sich also – für jeden Menschen auf dieser Welt erkennbar – eindeutig kennzeichnen.

Das ist die eine Seite der Medaille.

Auf der anderen Seite befindet sich das Konterfei einer Person, die von seiner Ausbildung her seinen gesetzlichen Richtern, den Staatsanwälten und seinen Verteidigern ebenbürtig ist: Christian Wulff. Obwohl er den Satz:

„VOM STAAT GIBT ES KEINE LEISTUNG OHNE GEGENLEISTUNG“

geprägt hat, mimt er heute den Labrador, der eine „Schwarzwälder Kirschtorte“ vom Tisch gezogen und verputzt hat. „War da was?“

Mein früherer Kollege (auch er war einmal – wie ich auch  – Rechtsanwalt) vermag „schwachköpfige Richter“ ( Zitat Adolph Freiherr Knigge, vom Umgang mit Menschen: über den Umgang mit Juristen ) von seinem fehlenden „Unrechtsbewußtsein“ überzeugen, als ehemaliger „Staats- und Parteichef“ der Niedersachsen wird er das denen, auf deren Kosten er gegenwärtig lebt und in Zukunft leben wird, kaum glaubwürdig ‚rüberbringen können. – Jeder Hartz IV – Empfänger muß sich angesichts der Alimentation eines Christian Wulff bis ins Mark getroffen fühlen.

Aber, das ist in der öffentlichen Wahrnehmung schon lange vergessen, es gab schon einmal einen „Bundespräsidialamtsbesetzer“, der in die Schlagzeilen geraten war. – Er war ein wenig geschickter als der Wulff und saß die Affäre einfach aus. – Erl ieß sich schließlich auch kein Hotel und keinen Kneipenbummel von einem „Freund“ bezahlen, es ging damals nur um Flüge, die zu Lasten der „Hausbank“ eines Johannes Rau gingen. Sie wurde vor 13 Jahren durch die Presse genudelt. – Aber wer weiß das heute noch?

„Ich“! Herr Lehrer, denn ich hatte es damals aufgeschrieben. – Und wie der Zufall es so will, auch das Bundesverfassungsgericht einer überfälligen Apokalypse zugeführt. „Apokalypse“, das ist entgegen landläufiger Meinung kein Weltuntergang, das griechische Wort bedeutet lediglich „Entschleierung“. – Man könnte Apokalypse – in Anlehnung an das Rheinische Karnevalsbrauchtum – auch „politischen Aschermittwoch“ oder „Demaskierung“ nennen.

Geben wir den apokalyptischen Kavalleristen die Gelegenheit, ihre Pferde erneut anzuspornen:

http://www.lulu.com/shop/gerhard-altenhoff/der-bundesadel/ebook/product-551706.html S. 26Ff:

Habe ich es nicht gleich gesagt: der Bundesbürger ist nicht mehr Herr im eigenen Haus. Politik wird nicht in den Parlamenten gemacht, sondern in den Parteizentralen. Als ob er angetreten wäre, meine Auffassung zu bestätigen, versuchte der FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt, die frei gewählten FDP- Abgeordneten des hessischen Landtages dahingehend zu beeinflussen, die Koalition mit der CDU zu beenden.

Ich darf in Erinnerung rufen, daß nach den demokratischen Verfassungen des Bundes und der Länder der Abgeordnete als Vertreter des ganzen Volkes und nicht einer Partei gilt. Er ist an Aufträge nicht gebunden und nur seinem Gewissen unterworfen.

Ist das FDP-Präsidium das Gewissen ihrer Abgeordneten? – Mit Sicherheit nicht. Mit Sicherheit sind es auch nicht die Kreisverbände der hessischen FDP, die jetzt einen Sonderparteitag durchgesetzt haben, um eine Entscheidung herbeizuführen.

An diesen Vorgängen offenbaren sich erneut die Verzerrungen der Demokratie in Richtung auf ein Diktat der Parteien. Das gegenwärtige Parteiensystems ist ein komplexes adaptives System, das alle qualitativen Merkmale einer Adelsschicht aufweist. Es reagiert in seiner Gesamtheit und in seinen Teilen irrational. Weil auch die FDP irrational reagiert, kann sie das Aufbegehren des hessischen Landesverbandes nicht tatenlos hinnehmen. Die Behauptung, der Parteivorsitzende Wolfgang Gerhardt sei nun geschwächt, ist zwar durchaus zutreffend, aber nur unter irrationalem Aspekt; denkt man darüber nach, was er aus verfassungsrechtlicher Sicht getan hat, mußte er scheitern, denn in einer Demokratie kann der Vorsitzende einer Partei keine Weisungen mit Anspruch auf Gehorsam erteilen.

Auf dem Parteitag werden Delegierte (auf deutsch: Abgeordnete) abstimmen, die von der “Basis” mit entsprechenden Vollmachten versehen sind. Wo aber bleibt der Wählerwille? – Einen Wählerauftrag gibt es zwar nicht, aber die Mehrheit der Wähler hat sich für eine Koalition der Fraktionen von CDU und FDP ausgesprochen und es ist alleiniges Entscheidungsrecht der Fraktion, diese unter den gegebenen Umständen fortzuführen.-

Sollte der Parteitag das Ende der Koalition beschließen, würde das nicht nur einen Angriff auf die Rechte und verfassungsmäßigen Pflichten der Abgeordneten darstellen; die Abgeordneten selbst würden in ein Dilemma gedrängt:

Folgt die FDP-Fraktion dem Beschluß des Parteitages, kommt sie einer “Weisung” nach, was sie nicht darf. Das wäre verfassungswidrig, zumal seit dem Beschluß, die Koalition fortzusetzen, sachlich keine Änderung eingetreten ist. Widersetzt sich die Fraktion der Partei, ist das mit Sicherheit die letzte Wahlperiode, die die konkreten Abgeordneten für die FDP in irgendeinem Parlament absolvieren durften. Ihre politischen Karrieren finden ihr Ende, weil die Namen nie wieder auf einer Landesliste auftauchen werden. Listenabgeordnete sind die “Lenkwaffen” der Parteien in den Parlamenten. Abgeordnete, die unfolgsam sind, sind aus der Sicht der jeweiligen Partei zwangsläufig unbrauchbar. Zur Strafe entzieht man ihnen das Adelsprädikat. Das wiederum kommt einer tiefen Demütigung gleich, und freiwillig demütigen läßt sich niemand. Folglich liegt die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, daß die FDP-Fraktion des hessischen Landtages einen Beschluß zur Beendigung der Koalition ohne inhaltliche Diskussion in die Tat umsetzen wird. Was in der Verfassung steht, bindet ja nicht. Jeder Adelige hat sich dem Kodex des Adels zu unterwerfen – auch bei der FDP.

Adel und Obrigkeit mochten die Presse nie. Sie empfanden sie stets als eine Störgröße, die man unterdrücken mußte. Auch in der Bundesrepublik, wie sich in Nordrhein-Westfalen zeigt: Es wird behauptet, der “Spiegel” hätte der Witwe des Piloten der Air-West-LB ein “Kopfgeld” versprochen, wenn ihre Informationen zum Rücktritt nordrhein-westfälischer Landespolitiker führen sollten. Die NRW-SPD hat sich beim Presserat darüber beschwert.

Das ist ungeheuerlich! – Aber nicht, was der Spiegel macht, die Beschwerde ist es. Warum? –

Nach meiner Auffassung ist die Pressefreiheit der unabhängigen Justiz ebenbürtig und unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren der Demokratie. Es kommt hier meiner Meinung nach nicht darauf an, ob die Behauptung über das Vorgehen des “Spiegel” zutrifft oder nicht, und zwar aus folgenden Gründen:

Bei der Justiz ist es seit ewigen Zeiten üblich, daß Belohnungen ausgesetzt werden, um Missetäter dingfest zu machen. – An dieser Stelle müssen wir uns vor Augen führen, was der Begriff dingfest machen bedeutet. Er kommt aus der germanischen Rechtssprache und leitet sich vom Thing ab. Das Thing war in germanischer und fränkischer Zeit die Volksversammlung als politische, Gerichts- und Heeresversammlung. Neben dem echten Thing, das regelmäßig stattfand und an dem jeder freie Mann teilnehmen mußte, gab es das gebotene Thing, das zunächst unregelmäßig nach Bedarf abgehalten wurde; Karl der Große führte einen festen Abstand von 14 Tagen ein, wobei nur noch der Gerichtsvorsitzende, Schöffen und die Streitparteien anwesend waren. Aus der Funktion des Thing als Gericht folgt, daß dort auch über das Fehlverhalten von Stammesmitgliedern geurteilt wurde.

Der Presse kommt in der Demokratie die Aufgabe zu, den Souverän darüber zu informieren, welche Aktivitäten Politiker entfalten, die nicht ganz mit dem Soll übereinstimmen. – Ich möchte es an dieser Stelle noch einmal wiederholen: die Presse muß Bericht erstatten; zu richten, das ist das alleinige Recht des Souveräns.

Wenn ein Presseorgan im Rahmen der Berichtspflicht Informationen nur dann erlangen kann, wenn es Geld dafür bezahlt, ist das von keiner anderen oder geringeren Qualität, als wenn die Strafverfolgungsorgane eine Belohnung aussetzen. Es ist legitim. Immerhin geht es um Tatsachen, die für die Entscheidungsfindung des Souveräns von erheblicher Bedeutung sein können.

Kein Politiker hat Anspruch darauf, daß sein Fehlverhalten dem Volk verschwiegen wird. Allein die Tatsache, daß sich die NRW-SPD überhaupt beschwert hat, offenbart die tiefe Kluft, die zwischen dem Volk und einer Partei besteht, die von sich selbst behauptet, eine große Volkspartei zu sein. Besser als auf diese Weise kann man Kleingeist und Egoismus nicht outen.

Parteispenden, Sponsoring von Landesregierungen, schwarze Kassen, all das ist jetzt ruchbar geworden. Zur Verdeutlichung der Sache personifizieren wir den ziemlich abstrakten Souverän im Thing: Nehmen wir an, das Thing wäre aufgrund des von der Presse vorgetragenen Plädoyers geneigt, einem beschuldigten Politiker Fehlverhalten vorzuwerfen. Wie wird er sich verteidigen?

Die Psychologieprofessorin Astrid Schütz (TU Chemnitz) hat herausgefunden, daß politische Skandale oft nach dem gleichen Muster ablaufen. Sie hat dazu ein “Sieben-Stufen-Modell“ defensiver Selbstdarstellung entwickelt. Einfaches “Leugnen” bildet die erste Stufe, dann kommt das “Umdeuten” des eigenen Verhaltens oder es wird eine “Beteiligung abgestritten.” Wenn eine “Rechtfertigung” des eigenen Verhaltens keinen Erfolg bringt, dann sollte es wenigstens das “Bestreiten einer negativen Absicht.” Wenn auch das noch nichts nützt, wird es damit versucht, die “Bedeutung zu relativieren.” Am Ende, wenn all diese Mittel versagen, bleibt als siebte Stufe das “Eingeständnis,” das meist den Rücktritt zur Folge hat (Kölner Stadtanzeiger 12. /13. 2. 2000 S. 5). Politiker neigen also dazu, jede Schuld bereits dann von sich zu weisen, wenn der Sachverhalt noch gar nicht geklärt ist. Dieses Verhaltensmuster läßt sich in einem Satz zusammenfassen: Ich habe den Krug nicht bekommen, aber er war schon kaputt, als ich ihn bekam und er war noch ganz, als ich ihn weggab. Wer so argumentiert wirft Nebelkerzen und verschleiert jeden Blick auf die anzuwendenden Maßstäbe.

Am psychologischen Modell der Frau Schütz läßt sich unschwer ablesen, daß sich erwischte Politiker gern auf einen subjektiven Maßstab der Bewertung zurückziehen, der im Rechtsleben des Alltags aber nur im Ausnahmefall anzutreffen ist, nämlich im Strafrecht. Nur hier gibt es einen subjektiven Verschuldensmaßstab, alle anderen Rechtsgebiete messen mit der objektiven Elle. Zentrale Vorschrift ist diesbezüglich § 276 BGB, wonach fahrlässig handelt, wer die im Verkehr (gemeint ist der Rechtsverkehr) erforderliche Sorgfalt außer acht läßt. Aber der Verschuldensmaßstab allein bringt uns noch nicht weiter, denn die Prüfung des Verschuldens kann erst ansetzen, wenn ein Verhalten festgestellt ist, das zu einer Sanktion führen muß.

Welche Sanktion kann denn unser Thing verhängen, wenn die Verteidigungsstrategien des Politikers versagen? – Keine. Aus dem Amt jagen, das geht nicht.

Die einzige Konsequenz, die ein Politiker zu fürchten hat, ist der eigene Rücktritt. Es scheint sich seit der Französischen Revolution eingebürgert zu haben, daß ein Politiker, der es verdient, aus dem Amt gejagt zu werden, seinen Hut nimmt, bevor er den Kopf verliert.

Wann aber hat ein Politiker das Feld zu räumen? – Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland enthält keine Regelung zur Frage, welcher Sachverhalt zum Verlust eines politischen Amtes führen muß. Also müssen wir uns die Entscheidungshilfen aus anderen Rechtsgebieten holen. Nun sind die Beziehungen von Politikern zum Volk etwas eigenartig. Sie werden durch allgemeine, freie, gleiche und geheime Wahlen begründet. Beamtenrecht paßt ebensowenig wie Arbeitsrecht. Da wir alle aber komplexe adaptive Systeme sind, bei deren Interaktionen immer wieder dieselben Muster auftreten, brauchen wir nur auf der Skala des Alltagslebens nach einem Muster zu suchen, das mit dem Verhältnis des Bürgers zum Politiker übereinstimmt. Den Weg weisen die von Politikern gern benutzten Begriffe Auftrag und Mandat. Beide Begriffe werden im täglichen Sprachgebrauch für die Umschreibung des Rechtsverhältnisses zwischen einem Anwalt und seinem Mandanten verwendet. Hier wie dort basiert das Verhältnis auf einem gewissen Vertrauensvorschuß, der dem Mandatsträger entgegengebracht wird. Anwalt und Politiker erledigen ihre Aufträge selbständig und in eigener Verantwortung. Beide übernehmen auch die Verantwortung für den, der sie mandatiert hat. Auf den ersten Blick scheint allerdings ein gravierender Unterschied zu bestehen, denn das alltägliche Mandatsverhältnis kann jederzeit von beiden Teilen aufgelöst werden, während der Politiker zwar sein Mandat im Laufe der Wahlperiode aufgeben kann, der Wähler kann ihm aber nicht das Mandat entziehen. Aber der Unterschied hat keine Bedeutung für die Frage, wann ein Fehlverhalten vorliegt. Er ist nur relevant für die Konsequenzen, die sich ergeben.

Aus diesem Grunde muß die Frage, ob ein eventuelles Fehlverhalten einen Mandatsverlust zwingend zur Folge hat, in beiden Fällen ähnlich beurteilt werden.

In diesem Zusammenhang stoßen wir auf etwas, das uns zu denken geben sollte: dem Anwalt ist es bei Strafe und Berufsverbot untersagt, widerstreitende Interessen zu vertreten. Dahinter steckt ein tiefer Sinn. Ein Prozeß, egal vor welchem Gericht, lebt von der Polarisierung der Interessen. Sie erst macht eine Entscheidungsfindung möglich. Ein Anwalt, der gegenläufige Interessen vertritt, bewirkt gewissermaßen einen Kurzschluß in diesem System und läßt es in sich zusammenfallen. Eine an Recht und Gesetz orientierte Entscheidungsfindung wird damit unmöglich gemacht. Die auch friedensstiftende Funktion eines Gerichtsverfahrens wird beeinträchtigt.

Nun übertragen wir diese Grundsätze auf die vom Volk mandatierten Abgeordneten. Der Abgeordnete ist definitionsgemäß Vertreter des ganzen Volkes. Wo haben wir hier die notwendige Polarisierung, das Spannungsverhältnis, das dem oben Gesagten entspricht?

Der erste Anschein sagt uns, daß die Polarisierung in den einander gegenüberstehenden Programmen der Parteien besteht. Das aber paßt nicht zu der Vorstellung, jeder Abgeordnete vertrete das ganze Volk und nicht eine bestimmte Klientel oder ein Programm. Ein Blick in andere Parlamente zeigt uns, daß es um den Sitzungssaal des Plenums eine Wandelhalle gibt, in der sich Interessenvertreter aller Couleur aufhalten und versuchen, Abgeordnete zu beeinflussen. Das englische Wort für Wandelhalle ist kurz: Lobby.

Die Lobby. Das also ist der Gegenpol, um den sich hier das Problem dreht. Wir brauchen uns in der gegenwärtigen Situation keine großen Gedanken zu machen, wo die Grenzen für eine zulässige Beeinflussung von Politikern durch Lobbyisten zu ziehen sind, denn jedenfalls ist die in Deutschland vorherrschende Interessenkollision bei Politikern weit jenseits des Zulässigen.

Interessenkollision ist ein Tatbestand, der einen Anwalt zur Niederlegung seines Mandats zwingt. Bereits die Gefahr der Wahrnehmung widerstreitender Interessen hat die Beendigung des Mandats zur Folge.

Träger politischer Mandate haben sich folglich in ähnlicher Weise zu verhalten, also so, daß bereits der Anschein vermeiden wird, er werde sich dieser Gefahr aussetzen.

Aus diesem Blickwinkel muß auch das Verhalten des gegenwärtigen Bundespräsidenten betrachtet und gewürdigt werden.

Auch Bundespräsident Johannes Rau folgte beim Einräumen seiner Flüge mit Air West-LB dem „Sieben-Stufen-Modell.“ Er verbirgt sich darüber hinaus hinter einem höchst renommierten Strafverteidiger. Auch Strafverteidiger sind komplexe adaptive Systeme und als Spezialisten darauf geeicht, subjektive Schuldvorwürfe abzuwehren. Die aber stehen gegenwärtig gar nicht zur Diskussion. Auch Johannes Rau wirft Nebelkerzen. Denn er erklärt sich nicht vollständig zu den erhobenen Vorwürfen. Sein Verteidiger wird ihm wohl das Schweigen angeraten haben. Im Strafprozeß darf er das, da ist auch der Rat: „Klappe halten“ sinnvoll. Eine Straftat wird Johannes Rau aber nicht vorgeworfen, also bleiben die Besonderheiten des Strafprozesses außen vor.

In allen anderen Fällen trifft jede Partei die prozessuale Wahrheitspflicht, das heißt, jede Partei hat sich zum Vorbringen der Gegenseite vollständig und wahrheitsgemäß zu erklären. Verletzt eine Partei ihre Wahrheitspflicht und schweigt ganz oder teilweise, hat das zur Konsequenz, daß das Vorbringen des Gegners als zugestanden gilt.

Wer Gesetze im Namen der Bundesrepublik Deutschland unterschreibt, der sollte diesen Unterschied kennen und für die eigene Verteidigung berücksichtigen. Unter diesem Aspekt reicht die Behauptung, die Flüge seien dienstlich veranlaßt worden, nicht aus, wenn dafür nicht eine detaillierte Begründung erfolgt. Denn daß sich Bundespräsident Rau in seiner Amtszeit als Ministerpräsident durch die Inanspruchnahme der Air West-LB der Gefahr der Interessenkollision ausgesetzt hat, steht wohl außer Frage. Auch er ist nur ein Mensch. Es kommt auch nicht auf seine subjektive Einstellung zu den Dingen an, gemessen wird mit der objektiven Elle.

Unter diesem Aspekt bekommt die Äußerung „es dürfe nicht der Eindruck entstehen, in Deutschland sei Politik käuflich,“ natürlich einen anderen Stellenwert. Schon angesichts der Beträge, die in bar den Besitzer wechseln oder auf schwarzen Konten geparkt werden, wird einem ganz schwindelig. Aber es ist nur ein geringer Bruchteil der Gelder, die durch das System fließen. Sie erinnern sich an den Satz, den böse Zungen behaupten könnten: „Politik ist nicht käuflich, weil man nichts kaufen kann, was ausverkauft ist.“? Politik in Deutschland ist ausverkauft. Am Ende des ersten Teil habe ich das Bild vom Baum an der Küste gezeichnet, dem der Seewind eine prägnante Form aufzwingt. Der Witz daran ist, Sie können keinem einzelnen Windstoß irgendeine Beteiligung an der Formgebung nachweisen. Und Sie können keinem Hundertmarkschein, keiner Einzelspende eine konkrete politische Entscheidung zuordnen. Die gegenseitigen und vielfältigen Abhängigkeiten von Parlamentariern, Parteien, Spendern und Sponsoren erzeugen nun einmal das Bild eines korrupten Politikapparats, der, wie wir gesehen haben, ein komplexes adaptives System ist. Aus dem Wesen dieser Systeme ergibt sich, daß es für das Gesamtbild nicht ausschlaggebend ist, ob ein einzelner Politiker „käuflich“ ist. Das System als Ganzes ist es ohne Zweifel.

Die vom Grundgesetz beabsichtigte Polarisierung ist aufgehoben. Das System ist kurzgeschlossen. Gleichwohl haben wir ein Spannungsverhältnis zu verzeichnen, das allerdings sehr ungesund ist. Polarisierung wird gefährlich, wenn der Kontakt zwischen den Polen abreißt. Entweder geschieht dann gar nichts, wenn aber die Spannung wächst, kommt es zu einer schlagartigen Entladung.

Die neue Polarisierung, die sich bereits architektonisch im neuen Regierungsviertel niedergeschlagen hat, wird durch die diversen Affären mehr und mehr sichtbar; man nennt sie Politikverdrossenheit. Was heißt das? – Um das Gemeinwesen, die Polis, kümmert sich der Bürger nicht mehr, die „Partei der Nichtwähler“ hat gegenwärtig den größten Zulauf, weil „die da oben ja doch machen, was sie wollen.“ Volkes Stimme hat das zutreffend erkannt. „Die da oben,“ das ist der Bundesadel, der sich im Berliner und den anderen Regierungsvierteln mehr und mehr einigelt und das Mitspracherecht des Bürgers auf die Stimmabgabe bei der Wahl beschränkt. Ich glaube, in ausreichendem Umfang nachgewiesen zu haben, daß es nahezu unmöglich ist, „einfach so“ mit den besten An- und Absichten in die Politik zu gehen.

Das ist doch eigentlich unverständlich, denn Politiker rechtfertigen ihre geradezu fürstlichen Gehälter gebetsmühlenartig in folgender Weise: In der Wirtschaft würden für vergleichbare Positionen höhere Vergütungen gezahlt; es finde sich kaum jemand, der bereit sei, die Belastungen eines Politikers für die im Vergleich zur Wirtschaft geringfügige Entlohnung auf sich zu nehmen. Diese Argumente, das konnte ich hier wohl ganz klar zeigen, gehört in die Märchenstunde. Wer den Ritterschlag erhält, das bestimmt immer noch der Bundesadel selbst.

Daran offenbart sich, daß auch der Bundesadel über ein bestimmtes Rekrutierungssystem verfügt. Das läßt nur die nach „oben“ durch, von denen erwartet werden kann, daß sie im Sinne des Adels handeln, nicht im Sinne des Volkes. Und, es klingt bitter, das Auswahlverfahren setzt sich fort bis zur Wahl der Verfassungsrichter. Deren Wahl obliegt zwar dem Parlament, bei der konkreten Richterwahl entscheidet ein kleiner Ausschuß, der auch noch auf den Proporz achten muß. Achten Sie einmal darauf: es sind in der Regel verdiente Politiker, die dort einen Job angeboten bekommen. Man bleibt eben unter sich und weiß, wer wem was zu verdanken hat. Wir sind alle nur Menschen, keiner ist besser als der andere. Daher ist es höchst unwahrscheinlich, daß der Standesdünkel mit dem Überstreifen der roten Robe abgelegt wird. Er wird bei jeder Entscheidung mit am Richtertisch sitzen und Einfluß nehmen. Nicht bewußt und nicht sichtbar, aber er ist dabei. – Überzeugen Sie sich selbst: Nur 2 Mitglieder des 2. Senats des BVerfG haben keine offensichtlich „politisch“ geprägte Vergangenheit: http://www.bundesverfassungsgericht.de/richter.html

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Verfassung und Preßfreiheit – Auszug aus E.M. Arndts gleichnamiger Schrift

Dezember 1, 2013

Abgetippt aus Meisner/Geerdes (Hrsg.) Ernst Moritz Arndts ausgewählte Werke in sechzehn Bänden, zwölfter Band, Geist der Zeit IV, Leizig 1913, S. 40ff)

Und bei allem diesem Geträtsche und Geklätsche der Dummheit und des Eigennutzes hin und her mögen diejenigen, bei welchen die Macht jetzt ist, wohl bedenken, durch welche Künste und Tugenden diese Macht nur behauptet werden mag; sie mögen bedenken, welch schwere Verantwortung sie auf sich laden gegen sich selbst und gegen ihr Volk, wenn sie nicht das Würdige und Gebührliche tun, und vor allem, wenn sie das gegebene Wort nicht halten. Denn jeder Lüge folgt unausbleiblich das Unheil und das Unglück auf der Ferse. Und können wir ohne Landstände, ohne feste und geordnete Verfassung bestehen? Können wir bei der Verworrenheit, Unbestimmtheit und Bangigkeit, worin jetzt in Deutschland alles untereinander liegt und mit blinder, wurmartiger Gärung und Unzufriedenheit gleich einem aufgeregten Bienenschwarm oder Ameisenhaufen durcheinander und gegeneinander summt und saust und fliegt und kriecht, den Gefahren der Zukunft begegnen? Ist denn noch irgendwo in Europa die alte Zeit? Sind denn noch die alten Verhältnisse bei den anderen Völkern und bei unseren Nachbarn, da gewisse Leute predigen, bei uns müsse alles wieder zurück und zu dem Alten zurück? Haben wir nicht den Franzosen für die lange Pein, womit sie uns so greulich geplagt, mit dem Schwert in der Hand eine Verfassung errungen und verbürgt? Haben nicht selbst die Polen, ein Volk, von welchem viele gezweifelt haben, ob es für die Freiheit tauge, eine Verfassung bekommen? Und wir? Wir Deutsche, die Enkel der freien und hochherzigen Germanen? Und wir? – Uns will man in dummer Geistlosigkeit hinstrecken wie die toten Klötze, während alle andere Völker in der lebendigsten Zeit gewinnen, wodurch Geist, Mut und Stolz und die immer allmächtige und wundertätige Überlegenheit der Idee entwickelt wird? Nein, ihr Gewaltigen, wenn ihr nicht in Blindheit und Verstocktheit dahinfahren und untergehen wollet, so betrachtet die Zeit und betrachtet euch selbst und das Schicksal der Völker in ihrem ernsten Spiegel. Hier ist kein Frevel der Menschen, hier ist die Not Gottes. Wenn bei dem ersten Sturm Deutschland nicht wieder auseinanderfallen soll, wenn die Reichsfeinde nach einer oder zwei gewonnenen Schlachten vom Rhein nicht wieder bis Wien und Berlin ungestraft sollen marschieren dürfen, so muß uns eine geistige Kraft gegeben werden, ein Stolz auf eine edle Freiheit und eine Zuversicht auf Gesetz und Recht, welche die Menschen freudig in den heiligen Tod fürs Vaterland treibt. So allein können wir sicher stehen, wann (vom Osten oder Westen Gewitterwolken sich gegen uns herwälzen. Das deutsche Herz wird die Pfänder seiner höchsten Liebe dann immer einlösen, es wird beweisen, daß es seine Heiligtümer zu verteidigen weiß.

Auch um Preßfreiheit bittet das Volk, ja auch danach schreit es als nach einer Not. Warum? Weil die Freiheit und Gerechtigkeit als die höchsten irdischen Ideen nie ohne Herrschaft der Idee haben bestehen können und also in einem solchen Zeitalter, als das unsrige ist, ohne Ideenherrschaft immer nur ein leeres Hirngespinst oder eine politische Gaukelei sein werden. Die Generalgewaltiger der Polizei und die Herren der Presse, d. h. diejenigen, welche alleine eine Preßfreiheit ausüben, nämlich zu pressen, lächeln freilich über die Bitte wie über das Geschrei und über die Ansprüche der geistigen Freiheit und finden es sehr wunderlich, wie die dummen Menschen den Zustand nicht als den behaglichsten, anmutigsten und freiesten loben, wo die Regierung die meisten Sorgen des Lebens für sie übernimmt, die Landstraßen sicher, die Märkte voll, die Wirtstafeln wohl besetzt, die Schauspielhäuser und Ballsäle frei von Zank und Balgerei, die H…häuser – kurz, wo sie ihnen alles eben und bequem macht, daß sie mit Weib und Kindern ein gar gemächliches, geruhiges und gottseliges Leben führen mögen und nichts weiter zu bedenken haben, als wie mit mit ihrer Arbeit und ihrem Gewerbe auf die leichteste und geschwindeste Weise das meiste gewinnen und es dann auf das lustigste und angenehmste genießen und verzehren wollen. Diese Lehre, die sie uns recht liebenswürdig vorhalten, scheint wirklich nicht ganz uneben, aber sie hätte vor dreißig oder fünfzig Jahren mehr Verehrer gefunden als jetzt. Jetzt zweifeln die meisten an ihrer Wahrheit, ja sie zweifeln gar daran, ob es mit dem höchsten Zweck der Sicherheit und des Wohllebens, womit jene sich brüsten, auch so ganz aufrichtig gemeint sei. (58)

Die Preßfreiheit aber hat vor allem noch das Schlimme mit sich, daß ihre Vergehungen gewöhnlich eine Straflosigkeit mit sich führen, welche keinem andern Verbrechen zuteil wird. Die sich auf Kniffe und Pfiffe der Wörter und Gedanken, auf eine geschickte Vermäntelung und Verblümung und Umblümung des Persönlichen verstehen, werden dem Richter fast immer entrinnen. Ein gefährliches Beispiel von Gesetzlosigkeit. Deswegen findet man auch in vielen Staaten die Preßfreiheit so unzulässig, weil es so schwer ist, Gesetze zu finden, die sie zügeln und ihre Verbrechen zur Strafe bringen. So daß diese Anstalt, die man als eine Pflegerin und Nährerin hoher Gemüter und großer Gedanken und Gefühle preist, gar leicht auch die gefährliche Pflegerin und Nährerin aller Tücke und Bosheit und des hämischsten und giftigsten Hasses wird. (64)

Gebt uns nur endlich Preßfreiheit, fangt nur endlich an, Verfassungen und Stände einzurichten, so werden jene verworrenen Träume über Staat und Gesetzgebung, worüber ihr klagt, jener endlose und spiegelfechterische Krieg aller gegen alle, jenes dumme Geschrei der Schriftsteller, wovon ihr nur gern das Dümmste laut werden lasset, sich endlich selbst schlichten und stillen. Sobald hier unten auf der festen Erde etwas Festes gemacht worden ist, werden die leeren Plänkeleien und Scharmützel droben in den Lüften, die freilich meistens ein Krieg um nichts sind, von selbst ernstere und würdigere Gefechte werden. Denn wo Freiheit und Leben sein soll, muß immer Krieg der Geister sein. Das dürfen wir aber gegen alle Anklage kühn behaupten, daß diese in Deutschland keine Umwälzungen machen werden; dazu ist, wie sie mit Recht bemerken, des deutschen Volkes Charakter zu kühl, mild und mäßig. Nur ein entsetzliches Leid, nur die finstere Nacht der Knechtschaft und Willkür, worin auch keine Hoffnung bliebe, daß es je wieder licht werden könne, nur eine schimpfliche Unterjochung durch Fremde, wo das scheußlichste Unrecht schon alle Ordnung zerrüttet hätte, könnte in Deutschland solches hervorbringen; oder auch, wenn diejenigen, welche jetzt allein die Preßfreiheit haben, diese so gebrauchen wollten, daß dem Deutschen um den Untergang seines geistigen Besitzes bange würde, da könnte der fürchterliche Druck einen noch fürchterlicheren Gegendruck veranlassen.

Was wir schon gesehen haben, wird dann täglich allgemeiner werden. Ja was wir schon gesehen haben? Was ist es denn? Einzelne Pamphlets, die sich um Persönlichkeiten drehen, wodurch einzelne Staatsmänner oder Beamte und Gelehrte beleidigt und gemißhandelt oder auch nur öffentlich hingestellt sind? – Das ist freilich unvermeidlich, wann Preßfreiheit da ist, ja es ist notwendig mit der Preßfreiheit verbunden. Wo Freiheit ist, muß, wer öffentlich auftritt, sich auch öffentlich behandeln und verhandeln und mitunter wohl mißhandeln lassen. Diese Stärke des Gemüts, diese Tugend muß er haben. Mag er das nicht, so setze er sich in der Werkstatt hin und nähe Schuhe und Röcke, oder an den Zahltisch und ziehe Rechnungen aus, statt daß er Heere befehligen oder Staaten einen neuen Rock anmessen will – oder er treibe den Pflug ins Feld und pflanze seinen Kohl, statt daß er durch Bücher unterweisen und strafen oder gar glänzen will. Ich nannte die Geduld des Öffentlichen eben eine Gemütsstärke, eine Tugend. Die freien Völker des Altertums hielten sie für eine de größten Tugenden, die einen Biedermann schmücken können; sie haben es vielen hoch angerechnet, daß sie in ihrer Zeit den Mut hatten, für das Vaterland Feindschaften zu übernehmen und Tadel und Schmähungen auf sich zu laden. Denn allerdings prüft das Freie und Öffentliche die Männer, es lockt Haß und Feindschaft hervor. Ich sage nicht, daß es Haß und Feindschaft macht; denn gewiß schafft es weniger Groll und Haß als das Unfreie und Geheime. Bei dem Zustande des Unfreien und Geheimen kriecht und wimmelt und krimmelt und wurmt alles durcheinander und zerdrückt, zerquetscht, zernagt und zerbeißt sich in der blinden Wut, ohne daß es weiß wen; bei dem Freien und Öffentlichen wird der edle Kampf freilich auch lauter, es springen aber nicht immer Hyänen und Tiger hervor (noch weniger Schlagen, deren Wurmverlies ist das Dunkel), sondern auch stolze Löwen. Ein Volk, das lange nichts Politisches und Öffentliches mehr gehabt hat, muß freilich erst wieder fest und stark werden, damit es gesunde, frische Kraft der Rede und oft etwas zu herbe Kost der Schrift verdauen lerne. Unserer gutmütigen, deutschen Weichlichkeit, die fast alles in gesellschaftliche Verhältnisse und Beziehungen hinabzuzerren gewohnt ist, was hoch über diesem engen Kreise schwebend bleiben sollte, tut das vor allen anderen not. Daß bei dieser Öffentlichkeit auch das herrlichste und leuchtendste Verdienst in Staatsmännern, Gelehrten und anderen öffentlichen Menschen verkannt und gemißhandelt, daß ihre besten Absichten und trefflichsten Ideen von absichtlicher Bosheit oder verblendeter Parteisucht zuweilen müssen mißgedeutet und verdrehet werden, das ist das Unvermeidliche. So liegen jedem hohen Gute ihre Übel immer sogleich zur Seite. Aber was wirklich trefflich, würdig und herrlich ist, wird wohl zuweilen auf einen Augenblick verkannt und verdunkelt werden aber nie auf immer beschmutzt und benachtet werden können. So siegreich ist die Wahrheit in allen Zeiten gewesen und immer am siegreichsten, wo die meiste Freiheit herrschte. Gebärdet euch nur nicht, als ob ihr für den Anstand so viel Sorge hättet. Es ist der allerschlechteste Anstand, wo stumme und zierliche Knechte sich Verbeugungen und Bücklinge vormachen und einander einbilden, daß ein leeres und lügenhaftes und verschnittenes und verziertes Leben auch ein Leben ist. Alle knechtische Staaten, während sie die Freiheit des Wortes und der Idee unterdrückten und die kleine Persönlichkeit schirmten, da sie keine große gelten lassen, haben den Anstand gegen die Sitten immer gern verletzen lassen, sie haben liederliche und schändliche Schriften ungestraft drucken und verteilen lassen und Spielhäuser und H…häuser unter öffentlichen Schutz genommen, als jeder Stolz und jede Hoheit des Gemüts in Bann und Acht war. Den allerjüngsten Beleg dieser Behauptung haben uns Fouché, der unsterbliche Großmeister aller Polizei, und Napoleon geliefert. Waren die Einkünfte jener Häuser der Schande und des Elends nicht recht eigentlich für den Unterhalt der hohen Polizei und für ihre geheimen Ausgaben und Besoldungen gerechnet und angeschlagen? Gebärdet euch nur nicht, als wenn ihr für die Ehre so zarte Sorge traget; wahrlich, diese Freiheit ist recht eigentlich für die Ehre erfunden. Sie wird Ehre und Schande nicht ineinander verrinnen und in gleichem Schmutze liegen lassen; ja diese erste Sonderin und Scheiderin, diese größte Alchimistin vom Anfang der Zeiten wird das Gold schon von den Schlacken sondern. Wer mit Ehre gerüstet ist, darf dann wohl auftreten; jeder Schmutz, den man auf ihn wirft, fällt immer wirkungslos von seiner glänzenden Glätte ab. Wer aber Makel der Ehre an sich trägt, sehe sich vor, wohin er tritt; wahrlich, seine Feinde werden sie ihm nicht schenken, er muß sie öffentlich hören. Das Volk aber – wir sprechen von dem deutschen Volke, das immer als ein treues, gerechtes und wahrheitsliebendes Volk anerkannt worden ist – wird gerechtes Gericht pflegen, und Ehre und Tugend, die wohl auf Augenblicke verleumdet und verkannt werden können, werden wohl Ehre und Tugend bleiben. Das aber ist immer gut, daß jeder, wo und wie hoch er auch stehe, der sichern Rechtschaffenheit und Wandellosigkeit erinnert werde, daß er fühle, er kann nur ein Ehrenmann scheinen, wann er es auch ist. Den Stolz aber sollen wir noch lernen, daß die Menschen, was sie im stillen und geheimen von uns reden und urteilen, auch als lautes und öffentliches Urteil aussprechen dürfen. Denn das kann ein Fürst oder Minister oder Feldherr oder berühmter Gelehrter und jeder, der in der bürgerlichen Ordnung irgend hoch und über viele gesetzt ist, wohl wissen, daß die ihm immer nur Süßes und Wohlgefälliges und Ohrenschmeichelndes sagen, ihm etwas vorlügen, daß vielmehr die verschiedensten und ungleichsten und oft ungerechtesten Urteile über sie gefällt und die abgeschmacktesten und unmöglichsten Forderungen an ihn gemacht werden. Warum will er sich nicht zu dem Stolz überwinden, dies auch öffentlich werden zu lassen? Was schadet es dem Sonnenberge, wenn sich unten an seinem Fuße Nebel sammeln und zuweilen seine Strahlenscheitel bedecken? Siehe, zu einem so Stolzen werden auch schöne Wahrheiten emporklingen, auch manches süße Lob und lieblichen Preis wird er vernehmen, die er sich bei der Öffentlichkeit zueignen kann, weil sie ihm aus einem mehr reinen Element kommen. Und wenn auch die größte Verwirrung und Verblendung wäre, wenn ein edler Mensch und das Streben und Wollen eines edlen Menschen lange verleumdet, gemißhandelt und verkannt werden könnte, jeder Wackere wird durch sein Gewissen getröstet, und daß die rechte Tat und die rechte Tugend endlich doch bleiben, was sie sind, und aus aller der Umnebelung und Verdunkelung strahlend hervorleuchten.

Und sie fürchten, die Preßfreiheit wird uns entdeutschen, uns zu einem ganz anderen Volk machen, alle unsre milden und stillen Tugenden aus unsern Herzen bannen, und mit allen wilden und wütenden Leidenschaften des Stolzes, Hasses, Ehrgeizes und der Unruhe wieder einziehen, sie wir uns Trotz für Sanftmut, Ungehorsam für Stille, Übermut für Demut, Barbarei für Wissenschaft, Geschwätz für Philosophie geben, und was der überflüssigen Sorgen mehr ist.

Freilich etwas entdeutschen wird sie uns hoffentlich, zu einem etwas anderen Volke wird sie uns hoffentlich machen. Aber, liebe Leute, es ist nicht alles deutsch, was ihr deutsch nennt; vieles ist sogar recht undeutsch und in jenen Zeiten weiland nimmer an den Deutschen erfunden, welche die Geschichte als ihre größten und glücklichsten Zeiten preist. Jene Faulheit und Gleichgültigkeit, woran wir so lange gekrankt haben, wo wir wohl neugierig fragten, was sich am Ohio und Ganges, an der Themse oder Seine begab, aber kaum, wie es am Rhein und an der Elbe stand, jene Faulheit, wo wir die Hände in den Schoß legten und Gott im Himmel und wer sonst wollte, walten und regieren ließen und uns bei der Schmach oder der Ehre des Vaterlands dumm angafften, als ginge uns das nichts an, als dürften wir darüber nicht räsonieren sondern stehe es den Herren Polizeimeistern und und ihren Zeitungsschreibern zu, wie wir darüber denken und empfinden sollten, fängt gottlob! An, etwas selten zu werden; jene gemeine, philisterige Ruhe, wo alles vortrefflich ist, wenn nur der einzelne alles seinem Leibe zur Bequemlichkeit und Genußlichkeit eingerichtet findet, nimmt freilich auch alle Tage ab. Aber den alten Deutschen suchte man nicht hinter dem Ofen oder auf der Bärenhaut, wann von Vaterland und Freiheit oder von Ehre und Kampf und Gefahr fürs Vaterland die Rede war; dann fand man ihn sicher in der Volksversammlung oder auf dem Schlachtfelde. Und von solchen Männern haben wir den Namen Deutsche geerbt und wahrscheinlich auch das, was man deutsches Gemüt oder deutsche Tugend nennet. Dahin müssen wir aus der verderblichen Gleichgültigkeit und Nichtigkeit, worin wir versunken waren, wieder verdeutscht werden, was jene entdeutschen nennen. Freilich bei freien Verfassungen und freiem Leben treten auch die Gebrechen und Unarten der menschlichen Natur kräftiger und kühner hervor, man wird dann allerdings mehr Stolz und Trotz und Ehrgeiz und Unruhe und Übermut sehen, als wo nur ein führender und stimmgebender Leithammel ist, dem alle Schöpfe blindlings nachbäen und nachtreten, Aber dem armen Leithammel, wie geht es ihm in Not und Gedränge? Da muß er immer zuerst den Sprung ins Wasser wagen und weiß noch nicht, ob jene ihm nachspringen werden. Ist Milde, Sanftmut, Stille und Demut wirklich im deutschen Charakter, sie werden nur schöner leuchten und wirken und lieblicher erscheinen, wenn Männlichkeit, Tapferkeit und Stolz und jede hohe Ehre und kühne Tugend durch die Männerbrust klopfen. Sind wir, worüber die Eigenen und Fremden einig sind, die stillsten, langmütigsten und mäßigsten aller Europäer (ja zuviele Geduld werfen sie uns oft vor), warum sollten wir jetzt die Freiheit nicht so gut ertragen können, als unsere Väter sie einst ertrugen? – Und das waren blinde Heiden, und wir sind erleuchtete Christen. – Warum sollte das bei uns nur Laster hecken und brüten, was bei unsern Stammesverwandten, den Engländern und Schweden, bei welchen löbliche Freiheit und Öffentlichkeit herrscht, alle christlichen und bürgerlichen Tugenden nur in einem schöneren Glanze erscheinen läßt?

(78) Die Leute, welche in Beschreibungen, Begrenzungen und Bezeichnungen der Dinge die schärfsten sind, haben Polizei noch nie beschrieben, wohl aber hin und wieder umschreiben und bezeichnen können. Woher das? Nicht so sehr wegen ihrer Tiefe als wegen ihrer Fläche, weil es nichts Wirkliches sondern einen Mangel bezeichnet, wie es denn auch an dem Nichtigsten und Vergänglichsten dieser Erde arbeitet.

(…)

(79) Darum haben alle Menschen, die es mit der Tugend und Hoheit ihres Geschlechts wohl meinen, immer gesagt, und alle freie und hochherzige Völker haben es immer als Grundsatz ausgesprochen und behauptet: Von dem Übel, das Polizei heißt, sowenig als möglich! Denn wäre der leitende, warnende, belauschende und behütende Geist, wovon man wenigstens ein Urbild aufstellen kann, auch die Liebe und Menschlichkeit selbst, so würde er doch böse Früchte tragen. Da kann man sagen: Geschieht das am grünen Holz, was soll am dürren werden?

Gern hört die Polizei die Vergleichung, wo man sagt, sie sei eine fortgesetzte und planmäßige Erziehung des Volkes durch die Regierung, eine stille und sanfte Warnerin vor Sünden und eine geduldige Ausjäterin und Ausrotterin von Verbrechen. So meinen es gewiß redliche aber bei aller Redlichkeit kurzsichtige Männer, die bei der Polizei angestellt sind. Aber was wissen sie von Erziehung? Ja wie wenige Menschen verstehen überhaupt so Großes und Tiefes, als die Erziehung ist! Wir wollen bei dem Gleichnisse bleiben, so wird jeder begreifen, was wir meinen. Das kann man täglich von der Erziehung sehen, daß das Zuviel auch da verderblicher ist als das Zuwenig oder Garnichts. Wieviele fromme und rechtschaffene und sonst in jeder Hinsicht gescheite Eltern erziehen eben durch das Zuviel aus ihren Kindern Heuchler und Bösewichter!

(…)

(80)

Jede Lehre, die sich zu sehr eine Absicht merken läßt und auf ein bestimmtes Ziel hinsteuert, jede ängstliche Begleitung, Behütung, Belauschung und Beschleichung der Triebe und Handlungen der Kinder macht Sünder und Lügner. Durch das Gesetz ist die Sünde in die Welt kommen, sagt der Apostel. Ihr aber könnt diesen Vers nicht auslegen und werdet ihn gegen mich gewiß mißbrauchen. Wenn dies bei Kindern und Jünglingen geschieht – und man kann es alle Tage sehen – wo die nächste und süßeste Liebe der Eltern so töricht sorgt und wacht, wie sollte es bei dem Volke nicht mehr geschehen, wo auch die redlichsten Vorsorger und Wächter doch notwendig in fernerer und kälterer Liebe stehen müssen? Wenn Kinder sich freuen, selbst liebenden Eltern, die sie töricht leiten und halten wollen, zu widerstreben und sie zu täuschen, wie sollte ein Volk es nicht viel mehr tun gegen solche, von welchen es innere Herzensliebe weder erwarten noch fordern darf?

Wir hatten vor zwanzig und dreißig Jahren auch Polizei im heiligen römisch-deutschen Reiche, aber keine, die je soviel Lärm gemacht und sich auf einen so hohen Olympus der Herrschaft und auf ein so leuchtendes Zion der Wächterschaft gesetzt hat als die Polizei von heute. Sie war einzeln da und trieb ihr Werk, das keineswegs ein großes Werk ist, ohne Lärm und Prunk, war auch, wenn man die großen Hauptstädte von 100.000 bis 300.000 Einwohnern ausnimmt, wo die Zusammenströmung alles Herrlichsten und Gemeinsten, Edelsten und Bübischesten größere und strengere Hut notwendig macht, zunächst in den Händen des Volkes und der Gemeinden und sorgte so ziemlich leidlich für Luft und Licht, Wasser und Feuer, Wein und Bier und für die Sicherheit der Häuser und Straßen, welches eigentlich der Bezirk ist, den sie nie verlassen sollte. Die Herren von der Polizei waren damals kleine und unbedeutende Leute, sie sind seitdem vorgerückt und haben sich des Größten und Höchsten beflissen, und mit ihrem guten Willen werden wir sie nie wieder auf die niedrigere Fläche herunterbringen, wo sie nur mit Einzelnen, Kleinen und Gewöhnlichen zu tun hatten. Vorher waren sie Diener des Marktes und der Landstraßen, die ihr Geschäft des Aufpassens und Haschens bescheiden verrichteten; jetzt nennen sie sich stolz Diener des Throns, Stützen der Herrschaft, Beobachter und Leiter der öffentlichen Meinung, Zügler und Dämpfer des unruhigen Volksgeistes und Tag- und Nachtwächter nicht der unreinen Leiber allein sondern auch der unreinen Geister; so daß man sagen kann, ihr Umfang sei der Umfang der gesamten idealen Philosophie: die Pflegung, Verwahrung und Leitung aller menschlichen und göttlichen Kräfte, Triebe und Leidenschaften; und daß sie mit einer Gelenkigkeit und Fliegigkeit des Geistes, die sonst nie gesehen worden, von dem Gewimmel des Jahrmarktlärms zu Göttergelagen des Olympus und von dem Verhör eines armen Galgendiebs zur Gallschen Betastung und Abschätzung des Schädels eines Leibniz und Goethe überspringen können, und sie allein von allen Sterblichen.

Ich sagte oben, alle freisinnige und hochherzige Menschen und Völker hätten lange den Ausspruch getan: Von dem Übel, das Polizei heißt, so wenig als möglich! Meine Meinung aber will ich in dem größten Gegensatze aussprechen: Lieber gar nichts davon als zuviel! Denn in dem ersten Falle kann man wohl einmal faule Fische essen und vergifteten Wein trinken müssen, ein Trunkenbold oder Narr kann wohl einmal mit Faust und Stock auf einen losbrechen, ein Dieb einem die Taschen leeren, ein Räuber einem den Hals umdrehen, aber die Seele können diese alle einem nicht verderben; in dem zweiten Falle aber versammeln sich alle schadenfrohen Neuntöter der Seele miteinander, alle listigen und schmeichlischen und meuchlischen Kriegsteufelchen und Schleichteufelchen der Hölle finden sich ungeladen ein und können nicht leicht von der Versammlung abgehalten werden. Wie geht das zu? Ist etwa die Polizei mit einem besonderen Aussatze behaftet, die allen anderen menschlichen Einrichtungen fehlt? Entwickelt sich etwa in ihr eine Bosheit oder Gewalt, die nicht auch in anderen wäre? Ich will das aussprechen, was sie durch die allgemeine Gebrechlichkeit entschuldigt.

Es ist aller Menschen ohne Unterschied und Ausnahme Art und Unart, daß sie an sich reißen und herrschen wollen. Wer von dieser Art und Unart gar nichts hätte, müßte hier auf der Erde stracks vergehen. Sie ist nicht so barmherzig, daß auf ihr etwas leben könnte, was ohne allen eigensüchtigen und sichselbstverteidigenden Trieb wäre. Der Gehorsam ist verloren, das ist die Klage des frommsten Priestern; der Gehorsam ist verloren, das ist die Losung jedes Polizeimeisters. Und ein gerechtes Geschrei, wenn es gerecht gemeint ist. Jener kindliche Gehorsam der höchsten Freiheit und Unschuld, der nicht sündigen konnte, ist seit Adam dahin, und weil er dahin ist, müssen wir unruhige und frevelnde Menschen, Richter, Vorrichter, Nachrichter, Unterrichter, Überrichter, Einrichter, Ausrichter, Aufrichter und; Gott weiß, was mehr für Richter und Päpste und Erzbischöfe, Polizeiminister und Finanzminister, Priester und Professoren und viele andere notwendige Übel erdulden. Und auch kein König und Fürst kann es übel nehmen, wenn ich sage, daß er ein notwendiges Übel ist, das ohne Adams Apfelbiß nicht in der Welt sein würde. Weil nur der Ungehorsam Wächter, Beherrscher, Bändiger und Bestrafer fordert, darum sind die vielen Arten und Diener der höchsten Majestät des Gesetzes und des Throns. Aber damit auch sie – denn auch in ihnen steckt Adams Sünde – sie, die eben den verlornen Gehorsam wiederherstellen sollen, nicht von selbst auch wieder ungehorsam werden und über die Grenzen ihrer Befugnis und Gewalt hinausdringen, darum hat man einem jeglichen eine Schranke zu setzen und einen bestimmten Bezirk des Amtes abzumarken gesucht. Nur die höchsten Gewalten sind in gewissem Sinne unbeschränkt. Diese sind auf der Erde der König, der Priester, der Gelehrte, der Hausvater und endlich die fünften die Polizeidiener und Polizeiherren. Der König muß frei und unbeschränkt gedacht werden, weil er den immer eingeschränkten Bürgerstaat durch das Gesetz und durch freies, kühnes und edles Walten täglich erlösen und befreien soll; der Priester, weil er von dem freiesten, himmlischen Reiche des Gehorsams und der Seligkeit predigt. Der Gelehrte, weil er mit dem Adler und der Lerche immer in der sonnigen Höhe der Ideen leben und schweben soll, wo selbst die weitestschießende, irdische Kanone ihn nicht mehr erreichen mag; der Hausvater, weil er in seinem Hause noch unbeschränkter herrscht als selbst der König in seinem Reiche, nämlich allein durch das ungeschriebene Gesetz des Herzens; und der Polizeidiener endlich, weil es sehr schwer ist, seinen Bezirk genau abzugrenzen. Das ist die Wurzel des Übels, da steckt die Krankheit, worüber wir jammern: weil er nach sovielem tasten und spähen und in allem mitrühren und mitkramen darf, so kommt der Polizeidiener und Polizeiherr sich so leicht gleich einem unbeschränkten Könige vor und gebietet und verordnet so gern im Namen der Majestät und verläuft sich also leicht in Gebiete anderer Behörden und wird in Gesinnung und Ausübung ein Tyrann. Dies Unbeschreibliche und Unbegrenzliche der Polizei und ihres Gebietes – dies fürchten die Menschen, die sich auf Freiheit verstehen, hierin sehen sie die Willkür und das Verderben. Ich spiele einmal mit Gleichnissen; ich kann noch viel deutlicher zeigen, wie dies nicht aus angeborener Bosheit der Polizei sondern aus angeborener Unart der menschlichen Natur entspringt. Darum, weil diese Herrschsucht, diese Anlage zur Tyrannei, eine Folge des Sündenfalls, uns allen angeboren ist, haben die Menschen in freien Staaten die Grenzen aller Ämter und Dienste der Gewalt genau bestimmt, und in unfreien Staaten – man kann sagen, je unfreier desto loser – haben sie sie nur so ungefähr beschrieben und umgrenzt, und statt nach festen Gesetzen wird da nach ungefähren Anweisungen und Maßgebungen regiert. Der Mensch, welcher so nach dem Unbestimmten und Ungefähren lebt und regiert, dem keine feste Grenze vorgestellt ist, wobei auch Furcht und Ehrfurcht und für den Verbrecher Schrecken als strenge Wächter und Warner mit gezücktem Schwerte stehen, bildet ihm selbst bald eine Macht ein, die er nicht hat, und nebelt und schwebelt und taumelt und baumelt in aller Willkür und, wenn er herben und bösen Gemüts ist, endlich in aller Tyrannei hin und her. Ich spreche von Selbsteinbildungen und Täuschungen der Herrschaft. Ich will dies gleich in einer lieben Ironie zeigen, worunter unser aller gemeinsame Art versteckt liegt. Der Ratsdiener in den Städten, der an vielen Orten auch Herrendiener heißt, trägt er in seiner Einbildung, eben weil er in den vielfältigsten Beziehungen und Geschäften zu der Welt und dann zu den verschiedenen Behörden der Obrigkeit hin und her läuft, nicht den stolzen Keim aller ihrer Geschäfte, Ansprüche und Verdienste in sich und spricht immer aus Wir? Und der Universitätspedell, vollends wenn er einige lateinische Wörter auswendig weiß, stellt er nicht alle Fakultäten mit scherzhafter Wichtigkeit in sich dar? Und der Küster, dünkt er sich fast nicht mehr als sein Pastor, weil er eben mehreres zu beschaffen hat, womit jener nichts zu tun hat? Woher diese Erscheinung? Aus dem unbestimmten Dienst, aus dem Dünkel, daß ein solcher armer, untergeordneter Diener, weil er sich zu gleicher Zeit in vielem hin und her treibt, oder vielmehr hin und her getrieben wird, glaubt das auch selbst ausgerichtet und gemacht zu haben, weswegen er auf den Beinen ist. Und die Polizei? Wie soll ein Polizeidiener sich retten, auch wenn er nur in dem Vielerlei und Wirrwarr des Jahrmarkts und der Gassen und Landstraßen umgetrieben wird, wie soll der Arme sich vor dem Gedanken retten, daß er mit dem Innersten der Weltregierung sei, ein täglicher und emsiger Nachbesserer und Nachschöpfer des etwas unvollkommen und stümperhaft geratenen Werke Gottes? Wie soll er, da sein Gebiet allenthalben in alle möglichen fremden Gebiete Ausgänge hat, in dem Übermute und der Willkür der Einbildung nicht gerade immer in das höchste Gebiet hinaus wollen? Ja sich schon in der Mitte derselben zu stehen wähnen, wenn er sich gerade auf der plattesten Fläche des niedrigsten umtreibt? – Ernstlich ge(85)sprochen und weit hinaus aus diesem bitteren Scherz – hier ist nicht die Polizei allein, hier sind wir alle. So herrlich sind wenige Sterbliche begabt, daß sie zugleich das Einzelne und das Ganze, das Gemeine und das Ungemeine immer in einem Leben beisammen haben können, daß der Geist zugleich das Niedrigste und das Höchste mit gleicher sonniger Heiterkeit verwalten könne.

Also das steht fest, herrschen will ein jeder von uns; wer in unbestimmten Schranken des Lebens und des Amtes steht, idealisiert sich gern zu dem Höchsten hinaus und hinauf. Was ist also natürlicher, als daß die Polizei von jeher aus einer Markthüterin und Diebesbelauscherin eine Gedankenhüterin und Geistesbelauscherin hat werden wollen? Wie jedes Ding kraft des innewohnenden Naturgesetzes aus seinen Anfängen immer nach seinem höchsten Ziele streben muß, so ist der Polizei höchstes Ziel immer, von dem leiblichen Haschen zu dem geistigen, von der Diebeslauscherei der Landstraßen und Schenken und H…häuser zu der Diebeslauscherei der Köpfe und Herzen, kurz zu den diebischen Gedanken der Menschen vorzurücken. Das hießt mit dürren Worten: Jede Polizei, die in ihrem eigentlichen, untergeordneten Berufe mit den niedrigen Bedürfnissen und Gebrechen und Verbrechen der Menschen zu tun und diese zu beobachten und mit einer Art geheimer Wache zu umgeben hat, will ihrer Natur oder vielmehr der herrschsüchtigen Menschennatur nach eine hohe und geheime, d.h. eine Gedankenpolizei werden. Sie fängt für den Leib und mit dem Leibe an, und ihr höchstes Ziel in dem Bezirk bleibt immer, einen verschmitzten Gauner zu dem zu bringen, was im Lübschen Recht das Freie, Höchste heißt; sie muß notwendig mit dem Geist und den Geistern endigen wollen, muß aber da unvermeidlich die Spuren ihres ersten Wesens wieder offenbaren, wo eben ein solches Freies, Höchstes idealisch im Hintergrunde schwebt: ein Stäußen, Hängen und Köpfen der Gedanken.

Solche hohe und geheime Polizei, solche Gedankenklapperjagd und Geistesplackerei war bei und Deutschen vor fünfzehn Jahren noch etwas Unerhörtes; bloß eine Hauptstadt im Vaterlande ward damals beschuldigt, verkappte Fliegen- und Mücken(86)fänger der Gedanken zu besolden. Wir verdanken diese vortreffliche Anstalt wie so manches andere Unsaubere den Welschen. Man meinte sich gegen ihre Tücke und Schliche besser wehren zu können, wenn man ihre Waffen gegen sie selbst kehrte. So ward das unlöbliche und Undeutsche ihnen nachgemacht. Man übte sich in der Giftmischerei, jedoch mit dem guten Vorsatze und dem geistlichen Vorbehalt des Gewissens, sowohl das Rezept als auch die Töpfe und Tiegel zu vernichten, wann die welsche Gefahr vorüber sei, und dann wieder in einem reinen und deutschen Leben zu wandeln. Alle Regierungen verkünden uns öffentlich, die Späherei und Lauscherei, die Briefbrecherei, die Angeberei, die ganze weitgreifende und weitschleichende Sünde sei nun abgeschafft. Wir müssen den Wort ja wohl glauben; aber das müssen wir gegen diese Ankündigungen erinnern, daß in vielen deutschen Landen alle freie und unschuldige Bewegung de Menschen, wie sie weiland bestand, noch immer gehemmt ist, daß alle Menschen unter dem Titel öffentliche Sicherheit wie die Schelme und Spitzbuben betrachtet und behandelt werden, kurz daß die meisten der gehässigen Weisen und Arten, wie wir sie von den Welschen bekamen, und die vielschreibenden und vielgeschäftigen Polizeikammern und Polizeibuden nach wie vor bestehen, daß auch manche Polizeidiener die Art und die Gesinnung, worin sie einmal geübt waren, schwerlich so bald ableben werden, wenn auch von oben herab ausgesprochen wird, es soll bloß die kleine und unschuldige Polizei sein, welche für den Magen und die Kehle am tätigsten ist. –Ich glaube nicht, daß wir ein schlechteres Volk geworden sind, als wir vor zwanzig Jahren waren; ich möchte sogar sagen, wir sind besser als damals. O goldne Zeit, wann kommst du wieder? Es sind nun zwanzig Jahre, als ich zu Fuße und zu Wagen von Stralsund bis Triest ganz Deutschland durchreiste, und nirgends hat man mich nach meinem Paß gefragt als in Wien. Wie frei, wie ungezwungen, wie ungestört und ungeplagt, lebte, ging, stand und schlief man damals! Und es waren wohl nicht mehr Diebe und Mörder damals als jetzt, vielleicht ein paar hundert unbedeutende Gauner und Tagediebe mehr als jetzt liefen und streunten etwas länger ungestraft durch (87) die Welt herum; aber das große und hohe Freie und Edle war wirklich frei und edel und ward dafür gehalten, bis die Richter den Beweis führten, es sei es nicht. Welcher Biedermann ergrimmt nicht in seiner Seele, wenn er denken muß – was er ja oft mit Augen sehen muß – daß die Majestät des Glaubens in erbrochenen Briefen verletzt ist, wenn er sich hinstellen muß vor den Polizeiherren und sich angaffen und zeichnen lassen, wie man Spitzbuben angafft und zeichnet? Und dann außer diesem tiefen Seelenschmerz, der nicht bloß um die Schändung des eigenen göttlichen Ebenbildes trauert, noch die vielen Kränkungen und Hudeleien der Armen und Unwissenden. Wahrlich solches, immer fortgesetzt und an den meisten Orten mit dem festen Ausbau von List und Verschmitztheit nochvermehrt und zu einem Gefangnenbau der Geister zusammengeschnürt, muß das treueste Volk in ein untreues, das redlichste in ein lügenhaftes, das einfältigste in ein verschmitztes Volk verwandeln, und Himmel und Erde kann man gegen eine solche Schmach anrufen, die ebenso undeutsch als unchristlich ist.

Ich weiß, was die Leute sagen, die nicht nur die Leiber sondern auch die Geister peinigen können, die alles Stolze und Hohe, was sich in der Zeit bewegt, als tollen Aberwitz und jakobinische Verruchtheit verschreien. Ihr Geschrei von dem Ungehorsam und der Bosheit des Volkes und seiner sogenannten Führer und Verführer ist eitel und leer; höchstens können sie hie und da über Narrheiten schreien, aber Narrheiten sind keine Verschwörungen. Da ist wenigstens die Wut und Gefahr nicht, wo sie sie sehen und zeigen. Sie liegt anderswo; sie liegt am meisten in ihnen und der unseligen Hetzerei und Grollerei und Durchstecherei, die sie veranlassen und schaffen; sie liegt in der Dummheit, die nicht in das Licht sehen will, in der Feigheit, die sich vor Ruhm und Ehre fürchtet, in der Faulheit, die ihr Daunenbett wieder polstern möchte, in dem Eigennutz und Übermut, der zum alten, verlebten Besitz zurück will, in dem Haß, der fremde Dienstbarkeit fast lieber möchte als eigne Freiheit, in der Lüge, die gern über die Zeit hinhüpfen und verkleidet wiederkommen und sie verleugnen und sagen möchte: Liebe Freundin, Sie irren sich wohl in der (88) Person, ich habe Sie nie gesehen; sie aber liegt am meisten in den schleichenden, kriechenden, schlangenzüngelnden und fuchsschwänzelnden Künsten, womit elende Menschen, welche meinen, das Leben lasse sich zur allgemeinen Belustigung wie ein Affe in einen Kasten sperren und herumführen, die Hohen und Herrscher bestricken möchten, daß sie uns alle wieder lahm, matt und geistlos hinlegen möchten für jenen faulen Todesschlaf, worin wir vor dreißig und zwanzig Jahren lagen, für jene traurige Vergessenheit und Gleichgültigkeit gegen das Vaterland, die uns damals besaß.

Das ist das größte Übel, das ist jetzt unser zweiter, unser deutscher Napoleon, das ist der schleichende, lispelnde und flüsternde Widersacher und Verderber, der Hasser des Lichts und der Freiheit von Anfang; man kann seine verbotenen Schlangenkünste, womit er eine edle und frei Menschenjagd Deutschlands, wo alle Geister jauchzen und klingen möchten, in eine gemeine Tierhetze verwandeln will, nicht genug aufdecken. Und wenn wir diesen grinsenden und ingrimmigen und in seinen Künsten überall unser Glück und unser bestes Streben satanisch hohnlächelnden Teufel Napoleon oder Davoust den Zweiten walten lassen, so wird seine schreckliche Weissagung Wahrheit: die Umwälzungen, worüber er jetzt den unzeitigen Feuerlärm erhebt, werden kommen und die Katze der äsopischen Fabel wird mit blutigen Zähnen ihre leichtgläubigen Nachbarn verschlingen. Fahrt nur so fort, braucht nur alle Künste finsterer Angaben und frecher Verleumdungen, reizt durch Haß und Neid und Verdacht nur alle Geister zum höllischen Kampf miteinander, reißt nur eine immer tiefere Kluft zwischen den Herrschern und den Beherrschten, predigt Liebe, Treue und Glauben nur recht fleißig, als die da gewesen sind, flüstert den Fürsten und Königen nur ein, daß Gedankenfreiheit und Preßfreiheit Religion und Thron untergraben, daß die hohe Polizei und Inquisition und Jesuiten und – Hofpriester und Hofpolizeimeister allein das wankende Europa retten können – fahrt nur so fort mit allen Künsten und Listen und Scheinen und Lügen zu blenden und zu behexen, und der blutige Zirkel wird fertig werden, worin eure Dummheit und Bosheit – denn ihr seid beide dumm und bös – sich im äffischen und äffenden Wahnsinn rund treibt. Keiner wird endlich den Ursprung des Unheils mehr wissen, so wenig als er dann einen Damm wissen wird gegen die fürchterliche Überschwemmung, die hereinbrechen wird. Drückt, plagt, neckt, preßt und hetzt nur immer so fort, als ihr im Anlauf seid, verleumdet nur alles, auch was die gehorsamsten und frommsten deutschen Herzen deutsch und frei wollen, als Unsinn und Verbrechen, ihr werdet recht behalten, ihr werdet eure Umwälzungen und Umkehrungen mit Gottes Hilfe ja noch erleben, ihr Unglückskrähen, die da Gewitterregen krächzen, wann die Wolken hell sind.

Frei ist die Rede der Wahrheit und des Rechts, und frei muß sie sein in dieser kranken und überspannten und doch so edlen – nach drei schläfrigen Jahrhunderten edelsten – deutschen Zeit. Ich will sie nicht nennen, die immer von Bündnissen und Verschwörungen sprechen – ihre Namen sind bekannt genug. – Aber machen sie nicht einen Bund und eine Verschwörung, reicht ihre zusammenverklettete und verklitterte Pest nicht durch viele Lande und Herrschaften des Vaterlandes? Das Gute und Wahre hat nie die Wut von Geheimnissen und Verschwörungen gehabt, sein Leben ist das Licht, worin alle leben und gedeihen, und dieses Licht soll es nicht scheuen. Aber sollten die Finsterlinge und Ankläger und Beseufzer der Zeit siegen und uns Rede und Schrift überwältigen, sollten die Schergen der Dummheit und Faulheit deutsche Menschen zu stummen und hündischen Knechten machen, was Napoleon wollte und nicht konnte und deswegen als ein gebundener Sünder in St. Helena sitzt, dann hätten Gott und Schicksal in den letzten Jahren ein furchtbar ironisches Spiel mit uns gespielt, eine Tragikomödie, wie sie die Geschichte nicht kennt.

Dieses finstere und feige Treiben, diese Handlangerei der Hölle, deren Wesen in Lügenkünsten und Haß und Argwohn besteht, sprechen von Gehorsam und Liebe, und sie reißen Gehorsam und Liebe aus allen Herzen mit den Wurzeln aus und machen das Volk feig, schleichend, lügnerisch, mißtrauisch, grollisch, listig und verschlagen, kurz, sie säen alle die Laster (90) aus, an deren Brüsten das Untier an der Sein groß gesäugt war, das uns nun bald dreißig Jahre erschreckt hat. Denn wenn das Wort und der Gedanke, die göttliche Freiheit des Menschen und des Christen, sich schämen oder in Knechtsgestalt auftreten und sich eben mit dem bißchen Lumpen verhüllen sollen, was eine engherzige und kurzsichtige Polizei ihnen gönnt, wenn alle Menschen, auch die friedlichsten und unbescholtensten, von jeder Polizei gleich gebornen Schelmen und Gaunern – geborne Sünder sind sie freilich, aber nicht vor dem gestrengen Herrn Polizeimeister sondern vor dem barmherzigen Gott – von Amts wegen betrachtet werden dürfen, dann ist es mit unserm Glücke aus, und auch Deutschland werden sie allmählich zu den Greueln und Lastern auferziehen, wogegen sie so hellstimmig schreien, sie werden die Umwälzungen und Verbrechen aus ihm herauspressen, die in unserer Geschichte sonst unerhört waren. Wenn die Liebe zerstört ist, wenn die Regierungen und ihre Diener nicht mehr an Liebe und Ehre glauben, so wird bald der Haß dreinschlagen, und alle finstere Geburten der Hölle werden Gutes und Böses in einer verderblichen Mischung fassen und zerschmettern.

So ist das Übel diese Zuviels in der Aufsicht und Leitung und sogenannten wohlgemeinten Erziehung des Volks, die, über sich und über ihre Verhältnisse zur Welt geblendet, von der Regierung über Leiber zur Regierung über Geister fortschreitet, so ist das böse Übel dieser Verworrenheit, daß sie durch den ungebührlichen Krieg und Kampf, den sie auf einem Gebiete anfängt, das ihr ewig fremd bleiben sollte, weil ihre Beschränktheit auch bei dem besten Willen auf demselben nie heimisch werden kann, immer neue Kräfte und Kämpfer gegen sich hervorlockt und also auch ihr Heer mehren muß, damit sie dem selbstgeschaffenen Feinde gewachsen sei. Daher ist es notwendig, daß eine jede Polizei je geschäftiger sie ist, desto mehr Geschäfte bekommen muß; denn sie schafft sie selbst. Darum von Jahr zu Jahr die Ausbreitung ihres Umfangs und die Vermehrung ihrer stehenden Truppen. Wir haben ja das glänzendste Beispiel davon noch jüngst unter Napoleon gesehen, der die ungeheure Polizei, wie alle Tyrannen tun müssen, vorzüglich für die eigene Sicherheit als seine Leibwächter besoldete. Wenn sie es bis zu der Höhe gebracht hat, daß jeder zehnte Mensch des Volkes auf irgend eine Weise einer der Späher, Aufpasser, Herumträger und Helfer für sie ist, dann mag der Herrscher an Gemüt und Verstand ein Gott vom Himmel sein, das Volk, das mit Argwohn und Mißtrauen überfüllt wird, hat auf immer die Liebe verloren und mit ihr jede Tugend, und wir sind dann vergangen, wir sind dann verwelscht und auch ohne Welsche durch Künste, welche die Unsrigen von ihnen lernten, und kein Gott kann uns die alte Unschuld und Treue wiedergeben.

Und ist dies finstere Bild bloß ein Spiegel dessen, was werden kann, wenn alle Bessere nicht mit Mut und Geist und Wort das Rechte tun? Ist es bloß ein warnender Spiegel möglicher Zukunft? Nein, leider fängt es schon an eein Spiegel der Gegenwart zu werden. Geh‘ nur umher im Vaterlande, treuer und wohlmeindender deutscher Mensch, geh‘ nur umher, besuche die Schenken und Plätze, wo der Bürger und Bauer sich versammelt und seine Freude und sein Leid erzählt, geh‘ umher und schaue und horche, wie es am Tage ist. O wie ganz anders als sonst! Kein so unschuldiges Vertrauen, keine solche Liebe mehr, bei vielen sogar Hoffnungslosigkeit, auch da eine grundlose, wo die Regierung es treu und redlich meinen; denn die Polizeien legen es ihnen ja alles zum Bösen und Verderblichen aus, und endlich empfangen die Menschen selbst das nur als eine Gabe der Furcht und der Not, was sie sonst als ein freies Geschenk der Liebe und Gnade empfangen haben würden. – Geh‘ zu den sogenannten Gebildeten, da ist Mißtrauen und Scheu leider nur zu allgemein und zu gerecht, und wenige wissen noch, wessen sie sich zu den andern versehn sollen, und die Redlichsten und Freiesten werden oft für verkleidete Diener und Mückenfänger einer geheimen und unsichtbar schleichenden und schnobernden Macht gehalten und als solche verdacht und verleumdet. Wer kannte das sonst in Deutschland? Diese greuliche Pest aller Wahrheit und Sittlichkeit, diesen schändlichen Glauben an Lüge, Verrräterei, Durchstecherei und heimlicher Herumträgerei und Angeberei? Haben das bloß die Welschen zu uns gebracht? Ist das bloß aus Fouchés und Savarys und Napoleons Schule? O weh, daß ich hier immer Fragezeichen machen muß! So weit sind wir, und wohin könnten wir nicht kommen, wenn das Unheil noch zwanzig, dreißig Jahre so dauerte, und Polizeigesetze, die sonst nur als Gewohnheiten geübt wurden, endlich in Folianten gesammelt und studiert werden müßten. Es ist dies das größte Unglück des gegenwärtigen Deutschlands, und keiner soll es gelinder zeigen, als es ist. Die hierin das Heil der Staaten und die Sicherheit der Fürsten sehen, die diese Anstalt immer mehr zu etwas Bleibendem und Vollkommenem ausbilden möchten und von Erweiterung und Ausbildung der Polizei sprechen, die sind schlimmer als jene, welche sie für Jakobiner ausschreien, selbst wenn sie Jakobiner wären. Die Armen wissen meistens nicht, was sie tun, und wie sie vom bösen Feinde geblendet sind. Sie handeln mehr aus feiger Furcht vor dem Zeitalter, dessen Richtung sie nicht fassen können, als sie aus Absicht des Bösen oder Freude am Bösen. Die meisten sind verworren, indem sie verwirren; denn der polizeiliche, schleichende, lauschende, anklagende, lügende, aufhetzende und verwirrende Geist ist ja nimmer ein deutscher Geist gewesen.

Ich muß hier in ruhiger Übersicht dessen, was der gerechte Zorn stürmisch ausgesprudelt hat, zum Schluß einige Worte anführen, die ein einem anderen Buche von mir geschrieben stehen. Sie lauten also: „Es ließe sich ein Buch schreiben, wie eine Regierung es anfangen müsse, um ein Volk zu verbotenen Ränken, heimlichen Stempelungen und Zettelungen und heillosen Umwälzungen zu erziehen.“ Ein solches Buch würde ein rechter Fürstenspiegel sein, der die Gefahren des Throns das zeigte, wo sie wirklich sind. Nicht das Offene, das Freie, da Hochherzige und Ungestüme in Worten und Taten ist das Gefährliche, sondern das Verdeckte, das Sklavische, das Listige, das Geschmeidige und Kriechende. Ich will dem Manne. Der Zeit hat, die Quellen zeigen, aus welchen er schöpfen kann, um dieses lehrreiche und verdienstliche Buch, das etwa in vier tüchtigen Bänden zu vollenden wäre, zu verfassen. In der römischen Geschichte, die Geschichtsschreiber von Augustus bis Romulus Augustulus, in der byzantinischen Geschichte von Konstantin dem Großen bis Konstantin dem Letzten, in der Geschichte von Venedig und hie und da von Florenz und Genua und dann in der Pariser Verwaltungsgeschichte vom Ludwig XIV. (vielleicht schon von Ludwig XI. an) bis Napoleon wird er den reichsten Stoff zu verarbeiten finden. Er wird in diesem Stoffe die Mittel finden, die man gebrauchen muß, um ein ganzes Volk listig, verschlagen, argwöhnisch, unruhig, neuerungslustig und meuterisch zu machen. Nur recht viele Auflaurer und Angeber und Polizeimücken und Spionenschmeißfliegen, nur recht fleißig hinter den Türen und Tapeten, ja hinter den Briefsiegeln gestobert und geschnobert – und auch das ruhigste und stillste Volk wird schon die Kniffe lernen, wodurch man sich gegen eine solche Pest decken kann; aber es wird auch die unselige Fähigkeit und Empfänglichkeit erlangen, dem Schleichhandel, den die Regierung unbefugt und heillos durch seine Gefühle und Gedanken hintreibt, mit einem ebenso heillosen Schleichhandel zu begegnen. Wann Liebe und Vertrauen verschwunden sind, dann mag nichts auf Erden bestehen, und selbst der Beste und Gerechteste mag sich dann nicht mehr sicher halten. Das könnte man als eine gewaltige Unterweisung und Vorbereitung der Franzosen zu ihrer jammervollen und fürchterlichen Umwälzung aktenmäßig und geschichtlich erweisen, wieviel die Polizeiminister von Argenson (Polizeiminister unter Ludwig XIV.) an den Robbespierren und Dantonen vorgearbeitet haben, und wie die gepriesene geheime Polizei, die alles wußte, die Schule jener Klubs und Höhlen geworden ist, deren blutige Hinterlist und in düsterer Finsternis gesponnene Ränke uns ehrliche Deutsche nacheinander erstaunt und erschreckt haben. Diese Einsichten, diese Aufklärung, diese Bildung der Gesellschaft – diese schaffen die Prätendenten und Aspiranten, vor deren heilloser Leichtigkeit und Bereitwilligkeit zu allem Wilden und Bösen das Buch (vom Wiener Kongreß und von Herrn de Pradt) warnt, das uns zu diesen Betrachtungen veranlaßt. Man erzählt uns, daß, wer einmal Schleichhandel und Falschmünzerei getrieben hat, sich des Reizes zum Betruge nicht gern entwöhne, daß aber viel schwerer zu Stille und Einfalt zurückzukehren sei, wer einmal die süße Speise des geistigen Schleichhandels gekostet hat. Der Trieb der Ränke, Durchstechereien und heimlicher Zettelungen soll dem unwiderstehlich sein, der einmal von dem bösen Baum der unseligen Erkenntnis gegessen hat. Es wird gegen die Theoristen und Idealisten viel geschrien, aber die schlimmsten aller Theoristen und Idealisten sind diejenigen, welche die Polizei schafft. Darum haben auch alle Völker, die innen ruhig und außen frei sein wollen, die geheimen Polizeien als die Pest des Staates und der Gesellschaft gehaßt und sich lieber einige Unbequemlichkeiten, Beschädigungen und Unsicherheiten gefallen lassen, als daß sie dies gefährlichen Maschinen, die wahren Höllenmaschinen der Freiheit, bei sich hätten aufstellen lassen.

Viele treffliche Geschichtsschreiber und Staatslehrer haben den Despotismus so bezeichnet, daß er die Regierungsweise sei, wo in keiner Verfassung und in keinen Ständen und Klassen zwischen dem Herrscher uns seinem geringsten Untertan etwas in der Mitte stehe, da in solchem politischen Zustande ja auch die höchsten Würdenträger nur Staub seien, den die Willkür einen Augenblick mit Glanz verziere und dann wieder in alle Winde blase; sie haben bemerkt, es sei in solchen Staaten eine unaufhörliche Erschütterung und Umwälzung, wo die verschiedenen Kräfte, ( nämlich die sklavische Volksmasse und der unumschränkte Herrscher ) eben wie vom Zufall geworfene Kugeln, bald oben und bald unten liegen; daher sei das Leben des Herrschers in einem solchen Staate nicht sicherer als das Leben des Bettlers, alles sei zufällig, plötzlich, ungeheuer, nichts ruhig, gleichmäßig, gerecht, und Strang und Schwert, welche die Willkür, wie sie wolle, um jeden Nacken schlingen und in jede Brust stoßen könne, fahren mit eben der fürchterlichen Gerechtigkeit des blinden Zufalls im unsteten Wechsel auf sie selbst zurück. Dies ist jener Zustand, wo die Macht dem Untertan zu nah steht, wo die Netze immer ausgespannt sind, worin alle Welt sich gefangen fühlt, wo die Umwälzungen nicht aufhören, weil die schlauen und furchtsamen Gedanken der unglücklichen Menschen immer auch wider Wissen und Willen Umwälzungen spinnen und weben; denn in den Brüsten, welche Argwohn und Trug besessen haben, wird alles zu höllischen Gespinsten ausgesponnen.

Darum und dieser großen Lehre und Warnung der Geschichte gehorchend, welche die einzige Lehrerin und Meisterin der Fürsten und Fürstenräte ist, müssen die guten und treuen Regierungen vor allen Dingen zuerst darauf sinnen, wie sie die Staatsmaschine, die bei sehr entwickelten Zuständen der menschlichen und politischen Gesellschaft immer das natürliche Streben hat, zu künstlich werden zu wollen, so sehr als möglich vereinfachen. Besonders aber wäre das ein Kunstgriff verständiger Regierungen, alles wegzuschaffen, wodurch sie dem Volke zu nah kommen und bei demselben Verdacht und Mißtrauen erregen; unter welchem das zuviele Polizeien, was man mit einem gewöhnlichen Volksausdruck ein zu vieles Regieren nennen könnte, billig obenan steht. Zu diesem Kunstgriffe würde auch das gehören, die Zweige der kleinen Gerichtspflege, der kleinen Polizei, der kleinen Verwaltung dem Volke selbst mehr zu übergeben und sie mehr von dem Volke ausgehen zu lassen. Gerade in diesem vielen Kleinen geschehen die meisten Mißgriffe und die gewöhnlichsten Überschreitungen und Verletzungen; und daher häufiges Mißvergnügen und Klagen über die Regierung. Wenn aber der Herrscher dies, woran so weniges von der Majestät hängst, dem Volke selbst in die Hände gäbe, so hätte es sich, wenn nicht alles geschehe, was oft gar nicht geschehen kann, nur an ihm selbst zu halten und viele Beschwerden und gehässige Beschuldigungen, die aus den vielen kleinen und oft unvermeidlichen Unvollkommenheiten und Neckereien und Plackereien des Lebens erwachsen, hätte die Regierung von sich dadurch abgewälzt; die Diener dieser Geschäfte, Bedürfnisse und Zucht- und Strafmittel erschienen dann nicht mehr als unmittelbare Diener der höchsten Gewalt, und „diese höchste Gewalt würde also von der kleinen Volksnot und den kleinen Volksbedürfnissen und Volksplagen in jener wohltätigen Entfernung gehalten, deren es bedarf, damit der Thron nichts von seiner himmlischen Majestät verliere.“

Nun noch ein paar Worte Nachrede dieser leidvollesten und zornvollesten Gegenstände.

Sie sagen und klagen, diese bestellsamen und dienstfertigen Herren, die auch den Geistern gebieten wollen, man müßte die tolle Zeit und die tollen, überspannten und verrückten Menschen derselben hemmen und herumholen, wie man scheuen und wilden Rossen tut; sonst werden sie durchgehen und Kaiser und Könige und alle Thronen, Ehren und Herrlichkeiten zertrümmern. Darum müsse die Polizei die sorgsame und wohltätige Warnerin, Hüterin und Hemmerin der Geister sein. Sie weissagen mit einer Art Zuversicht, wenn man sie auf ihre Weise noch zehn Jahre so gewähren lasse, werde das wilde Feuer, welches allein durch die französische Umwälzung und die Grundsätze derselben genährt worden, meistens verdampft sein, und die Großsprecher, die jetzt von Freiheit, Selbstständigkeit, Verfassung, Preßfreiheit Deutschheit, Welschtum und Christentum und Heidentum und anderen Tumen so gewaltig tönen, werden dann ausgeklungen haben, und alles werde wieder sein wie in jener glückseligen, stillen und gehorsamen Zeit von 1760 und 1780, welche sie als eine paradiesische Zeit voll Frieden und Freuden dieser Zeit, worin wir leben, immer gegenüberstellen.

Gesetzt, was wir ja einmal annehmen können, jene Zeit fünfzig und dreißig Jahre hinter uns sei in Vergleichung mit der gegenwärtigen auch eine edle, hochmenschliche und hochdeutsche Zeit gewesen, so könnten diese armseligen Menschen mit allen ihren schleichenden Künsten ja wohl an den Zeichen, die sie sehen und die sie auch in diesem Buche wieder sehen müssen, lernen, daß die mächtigen Geister, wogegen sie in die Schranken treten, ihnen unsichtbar und also unverwundlich sind, daß sie überhaupt nach einem Gefühle, das sich jedem Gesunden und Unbefangenen von selbst aufdringen muß, durch die gewaltigen Kräfte nicht zu hemmen, geschweige zu unterdrücken und zu ersticken sind. Sie werden auch die mächtigsten Männer zerschmettern, die gegen sie treten, als wenn sie den Strom der Weltgeschichte hemmen wollten. Warum schaut ihr nicht fester nach St. Helena, nach der Felsklippe im weiten, öden Weltmeer? Seht Euch doch um nach eurem Vorbilde. Was jener eiserne Riese und Titane töricht und stolz einst wollte, wordurchr Nebukadnezar vor Jahrtausenden zum Tier ward und wie ein Ochs Gras fressen mußte, jenen Stolz und Übermut wollt ihr? Und wir sollen wieder das Tier anbeten, daß bloß Klauen und Eingeweise aber keine Seele hat? Und doch seid ihr weder Nebukadnezare noch Napoleone. Wahrlich jener letzte hätte selbst als Tyrann die Welt beherrschen können, wenn ihm das Geheimnis dieses Zeitalters irgend klar geworden wäre; er sitzt auf der Felseninsel, weil er die Welt mit fremden Künsten leiten und beherrschen wollte, welche diese Zeit verabscheut.

Da ihr euch auf Klugheit und List und Kunst soviel einbildet, so solltet ihr schon aus Klugheit anders handeln als ihr tut; ihr solltet die frischen Geister, die ihr übermütige und verbrecherische Geister scheltet, durch den Wind, womit ihr ihnen das Licht des Lebens auszublasen meint, nicht noch zu lichteren und heißeren Flammen anblasen. Denn das sage ich euch, ihr mögt die Zeit für einen Teufel oder einen Gott halten, so kräftig sind ihre Lebenskeime, daß sie lebendig zur Welt kommen wird. Ihre Notwendigkeit ist nicht von den Menschen, ist nicht bloß die Zusammenverschwörung einiger überspannter Narren, wie man die Schriftsteller nennt, ist nicht bloß die Zusammenverschwörung einiger elendigen Jakobiner, welche die Zeit umkehren wollen, kurz sie ist nicht die Notwendigkeit von Menschen – denen möchten auch eure schwachen Künste noch gewachsen sein – sondern sie ist eine Notwendigkeit Gottes. Es ist ein Zeitalter, wo die Weltgeschichte und die Menschenentwickelung einen ungeheuren Wendepunkt hat, wo etwas ganz Neues werden soll, und eher mag eine Mücke ein rollendes Gebirge aufhalten, als alle deutschen Polizeien zusammen diese unendliche Last von Gefühlen und Gedanken, welche den chaotischen Strom einer den meisten noch verborgenen Schöpfung fortwälzen. Ihr gebärdet euch freilich höhnelnd dabei, ihr weissaget freilich: Es wird viel Geschrei und wenig Tat sein, es wird ein elendes Mäuschen aus dem schwülstigen Berge kriechen; aber um Gottes willen warum macht ihr denn so mächtige Gegenanstalten und zittert vor dem Mäuslein? Nein, ihr habt wohl eine Ahnung von etwas Ungeheurem, was nicht bloß nah‘, was zum Teil wirklich schon da ist. Aber weil eure Augen in Blödigkeit und eure Herzen in Lieblosigkeit so geblendet und erstarrt sind, daß ihr nur das Wüste und Unheilige, nicht aber das Heitere und Heilige der ungeheuren Zeit sehen und verstehen könnet, so begegnet euch mit Recht, was denen immer geschieht, welche die Sünde gegen den heiligen Geist begehen, daß ihr immer tiefer in die Verwirrung hineingeratet und vor dem Kleinen zittert und euch des Großen nicht freuen könnt.

Wenn ich so offen zu den Anklägern, Verleumdern und Aufhetzern der Zeit spreche, welche Haß, Neid, Mißtrauen, Zwietracht und Feindschaft aller gegen alle entzünden und in eitlen und tückischen Schlangenkünsten uns allen Trost und alle Wonne der letzten Jahre verkümmern und unser Stolzestes zu Narrheit und unsere Hoffnung zu Verzweiflung verdrehen möchten, so leugne ich ja keineswegs die Überspannungen und Übertreibungen, die törichten Wünsche und hirngespinstischen Ansichten sovieler Zeitgenossen, die oft so wunderseltsam sind, als kämen sie plötzlich von einem fremden Planeten herabgeschneit; ich leugne auch bei einigen nicht einen unruhigen und ungehorsamen Geist, der wohl seine Lust hätte an Umkehrungen, bloß weil es Umkehrungen sind. Das sage ich aber noch einmal, daß gerade diese Hetzer und Zettler, welche alles, auch die fliegendesten und idealistischen Geister, mit ihren groben Polizeinetzen bestricken und einfangen wollen, sehr mit schuld sind, daß es in einzelnen Worten und Werken übertrieben wird. Die meisten Zeitgenossen sehnen sich nach etwas Stillem und Würdigen, nach etwas Festem und Freiem, das ihnen das Leben sichert; sie haben der schönen Worte und Gedanken und Pläne und Entwürfe und Verfassungen und Gesetzgebungen hin und her genug, ja übersatt gehabt und werden auch mit einer leidlichen Bürgschaft ihres künftigen Zustandes, mit einer leidlichen Magna Charta ihrer Bürgerrechte zufrieden sein. Wann wir das große Gut erst haben, wann wir wirklich erst auf Ständen und einem gesicherten und geregelten Bürgerleben ruhen, dann mag viel metaphysicher und metapolitischer und hyperidealistischer Wind durch und um die Köpfe der Menschen hin und her sausen, dann mag aller mögliche politische Unsinn in Worten und Schriften umhergetragen werden, die Erde steht dann wieder fest, und gewiß wird sie dann zuerst den Überfluß von Polizei auskehren, deren armselige und schwächliche Künste sie für die Bewahrung und Behauptung dieser Festigkeit am wenigsten bedarf.

Nein, so nicht, auf diese schleichende Weise und mit diesen kleinlichen Künsten der List und Verschmitztheit nicht, wird die Zeit beruhigt. Tugend und Kraft muß drein gesetzt werden, damit viel Nichtiges, Wildes und Überspanntes, worüber auch die Besten klagen müssen, gebändigt und vernichtet werde. Jede Zeit, die großer Art ist, kann nur durch sich selbst geboren werden, ihr Gemeines kann nur durch ihr Edles, ihr Wildes nur durch ihr Kräftiges und ihr Wüstes nur durch ihr Lichtes überwunden werden. Es muß anders werden, und es wird ja wohl anders werden. Die Herrscher werden ja wohl begreifen, daß es anderer Ärzte und Geburtshelfer der Zeit bedarf als dieser bangen Schwächlinge, die das glänzende Riesenkind, weil ihnen vor seiner starken Zukunft bange ist, am liebsten gleich töteten. Haben wir nur erst Verfassungen und Landstände, dann wird ja auch über die übertriebenen und übertreibenden Polizeien hoffentlich die Polizei kommen, und ein gehorsames, geduldiges und gutmütiges Volk wird hinfort nicht mehr wie ein Verbrecher belauscht und bewacht werden. Denn das ist der Sinn der Freiheit und war von jeher im deutschen Volke bräuchlich und üblich, daß die kleine und mittlere Polizei, die aber bloß für leibliche Bedürfnisse und leibliche Sicherheit zu sorgen hat, ganz dem Gau und der Gemeinde wieder zurückfallen muß, für welche ihre Ausübung notwendig ist. Nur in den großen Hauptstädten von achtzigtausend oder hunderttausenden Einwohner, wo Menschen und Laster aus allen Ländern und Gesindel und Sittenverderbnis auf eine schlimme Art zusammenstießen, mag eine genauer und zahlreichere Polizei eingerichtet werden. Die geheime Polizei aber, diese geborene Feindin alles geistigen Lebens und Wirkens, diese lauschende Mörderin aller Liebe, wird dann auf immer geächtet sein, diese Schande der Menschheit, die sich auch die hohe Polizei nennt, worin aber kein freier Mann je Hoheit gefunden, wohl aber des Wunsches einer Hamannschen Erhöhung derselben hundertfünfzig Ellen hoch über der Erde sich nie hat erwehren können. Nur in Zeiten des Krieges, wo Gewalt für Recht gilt und List gegen List gebraucht werden darf, mag sie ihre bunte Schlangenfahne aufpflanzen und das Gaunergesindel der Welt als Schergen um sich versammeln.

Diejenigen, welche in dieser Zeit nichts als Unruhe, Aufstand, Ungehorsam, Brand und Mord sehen und alle Freiheit zu Frechheit und jedes kühne Wort zu Aufruhr stempeln, haben auch von dem Größten und Heiligsten gehört, was so flachen Seelen ewig eine Fabel bleiben muß. Sie stellen ihr irdisches Reich gegen das himmlische und wissen viel von christlicher Friedseligkeit, stiller Demut und vertrauender Hingebung zu erzählen und über unchristlichen Übermut und heidnischen Zorn der Zeit zu klagen. So muß das Heiligste sich mißbrauchen lassen, so können diese die göttliche Lehre Christi in einen Steckbrief der Freiheit umdeuten. Ja, es gibt eine christliche Liebe und eine christliche Demut, welche die Güter dieser Erde nicht höher anschlagen, als sie wert sind; es gibt einen christlichen Frieden im Innersten des Herzens, welcher durch die Achtserklärungen und Verdammungen dieser Welt nicht erschreckt wird; aber es gibt auch einen heiligen, christlichen Zorn, einen gerechten Haß gegen Satan und sein Reich der Verdummung und Verfinsterung, wovon uns der Erlöser selbst, der göttliche Heiland, der in menschlicher Gestalt als der Sanftmütigste und Geduldigste auf der Erde unter den Menschen wandelte, das Beispiel und Vorbild gegeben hat. Dieser Zorn und Haß muß brennen, er muß kämpfen und ringen auf Tod und auf Leben, wenn das Christentum selbst, wenn die geistige Freiheit des Wortes und Gedankens, wodurch wir ein göttliches Geschlecht sind, angegriffen und gekränkt wird. Jener Friede der Knechtschaft, den sie wollen, jene hündische Kriecherei der Seelen, die sie Gehorsam nennen, jenes stumme Schweigen, jene gedankenlose Gleichgültigkeit und faule Feigheit, die ihnen gefällt, weil jeder Schlechteste und Jämmerlichste dabei ein Herr sein kann, das ist weder Menschtum noch Heidentum noch Christentum; es ist ein Tod in der Verwesung, ein faules Nichts, es ist gar kein Leben. Geistige Regsamkeit, frisches Streben, redliche Wahrheit, kühne Rede, freie Tat, fröhliches und mutiges Wandeln auf Erden, das ist die göttliche Liebe, das ist Gottes Ebenbild, das heißt Christentum. Die Erde hier, dies Land des Wechsels und der Vergänglichkeit, ist für keinen ewigen Frieden gemacht, am wenigsten für den Frieden, welchen Kerker und Polizeikünste und Zensuredikte stiften. Dieser Friede der Schöpfe und Gänse, welche kein Wolf oder Fuchs mehr durch die Herde läuft, war zu aller Zeit die Schmach der Menschheit und der schwüle, ägyptische Brütofen aller Laster. Diesen Frieden haben die übermütigsten Tyrannen und Zwingherren immer am meisten im Munde geführt, wenn hingegen die tapfren und gerechten und christlichen Könige und Fürsten Freiheit, Freude, Mut und Wort walten ließen und dachten: Meinen wir es redlich, Gott wird es wohl machen und uns die Welt regieren helfen. O diese, die sich schämen sollten bei ihrem finstern und geistlosen Treiben die christliche Lehre und den Heiland zu nennen, wo sie das Dumme, Tierische, Knechtische und Lügenhafte wollen, warum denken sie nicht wieder an ihr großes Vorbild, an Napoleon den Großen? Wie oft und immer, wann er betrügen, überlisten und Ehre und Freiheit der Herrscher und Völker mit Tigerlust und Katzenlust morden wollte, hat die gräßliche Katze gelobt: „Alle meine unendlichen Arbeiten und Kämpfe sind für das Glück der Welt. Ich ziehe nur in den Krieg, damit der ewige Frieden komme; ich werde die Völker durch einen solchen Bund verbinden, daß der Krieg ein Märchen werden soll. Die Völker sind geboren, einander zu lieben, und ich will sie zwingen einander zu lieben. Dan wird eine solche Glückseligkeit auf Erden sein, daß alle Philosophen und Ideologen und Idealisten und Theoristen ihre dünnen und metaphysischen Gespinste von Staatsverfassungen und von Menschenrechten und Bürgerrechten und von anderen Herrlichkeiten in den Ofen werfen können, Brot daran zu backen. Das glückliche und freie Volk wird auf solche Träume und auf die zierlichen Geschwätze von Philosophen und Sophisten nicht hören.“ – O, was saget ihr, ihr, die an die hohe Lehre glaubt, daß ihr mit Feuer und Geist getauft seid? Und du, o wundersame Zeit, ja zu wunderbare Zeit, worin wir leben, wie gefällt es dir in fürchterlich gräßlicher Ironie dasjenige oft zusammenzupaaren, was sich gebärdet, als ob des das Ungleichste wäre?


Deutschlands Sonderweg in den Neo-Bolschewismus

November 29, 2013

Deutschlands Sonderweg in den Neo-Bolschewismus

von Gerhard Altenhoff

Berlin, Hauptstadt der „BRD“, 27.11.2013. Das Bundesdeutsche Affentheater hat seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht:

Eine Frau mimt die Kanzlerin, die sie kraft Grundgesetzes nicht mehr sein kann, und die sie aus verfassungsrechtlichen Gründen auch zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte der „BRD“ jemals geworden war. http://www.tagesschau.de/inland/merkel-interview106.html

Aber sie ist, will man der Propaganda der öffentlich-rechtlichen Medien Glauben schenken, ein „politisches Schwergewicht“, deren Gravitationswirkung selbst die „Zehn Gebote“ unter Wasser zieht.

Ihr Gegengewicht von der SPD, der Bundeserzengel Gabriel, erklärt sich zum heimlichen Sieger der Bundestagswahl:

„Der Koalitionsvertrag zeigt eindeutig die Handschrift der SPD! – Wir haben doch noch die Bundestagswahl gewonnen! – Zicke-Zacke-Hühnerkacke! Bäh!“

Und dann war da noch der Seehofer, Horst. Auch er hat die Koalitionsverhandlungen entscheidend bestimmt. Das, was ihm gegenüber Gabriel an Masse gefehlt hat, hat er während der Koalitionsverhandlungen sich an Energie zugeführt: „Bier und Hax’nfleisch, tra, la, la, la! – Bier und Hax’nfleisch, tra, la, la, la la, la! – Wegen der von Albert Einstein postulierten Gleichwertigkeit von Masse und Energie ist Seehofer dem Gabriel mindestens ebenbürtig bzw. gleichgewichtig, zumal ihm seine Parteigenossin Ilse Aigner dank ihrer vorzeitigen Entlassung in sein ungesundes Freßverhalten nicht mehr hineinreden konnte.

Völlig losgelöst vom Ergbnis der letzten Bundestagswahl, in der sich die Mehrheit des „Wahlvolkes“ gegen eine erneute „Kanzlerschaft“ einer Angela Merkel ausgesprochen hat (rund 60% der abgegebenen gültigen Stimmen!) präsentiert sich großkoalitionäre Triumvirat als frischgebackene „Mehrheit“.

http://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/bundestagswahl/id_66710268/grosse-koalition-vorlaeufig-merkel-gabriel-und-seehofer-unterschreiben.html

In der politischen Rechenweise, die von den allgemeinen Rechenvorschriften erheblich abweicht, lautet die Rechnung eben: dreimal Minderheit ist gleich einmal Mehrheit. – Den Begriff „Mehrheit“ beanspruchte nach der Oktoberrevolution auch die KPdSU Lenins für sich: Bolschewiki. – Ursprung des deutschen Lehnworts „Bolschewismus“.

Die Art und Weise, wie die Akteure über die politische Bühne rotieren, erinnert schon fast an eine Adaption des Hauptmanns von Köpenick durch das Bolschoi-Ballett.

Man könnte und müßte über die gegenwärtige Berliner Provinzposse, die Carl Zuckmayer nicht besser hätte in Szene setzen können, herzhaft lachen, ginge sie nicht mit den gravierendsten Verstößen gegen zwingende Vorschriften des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland einher.

Am 22.10.2011 um 11.00 Uhr trat der 18. Deutsche Bundestag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen:

http://www.bundestag.de/presse/pressemitteilungen/2013/pm_131010.html

Am 22. 10. 2013 um 17.00 überreichte der Bundesobergauckler dem „Bundeskabinett“ die Entlassungsurkunden: http://www.phoenix.de/content/764771

Legt man Artikel 69 Absatz 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland zugrunde, endigt das Amt des Bundeskanzlers oder eines Bundesministers in jedem Falle mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages, das Amt eines Bundesministers auch mit jeder anderen Erledigung des Amtes des Bundeskanzlers. – Einen Bundeskanzler, dessen Amt „erledigt“ ist, kann man wohl kaum noch entlassen. – Ebensowenig Bundesminister, deren Ende kraft Gesetzes gekommen ist

Man muß sich angesichts dessen in der Mundart des „Bonner Grundgesetzes“ tatsächlich auf die typisch rheinische Art ernsthaft fragen:

Wat soll dann dä Quatsch?

Die Spielregeln für die Beendigung der Ämter von Bundeskanzler und Bundesministern liegen nach dem Grundgesetz klar auf der Hand. – Davon abweichende „politische“ Vereinbarungen zu treffen, sieht das Grundgesetz nicht vor. – Das Grundgesetz ist „ius strictum“, zwingendes Recht, denn es ist der verkörperte Wille des Inhabers der verfassungsgebenden Gewalt. – Der aber ist, wie sich unschwer aus der Präambel des Grundgesetzes i.V.m. Art. 146 GG ergibt, das Volk:

Im Bewußtsein seiner Verantwortung (…) hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.

Man kann es nicht dick genug unterstreichen und hervorheben:

…kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt…

Art. 146 GG regelt den zeitlichen Geltungsbereich, die Geltungsdauer des Grundgesetzes:

Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.

Gemäß Art. 69 Absatz 2 GG endete – sofern vorhanden – also das Amt der Bundeskanzlerin und der Bundesminister mit dem Zusammentritt des 18. Deutschen Bundestages kraft Gesetzes.

Für eine diesem „Staatsakt“ folgende formale Entlassung durch den Bundespräsidenten ist kein Raum..- Das Grundgesetz hat hier eine Regelung getroffen, die dem Beamtenrecht nicht unähnlich ist. Wer als Beamter in den Vorbereitungsdienst übernommen wir, wird zwar „ernannt“, nicht aber formal entlassen, denn sein Dienstverhältnis endet kraft Gesetzes mit dem erfolgreichen Ablegen der Abschlußprüfung oder mit dem endgültigen Nichtbestehen derselben. – Eine formale Entlassung durch Überreichung einer Entlassungsurkunde findet nicht statt.

Die feierliche „Entlassung“ der „Bundesregierung“ durch den Generalbundesgauckler war und ist ohne jede rechtliche Wirkung. Sie erfolgte nach dem Zusammentritt des 18. deutschen Bundestages, zu einem Zeitpunkt also, als sich das Amt des „Bundeskanzlers“ und der Bundesminister kraft Grundgesetzes seit sechs Stunden bereits „erledigt“ hatten. – Ich bitte um Entschuldigung für diese Wiederholung, aber sie scheint mir erforderlich, aber klare Regeln können nicht oft genug wiederhlt werden, wenn ein übermächtiger Propagandaapparat deren Existenz immer und immer wieder leugnet.

Leider muß ich hier in der Argumentation weit ausholen, sehr weit. Der zur Beschreibung des Szenarios notwendige exzessive Gebrauch des Konjunktivs offenbart allerdings den gelebten Surrealismus der bundesdeutschen Verfassungswirklichkeit:

Das Überreichen der Entlassungsurkunden nach der Beendigung des Amtes kraft Gesetzes kann diesem -überflüssigen – „Staatsakt“ jedoch seinen Erklärungswert nicht nehmen: „Ene, mene Maus! – und du bist ‚raus!“

Wenden wir uns Art. 69 Abs. 3 GG zu, der die Degradierung zwingender Vorgaben des Grundgesetzes zum Spielball der „Politiker“ unterstreicht:

Auf Ersuchen des Bundespräsidenten ist der Bundeskanzler, auf Ersuchen des Bundeskanzlers oder des Bundespräsidenten ein Bundesminister verpflichtet, die Geschäfte bis zur Ernennung seines Nachfolgers weiterzuführen.

Wenn der Bundespräsident ein „Bundeskabinett“ entläßt, und dabei dem „Bundeskanzler“ als erstem die Entlassungsurkunde in die Hand drückt, gibt es keinen Bundeskanzler mehr, der einen Bundesminister ersuchen könnte, die Geschäfte bis zur Ernennung von dessen Nachfolger weiterzuführen, weil mit der „körperlichen Hinwegnahme“ der Entlassungsurkunde durch den Entlassenen das Amt unwiderruflich endet. – So haben wir es in den Medien auch immer wieder erlebt: Da stehen neben der Person, die den Bundespräsidenten mimt, in der Regel zwei Personen: der eine erhält seine Entlassungsurkunde, der andere wird wenige Minuten später zum Minister ernannt.

Das „Ersuchen des Bundeskanzlers oder des Bundespräsidenten“ in Art. 69 Abs. 3 GG macht nur Sinn im Zusammenhang mit den Art. 67 und 69 Abs. 2 GG, und auch hier nur mit der Variante „andere Erledigung des Amtes“. – Bei einem konstruktiven Mißtrauensvotum steht der neue Bundeskanzler zunächst einmal allen auf weiter Flur, er hat kaum Zeit, sich aus dem Kreis der möglichen Bewerber einen geeigneten Ministerkandidaten herauszusuchen. – Bei „jeder anderen Erledigung des Amtes“, also durch den Sensenmann, ist kein Bundeskanzler mehr da, der die Minister ersuchen könnte, die Geschäfte bis zur Ernennung eines Nachfolgers weiterzuführen.

Alle genannten Vorschriften des Grundgesetzes sind nicht dazu gedacht, die „Amtszeit“ eines nicht existierenden „Bundeskabinetts“ bis zu Abschluß von Koalitionsverhandlungen, die erkennbar und offensichtlich außerparlamentarisch stattfinden, zu verlängern. Sie sind „Notstandsartikel“ – ausschließlich für den Fall geschaffen, daß es zu Ausfällen bei den Spitzenbediensteten der vollziehenden Gewalt kommt. – Anders läßt sich der im Grundgesetz kondensierte Wille des Inhabers der verfassungsgebenden Gewalt nicht interpretieren. – Es sei denn, man will der rechtsstaatswidrigen Willkür der Politiker die Bahn bomben.

Man muß sich an dieser Stelle die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes vor Augen führen, das als „Staatsführung“ eine nicht endend wollende Riege alter Männer vor Augen hatte: Heuss, Adenauer, Erhard etc, etc hatten 1949 nicht mehr unbedingt die längste Lebenserwartung. – Ihre Zählebigkeit hat dazu geführt, daß Art. 69 Abs. 3 GG vor Zusammentritt des 18. Deutschen Bundestages nie wirklich angewendet werden mußte.

Nun aber zieht man ihn nonchalant aus dem Hut und behauptet, die vom Wähler geschaffenen klaren „Nichtmehrheiten“ wären zur Anwendbarkeit des Artikels 69 Abs. 3 GG hinreichend. Zweifel sind mehr als angebracht. – Vor allem deswegen, weil das Ersuchen des Bundespräsidenten an Kanzler und Minister, die Amtsgeschäfte weiterzuführen, ein sachlich tragfähiger Grund braucht. – Wenn das Ersuchen dem Wortlaut des Grundgesetzes zufolge keine Begründung bräuchte, so müßten dennoch nachvollziehbare Gründe die Entscheidung des Bundespräsidenten tragen. – Das folgt schon aus dem Rechtsstaatgebot des Art. 20 Abs. 1, danach darf kein staatlich besoldeter Sachwalter willkürlich handeln, – für sein Handeln braucht er eine nachvollziehbare, gerichtlich überprüfbare Begründung.

Sonst kann, – wie wir es zur Zeit erleben – das Recht des Parlaments auf Wahl eines Bundeskanzlers durch ein „Ersuchen des Bundespräsidenten“ auf unbestimmte Zeit ausgehebelt werden. Zumindest solange, bis außerparlamentarische Gremien sich darauf geeinigt haben, dem Bundespräsidenten nahezulegen, dem Bundestage eine der Bolschewiki „passende“ Person als „Kanzlerkandidaten“ vorzuschlagen. – Wenn der Bundespräsident „nö“ sagt, und sich weigert, wie gewünscht zu verfahren, bleibt der Status Quo erhalten. Mit anderen Worten, theoretisch kann ein Bundespräsident die Regierung des X-ten Bundestages die gesamte Wahlperiode des X + ersten Bundestages über geschäftsführend tätig bleiben lassen.

Für ein Ersuchen des Bundespräsidenten nach Art. 69 Abs. 3 eröffnete das Wahlergebnis der Bundestagswahl vom 22. 9. 2013 keinen Anwendungsbereich. – Wir kommen gleich darauf zurück.

Denn da gibt es immer noch das kleine Problem, das einer Erklärung bedarf, nämlich der mit der Überreichung der „Entlassungsurkunden“ an das „Bundeskabinett“ erklärte Wille der Bundesrepublik Deutschland. Der Generalbundesgauckler hat die „Entlassungsurkunden „im Namen der Bundesrepublik Deutschland“ ausgefertigt. – Es gibt kein Gesetz von Verfassungsrang, das die in der entsprechenden Urkunde verkörperte Willenserklärung einer „Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts“ von der Willenserklärung einer privatrechtlich organisierten Körperschaft unterscheidet. – So gilt die im Namen einer GmbH von dessen Geschäftsführer, einer vom Vorstandsvorsitzenden einer Aktiengesellschaft oder vom Vorsitzenden eines eingetragenen Vereins abgegebenen Willenserklärung als der verkörperte Wille einer der genannten Korporationen.

Beiden Körperschaften ist gemeinsam, daß Willenserklärungen der Korporation dem Erklärungsgegner „zugehen“ müssen. Im öffentlichen, vor allem im Beamtenrecht ist die „körperliche Hinwegnahme“ einer rechtsbegründenden oder -beendenden Urkunde durch den Erklärungsempfänger entscheidend. Erst mit der Übergabe oder rechtsverbindlichen förmlichen Zustellung einer Entlassungsurkunde ist die Entlassung unwiderruflich vollzogen. Die Übergabe der Entlassungsurkunde hat demnach einen ähnlichen Erklärungswert wie eine fristlose Kündigung im Rahmen des Zivilrechts: „Ene, mene Maus, und du bist ‚raus!“.

Dieses Verhalten verträgt sich, das werden Sie zugeben, absolut nicht mit den – rechtlich bedeutungslosen – „Entlassungsurkunden“ für das verflossene „Bundeskabinett und dem gleichzeitig ausgesprochenen „Ersuchen“ des Generalbundesgaucklers an das „scheidende Bundeskabinett“, die „Amtsgeschäfte“ im Sinne des Art. 69 Abs. 3 GG bis „Zur Ernennung (s)eines Nachfolgers“ weiterzuführen.

Angesichts der mit Beendigung des Amtes wiederauflebenden Berufsfreiheit von Kanzler und Ministern, die durch Art. 66 während ihrer Amtszeit gesperrt war, hätte ein Ersuchen des Bundespräsidenten vor der absehbaren Erledigung des Amts oder – nach Tätigwerden des Sensenmanns – unverzüglich nach Beendigung des Amtes erfolgen müssen:

Art. 66 GG: Der Bundeskanzler und die Bundesminister dürfen kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und weder der Leitung noch ohne Zustimmung des Bundestages dem Aufsichtsrate eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören.

Am 22.10.2013 um 11.01 Uhr hätte Rechtsanwalt Guido Westerwelle Herrn Putin als Mandanten empfangen dürfen, Frau Merkel hätte ihre Stelle als Dozentin für angewandte Chaos-Theorie an der Harvard-Universität antreten und Philipp Rösler seinen Platz am OP-Tisch der Schwarzwald-Klinik einnehmen können…

Ene – mene – Maus: und du bist raus! – Du darfst aber wieder machen, was du willst!

Ene – mene – Maus: und du bist raus! – Das hat der Inhaber der verfassungsgebenden Gewalt der „Regierung Merkel“ sechs Stunden vor der entsprechenden Erklärung des Generalbundesgaucklers unmißverständlich erklärt. Denn das Grundgesetz ist und bleibt der verkörperte Wille des Inhabers der verfassungsgebenden Gewalt, also unmittelbarer Wille des Volkes. Wenn ein öffentliches Amt kraft Grundgesetzes von einer Sekunde auf die andere endet, endet es von einer Sekunde auf die andere. – Aus die Maus. – Keine Regierung, kein Parlament ist berufen, das ius strictm des Grundgesetzes anderweitig zu interpretieren und „Übergangsregelungen“ zu erfinden.

Für den Generalbundesgauckler erweist sich sein Handeln auch aus einem anderen Grund als durchaus prekär:

Fast jeder hat innerhalb einer persönlichen Beziehung einmal die Situation: „Geh weg, aber laß mich nicht allein“ erlebt. – Im „Rechtsleben“ wird ein derartiges Verhalten als „venire contra factum proprium“ bezeichnet, das „Nichtwhahrhabenwollen“ der selbstgeschaffenen Tatsachen. – Kein Arbeitgeber kann von einem Mitarbeiter, den er gerade ‚rausgeworfen hat, den Verbleib am Arbeitsplatz verlangen. – Widersprüchliches Verhalten im Rahmen von Rechtsbeziehungen dulden weder Rechtsprechung noch Rechtslehre. – Wie könnte es also in dem Rechtsrahmen, den das Grundgesetz bildet, Bestand haben? – Entgegen Art. 69 Abs. 3 GG könnte Rechtsanwalt Guido Westerwelle dem „Ersuchen“ entgegenhalten, er weise dieses wegen unzulässiger Rechtsausübung zurück und gehe wie RA Gerhard Schröder zu Gazprom; ein entsprechender Vertrag sei unmittelbar nach der Bundestagswahl abgeschlossen worden. – Nicht auszudenken, daß „Vizekanzler“ Philipp Rösler das „Ersuchen“ mit dem Argument zurückweist, er werde mit sofortiger Wirkung in der „Schwarzwaldklinik“ anheuern…

Man muß es sich auf der Zunge zergehen lassen: Ohne Rechtsgrundlage „entläßt“ der Generalbundesgauckler das „Bundeskabinett“ mit sechsstündiger Verspätung. Der Bundesobergauckler „ersucht“ dasselbe „Bundeskabinett“,, das nicht mehr im Amt ist und das er selbst zu allem Überfluß „entlassen“ hat, als Kollektiv die Amtsgeschäfte weiterzuführen. – Wo das hinführt, wird im Fernsehen auch noch live übertragen:

Die „Regierungsbank“ ist bei Bundestagssitzungen in diesen Tagen so prall gefüllt wie nie, obwohl sie eigentlich mangels Bundesregierung leer sein müßte, denn auch die Mitglieder einer im Amt befindlichen Bundesregierung haben lediglich „Zutritt“ zu allen Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse, so will es Art. 43 Abs. 2 Satz 1 GG. Mitglieder der Bundesregierung müssen gemäß Art. 43 Abs. 2 Satz 2 GG auch jederzeit gehört werden. – Das kann naturgemäß nicht für Personen gelten, die lediglich die Geschäfte führen, also „abwickeln“. – Im Rahmen dieser Geschäftsführungstätigkeit haben die verflossenen Mitglieder der verflossenen Bundesregierung nach Art. 43 Abs 1 GG zwar die Pflicht, im Einzelfall dem Verlangen des Bundestages nachzukommen, bei einer Sitzung anwesend zu sein, ansonsten ist ihr Platz auf der Zuschauertribüne. – Und wenn der Bundestag nach Art. 42 Abs. 1 GG beschließt, nicht öffentlich zu tagen, sind die Mitglieder der verflossenen Bundesregierung draußen, sofern sie nicht Mitglieder des Bundestages sind.

Laut „Hamlet“ ist etwas faul im Staate Dänemark. – aber lange nicht so faul wie im Land Berlin, Hauptstadt der „BRD“. – Die faulste Stelle findet sich mitten im Stadtzentrum. Der Staat fängt vom Reichstag an zu stinken:

Gemäß Art. 69 Abs. 2 GG endet das Amt des Bundeskanzlers oder eines Bundesministers in jedem Falle mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages. – Vornehmste Aufgabe des „neuen“ Bundestages ist also die Wahl eines Bundeskanzlers, weil es ansonsten der Bundesdeutschen Republik der Regierung ermangelt.

Art. 63 Abs. 1 GG bestimmt, daß der Bundeskanzler auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestage ohne Aussprache gewählt wird.

Dieser zwingenden grundgesetzlichen Vorgabe kann der Bundestag allerdings nur dann Genüge tun, wenn der Bundespräsident dem Bundestag geeignete Bewerber zur Wahl vorschlägt. – Wie aber findet der Bundespräsident geeignete Bewerber?

Isoliert betrachtet, kennt Art. 63 Abs 1 GG keine „Mindestanforderungen“. – Zwar bestimmt Art. 64 Abs. 2, daß der Bundeskanzler bei der Amtsübernahme vor dem Bundestage denselben Eid zu leisten hat wie der Bundespräsident, eine dem Artikel 54 Abs. 1 Satz 2 GG entsprechende Regelung fehlt jedoch. Nach Art. 54 Abs. a Satz 2 GG ist für das Amt des Bundespräsidenten jeder Deutsche wählbar, der der das Wahlrecht zum Bundestage besitzt und das vierzigste Lebensjahr vollendet hat. Wie im chinesischen Kaiserreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts könnte als auch ein Dreijähriger in das Kanzleramt entsandt werden. – Auch Helmut Schmidt kann bis zur Erschöpfung seines Vorrats an Menthol-Zigaretten theoretisch erneut zum Kanzler gewählt werden. Der Bundeskanzler braucht nicht einmal die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen. – Wenn dem Bundespräsidenten niemand geeigneter erscheint, kann er sogar Herrn Assad vorschlagen. – Oder aber erneut einen Österreicher, der sich mit all seinem Idealismus für die Belange des deutschen Volkes einsetzt.

Isoliert betrachtet ermöglicht Art. 63 dieses Procedere. – Freilich hat der Inhaber der verfassungsgebenden Gewalt, nämlich das Deutsche Volk, dem in Art. 33 Abs. 2 GG einen Riegel vorgeschoben. Danach hat jeder Deutsche nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

Daß auch die „höchsten“ Staatsämter in den Anwendungsbereich des Art. 33 GG fallen, das zeigt der „Fall Wulff“. – Wulff braucht sich eigentlich nicht vor Gericht wegen Vorteilsnahme zu verantworten, denn „Ministerpräsident“ ist ein „öffentliches Amt“ im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG.

Wulff war ebensowenig Ministerpräsident des Landes Niedersachsen wie Bundespräsident.

Er ist, so drückt es der Strafrechtler aus – kein „tauglicher Täter“.

Mit anderen Worten, man kann kein „Amtsdelikt“ begehen, wenn man nicht Inhaber eines öffentlichen Amtes ist, man kann aber kein öffentliches Amt bekleiden, ohne sich den Spielregeln des Art. 33 Abs. 2 GG zu unterwerfen, sich nämlich an einer öffentlichen Stellenausschreibung zu beteiligen. Die Zugehörigkeit zu einer Partei darf dabei nicht die geringste Rolle spielen, denn die Befugnis der politischen Parteien ist nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG auf die Mitwirkung bei der Willensbildung des Volkes beschränkt. – Seinen Willen betätigen kann aber nur der, der ihn sich zuvor gebildet hat. Gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 geht alle Staatsgewalt vom Volke aus, das diese in Wahlen und Abstimmungen ausübt. Wenn die Befugnis der politischen Parteien auf die Mitwirkung bei der Willensbildung des Volkes reduziert ist, endet ihre grundgesetzkonforme Einflußnahme mit Verkündung des amtlichen Endergebnisses von Wahlen. – nach diesem Datum haben Parteien im Geltungsbereich des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland nichts mehr zu melden. Die Stelle des niedersächsischen Ministerpräsidenten ist nie öffentlich ausgeschrieben worden, Wulff ist aufgrund eines Wahlergebnisses vom Landtag zum „Ministerpräsidenten“ gewählt worden,- Mangels öffentlicher Stellenausschreibung war diese Wahl ungültig, also Null und nichtig, denn Art. 33 GG gilt in der Kommentarliteratur als das „politische Grundrecht“ der Deutschen. – Als Grundrecht ist es freilich im falschen Abschnitt des Grundgesetzes positioniert, aber das tut hier eigentlich nichts zur Sache. – Entscheidend ist, wie die ungehinderte Ausübung dieses Grundrechts garantiert werden kann. – Der einzige Weg zur Sicherstellung der Wahrnehmung dieses Grundrechts ist die öffentliche Ausschreibung des zu besetzenden Amtes. – Bei der Besetzung von Ämtern innerhalb verschiedener Laufbahnpositionen reicht eine interne Ausschreibung, so muß auch die Stelle eines Kriminalhauptkommissars nur innerhalb der Polizei ausgeschrieben werden. – Eine sich an Herrn und Frau Mustermann gerichtete Ausschreibung würde mangels Befähigung vieler Bewerber, die Detektiv spielen möchten, ins Leere laufen.

Bei den „höchsten Staatsämtern“ sieht das schon anders aus: Der „gleiche Zugang zu jedem öffentlichen Amte“ muß es allen Deutschen ermöglichen, sich zu bewerben, also auch Deutschen, die ihren Wohnsitz nicht innerhalb der Bundesrepublik Deutschland haben. Demzufolge müssen die „höchsten Staatsämter“ weltweit ausgeschrieben werden. – Nach dem Willen des Inhabers der verfassungsgebenden Gewalt zählen ausschließlich Eignung, Befähigung und fachliche Leistung.

Im Gegensatz dazu steht das von der politischen Propaganda befürwortete Auswahlkriterium der Zahl der abgegebenen Zweitstimmen. Parteizugehörigkeit und Wählerstimmenanzahl bilden nach dem Willen des Inhabers der verfassungsgebenden Gewalt gerade kein Kriterium, anhand dessen sich ein für die „höchsten Staatsämter“ geeigneter Bewerber finden läßt. Wulff war ein Hut auf der Stange. – Mehr nicht!

Nach einer Bundestagswahl ist die Besetzung der „höchsten Staatsämter“ ausschließlich Sache des Bundespräsidenten und der frei gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Diese sind nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

Nicht nur der Bewerber um ein öffentliches Amt muß sich den Spielregeln des Art. 33 Abs. 2 GG unterwerfen, auch die anstellende Körperschaft. Im Falle des Bundeskanzlers ist das die „Bundesrepublik Deutschland“.

Daraus folgt, daß ein Bundespräsident spätestens nach einer Bundestagswahl verpflichtet ist, das Amt des Bundeskanzlers weltweit öffentlich auszuschreiben. Nur so kann er sicherstellen, dem Bundestag anläßlich der konstituierenden Sitzung oder jedenfalls unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) einen oder mehrere geeignete und befähigte Kandidaten zur Wahl vorzuschlagen.

Der Generalbundesgauckler hat indes die Ausschreibung unterlassen; statt dessen läßt er zu, daß der Personenkreis, der spätestens mit Zusammentritt des 18. Deutschen Bundestages aus dem Amt Geschiedenen so weitermachen können, als hätte es keine Bundestagswahl gegeben.

Nicht nur das, der 18 Deutsche Bundestag unterstützt das noch, denn er macht nicht einmal die geringsten Anstalten im Hinblick auf die Wahl eines Bundeskanzlers, der den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG genügt.

Im Hinblick auf das sich aus Art. 20 Abs. 2, Art. 38 Abs. 2, Art. 33 Abs. 2 und Art. 63 Abs. 1 zusammensetzenden grundgesetzkonformen Verfahrens zur „Kanzlerfindung“ wirken die Koalitionsverhandlungen mehr als befremdlich:

Nehmen wir einmal den Begriff „Wählerauftrag“ beim Wort. Der „Wähler“ hat – beeinflußt durch die politischen Parteien – den 18. Deutschen Bundestag gewählt. Kein Abgeordneter ist an Aufträge und Weisungen gebunden. Mit anderen Worten, nach dem Willen des Inhabers der verfassungsgebenden Gewalt müssen sich die Bundestagsabgeordneten fraktionsübergreifend regelrecht „zusammenraufen“. – Aufträge und Weisungen der „Machtwortführer“ innerhalb der politischen Parteien haben sie kraft Grundgesetzes vehement zurückzuweisen, ihnen aber zumindest zu widerstehen. Wenn der Bundespräsident seiner Pflicht, die Stelle des kommenden Bundeskanzlers auszuschreiben, hat der Bundestag die Pflicht, den Bundespräsidenten notfalls unter Androhung einer Präsidentenanklage (Art. 61 GG) dazu anzuhalten, die Stelle des Bundeskanzlers öffentlich auszuschreiben. Der Bundespräsident hat die eingehenden Bewerbungen nach den Kriterien Eignung, Befähigung und fachliche Leistung auszuwerten und geeignete Bewerber dem Deutschen Bundestage zur Wahl vorzuschlagen. – Und dann muß der Bundestag – so will es der Inhaber der verfassungsgebenden Gewalt – ohne Aussprache einen Bundeskanzler wählen.

Alle Parteien betonen immer wieder, daß es sich bei der Bundesrepublik Deutschland um eine „repräsentative Demokratie“ handele, in der ein Plebiszit keinen Raum habe. – Wenn dem so ist, dann kann diese nur funktionieren, wenn die Abgeordneten, die diese „repräsentative Demokratie“ repräsentieren, sich als Repräsentanten im Sinne des Grundgesetzes verhalten. – Die gegenwärtig allgegenwärtige „Sedisvakanz“ am Kabinettstisch zeigt, daß die repräsentative Demokratie mit den „demokratischen“ Parteien eben nicht funktioniert.

Das ist schlimm genug, aber es kommt noch schlimmer:

Man stelle sich vor, daß nach Abschaffung der Todesstrafe der Henker seine „Amtsgeschäfte weiterführt“. – „Absurd!“ – werden Sie sagen! – Einerseits ganz zu Recht, andererseits aber ein Vorgang, der sich vor unseren Augen live abspielt. Der Scharfrichter wird hier nur als das „Paradebeispiel“ eines Exekutivorgans angeführt. – Im Rahmen der staatlichen Gewaltenteilung repräsentiert die „Regierung“ als „vollziehende Gewalt“ nicht mehr als eben den Teil der Staatsgewalt, der die Gesetze vollzieht. Und damit hat es sich. Mehr als Gesetze vollziehen, das darf auch eine demokratische Regierung nicht.

Nun aber tut unsere verflossene Phantomkanzlerin nicht nur so, als wäre sie noch die Kanzlerin, die sie mangels demokratischer Legitimation niemals gewesen ist, vielmehr maßt sich ihre Phantomregierung auch noch annähernd die Befugnisse an, die eine grundgesetzkonforme Bundesregierung eventuell hätte haben können:

Befugnisse einer geschäftsführenden Bundesregierung

Eine geschäftsführende Regierung besitzt grundsätzlich dieselben Befugnisse wie eine „regulär“ im Amt befindliche Regierung. Ihr Handlungsspielraum ist nicht auf die „laufenden Geschäfte“ beschränkt. Allerdings gebietet der Übergangscharakter einer geschäftsführenden Bundesregierung größtmögliche politische Zurückhaltung.

Ihr steht jedoch das Gesetzesinitiativrecht einschließlich der Einbringung des Haushalts zu. Die Ressortministerinnen und -minister haben weiterhin die ihnen nach Artikel 65, Satz 2 des Grundgesetzes zustehenden Befugnisse. Das schließt das Recht zum Erlass von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften ein.

Die Bundeskanzlerin/der Bundeskanzler einer geschäftsführenden Regierung kann keine Vertrauensfrage nach Artikel 68 des Grundgesetzes stellen, weil er nicht kraft parlamentarischen Vertrauens des neuen Bundestages amtiert und als nur geschäftsführender Kanzler nicht die Voraussetzungen für eine Bundestagsauflösung schaffen kann. Ein Misstrauensvotum des neu gewählten Bundestages nach Artikel 67 des Grundgesetzes ist ebenso ausgeschlossen. Das Parlament besitzt gegenüber der geschäftsführenden Regierung aber die übrigen parlamentarischen­Kontrollrechte.“ (http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2013/10/2013-10-22-geschaeftsfuehrende-bundesregierung.html)

Alles ganz nett, aber unglaublich anmaßend, denn es gibt weder im Grundgesetz noch in irgendeiner anderen Rechtsquelle von Verfassungsrang einen Artikel oder Paragraphen, welcher diese Behauptung stützen könnte. – Sie ist frei erfunden und ohne jede rechtliche Grundlage.

Es gibt für die „Amtsgeschäfte“, die ein Regierungsmitglied pflichtgemäß fortzuführen hat, nur den Rahmen, den der Amtseid vorgibt:

Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.. So wahr mit Gott helfe.“ (Art. 64 Abs. 2 i.Vm. Art 56 GG)

Von einer dem Willen des Inhabers der verfassungsgebenden Gewalt entsprechenden „Fortführung der Amtsgeschäfte“ ist seit dem 22. September 2013 nichts erkennbar. – Als klar war, daß bei der konstituierenden Sitzng des 18. Deutschen Bundestages keine spontane „Kanzlermehrheit“ zustande kommen würde, griff man tief in die Trickkiste der Propaganda, die man auch nach dem Tode eines Joseph Goebbels stets geöffnet gehalten hatte:

Man muß sich in diesem Zusammenhang vor Augen führen, daß in einer Demokratie mit Gewaltenteilung die Begriffe „Regierung“ und „vollziehende Gewalt“bzw. „Exekutive“ gleichbedeutend sind.

In einer der Folgen 354 – 357 der Krimiserie „der Alte“ legen die Drehbuchautoren dem 2011 noch amtierenden „Alten“, Kommissar Herzog, die Worte „die Exekutive exekutiert, sonst nichts!“ in den Mund.

Die Exekutive exekutiert, sonst nichts. – Exekution, das führt uns zur ultimativen Personifizierung der vollziehenden Gewalt, dem Scharfrichter. – Legt man hier die Maßstäbe an, die die angeblich geschäftsführende Bundesregierung für sich ohne Legitimation durch Wahlen oder Gesetz in Anspruch nimmt, so käme einem Henker die Festlegung seiner Befugnisse nach Abschaffung der Todesstrafe zu. – Freilich nur für den Fall, daß er auch nach „Erledigung“ seines Amtes die „Amtsgeschäfte“ weiterführt. – So absurd es klingen mag, aber das letzte von einem deutschen Gericht 1949 in den damaligen Westsektoren verhängte Todesurteil wurde nicht vollstreckt, weil es nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr vollstreckt werde konnte – eben weil der Scharfrichter seine Geschäfte mangels gesetzlicher Grundlage nicht weiterführen durfte. Dabei stand der Text des Art. 102 GG – „die Todesstrafe ist abgeschafft“ der Vollstreckung noch ausstehender Todesurteile nicht entgegen. – Denn Art. 102 GG läßt sich mit einem Mindestmaß an furchtbarem juristischen Willen auch dahingehend auslegen, daß vor Inkrafttreten des Grundgesetzes gefällte Todesurteile vollstreckt werden müßten, weil heute nicht Unrecht sein kann, was gestern Recht war. – Und vor dem 23. Mai 1949 war die Verhängung von Todesurteilen „geltendes Recht“. Daß die Abschaffung der Todesstrafe einhellig als „plötzlich und unerwartet auftretendes“ Enthauptungshindernis aufgefaßt wurde, ist lediglich dem mehr als exzessiven Gebrauch der Todesstrafe im „Dritten Reich“ geschuldet; nicht aber der zunehmenden Lern- und Erkenntnisfähigkeit der Juristen. – Für die Vollstreckung des letzten westdeutschen Todesurteils hatte man sogar eine flammneue Guillotine gebaut, die heute im Bonner Haus der Geschichte ihr Dasein fristet: http://www.lha-rlp.de/index.php?id=143

Die Frau, die von diesem letzten Todesurteil betroffen war, hat unheimliches Glück gehabt: „Die Politik“ hatte 1949 verabsäumt, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, die der Gerechtigkeit, die vor Inkrafttreten des Grundgesetzes in Deutschland herrschte, noch nachträglich zum Durchbruch verhalf. – Gesetz ist nun einmal Gesetz, Urteil ist Urteil! – Das ist das die eherne Verfassung des preußischen „Rechtsstaats“ von Friedrich dem Großen über Adolf Hitler bis hin zu Angela Merkel. – In den USA wäre sie nach juristischem Hick-Hack vielleicht erst nach der Wiedervereinigung doch noch hingerichtet worden… – Daß im Hinblick auf Art. 102 GG keine größere juristische Diskussion entbrannte, ist wohl nur dem exzessiven Gebrauch der Todesstrafe m „Dritten Reich“ geschuldet.

Ausgehend von der sich aus Art. 69 Abs. 3 GG ergebenden Verpflichtung eines Bundespräsidenten, sein Ersuchen auf Fortführung der Amtsgeschäfte an jeden einzelnen Minister zu richten, stellen wir uns als Parallele zur gegebenen Merkel-Junta, Bundeswohlfahrtsausschuß könnte man sie auch nennen, einen Exekutivrat deutscher Scharfrichter vor, der ohne Amtsbefugnisse einstweilen beschließt, wem der Kopf abgeschlagen werden soll. Sollen doch die Richter später zustimmen…

Der Extremfall des bundesdeutschen Scharfrichterrates zeigt, daß in einem Rechtsstaat manche Dinge nicht hingenommen werden können. Insbesondere ein der gesetzgebenden Gewalt nachgeordnetes Verfassungsorgan, das darüber befindet, welche Befugnisse es nach Beendigung seiner „demokratisch legitimierten“ Amtszeit hat. Es ist schon eine besondere Form der verbotenen Eigenmacht, wenn es für das formale „Ersuchen“, die Geschäfte weiterzuführen, keine sachliche Rechtfertigung gibt – sondern lediglich „politisches“ Kalkül.

Wie selbstverständlich saßen anläßlich der Bundestagssitzung vom 18.11.2013 alle Abgeordneten des 18. Deutschen Bundestages brav auf ihren Plätzen, bis auf die Abgeordneten, die nicht nur einen Platz im Parlament, sondern im 17. Deutschen Bundestag auch einen auf der „Regierungsbank“ beanspruchten. Selbstverständlich fand man diese Personen nicht im „Plenum“, sondern auf der kraft Grundgesetzes freigeräumten „Regierungsbank“. Auf der Regierungsbank saßen wie selbstverständlich auch Personen, für die im Plenum aufgrund des Wahlergebnisses vom 22.9.2013 eigentlich kein Platz mehr war. – Die von der „geschäftsführenden Bundesregierung“ gezeigten Verhaltensmuster könnten eventuell von der Verfassung der Republik Lummerland gedeckt sein, dem Grundgesetz entsprechen sie jedenfalls nicht.

Hinzu kommt die Behauptung der „geschäftsführenden Bundesregierung“, das Stellen einer Vertrauensfrage durch einen geschäftsführenden Bundeskanzler könne die Auflösung des Bundestages nicht herbeiführen, weil ein „geschäftsführender Bundeskanzler“ nicht „demokratisch legitimiert“ sei. – Ein „geschäftsführender Bundeskanzler“ ist nicht demokratisch legitimiert, deswegen kann er, ausgestattet mit fast denselben Amtsbefugnissen wie ein „legal“ gewählter Bundeskanzler weitermachen bis zum nächsterreichbaren St. Nimmerleinstag. – Eine Parlamentsauflösung nach Art. 68 Abs. 1 GG findet nicht statt. Auch eine Auflösung des Bundestages nach Art. 63 Abs. 4 Satz 3 kommt ebenfalls nicht in Betracht:

Art. 63 Abs. 4 regelt den Fall, daß keiner der vom Bundespräsidenten vorgeschlagenen Kandidaten für das Kanzleramt die „Kanzlermehrheit“ bekommt:

Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestage ohne Aussprache gewählt. (Art. 63 Abs 1 GG) – Bislang ist weit und breit kein Kandidat in Sicht, der von einem Bundespräsidenten vorgeschlagen werden könnte, weil bislang keine öffentliche Ausschreibung stattgefunden hat. Die im Bundestag vertretenen Parteien sind sich bislang nicht einig, wen sie – ohne durch das Grundgesetz dazu ermächtigt zu sein, dem Bundespräsidenten als „Kanzlerkandidaten“ im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG zum Vorschlagen vorzuschlagen. – Reichspräsident von Hindenburg hatte es da am 30. Januar 1933 vergleichsweise einfach, weil er allein darüber entscheiden konnte wer Reichskanzler wird.

Art. 63 Abs. 2 GG: Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereinigt. Der Gewählte ist vom Bundespräsidenten zu ernennen. – Wenn ein Bundespräsident keinen geeignten Kandidaten sucht, kann er dem Bundestag auch keinen Vorschlag unterbreiten, der eine „Kanzlermehrheit“ hinter sich scharen könnte.

Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so kann der Bundestag binnen vierzehn Tagen nach dem Wahlgange mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen Bundeskanzler wählen. (Art. 63 Abs. 3 GG) – Das ist der klassische Fall des „Leerlaufparagraphen“. Erstens wird der Bundestag den Teufel tun, innerhalb von zwei Wochen einen Bewerber zu finden, der nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung den Anforderungen das Art. 33 Abs. 2 GG entspricht, zweitens ist kaum eine Zusammensetzung des Deutschen Bundestages denkbar, die so kurzfristig einem grundgesetzkonformen Kanzlerkandidaten mit der erforderlichen Mehrheit ihr Verrauen ausspricht.

Art. 63 Abs. 4 GG: Kommt eine Wahl innerhalb dieser Frist nicht zustande, so findet unverzüglich ein neuer Wahlgang statt, in dem gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält. Vereinigt der Gewählte die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich, so muß der Bundespräsident ihn binnen sieben Tagen nach der Wahl ernennen. Erreicht der Gewählte diese Mehrheit nicht, so hat der Bundespräsident binnen sieben Tagen entweder ihn zu ernennen oder den Bundestag aufzulösen. – Sollte ein Bundespräsident Herrn Müller-Lüdenscheid oder Erwin Lindemann zum „Kanzlerkandidaten“ küren und die Abgeordneten der „großen Koalition“ unter Protest den Saal verlassen, könnte der Rest-Bundestag mit Mehrheit einen Kanzler, der die „Kanzlermehrheit“ nicht erreicht, ins Amt befördern, sofern der amtierende Bundespräsident von seinem Recht Gebrauch macht, diesen zum Kanzler zu ernennen. – Damit wäre auch in diesem Fall die Auflösung des Bundestages vom Tisch. – Wie durch Zufall zeigt sich hier die Funktion eines Bundespräsidenten, die mit dem immer wieder behaupteten rein „repräsentativen Amt“ eines Bundespräsidenten nichts, aber auch gar nichts gemein hat.

Neuwahlen, so wird man sagen können, wären nur unter Zuhilfenahme weiterer grundgesetzwidriger juristischer Bocksprünge möglich, denn niemand,vor allem nicht die „geschäftsführende Bundesregierung“ kann einen Bundespräsidenten im Zusammenwirken mit dem Bundestag daran hindern, einen grundgesetzkonformen Bundeskanzler zu wählen.

Es versteht sich eigentlich von selbst, daß die „geschäftsführende Bundesregierung“ in ihrem Statement die Ablösung des „geschäftsführenden Bundeskanzlers“ durch ein konstruktives Mißtrauensvotum nach Art. 67 Abs. 1 GG kategorisch ausschließt. – Ein konstruktives Mißtrauensvotum gegen einen nicht mehr amtierenden Bundeskanzler muß in die Leere gehen:

Der Bundestag kann dem Bundeskanzler das Mißtrauen nur dadurch aussprechen, daß er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt und den Bundespräsidenten ersucht, den Bundeskanzler zu entlassen. (Art. 67 Abs. 1 Satz 1 GG. ) – Allein der Wortlaut dieser Vorschrift setzt für ein erfolgreiches Mißtrauensvotum einen amtierenden Bundeskanzler voraus, denn der Nachfolger eines Bundeskanzlers kann nur dann gewählt werden, wenn der Bundeskanzler im Amt befindlich ist.

Erneut muß ich an dieser Stelle auf die zweite, ebenfalls unabdingbare Bedingung für ein erfolgreiches Mißtrauensvotum hinweisen: Der Bundestag muß nach der Wahl den Bundespräsidenten ersuchen, den bisherigen Bundeskanzler zu entlassen. – Unterbleibt das Ersuchen, bleibt „der Alte“ im Amt. – Ob es dem „Wähler“ oder der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages passt oder nicht. – Erst wenn das „Ersuchen“ des Bundestages beim Bundespräsidenten eingeht, muß dieser handeln: Der Bundespräsident muß dem Ersuchen entsprechen und den Gewählten ernennen. (Art. 67 Abs. 1 Satz 2 GG)

Ziehen wir in Gedanken die „Koalitionsverhandlungen“, die sich an einen negativen Ausgang der bolschewistischen Mitgliederbefragung anschließen kann, bis zum nächsten „planmäßigen“ Wahltermin in die Länge, so haben wir für die kommenden vier Jahre eine „geschäftsführende Regierung“, die sich die Befugnisse einer „demokratisch legitimierten“ Regierung anmaßt und am Ende nicht abgesetzt werden kann. – Und weil die „geschäftsführende Bundesregierung“ auch noch selbst darüber befindet, welche „Amtsbefugnisse“ ihr zukommen soll, riecht das förmlich nach der Anmaßung dessen, was die alten Römer „dictatura legibus scribunis et rei publicae constituendae“ nannten.

Wenn die Fraktionsvorsitzende der „Grünen“, Katrin Göring-Eckardt, meint, die „Bundesregierung“ wolle den Bundestag „kaltstellen“,

http://mediathek.daserste.de/sendungen_a-z/435054_morgenmagazin/18220620_-parlament-soll-kaltgestellt-werden-

so ist ihr darin in vollem Umfang scheinbar beizupflichten.

Freilich leisten in diesem Zusammenhang alle Fraktionen des 18. Deutschen Bundestages – auch die der „Grünen“ – Beihilfe zum „Kaltstellen“, denn der 18. Deutsche Bundestag hätte seit der Bundestagswahl vom 22. 9. 2013 gemeinsam mit dem Generalbundesgauckler genügend Zeit gehabt, bis zu seiner konstituierenden Sitzung eine nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung für das Amt des Bundeskanzlers passende Persönlichkeit zu finden. – Diese an „Eigenmacht“ grenzende Befugnis des Bundestages eröffnet, wie oben dargelegt, Art. 63 Abs. 4 Satz 3 des Grundgesetzes:

Kommt eine Wahl innerhalb dieser Frist nicht zustande, so findet unverzüglich ein neuer Wahlgang statt, in dem gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält. Vereinigt der Gewählte die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich, so muß der Bundespräsident ihn binnen sieben Tagen nach der Wahl ernennen. Erreicht der Gewählte diese Mehrheit nicht, so hat der Bundespräsident binnen sieben Tagen entweder ihn zu ernennen oder den Bundestag aufzulösen.

Der Bundestag braucht sich weder von einem „verflossenen“ Bundeskanzler noch von einem pflichtvergessen Bundespräsidenten auf der Nase herumtanzen lassen. Er war und ist, was die „Regierungsbildung“ anbelangt, in vollem Umfang handlungsfähig.

Kein Mensch auf dieser Welt kann einen Bundespräsidenten daran hindern, nach einer Bundestagswahl dem Deutschen Bundestag einen ihm als Kanzlerkandidaten geeignet erscheinenden Bewerber zur Wahl vorzuschlagen.

Gehen wir davon aus, daß er sich im Widerspruch zu Art. 33 Abs 2 GG dazu verführen läßt, den „Spitzenkandidaten“ der Partei, die das beste Wahlergebnis erzielt hatte, zum Kanzlerkandidaten zu küren. – Damit setzt er den Mechanismus in Gang, der sieben Tage nach dem letzen Wahlgang einen neuen Bundeskanzler hervorbringt oder aber zur Auflösung des frischgebackenen Bundestages führt und Neuwahlen erzwingt.

Im konkreten Fall wäre der Generalbundesgauckler gut beraten gewesen, dem 18. Deutschen Bundestag anläßlich der konstituierenden Sitzung vom 21. 10. 2013 Frau Merkel und hilfsweise Herrn Gysi vorzuschlagen. – Eine einfache Mehrheit, also die Mehrheit der bei der Wahl anwesenden Mitglieder des Bundestages hätten dann notfalls ausgereicht, Herrn Gysi den Weg ins Kanzleramt zu ebnen.

Die in allgemeiner, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählten Abgeordneten des 18. Deutschen Bundestages warten ab, bis externe Gremien der politischen Parteien in Überschreitung ihrer vom Grundgesetz eingeräumten Befugnisse sich darauf einigen, wer am nächst erreichbaren St. Nimmerleinstag im Parlament die „Kanzlermehrheit“ hinter sich scharen soll. – Der 18. Deutsche Bundestag erklärt sich trotz uneingeschränkter Handlungsfähigkeit für handlungsunfähig.

Wenn auch der 18. Deutsche Bundestag von seiner Handlungsfähigkeit keinen Gebrauch macht, unterwirft er sich wie seine Vorgänger der vom Grundgesetz nicht gedeckten Dominanz der Exekutive. Das ist schon im Regelfall nicht hinnehmbar, aber erst recht nicht in der gegebenen Situation, in der sich ein frei gewählter, handlungsfähiger Bundestag vor einer gar nicht mehr im Amt befindlichen „Bundesregierung“ den Kotau macht. Darüber hinaus akzeptieren die „frei gewählten“ Abgeordneten des Deutschen Bundestages daneben – oder vor allem – die unumschränkte Macht der „politischen Parteien“:

Man muß es sich in diesem Zusammenhang auf der Zunge zergehen lassen: Die Unterwürfigkeit der deutschen Bundestagsabgetrockneten geht sogar so weit, daß diese Willens sind, sich gar von den Mitgliedern der SPD auf der Nase herumtanzen zu lassen. Denn die SPD hat den angestrebten Koalitionsvertrag, der für „frei gewählte“ Bundestagsabgeordnete keinerlei Bindungswirkung entfalten kann, unter den Vorbehalt eines „Mitgliedervotums“ gestellt. Sollte das Mitgliedervotum negativ ausfallen, wäre alle Mühe umsonst gewesen.- Bei rund 475.000 SPD-Mitgliedern liegt die Zahl der letztendlich über die Besetzung des Kanzleramts Bestimmenden im Promillebereich der Gesamtbevölkerung. – Das erscheint doch eher wie eine groteske Form des „Stimmzettelfaschismus“ als wie eine auch immer geartete Form der „Graswurzeldemokratie“: Eine absolute Minderheit der Bevölkerung bestimmt, wer bei der überfälligen Kanzlerwahl die „absolute Mehrheit“ erhält. – Oder auch nicht, denn scheitert das „Mitgliedervotum der SPD, geht der bundesrepublikanische Totentanz mit neuen potentiellen Koalitionspartnern erneut los. – Freilich unter der Ägide derselben „geschäftsführenden“ Regierung: Die macht weiter, als hätte die Bundestagswahl vom 22. 09. 203 nie stattgefunden.

Man kann es drehen und wenden, wie man will. Man kann das Grundgesetz von vorn nach hinten oder von hinten nach vorn lesen. – Auch die gegenwärtige „Regierungsbildung“ läßt sich mit den klaren Regeln des Grundgesetzes nicht in Einklang bringen. Und dabei enthält das Grundgesetz keine unverbindlichen Handlungsanweisungen, es ist keine „Gebrauchsanweisung für die Bundesrepublik Deutschland“, vielmehr ist das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ius strictum: – Verbindliches Recht für all seine Normadressaten. Und diese Normadressaten sind dem Bürger, der auch gern als „Medienkonsument“ bezeichnet wird, unter dem Begriff „Politiker“ geläufig.

Die Weigerung der Normadressaten, die das Grundgesetz im Auge hat, spielt sich vor aller Weltöffentlichkeit ab. – Welcher Amerikaner, welcher Russe oder Aserbaidschni kennt sich in den höchsten Höhen des bundesdeutschen Rechts aus? – Er ist auf die Informationen angewiesen, die ihm die elektronischen oder Printmedien zur Verfügung stellt. – Danach erscheint Frau Merkel immer noch als „echte“ Bundeskanzlerin und Guido Westerwelle als der „Außenminister“, der in Deutschland „was zu sagen“ hat.

Schuld daran ist die „freie Presse“, die schon vor mehr als 23 Jahren ihrer Stellung innerhalb einer Demokratie nicht nachkam und wegen ihrer fortgesetzten Verletzung der Informationspflicht einer funktionierenden Demokratie im Wege steht. – Die kursiv gesetzten Teilen sind meinem Manuskript „Der Bundesadel“ entnommen, (S. 8. ff)

Die Medien sind, das glauben wir fast alle, dazu da, uns zu unterhalten. Auch die Aufmachung der Nachrichtensendungen lassen darauf schließen, daß die Entwicklung immer mehr in Richtung Infotainment geht. Sind Leser und Zuschauer wirklich nur Voyeure, die man ergötzen muß? – Brot und Spiele für das Volk, wie weiland in Rom? -Ein unseliges Bündnis zwischen Medien und Politik.

Aber wird sich diese Entwicklung langfristig fortsetzen können oder ist sie nur eine kurzfristige Spielerei, die mit den bis vor kurzem unbekannten Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation zusammenhängt?

Die zweite Alternative wird wohl zutreffen. Das folgt aus der Stellung der Medien, die diese in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft langfristig einnehmen müssen, wollen sie zu deren Stabilisierung beitragen.

– Da sich in unserer Republik gegenwärtig die Skandale und Affären geradezu überschlagen, muß ich mich aus Gründen der Aktualität ein wenig kürzer fassen, als es mir lieb ist.-

Die Pressefreiheit nach Art. 5 GG ist eigentlich im falschen Titel des Grundgesetzes niedergelegt. Die Freiheit der Medien ist der richterlichen Unabhängigkeit ebenbürtig. Beide Institutionen dienen der sozialen Kontrolle. Die Medien spielen dabei eine ganz besondere Rolle: sie sind die Augen und Ohren des „Souveräns“; mit diesen „Sinnesorganen“ beobachtet und belauscht der Souverän die, denen er Führungsaufgaben anvertraut hat, und auch die, die in seinem Namen die formale soziale Kontrolle ausüben, nämlich die Justiz. Und das ist sein gutes Recht. Die Presse hat in Ausübung dieser Funktion „Bericht“ zu erstatten. Die Pressefreiheit ist demnach ureigenste Angelegenheit des Volkes, das – und es kann nicht oft genug wiederholt werden – der Souverän ist.

– Ich habe soeben die Pressefreiheit auf eine Stufe mit der richterlichen Unabhängigkeit gestellt. Ich bin mir dessen bewußt, daß dieser Satz mißverstanden werden kann. Um jeglicher Fehlinterpretation vorzubeugen, muß ich unterstreichen, daß es Aufgabe der Medien ist zu berichten, nicht aber zu richten. Das wiederum ist das alleinige Recht des Souveräns, nämlich des Volkes.-

Meine durchaus kühne und schon fast staatsgefährdende Behauptung über die Stellung der Presse in einer Großsozietät provoziert natürlich zunächst ein gewisses Kopfschütteln. Die philosophischen Grundlagen unseres Grundgesetzes und aller anderen Verfassungen westlicher Demokratien gehen auf John Locke ( Volkssouveränität) und Montesquieu (Gewaltenteilung) zurück. Presse- und Informationsfreiheit werden weder von dem einen noch von dem anderen gewürdigt, also können sie die behauptete Stellung in Verfassungssystem einer Demokratie doch wohl nicht haben.

Der Gedanke ist naheliegend, aber falsch. Medien und Pressefreiheit waren für diese beiden Philosophen noch Dinge, unter denen sie sich ebensowenig vorstellen konnten wie unter den Begriffen Telefon oder Fernsehen. Es gab sie in ihrer Vorstellungswelt einfach nicht. Zeitungen gibt es seit etwa Mitte des 17. Jahrhunderts; dennoch wurde der Presse an sich damals gerade die Nabelschnur durchtrennt. Mit anderen Worten: die Presse als Inbegriff eines Informationssystems entwickelte sich erst zu einem Zeitpunkt, als Locke und Montesquieu längst das Zeitliche gesegnet hatten. Für Presse- und Informationsfreiheit gab es in ihrer Systematik daher natürlich keinen Platz.

Die Gefahr, die sich für die Mächtigen allein aus der Existenz der Presse ergab, wurde von diesen indes rasch erkannt und mit der Einführung der Zensur vorerst gebannt.

Nicht allein das. Noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann die Obrigkeit damit, eigene Presseerzeugnisse zu schaffen. – Merkwürdigerweise wiederholte sich dieser Vorgang mehr als 250 Jahre später auf Rügen:

Der „Stadtanzeiger Bergen“ war bei den gewählten Vertretern der Stadt in Ungnade gefallen, weil er sich kritisch über deren Tätigkeit geäußert hatte. Im Dezember 1993 schlug die Geburtsstunde des „Stadtboten Bergen“, dessen Herausgeber der jeweilige Bürgermeister der Stadt Bergen ist und der aus Steuermitteln finanziert wird…

Seit 1990 liegt zwar auch Rügen im Geltungsbereich des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, das in Art. 5 die Pressefreiheit garantiert. Das Vorgehen der Stadt Bergen gegen ein Presseorgan störte aber niemanden, nicht einmal die Presse selbst. Der „Stadtanzeiger Bergen“ war ja schließlich nur ein „Käseblättchen“.

Solange Auflagenhöhe und Einschaltquoten stimmen, ist es ja auch Wurst, was im Lande vor sich geht. – Da läßt es sich gut leben mit einer A 13- Einstellung.

Das bunte Treiben und das große Geldausgeben in den neuen Bundesländern fand zwar unter den Augen der Medien statt, bei diesen aber keine weitere Beachtung.

Da wurde 1992 mal berichtet, der Leiter des Rechnungsprüfungsamts der Stadt Potsdam wäre in die Wüste geschickt worden, weil er einen „allzu wissenschaftlichen Arbeitsstil“ an den Tag gelegt und sich über „geparkte“ Gelder aufgeregt hätte. – Der, der von Berufs wegen dazu angehalten ist, die Ausgabe von Steuergeldern auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen, wird gefeuert, weil er seine Pflicht erfüllt. Auch für den Dümmsten ergibt sich daraus der Verdacht, daß es da etwas zu verbergen und zu vertuschen gilt. Für deutsche Medien aber offensichtlich nicht. Die Sachverhalte, die sich dahinter verbergen, sind zu kompliziert, als daß sich daraus eine griffige Headline machen ließe. Also ignoriert man die Tatsachen und beruhigt sich damit, daß die handelnden Personen demokratisch legitimiert seien.

Dabei ist aus den genannten Gründen jede Form von „Hofberichterstattung“ einer freien Presse zumindest unwürdig. Die Medien hätten auch die Pflicht, sich gegen Einflußnahme durch die Politik zur Wehr zur setzen, und zwar heftig. Erst recht darf die Presse nicht schweigen, wenn sich Fehlentwicklungen und Mißstände so sehr häufen, daß jedes einzelne Ereignis eigentlich schon keine Nachricht mehr wert zu sein scheint.

Ich folgere daraus, daß die Medien zumindest seit 1989 ihrer Berichtspflicht nur ungenügend nachgekommen sind und daß für einen Großteil des Schadens nicht allein die vielgescholtene Fa. Kohl, Waigel & Co verantwortlich ist; sondern die bei Presse, Funk und Fernsehen beschäftigten Schlafmützen, die dem Fluß der Steuergelder nicht von der Quelle bis zur Mündung gefolgt sind. Soweit zum Thema Pressefreiheit.

(Fast sieben Jahre, nachdem ich diese Zeilen niedergeschrieben hatte, fiel mir Ernst Moritz Arndts „Verfassung und Preßfreiheit“ in die Finger. – Wie dieser „größte Sohn Rügens“ über die Pressefreiheit dachte, kann man – auszugsweise – hier nachlesen; er forderte bereits vor 200 Jahren unbeschränkteste Preßfreheit.)

Die Staatsphilosophien von Locke und Montesquieu hatte ich bereits erwähnt. Beide Autoren waren Europäer und Zeitgenossen absolutistischer Herrscher. Ihre Gedanken laufen den damaligen Machtverhältnissen genau entgegen. Ihre Ideen vertragen sich nicht mit dem gesellschaftlichen Umfeld, das sie geprägt haben müßte. Ist es daher Zufall, daß der Absolutismus als illegitime Kinder die Ideen gebar, die den gegenwärtigen Vorstellungen von Demokratie zugrunde liegen? – Ich behaupte, das war kein Zufall:

Unsere jagenden und sammelnden Vorfahren lebten in Horden von etwa 25 bis 50 Individuen. Auf diese Gemeinschaftsgröße sind alle sozialen Bedürfnisse abgestimmt. Wir haben zwar alle gelernt, die Familie sei die Keimzelle des Staates. Tatsächlich aber stand am Anfang eines jeden Staatsgebildes die Horde.

Aus diesem Grunde erscheint der Schluß gerechtfertigt, daß all das, was wir im Alltagsleben Menschenrechte nennen, gemeinschaftsbezogenen emotionalen Grundbedürfnissen des Menschen entspringt. Wenn das so ist, dann nimmt es nicht wunder, daß Absolutismus und die Ideen Lockes und Montesquieus annähernd gleichzeitig auftraten. Damit erweist sich auch die Vorstellung, daß der Staat dem Volk gehört, als Ausprägung der genannten Grundbedürfnisse. Mit der Gewaltenteilung verhält es sich ebenso. Damit sind Justiz und Presse als Gewalt der sozialen Kontrolle ursprüngliche Rechte des Volkes, die keine weiteren Begründung oder Rechtfertigung brauchen. Das Grundgesetz ist von seinem Wortlaut her eigentlich verkehrt herum aufgebaut. Aber das ist gegenwärtig nicht so wichtig:

Jedenfalls erkennt unser Grundgesetz die Prinzipien der Volkssouveränität und der Gewaltenteilung an. Daß die Stellung der Presse- und Informationsfreiheit falsch eingeordnet ist, sagte ich bereits. Die Versuche von Politikern, ihren Einfluß auch gegenüber den Medien geltend zu machen oder sich durch eine verschärfte Pressegesetzgebung unbequemer Berichterstattung zu entziehen, gibt Anlaß, einfach mal näher zu beleuchten, was im Lande wirklich los ist:

Meine Beobachtungen begannen zum Jahreswechsel 1999/2000, just zu der Zeit, als Deutschland von der sogenannten Parteispendenaffäre erschüttert worden war. – Sie erden sehen, daß sich bezüglich der Einstellung unserer Politiker zum „verkörperten Willen des Inhabers der verfassungsgebenden Gewalt“, nämlich dem Grundgesetz, seit jenen Tagen nichts, aber auch gar nichts geändert hat:

Unterzieht man die politische Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland einer näheren Prüfung, offenbaren sich rasch drei Verwerfungen, die zeigen, daß das gegenwärtige politische System, das auch als Verfassungswirklichkeit bezeichnet wird, von den Vorstellungen des Verfassungsgebers erheblich abweicht:

Nach Art. 21 des Grundgesetzes sollen die Parteien an der Willensbildung des Volkes mitwirken. Die Art und Weise, in der die politischen Parteien diesen Verfassungsauftrag erfüllen, läßt die erste Verwerfung sichtbar werden:

Tatsächlich versuchen die Parteien, die über eine parlamentarische Mehrheit verfügen, dem Volk, also dem Souverän, ihre Vorstellungen rücksichtslos aufzuzwingen. Der Streit um den sogenannten „Ausstieg aus der Kernenergie“ macht dies überdeutlich. Ein Bruchteil der Bevölkerung hat qua Stimmzettel bei den Wahlen die Position der „Grünen“ befürwortet. Die Äußerungen des Bundesumweltministers in dieser Debatte lassen indes darauf schließen, dieser sei dazu ausersehen, der Stromerzeugung durch Kernenergie den Garaus zu machen. Trittin ist nicht der einzige, der sein Amt mit dem des lieben Gottes verwechselt, aber er ist ein gutes, weil markantes Beispiel.

Ihre Befugnis zu einem derartigen Vorgehen leiten Parlamentarier und Regierungen aus dem sogenannten Wählerauftrag ab. Die Mehrheit der abgegebenen Stimmen soll es rechtfertigen, die parteipolitischen Vorstellungen per Gesetz allgemeinverbindlich durchzusetzen. Diese Auffassung, die letztlich in allen Parteien herrschend ist, ist grundfalsch. Denn auch eine bei Wahlen erzielte absolute Mehrheit repräsentiert tatsächlich nur eine Minderheit der Gesamtbevölkerung. Erstens ist die gesamte Jugend von der Mitentscheidung über die eigene Zukunft ausgeschlossen. Und zweitens beträgt die Wahlbeteiligung nie 100%. Auch eine absolute Parlamentsmehrheit ist zwangsläufig ein Minderheitsvotum. Der „Wählerauftrag“ ist eine Fiktion. Tatsache ist, daß Parlamentarier und Regierung für die Mehrheit des Volkes gewissermaßen als „Geschäftsführer ohne Auftrag“ agieren müssen. Das aber tun sie zweifellos nicht.

Wie sehr unsere Politiker den „Wählerauftrag“ mißverstehen, zeigt sich auch an ihrem Verständnis für die Aufgaben des Bundesrates. – Knackpunkt Numero Zwei. – Nach Art. 50 GG wirken über den Bundesrat die Länder an der Gesetzgebung des Bundes mit. Der Bundesrat ist damit zwar ein Bundesorgan, aber in erster Linie das Gremium, in dem die Interessen der Bundesländer gegenüber dem Bund vertreten und gewahrt werden sollen. Vereinfacht gesagt, stellen die Mitglieder des Bundesrates die Anwälte der Länder gegenüber dem Bund dar.

Bereits seit geraumer Zeit stehen aber bei den Beratungen im Bundesrat parteipolitische Interessen und Auseinandersetzungen im Vordergrund. Das geht so weit, daß die Medien (sic!) davon reden, die gegenwärtige Bundesregierung verfüge nicht nur über eine Mehrheit im Bundestag, sondern auch im Bundesrat. Der offene Verfassungsbruch, nämlich das Umfunktionieren der Länderkammer in ein Instrument der Parteipolitik, bleibt nicht nur unbeanstandet, sondern wird von Presse, Funk und Fernsehen als Normalität vermarktet.

Die Stellung der „freien Presse“ hat sich freilich im Verlauf der vergangenen 14 Jahre verändert. – Sie hat sich mit zunehmender Geschwindigkeit dem Propagandaapparat des Joseph Goebbels angenähert. – Anders ist es nicht zu erklären, daß aus dem Amt geschiedene Bundesdiener (minister), einschließlich der Bundesschreibkraft (cancellarius), nach wie vor mit ihrer früheren Amtsbezeichnung etikettiert und so behandelt werden, als wären sie immer noch Amtsinhaber.

Wenn man es mit dem Grundgesetz nicht so genau nimmt, bleiben manche Dinge leicht übersehen. Sowohl Politik als auch die „freie Presse“ haben nicht mitbekommen, daß nach Art. 123 Abs. 1 GG Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Bundestages fortgilt, soweit es dem Grundgesetze nicht widerspricht. – In diesem Zusammenhang ist der Zusammentritt des ersten Deutschen Bundestags gemeint, wie sich aus der Stellung der Vorschrift in den „Übergangs- und Schlußvorschriften des Grundgesetzes ergibt.

Zu den vom genannten Grundgesetzartikel gemeinten Vorschriften gehören die Paragraphen 132 und 132a des Strafgesetzbuches:

§ 132 Amtsanmaßung

Wer unbefugt sich mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes befaßt oder eine Handlung vornimmt, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

§ 132a Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen

(1) Wer unbefugt

  1. inländische oder ausländische Amts- oder Dienstbezeichnungen, akademische Grade, Titel oder öffentliche Würden führt, (…) wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (…)

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß § 132 StGB die „staatliche Organisation und die Staatsgewalt vor unbefugter Ausübung eines öffentlichen Amtes“ schützt, (Dreher-Tröndle, Strafgesetzbuch, 45. A. München 1991, § 132 Rn 1) und § 132a den Schutz der Allgemeinheit vor dem „Auftreten von Personen, die sich durch den unbefugten Gebrauch falscher Bezeichnungen den Schein besonderer Funktionen, Fähigkeiten und Vertrauenswürdigkeit geben.“ (Dreher-Tröndle, aaO, § 132a , Rn 3)

Und gegenwärtig erleben wir es auf allen Kanälen live, zur besten Sendezeit und ohne Werbeunterbrechung, wie die künftigen Großkoalitionäre die zukünftigen Ministerposten untereinander aufteilen wie die römischen Soldaten den Mantel Jesu.

Davon darf kein Staatsanwalt jemals Wind bekommen. Er könnte den Anfangsverdacht schöpfen, daß zumindest die „Führer“ der an den Koalitionsverhandlungen beteiligten Parteien mit der „Ministerkür“ Handlungen vorgenommen haben, vornehmen und, was die noch zu benennden SPD-“Minister“ anbelangt, vornehmen werden, eine strafbare Amtsanmaßung darstellt:

Nach dem in Artikel 64 Abs. 1 GG verkörperten Willen des Inhabers der verfassungsgebenden Gewalt werden die Bundesminister auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen.

Dem Bundeskanzler allein kommt, was die Zusammensetzung der Bundesregierung angeht, die alleinige Personalhoheit zu. – Selbstverständlich hat er dabei Art. 33 Abs. 2 GG anzuwenden; aus der Natur der Sache und dem Rechtsstaatgebot folgt, daß dem Bundespräsidenten vor der begehrten Ernennung eine Prüfungspflicht trifft, ob der Bundeskanzler seine Personalauswahl auch grundgesetzkonform vorgenommen hat.

All das, wir werden es in Kürze sehen, wird nicht geschehen. Vielmehr wird sich die „geschäftsführende Bundeskanzlerin“ als ihre virtuelle Zwillingsschwester die „Amtsgeschäfte“, deren Inhalt sie selbst bestimmt hat, an sich selbst „übergeben“.

Damit ist nicht nur das einstweilige Ende dieses Beitrags, sondern auch

das endgültige Ende einer Republik, die nie entstanden ist,

erreicht.