Die Welt ist ein Dorf. – Ob es einem paßt oder nicht!

Januar 2, 2013

1850_Liberator_HammattBillings_design.png (PNG-Grafik, 640 × 264 Pixel).

Liberator

„Our Country is the World,

our Countrymen are all Mankind“

„Unser Land ist die Welt, – die gesamte Menschheit unsere Landsleute „ – Dieser an Neil Armstrongs berühmten Satz vom „kleinen Schritt für einen Menschen“ erinnernde Untertitel für den „LIBERATOR“ war seiner Zeit um rund 170 Jahre voraus. Denn erst ganz am Ende des 20. Jahrhunderts wurde vom Max-Plack-Institut für evolutionäre Anthropologie unzweifelhaft fgestgestellt, wie eng alle Menschen miteinander verbandelt sind. – Die nachfolgende Presserklärung der Max-Planck-Gesellschaft fand ich durch „Zufall“(??), als ich nach unseren engsten Verwandten, den Bonobos, googlete.  – Zwischenzeitlich wurde sie wohl von der MPG vom Server genommen, denn ich habe sie in jüngster Zeit nicht wiederfinden können.  Sie können es gerne selbst versuchen.

Bevor ich Sie auf die Presseerklärung der MPG loslasse, erlauben Sie mir noch folgende Stellungnahme:

1999 – Es war das Jahr, in dem es mir so erging wie Carl-Friedrich Gauß, dem das Zitat zugeschrieben wird:

„Das Ergebnis hatte ich schon, ich mußte nur noch den Weg dorthin finden“

Ebenso war es mir im Sommer 1999 ergangen:

„Es war einer jener lichtdurchfluteten Sommersonntage des Jahres 1999. Wie üblich unternahm ich mit meinen Hunden Bobby und Madonna einen ausgedehnten Spaziergang durch die Felder. Während Madonna einem ihrer Hobbys nachging, nämlich dem untauglichen Versuch, Wühlmäuse oder Maulwürfe auszugraben, forderte Bobby mich unmißverständlich auf, Stöckchen oder Steine zu werfen, denen er dann nachjagte. Auf diese Weise hatte ich den Hund zu einer Reihe von Sprints veranlaßt, bis er plötzlich mitten im Lauf innehielt, die Richtung wechselte und das nächste schattige Plätzchen aufsuchte. Dort legte er sich hin und hechelte, was das Zeug hielt. Ab und zu rutschte er einen Meter vor, weil ihm der Boden unter dem Bauch buchstäblich zu heiß geworden war. Mehr als eine halbe Stunde versuchte der Hund verzweifelt, seine überschüssige Wärme an die warme Luft abzugeben. Mir war auch warm geworden, aber ich hatte es einfacher: ich zog mein Hemd aus und schwitzte vor mich hin. – Wasser, das ich dem Hund hätte geben können, war nicht in der Nähe; ich muß wohl irgendwie versucht haben, ihn durch eine dumme Bemerkung aufzuheitern, jedenfalls entfuhr mir der Satz: „Siehst Du, Dicker, das ist der Nachteil, wenn man ein Fell hat.“ Ich blickte in die mitleiderregenden Augen meines Hundes, der augenscheinlich hilf- und wehrlos auf dem Boden lag, sah aber einen Trupp kleiner Männchen. Es waren aber keine kleinen grünen Männchen, sondern dunkelhäutige, die ein unbekanntes Tier, das erheblich größer war als sie selbst, durch dessen eigene Körperwärme zu Boden gezwungen hatten. Damit war für mich eine Frage beantwortet, die nicht erst seit Charles Darwin Biologen in aller Welt beschäftigt, nämlich warum wir Menschen kein Fell haben.

 Für mich jedenfalls stand seitdem fest, daß der Prozeß dessen, was wir als „Menschwerdung“ bezeichnen, untrennbar mit der merkwürdigen Gestaltung unserer Körperoberfläche verbunden sein mußte. Ein nach besten Kräften hechelnder Hund ist freilich kein Beweis für eine solche Behauptung. Weitere Beweismittel hielt die Gegenwart auf den ersten Blick nicht zur Verfügung.“  (G. Altenhoff, Australoptihecus Superbus – der Mensch im Licht nichtlinear-dynamischer Evolution)

Ich hatte das Ergebnis plastisch vor Augen. – Und es war ein erstaunlicher Weg, dorthin zu finden. – Aber mit einem einzigen Steinwurf war die Krone der Schöpfung erledigt:

„Ferner werden Sie Zeuge werden eines in der Naturgeschichte beispiellosen Vorgangs, nämlich der Entwicklung dessen, was wir Sprache nennen und Sie werden erleben, daß die Ursache der Sprachentwicklung eigentlich ziemlich banal ist und daß unser Gehirn nur deshalb so exorbitant groß ist, weil die Umsetzung von Bildern in akustische Signale beim „Sender“ und die Rückumwandlung in Bilder beim Empfänger einen riesigen „Arbeitsspeicher“erfordert .

 Und sie werden verblüfft feststellen daß weder seßhafte Lebensweise noch Staatenbildung Errungenschaften des menschlichen Geistes sind. Sie haben sich nur nicht vermeiden lassen. Die Turbulenzen, von den die Menschheit immer wieder heimgesucht wird, zeigen, daß die Bildung von Großgesesellschaften als evolutionärer Prozeß noch lange nicht abgeschlossen ist. Viel menschliches Leid hat seinen Grund darin, daß wir uns für mehr gehalten haben als wir tatsächlich sind. – Eben „nur“ Australopithecinen.

D as Leben als Australopithecus hat freilich auch Vorteile, denn – um vorab nur ein Beispiel zu nennen – eine der wesentlichen Errungenschaften der Aufklärung, nämlich die Menschenrechte, erscheinen plötzlich als Grundbedürfnisse des Menschen, die im Verlaufe der Kulturgeschichte unter die Räder kamen. Sie gehören damit zur Natur des Menschen und nicht zu seinem kulturellen Überbau. Man kann sie negieren und auch zeitweise gewaltsam unterdrücken. Sie sind dennoch allgegenwärtig wie der Sex – und den hat schließlich auch keiner abschaffen können.

 Was Staaten anbelangt, so werden langfristig nur die überleben können, die ein demokratisch verfaßtes Gemeinwesen repräsentieren, sehr wahrscheinlich wird die Verfassung dieser Gemeinwesen nur das sogenannte Mehrheitswahlrecht kennen und Parteien nur eine untergeordnete Rolle spielen. Deren Einfluß wird auf das für notwendige Polarisierung erforderliche Maß reduziert sein. Mit Australopithecinen ist eben auf lange Sicht kein anderer Staat zu machen. Es wird freilich noch lange dauern, bis die Menschheit das Machtstreben und die Herrschsucht ihrer Häuptlinge auf ein gesundes Maß zurechtgestutzt und unter Kontrolle gebracht hat.

 In der Welt des Australopithecus ist kein Raum für Rassismus; dieser schrumpft auf die Dimension einer Familienfehde. Denn aus der Sicht des Australopithecus ist auch der „weiße Mann“, diese merkwürdige „Herrenrasse“, nichts anderes als ein verkrüppelter Neger; der „Weiße“ ist unvollständig, weil ihm Hautpigmente fehlen. Die Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palestinensern, zwischen Hutus und Tutsis  erscheinen als ins Groteske übertriebener Bruderzwist. – Und damit steht dieser Konfliktherd nicht allein da. – Allerdings, erst wenn diese Erkenntnis Eingang in die Köpfe unserer Mitmenschen gefunden hat, können Schwerter zu Pflugscharen werden.

 Damit aber ist in absehbarer Zeit nicht zu rechnen, deshalb wird die Menschheit bis dahin noch einen unermeßlichen Blutzoll zu zahlen haben; für den sind weniger die Völker, umso mehr aber deren Repräsentanten verantwortlich. Dennoch wird die Natur sich nicht aufhalten lassen; nicht einmal die nuklearen Knallfrösche sind in der Lage, alle Menschen zu vernichten.

 Auch jene, die da glauben, durch Genmanipulation den perfekten oder zumindest besseren Menschen schaffen zu können, werden eine herbe Enttäuschung hinnehmen müssen. Das, was den Menschen wirklich ausmacht, ist mehr als die Fähigkeit, zwei und zwei zusammenzählen zu können. Es ist ein bunter Strauß von Verhaltensmustern und Fertigkeiten, die sich nicht aufspalten und trennen lassen, ohne sie bzw. das Ganze zu zerstören. Frankensteins Traum wird auf ewig einer bleiben und der perfekte Mensch das Reich der Phantasie nicht verlassen. Dort bleiben aus guten Gründen auch unsere geklonten Politiker und deren Wunschuntertanen. Sie sind da alle auch sehr gut aufgehoben, denn das Reich der Phantasie, das ist die eigentliche Domäne des Menschen, die er mit keinem anderen Lebewesen dieser Erde zu teilen braucht.

 Aber all die Phantasten, die solche Vorstellungen hegen, darf man dafür nicht tadeln, denn gerade die Entwicklung der oftmals als blühend gescholtenen Phantasie hat die Menschheit vor dem drohenden kollektiven Kältetod bewahrt. “ (G. Altenhoff, aaO, S. 13ff)

Wissen kann man erwerben, Erkenntnisse nur gewinnen.

Das ist meine Erfahrung seit 1999. Eines der Geheimnisse des Erkenntnisgewinns lautet schlicht und ergreifend „Vorzeichenumkehr„. Aus „Plus“ mach „Minus“ und umgekehrt.

Bezüglich der von „Brüdern und Schwestern in Christo“ über die Ideale der französischen Revolution bis zur „Moslembruderschaft“ immer wieder eingeforderten „Brüderlichkeit“  ist der Satz:

„Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag‘ ich dir den Schädel ein.“

– mit einem negativen Vorzeichen zu versehen:

„Ich will nicht mehr dein Bruder sein, drum schlag‘ ich dir den Schädel ein.“

Beweis:

PRI B 17/99 (63)

4. November 1999

Kam der moderne Mensch durch ein „Nadelöhr“?Die heutige Menschheit fing ganz klein an / Schimpansen sind genetisch wesentlich vielfältiger als Menschen zeigen neue DNA-AnalysenSeit kurzem zählt man sechs Milliarden Menschen auf der Erde – verteilt über alle Kontinente sowie auf unzählige, nach Hautfarbe, Sprache, Religion, Kultur und Geschichte unterscheidbare Gruppen. Doch diese bunte Vielfalt ist nur „Fassade“. Denn auf molekulargenetischer Ebene, das zeigen jüngste Analysen an Schimpansen (Science, 5. November 1999), durchgeführt am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, bietet die Menschheit ein überraschend einheitliches, geradezu „familiäres“ Bild: Verglichen mit ihren nächsten tierischen Verwandten, den Schimpansen, sind alle derzeit lebenden modernen Menschen immer noch „Brüder“ beziehungsweise „Schwestern“…Eine neue Studie aus dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig läßt folgern, daß Schimpansen-Unterarten im Vergleich zum Menschen eine höhere genetische Vielfalt haben – eine Feststellung, die früheren Forschungsergebnissen über die genetische Diversität von Schimpansen widerspricht. Diese Forschungsergebnisse haben Auswirkungen auf eine Reihe heftig debattierter Fragen, die vom Ursprung des modernen Menschen bis hin zum Schutz der Menschenaffen reichen. Die Untersuchungen untermauern auch die Theorie, daß kulturelle Unterschiede zwischen Schimpansenpopulationen wahrscheinlich nicht das Ergebnis einer genetischen Variation zwischen diesen Gruppen sind.Die Molekulargenetik macht es heute möglich, die Entwicklungsgeschichte von Lebewesen zu rekonstruieren. Grundlage dieser „molekularen Ahnenforschung“ ist die Tatsache, daß die Erbinformationen an Desoxyribonukleinsäure – kurz DNA – gebunden sind: an lange Kettenmoleküle, die ähnlich einer Schrift aus nur vier verschiedenen Bausteinen, den Nukleotiden oder „genetischen Buchstaben“, zusammengesetzt sind.Im Zug der Vererbung werden „Abschriften“ dieser molekularen Texte von einer Generation an die nächste weitergegeben. Doch dabei treten Mutationen auf, sozusagen „Kopierfehler“, und zwar mit einer für jede Spezies ziemlich konstanten Häufigkeit. Anhand vergleichender Sequenzanalysen – das heißt, aus der Zahl der molekularen Abweichungen innerhalb jeweils entsprechender DNA-Abschnitte – lassen sich deshalb die entwicklungsgeschichtlichen Abstände und Verwandtschaftsverhältnisse zwischen verschiedenen Lebewesen ermitteln.Nach diesem Prinzip bestimmten und verglichen Prof. Svante Pääbo, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, und seine Mitarbeiter die genetische Variationsbreite von Schimpansen und Menschen. Als „Vergleichstext“ zogen sie dafür jeweils einen Abschnitt auf dem X-Chromosom heran, eine als Xq13.3 bezeichnete Sequenz. Sie untersuchten damit erstmals die DNA im Zellkern – im Unterschied zu früheren Analysen, die sich auf die DNA in den Mitochondrien bezogen. Die Mitochondrien-DNA weist höhere Mutationsraten auf als die DNA des Zellkerns und zeigt demnach evolutionäre Ereignisse auf kürzeren Zeitskalen.Das mag mit ein Grund dafür sein, daß Pääbo und seine Mitarbeiter zu überraschenden, neuen Einsichten gelangten, die zum Teil älteren Befunden widersprechen. Die Forscher analysierten die Xq13.3-Sequenz von drei Unterarten der Schimpansen in Ost-, Zentral- und Westafrika sowie ihrer nahen Verwandten, den Bonobos. Ebenso wurde die Xq13.3-Sequenz von insgesamt 70 Menschen untersucht, die allen großen Sprachgruppen auf der Erde angehörten.Das bedeutsamste Ergebnis dieser Vergleiche: Die Xq13.3-Sequenz wies bei den Schimpansen eine fast viermal so hohe Variabilität und damit ein fast dreimal so hohes Alter auf wie der entsprechende DNA-Abschnitt beim Menschen. Oder anders ausgedrückt: Zwei beliebig ausgewählte Menschen, die unterschiedlichen Sprachgruppen irgendwo in der Welt angehören, sind miteinander enger verwandt als zwei Schimpansen, die geographisch nahe nebeneinander in Afrika leben.Diese erstaunlich geringe genetische Variabilität und ungemein enge Verwandtschaft aller Menschen läßt sich am einfachsten durch einen evolutionären „Flaschenhals“ erklären: durch eine Art „Nadelöhr“ auf dem Entwicklungsweg des heutigen modernen Menschen. Dieser Engpaß dürfte erst vor vergleichsweise kurzer Zeit, vor einigen hunderttausend Jahren, durchschritten worden sein – und damit lange nach der vor etwa fünf Millionen Jahren erfolgten Abspaltung der Hominiden von den Schimpansen.Noch vor dieser Schlüsselstelle zweigten alle älteren Nebenlinien der Hominiden, darunter auch der Neandertaler, vom Entwicklungsweg ab. Und nur eine vergleichsweise kleine Population, vielleicht Überbleibsel eines vorhergehenden Zusammenbruchs, passierte schließlich den Flaschenhals, der zum heutigen, modernen Menschen führte – der dann in der Folge alle älteren „Hominiden-Modelle“ aus dem Feld schlug.Weitere Ergebnisse aus der Analyse der Xp13.3-Sequenz betreffen die Beziehungen zwischen Schimpansen und Bonobos. Diese beiden getrennten Arten stehen sich offenbar näher als man bislang aufgrund anderer DNA-Analysen annahm: Einige Unterarten von Schimpansen sind genetisch voneinander weiter entfernt als jeweils vom Bonobo – ein Zeichen dafür, daß beide Primaten erst vor relativ kurzer Zeit getrennte Entwicklungswege eingeschlagen haben.Außerdem schließt man aus der breiten genetischen Diversität innerhalb von Schimpansengruppen, daß „kulturelle“ Unterschiede zwischen solchen Populationen nicht genetisch begründet, sondern durch kulturelle Evolution bedingt sind – sich also ähnlich wie beim Menschen durch Tradition, durch Weitergabe erlernten Verhaltens, ausgeprägt haben.

Als nächstes Forschungsvorhaben wollen die Wissenschaftler am Max-Planck-Institut in Leipzig auch die Xp13.3-Sequenz anderer Primaten, etwa der Gorillas oder Orang-Utangs, unter die Lupe nehmen. Die Frage ist, ob diese Primaten in puncto genetischer Variabilität mehr dem Schimpansen oder dem Menschen ähneln – ob also der moderne Mensch oder der Schimpanse unter den Primaten der „Sonderfall“ ist…

Originalarbeit:

Kaessmann, H., Wiebe, V., Pääbo, S. „Extensive Nuclear DNA Sequence Diversity Among Chimpanzees.“ Science 5 November 1999

Weitere Auskünfte erhalten Sie gern von

Prof. Svante Pääbo
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig
Telefon: (03 41) 99 52 – 500
Fax: (03 41) 99 52 – 2 01
e-mail: paabo@eva.mpg.de

Impressum:
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Pressereferat
Postfach 10 10 62
80084 München

Tel.: 089/2108-1275, Fax: 089/2108-1207
e-mail: presse@mpg-gv.mpg.de, Internet: http://www.mpg.de

Pressesprecher:
Dr. Bernd Wirsing
Biologie, Medizin:
Dr. Christina Beck, Walter Frese, Beatrice Froese
Chemie, Physik, Technik:
Eugen Hintsches (Chef v. Dienst), Dr. Andreas Trepte
Geisteswissenschaften:
Dr. Bernd Wirsing

ISSN 0170-4656


Neandertaler: Und sie paarten sich doch – FOCUS kommt um Jahre zu spät!

Oktober 13, 2012

Neandertaler: Und sie paarten sich doch – Anthropologie – FOCUS Online – Nachrichten.

Hat irgendjemand außer katholischen oder anglikanisch-puritanischen „Forschern“ etwas anderes erwartet? – Neandertaler waren schließlich auch nur Menschen. – Und was für welche! -Aber die Erkenntnis ist doch nicht neu. Auch die „Focus“-Redaktion hätte alles, was jetzt Sensation ist, vor Jahren aus dem Internet herunterladen können:

https://advocatusdeorum.wordpress.com/wp-content/uploads/2009/10/sexclub-neandertal.pdf


Die ungerechte Welt der Menschenaffen – Das falsche Weltbild unserer Politiker

August 18, 2012

Experiment: Die ungerechte Welt der Menschenaffen – Nachrichten Wissenschaft – Natur & Umwelt – WELT ONLINE.

Ist die Welt der Menschenaffen „ungerecht“ – oder ist uns der in Jahrmillionen bei unsseren Vorfahren entstandene „Tausch- und-tiel-Instinkt teilweise abhanden gekommen. – Den Prozeß des „Abhandenkommens“ von körperlichen Strukturen oder Verhaltensmustern nennt der Biologe „Rudimentierung“.  Ist beim „modernen“ Menschen der Tausch- und-teile-Instinkt rudimentiert? – Es spricht einiges dafür.

Bevor Sie die „Zwei Seelen“ kennenlernen, die auch in Ihrer Brust wohnen, weise ich auf die in den letzen Jahren gewonnenen Erkenntnisse hin, die den von mir postulierten „Tausch-und teile-Instinkt“ nahzu unvermeidlich machen. Und leider auch dessen Verkrüppelung.

Armin Falk hatte in seiner grundlegenden Arbeit „Homo oeconomicus versus homo reciprocans“ die Verhaltensmuster beschrieben, die den Schluß auf „Gerechtigkeit“ als instinktives“, also „angeborere“ Weltanschauung nahelegen. – Falk wies schon damals auf das reziproke Verhalten als Ursprung der „Blutrache“ hin. – Der Biologe würde es als „Entartung“ bezeichenen.

Das „i“–Tüpfelchen erschien dann in  BILD DER WISSENSCHAFT

Rache und Gerechtigkeit spiegeln sich im „Belohnungszentrum des Gehirns wider. Das aber können sie nur tun, wenn sie vor jeder schulischen, erzieherischen oder juristisch eingebleuten Eerfahrung vorhanden sind. Als „A Priori“ im Sinne Immanuel Kants. – Etwas im voraus zu kennen, ohne je damit eine Erfahrung gemacht zu haben. – Der Biologe nennt das Instinkt.  –

Wir brauchen nicht bei Adam und Eva anzufangen, es reichen Kain und Abel, um dem Tausch-und-teile-Instinkt auf die Spur zu kommen:

…3. Es begab sich aber nach etlicher Zeit, daß Kain dem Herren Opfer brachte von den Früchten des Feldes;

4. und Abel brachte auch von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der Herr sah gnädig an Abel und seine Opfer.

5. Aber Kain und seine Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr, und seine Gebärde verstellte sich.

6. Das sprach der Herr zu Kain: Warum ergrimmst du? warum verstellt sich deine Gebärde?

7. Ist’s nicht also? wenn du fromm bist, so bist du angenehm, bist du nicht fromm, so ruhet die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Ver­langen, du aber herrsche über sie…(1. Buch Mose Kap.3)

Die Bibel läßt uns leider in Unkenntnis darüber, warum Kain seinen Bruder erschlug, überliefert ist lediglich: 9. Da sprach der Herr zu Kain, wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: ich weiß es nicht, soll ich meines Bruders Hüter sein?

Ebenso rätselhaft wie das Motiv für die sinnlose Bluttat des Kain ist der Umstand, daß Gott Kain dafür nicht bestrafte, sondern durch das „Kainsmal“ dafür Sorge trug, daß ihm die anderen kein Leid zufügten. – Irgendwie paßt die Geschichte hinten und vorne nicht.

Da wir uns mit Jirkas Boot mitten in der Schöpfungsgeschichte befin­den, könnte in den augenscheinlich widersprüchlichen und unvollstän­digen Angaben der Bibel dennoch ein Wegweiser der Evolution ver­steckt sein.

Dann müßte an dieser Stelle der Bibeltext eine verschlüsselte Botschaft enthalten, die eine evolutionäre Veränderung des Menschen zum Gegen­stand hat. Schauen Sie sich nochmals die oben zitierten Verse drei bis fünf an.

Es fällt auf, daß Gott offenbar das Opfer Abels höher bewertet als das des Kain. Abel bringt schließlich Fleisch, Kain nur Obst und Gemüse. Kain verfällt der Mißgunst und wird gewalttätig. Der Streit dreht sich folglich um die Art der Ernährung, ihre Wertschätzung und ihre Vertei­lung. Im Gegensatz zu Abel scheint Kain nur sehr widerwillg bereit ist, von den Früchten seiner Arbeit etwas abzugeben. Das alles hat noch sehr wenig mit unserer eigenen Vorstellungswelt zu tun, aber wir dürfen nicht vergessen, daß der Supermarkt an der Ecke uns die „Nahrungssuche“ und die „Beuteverteilung“ weitgehend abgenommen hat. Das gibt Anlaß, unser Verhalten und das unserer Verwandten bei der Nahrungsverteilung näher zu beleuchten.

In allen Kulturen gab und gibt es ein Problem, daß unter dem Schlag­wort Verteilungsgerechtigkeit auch bei uns Forore machte.

Wolfgang Wickler nimmt zur Beuteverteilung beim Schimpansen wie folgt Stellung:

…Der erfolgreiche Jäger ist dann im Besitz des von allen begehren Fleisches. Und nun zeigt sich, daß es in der Schimpansengruppe keinen Zweifel darüber gibt, wer der Eigentümer der Beute ist. Selbst ranghö­here Männer, die dem Jäger die Beute ohne weiteres mit Gewalt ab­nehmen könntten, setzen sich statt dessen neben ihn und bitten mit offen vorgestreckter Hand um ein Stück Fleisch. Meist bekommen sie auch etwas, aber durchaus nicht immer und oft erst nach langem Warten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang nicht so sehr, daß das Fleisch durch Bitten und Geben verteilt wird, sondern daß wieder das von allen begehrte Objekt als Eigentum eines einzelnen tabu ist un ihm von den anteren zugestanden wird.“1

Nachfolgend gebe ich einen Beitrag von Rudolf Bilz zu diesem Thema vollständig wieder, weil er sich meiner Meinung nach nicht kürzen läßt, ohne den Inhalt und den Sinn zu verfälschen. Ferner schlägt Bilz darin eine Brücke von der hier besprochenen Epoche menschlichen Daseins zu unserer unmittelbar anschaulichen Gegenwart. OhneSinnveränderung können Sie allerdings die darin enthaltenen Begriffe „Biologische Radikale“ und „Identische Exekutive“ durch den Begriff des Verhaltensmusters ersetzen.

Die Identische Exekutive einer Bejahung

Wir sind Zeuge, wie ein Kindermädchen, das soeben gemeinsam mit einem drei  oder vierjährigen Kinde Leckerei aufgenascht hat, ihm klarmachen will, daß nun nichts mehr »vorhanden« oder »zuhanden« ist. Unsere Hände sind es, die   ebenso wie die Affenhände   die Nahrung dem Munde zuführen. Das Mädchen streckt die offenen Handteller vor, während es mit weit offenem Munde sagt: »Ah, alles alle..< Die Anhäufung des A Lautes besagt: »Schaue mir in den Mund, da ist auch nichts mehr.< In den Händen nicht und im Mund nicht. Man kann tatsächlich feststellen, wie Kinder sich gegenseitig den Mund inspizieren. Man stellt empirisch das Nichts fest, ob es sich auf die Hände oder den Mund bezieht. Non habeo. Man kann auch feststellen, wie Hunde, die noch nicht gesättigt sind, einander die Schnauzen beschnuppern

.Die Stimmung (Erlebnisbereitschaft), die nun in dieser Situation aufkommt, könnte man als die Verzichts Stimmung bezeichnen. Es gibt drei Möglichkeiten menschlichen Reagierens im Appetenz Verhaltcn resp. im Hungern: I) Das Kind bettelt, d. h. es streckt die Non habeo Hände vor. Betteln ist sozusagen das angeborene Recht des Kindes. Man wird nicht sagen können, daß die kleinen Kinder neidisch auf ihre Eltern sind. Im Gegenteil, je reicher die Eltern anmuten, desto mehr erhöht sich das Selbstwert Gefühl der Kinder, vorausgesetzt, daß es sich um biologisch gesunde Relationen handelt. Angenommen, das Kindermädchen hätte einige Brocken versteckt, so würde das Kind endlos betteln, hätte es davon Kenntnis. Das Mädchen steht als eine Mutter Imago vor ihm. Jetzt dagegen, nachdem das Mädchen dem Kind das Nichts sinnfällig demonstriert hat, so daß Mißtrauen nicht besteht, ist das Kind beruhigt. Verzichtsstimmung. Es gibt 2) die Möglichkeit, daß zwei etwa gleichaltrige Geschwister gemeinsam über Nahrung verfügen. Ob in diesem Falle das Mißtrauen so rasch erlischt, ist die Frage. Hier bettelt man nicht, wenn das Subjekt Nahrung auf der anderen Seite vermutet, sondern man fühlt sich betrogen, fordert und wird aggressiv. So praktiziert sich >Brüderlichkeit< bei Kindern. Situation 3) ist gegeben, wenn Alpha über Nahrung verfügt, der Herr, der seit Urzeiten als der »Nahrungs Oberherr< respektiert wird. Wenn der mächtige Pavian mit einigen Weibchen oder auch untergeordneten Männchen im Käfig sitzt und ich werfe Bananen in den Raum, so gehören zunächst alle Früchte dem hohen Herrn. Er wird nicht von den anderen belästigt, weder angebettelt noch angegriffen, solange das »Prinzip des geleckten Knüppels< gilt, d. h. solange er sich radikal durchsetzen kann: Wenn er sie mißhandelt, weil sie sich unbotmäßig verhielten, nehmen sie ihm das nicht übel, sondern buhlen trotzdem oder sogar »erst recht  um seine Gunst. Geduldig warten sie, bis er gesättigt ist und in der Stimmung einer Jovialität das Interesse an den Früchten verliert.

J. van Lawick Goodall (I) berichtet aus ihren Aufzeichnungen: Ein junger Schimpanse hatte einen Colobus Affen getötet. Ohne viel Aufhebens wurde die Beute zerrissen »und unter der ganzen Gruppe verteilt, ohne Kampf und Streit . Diesem jungen Burschen kam das Nahrungs Privileg nicht zu, darum konnte man nach dem Likendeeler Prinzip verfahren: Aufteilung zu etwa gleichen Teilen, ohne daß Neidgefühle zustande kommen. Ganz anders dagegen liegen die Voraussetzungen, wenn einer der hohen Herren am Hebel sitzt. Ich möchte diese ganz andere Situation als die Feudalsituation bezeichnen: »Die anderen Mitglieder der Gruppe zeigen Ehrerbietung. Sie sitzen so nahe wie möglich bei dem Männchen, schauen mit Stielaugen auf das Fleisch und halten die Hände bittend hoch , lesen wir bei van Lawick , Goodall. Von einer Gleichteiler Gerechtigkeit kann hier sowenig die Rede sein wie in dem Paviankäfig. Im Gegenteil, van Lawick Goodall berichtet, daß der Herr des Fleisches die Artgenossen unterschiedlich behandelt, so daß es  wie in der Feudalzeit »bei Hofe< _ Günstlinge gibt, die bevorzugt werden. Ich könnte mir denken, daß die in unserer Sprache geläufige Wendung »jemand wird abgespeist< auf Situationen dieser Art hinweist: Der Herr selber >speist<, während die armen Schlucker »abgespeist< werden. Neid wird es in diesen Situationen nicht geben, solange die >Ehrerbietung< oder zumindest der Respekt vorhält.

Welche von den drei Situationen dominiert, wenn bei uns Notzeiten herrschen? Wir haben es erlebt, daß die Nahrung knapp war, im besonderen während der beiden Kriege, aber auch unmittelbar nach den beiden Kapitulationen. Die Ranghohen sind auch bei uns die Nahrungs Oberherren. Das Verteilungsprivileg liegt in des Wortes Wahrster Bedeutung »in ihren Händen. Irgendwie müssen wir »abgespeist« werden, was so geschieht, daß man sog. Kartenstellen errichtet: Wir erscheinen bei Alpha, diesen Ämtern, und erhalten Nahrungsäquivalente, d. h. farbige Karten, die mit Anweisungen bedruckt sind und die man damit den Banknoten vergleichen könnte. Aber wir haben keine Kontrolle und Mitbestimmung. Eins steht fest, wenn es wirklich zu einem allgemeinen Verhungern käme, würden die »Oberherren unserer Nahrung< die allerletzten sein, die am Nahrungsmangel sterben. Mit anderen Worten: Die  Stielaugen  derer, denen der Magen knurrt, und die Alpha Gestalten, denen die Verfügung über die eßbaren Dinge zusteht, sind auch noch bei uns, zum mindesten in den Hungerzeiten, sichtbar.

Bei uns ist es Alpha, die Bürokratie, die den Platz des ranghohen Schimpansen einnimmt und den Leuten den Brotkorb mehr oder weniger hochhängt. Was man am Gombe Strom in Ostafrika als die »gemeinsamen Futterstellen  (van Lawick Goodall) bezeichnet, sind bei uns die Lagerhäuser resp. die Lebensmittelgeschäfte. Bei uns sind die Beamten »die großen Tiere, denen wir Respekt zollen. Gleichzeitig, während in den Hungerzeiten die staatliche Bürokratie sich als die Nahrungs Oberherrin aufspielt, gibt es eine zweite Erscheinung, die einen paläoanthropologischen Akzent aufweist: Während in den Städten die Nahrungsknappheit herrscht, gewinnt das Land eine bis dahin unvorstellbare Bedeutung. Es etabliert sich dortselbst ein Tauschhandel allerprimitivster Art.

Während des letzten Krieges ging das bittere Scherzwort um, daß die Bauern ihre Kuhställe mit Perserteppichen auslegen könnten, wenn sie wollten, da die hungrigen Städter ihnen unglaubliche Tauschangebote machten. Wer Nahrung »erzeugt«, also die Bauern, erlangt jetzt ein Prestige, während die Städter, unabhängig von ihren Bankkonten, zu »armen Schluckern« degradiert sind. Geld oder Kontoauszüge sind nicht eßbar. Nahrungs Oberherren sind nun die Bauern, die »Erzeuger«, so daß man sagen kann, daß sich die Relationen einer Urzeit in Annäherung aufs neue etablieren: Die »Stielaugen« glotzen nun aus den freundlich höflichen Gesichtern der Stadtbewohner, die mit Rucksäcken weite Wanderungen über die Dörfer machen, um sich bei den »Erzeugern« anzubiedern. Fleisch und Feldfrüchte sind nun Trumpf. Diese Non habeo Hände kommen zu Fuß anmarschiert, da ihnen das vordem so repräsentative Automobil von der Wehrmacht beschlagnahmt wurde. Mit dem Aufkommen des Hungers ist ihnen die Tünche des Grandseigneurs abhanden gekommen. So treten sie bescheiden in die Erscheinung, wie es sich für »arme Schlucker« gehört. Selbst ein armer Dorfbewohner, der nichts als ein Schwein und eine Ziege besitzt, ist jetzt ein »Herr der Tiere«, verglichen mit diesen Leuten, die von der »Hand in den Mund« leben und die man »Hamsterer« nannte.

Bevor ich die Identische Exekutive einer Bejahung beschreibe, die noch heute, mitten im üppigsten Wohlstand, nahrungsbezogen lebendig ist, gebe ich noch einen Bericht über das Verhalten der wilden Schimpansen wieder: In dem Grundriß der vergleichenden Verhaltenserforschung von I. Eibl Eibesfeldt (2: S. I42) finden sich zwei Photos, die Schimpansenhände darstellen. Gerade auf die Hände kommt es mir an. Diese Aufnahmen gehen zurück auf die Eheleute van Lawick Goodall. Frappierend ist dabei die Tatsache, daß die Non habeo Hand erscheint, die bettelnd vorgestreckt wird. Man wird ohne weiteres erraten, daß hier ein Subjekt Nahrung »haben« will. Wenn Non habeo Hand gegen Non habeo Hand steht, so bedeutet die zweite Hand, daß die Bitte der ersten, die zugleich eine Frage Hand ist, negiert wird. Hier dagegen ist die zweite Hand in Pronations Stellung, d. h. daß der Handrücken nach oben gedreht ist. Man siehe auf dem Photo, wie die Pronations Hand in die Non habeo Hand hineingreift. Wir sind gespannt, was sich aus dieser Zuordnung ergibt. Eibl Eibesfeldt schreibt: »Der Rangniedere hält die Hand mit nach oben gekehrter Handfläche dem Ranghohen hin.« Wir brauchen dazu nichts zu bemerken: Das ist die Geste des Bettlers, der die Non habeo Hand vorstreckt. Im Text liest man alsdann: »Die Initiative geht vom Rangniederen aus, der in einer Bettelbewegung die nach oben offene Hand dem Ranghöheren reicht.« Und nun der entscheidend bedeutsame Satz, der das Kernstück unserer weiteren Erörterungen über die Identische Exekutive einer Bejahung ist: Rangniedere holen auf diese Weise auch das Einverständnis Ranghöherer ein, wenn sie z. B. in ihrer Gegenwart Futter von einer gemeinsamen Futterstelle holen wollen

Hier stoßen wir auf eine Geste der Bejahung: Die pronierte Hand des ranghohen Schimpansen bringt eine Zustimmung zum Ausdruck: »Ja, du darfst

dir Nahrung von der gemeinsamen Futterstelle holen.« Wenn man es mit einem im Viehhandel geläufigen Ausdruck der deutschen Sprache bezeichnen wollte, so müßte man sagen: Der Schimpanse, der die Non habeo Hand vorstreckt, erhält seitens des Ranghohen, der die pronierte Hand ausstreckt, »den Zuschlag«.

Es soll meine Aufgabe sein, abschließend über das Brauchtum des »Zuschlags« zu sprechen: Wenn wir im Krieg auf der sog. Kartenstelle die Lebensmittelkarten abholten, wurden uns diese in einer formlosen Weise ausgehändigt. Um es negativ zu sagen: Wir streckten die Non habeo Hände nicht vor, und der Beamte gab uns nicht mit betont pronierter Hand die Lebensmittelkarte in die offene Hand, die uns berechtigte, zu der »gemeinsamen Futterstelle«, nämlich in das Lebensmittelgeschäft, zu gehen. Dieses Parallelverhalten (Identische Exekutive) war nicht festzustellen, aber es gab und gibt genau diese Verhaltensexekutive bei dem sog. Zuschlag: Wenn ein Metzger auf dem Dorf eine Kuh kauft, die er schlachten und deren Fleisch er an die städtische Bevölkerung verkaufen wird, so hält er dem >>Oberherrn der Nahrung«, in diesem Falle dem Bauern, die Non habeo Hand vor, in die dieser genauso wie der ranghohe Schimpanse auf dem Photo mit pronierter Hand »einschlägt«. Aus der Vereinigung der supinierten (offenen) und der pronierten Hand ergibt sich der »Zuschlag«. Es hat sich uns bei diesem Anblick das Paradigma für die Identische Exekutive einer Bejahung bezeugt.

Ich darf sagen, daß ich in meiner Kindheit des öfteren einem Kuhhandel auf dem Dorfe beigewohnt habe. Bauer und Metzger mochten miteinander feilschen oder sich sogar Grobheiten sagen, d. h. sich als »Spitzbuben« titulieren, wenn der »Handel«   ein Wort, das auf die Hand hinweist  zustande kam, streckte der Metzger die Non habeo Hand vor, während der Bauer seine pronierte rechte Hand in die offene Hand des Partners hineinschob. Nun war das Rechtsgeschäft gültig. Seitens des Bauern war der »Zuschlag« erfolgt. Es ist unvorstellbar, daß umgekehrt der »Oberherr der Nahrung«, nämlich der Bauer, die offene Hand vorschiebt. Das wäre unsinnig, denn er will ja nichts »haben«. Er kann bei diesem »Handel« nur geben, nämlich sein »Ja« und mit diesem zusammen die Kuh. Dem Geldäquivalent kommt dabei nur eine sekundäre Bedeutung zu. Ich habe mich überzeugt: Das Zuschlagbrauchtum ist noch heute   im Jahre I969   auf den Dörfern in der Umgebung von Mainz bekannt. Es war mir wichtig, auch eine Geste der Bejahung als Identische Exekutive zu zeigen. Man darf annehmen, daß die Gestik älter ist als die verbale Sprache. Wer von uns hätte gedacht, daß sogar schon die wilden Schimpansen einen nahrungsbezogenen »Zuschlag erteilen«. So darf man wohl sagen, daß dieses »Ja« aus einer fernen Urzeit auf uns gekommen ist. Auch in dieser Situation   und zwar identischen Situation _ gilt die Formel: Semper idem. Es handelt sich um eine Abfolge von motorischen Zuordnungen, die so und nicht anders erfolgen. Die Umkehrung ist, wie bemerkt, unvorstellbar, wenn diese Situation gegeben ist. Das alles liegt in unserem >Es<. C.G. Jung würde sagen: in unserem kollektiven Unbewußten.

Einen »Oberherrn der Nahrung« gab es im menschlichen Dasein wohl seit den Uranfängen, was damit zusammenhänge, daß der Mensch als zoon politikon lebt, ebenso wie die Schimpansen. Das Nahrungsprivileg steht Alpha zu. Als unsere Vorfahren im Verlaufe der Evolution, wobei ich an die europäische Steinzeit denke, als Jäger und Sammler in Erscheinung standen, gab es Herren sogar der lebenden Wildtiere. Streng genommen müßte man den Alpha Schimpansen als »Herrn der Beute« und der Gemeinsamen Futterstellen« bezeichnen. Man stellte sich »Herren der Wildtiere« noch unlängst bei den Eskimos und den sibirischen Jägervölkern vor, nämlich göttliche Wesen, wie sie Speck (3) in seinem Buch Naskapi beschreibt. Auch da war von Zuteilungen die Rede, auch von Günstlingen, die bevorzugt wurden. Wir würden heute vom »Jagdglück« sprechen. Diese Vorstellungen gehörten zur Religiosität dieser Jäger, so wie sie zum religiösen Repertoire unserer Vorfahren gehörten, die mancherlei Tabus zu beobachten hatten, d. h. daß sie auch Verpflichtungen auf sich zu nehmen hatten.

Die nächste Stufe auf dem Wege dieser Evolution wäre darin zu sehen, daß sich eine Anzahl der Wildtiere zähmen ließ. Das war nun gleichsam der Akt einer Säkularisation: Jetzt waren die Viehzüchter »Herren der Tiere«, was zugleich heißt: Oberherren der Nahrung. Ich könnte mir vorstellen, daß es Jäger in der vorgeschichtlichen Zeit gegeben hat, die nach einem vergeblichen Jagdzug zusammensaßen und dabei die utopische Idee aussprachen, daß einmal die Zeit kommen möge, wo man die Tiere in seinem eigenen Gewahrsam hat, d. h. auf Viehweiden oder in Ställen, wo man sie ohne weiteres wegführen und töten kann. Um dieses »Wegführen« handelt es sich, wenn der Metzger auf dem Dorfe erscheint, der gleichsam im Namen der anderen, die über Schlachtvieh nicht gebieten, von einem Gutsherrn oder Bauern ein Tier kaufen will. Die utopische Idee, daß Menschen zu Herren der Tiere werden, wurde Wirklichkeit. Wenn wir in dem Aufsatz VII/34 hörten, daß der Eskimo Schamane bei der »Herrin der Tiere« erschien, um von ihr Rentiere zu erbitten, so darf man daran denken, daß nun, einige tausend Meilen entfernt, bei uns der Metzger zum Bauern geht, um für die Stadtbevölkerung Fleisch zu beschaffen. Jetzt fällt dem Viehzüchter die Alpha Rolle des Herrn resp. der Herrin der Tiere zu, während der Metzger in der Rolle des Eskimo Schamanen ist. Metzger wie Schamane sind in der Rolle des Mittlers oder Vermittlers, und in beiden Fällen muß eine Zustimmung eingeholt werden. Das Ziel ist dasselbe: Nahrungsbeschaffung für die hungernden Mitbürger. Überraschend ist die Tatsache, daß die genaue Übereinstimmung des Verhaltens festgestellt werden kann: Die Photos, die wir den Eheleuten van Lawick Goodall verdanken, zeigen uns die Non habeo Hand und die »Zuschlagshand«, d. h. die pronierte Hand, die die Zustimmung ausdrückt. Hier bezeugt sich ein »Ja«.

Die Tatsache, daß Alpha der Herr der Nahrung ist, was sich auf Fleisch ebenso wie auf vegetabilische Nahrung beziehen kann, zeigt uns auch die vierte Bitte des »Vaterunsers«. Der Passus lautet: »Unser täglich‘ Brot gib uns heute«. Die Idee eines göttlichen Zuschlags (Zustimmung) ist eine der elementaren Vorstellungen im Sinne das Ethnologen Adolf Bastian (4). C. G. Jung würde von den archetypischen Zuordnungen sprechen. Da hat sich im Verlaufe der Jahrtausende nichts geändert. Man kann nicht sagen, daß das, was sich am Gombe Strom in Ostafrika ereignete, als die rangtiefen Schimpansen ihre Non habeo Hände vorstreckten, viel zu lange zurückliegt, als daß es für uns noch bedeutungsvoll sein könnte. Man wird sich vorstellen dürfen, daß es im Dasein unserer Vorfahren auch einmal das gleiche Betteln um die Gemeinsame Futterstelle« gegeben hat. Hier handelt es sich um Identische Exekutiven. Ich erinnere an das menschliche Küssen, das ebenfalls zu den nahrungsbezogenen Erbkoordinationen des Menschen gehört, d. h. als Identische Exekutive gelten muß. Das Küssen vollzieht sich ebenso beim modernen Menschen, wie es sich noch bei den wildlebenden Schimpansen vollzieht. Ich spiele damit auf die Zählebigkeit der Erbkoordinationen (= Identischen Exekutiven) an. Nachdem ich eine Reihe von Identischen Exekutiven aufweisen konnte, die sich auf die Negierung beziehen, wollte ich auch eine auf die menschliche Hand bezogene Identische Exekutive der Bejahung beschreiben. Übrigens fällt das Küssen bereits in die Gruppe der bejahenden Gesten.

Man wird zweierlei Identische Exekutiven unterscheiden: Die eine Gruppe wird von der Tradition gepflegt, während die andere als verpönt gelten muß. Man wird nicht sagen können   wenn ich an den Wadenkrampf erinnern darf, der auf einen Zehenstand anspielt , daß der coitus stans a tergo in den zurückliegenden Jahrhunderten christlich abendländischer Prägung propagiert wurde. Im Gegenteil. Trotzdem gab und gibt es diese Erbkoordinationen unverändert. Mit anderen Worten: Lernvorgänge müssen dabei nicht im Spiele sein. Wenn die affektiv eigengesetzliche Situation es erfordert, und zwar von sich her, bricht diese motorische Exekutive als »archaische Funktionsreserven (s) unwillkürlich hervor, unwillkürlich und unerwünscht Impuls seit der Zeit in uns liegt, als unsere Vorfahren ihren Vettern, den Schimpansen, noch weitgehend glichen, sie wurde aber auch in dem anderen Sinne vererbt, wie Brauchtum und Sitte über das Vorbild und ein Erlernen weitergegeben werden. Erlernen bedeutet hier Billigung. Der Impuls wird alsdann geduldet und kultiviert. Dieser Impuls übrigens muß nicht in jedem Falle als Rechtsbrauch Gebärde in die Erscheinung treten, sondern kann auch in einem allgemeineren, umfassenderen Sinne Bejahung oder Wohlwollen ausdrücken oder besiegeln: Wenn zwei Freunde sich streiten und fürchten müssen, daß die »Entzweiung« zu einem Status andauernder Aggressivität wird, kann einer von beiden dem anderen die Non habeo Hand entgegenstrecken, etwa mit den Worten: Ich schlage dir

Bei der anderen Gruppe von Identischen Exekutiven kann man dagegen von »Tradition« sprechen, und man wird sogar sagen müssen, daß dabei Lernvorgänge in einem gewissen Ausmaße im Spiele sind. Die Zuschlagserteilung, die ein Rechtsgeschäft besiegelt, d. h. die Endgültigkeit einer Bejahung zum Ausdruck bringt, wurde von Metzger Generation zu Metzger Generation weitergegeben, und zwar in dem doppelten Sinne: sie wurde vererbt, weil dieser Impuls seit der Zeit in uns liegt, als unsere Vorfahren ihren Vettern, den Schimpansen, noch weitgehend glichen, sie wurde aber auch in dem anderen Sinne vererbt, wie Brauchtum und Sitte über das Vorbild und ein Erlernen weitergegeben werden. Erlernen bedeutet hier Billigung. Der Impuls wird alsdann geduldet und kultiviert. Dieser Impuls übrigens muß nicht in jedem Falle als Rechtsbrauch Gebärde in die Erscheinung treten, sondern kann auch in einem allgemeineren, umfassenderen Sinne Bejahung oder Wohlwollen ausdrücken oder besiegeln: Wenn zwei Freunde sich streiten und fürchten müssen, daß die »Entzweiung« zu einem Status andauernder Aggressivität wird, kann einer von beiden dem anderen die Non habeo Hand entgegenstrecken, etwa mit den Worten: Ich schlage dir vor, daß wir uns nun wieder versöhnen.< der Partner jetzt seine Rechte proniert und sie in die dargereichte offene Vola manus schiebt, so bedeutet dieser »Zuschlag« dasselbe wie bei einem hitzigen Viehhandel, nämlich die Zustimmung. Ja, man wird unsere alltäglichen Begrüßungen, soweit sie mit einem Handschlag verbunden sind, in diesem weiteren, allgemeineren Sinne zu deuten haben. Eine Atmosphäre der Zustimmung, der Friedfertigkeit, wird damit gleichsam besiegelt.

Ich weise in diesem Denk  resp. Deutungszusammenhang auf die Tatsache hin, daß Menschen, die einander ablehnen, einander die Hand nicht zum Gruß reichen, und zum anderen, daß wir unseren Kindern sagen, daß sie dem fremden Besucher »das Patschhändchen geben« sollen, was als Ausdruck der Höflichkeit gilt. Später allerdings hat man zu warten, ob der Ranghohe uns mittels des Händedrucks seiner Huld versichern will. Ich kann nicht einfach dem hohen Herrn meine Non habeo Hand entgegenstrecken. Sind wir etwa ranggleich, was man nie so genau wissen kann, und ich strecke meine Hand aus, ohne daß der andere einschlägt, so gilt das als eine schwere Kränkung. Ist er eindeutig ein Mann hohen Ranges und ich habe ihm meine Rechte »geboten«, so gelte ich als ein Tölpel. Es muß dem hohen Herrn überlassen bleiben, ob er sich mir gegenüber als »jovial« erweisen will. Ich habe abzuwarten. Er bezeugt, wenn überhaupt, eine »herablassende< Brüderlichkeit. Man sieht, wie unser Anstandskodex auf Zeiten feudaler Ordnung zurückweist.

Ganz allgemein gilt der Handschlag als eine Geste bejahender »Brüderlichkeit«. Unklar bleibt in diesem Zusammenhang, ob die Männer hohen Ranges prinzipiell die Pronations Hand vorstrecken, etwa in gewissen Riten, so daß die Rangtiefen damit gezwungen sind, die Bettler Hand vorzuweisen, die sich in die huldvolle Pronations Hand schiebt. Ich habe einen englischen Film gesehen und glaube mich erinneren zu dürfen, daß der ranghohe Offizier, der ein Kriegsschiff inspizierte, die Front der Offiziere langsam abschritt, die ihm namentlich vorgestellt wurden, wobei er jedem einzelnen, Mann für Mann, die pronierte Hand entgegenstreckte, in die sie alsdann ihre Non-habeo-Hände einlegten. Man wird sagen können, daß hier ein huldvoller Akt demonstriert wurde, da ja die Pronations Hand die schenkende Hand ist. Es könnte allerdings auch behauptet werden, daß die rangtieferen Offiziere damit gedemütigt wurden, denn es wurde ihnen damit klar gemacht, daß sie nur »Almosenempfänger« sind. Verlangt ein Abstandskodex, daß der ranghohe Offizier bei Ritualen dieser Art niemals seine Non habeo Hand vorstrecken darf?

Eine Feststellung empirischer Art liegt eindeutig vor: Wenn eine Dame der sog. oberen Zehntausend, z. B. auf einem Symposion von Wissenschaftlern, die männlichen Teilnehmer begrüßt, so wird sie ihre Rechte in Pronationshaltung vorstrecken. Von Männern, die Kinderstube haben« oder die zum mindesten bemüht sind, diesen Eindruck zu erwecken, wird diese Hand ergriffen und zum Mund geführt. Das ist der Handkuß, der auf den Handrücken gehaucht wird, nie jedoch in die offene Hand hinein. Nicht alle Männer sind zum Handkuß bereit. Sie schieben dann in diese Pronations-Damenhand ihre Non habeo Hand. Man beachte grundsätzlich die Hände der Frauen: die einen strecken einem die Non habeo Hand entgegen, während die anderen, die sich dabei auf einen AnstandskodEx berufen können, den Männern die Pronations Hand huldvoll herablassend wie eine Kostbarkeit reichen. Diagnostik zu treiben ist in dieser Situation ermöglicht. Man sieht, das hat alles Bedeutung sowohl als auch Geschichte.

Wenn ich darauf hinweisen darf, daß es sich dabei letzten Endes _ wir erinnern uns der Szene am Gombe Strom _ immer um Nahrungsmittelprobleme handelt, wozu selbst das Küssen in der Begrüßung gehört, könnte man an Bert Brecht erinnert werden und in Abwandlung eines häufig zitierten Wortes sagen: »Erst kommt das Fressen« (= die Stoffwechsel Notwendigkeit), damit verknüpft alsdann sind die Fragen der Rangbehauptung, worin der menschliche Anstand begründet ist. Vielleicht ist ein »Fressen«, das uns nicht in das Ranggefängnis zwingt, das sprichwörtlich gerühmte »gefundene Fressen«.

Ob es diese überraschende Aussage auch in anderen Sprachen gibt? »Es war mir ein gefundenes Fressen«, diese Wendung besagt, daß wir durch einen ungewöhnlichen Glücksfall überrascht wurden. Ich erlangte plötzlich Nahrung (Fressen) in Hülle und Fülle, ohne daß ich dabei in eine Partnerschaft verstrickt war.

Literatur:

1. J. van Lawick Goodall: My Friends   The Wild Chimpanzees, Washington T967

2. Eibl Eibesfeldt: Grundriß der vergleichenden Verhaltensforschung, 2. Auflage München 1969

3 F. G. Speck: The Savage Hunters of the Labrador Peninsula, Oklahoma 1955

4 A. Bastian: Ethnische Elementargedanken in der Lehre vom Menschen, Berlin 1895

5 R. Bilz: Pars pro toto. Ein Beitrag zur Pathologie menschlicher Affekte und Organfunktionen, Leipzig 1940“2

Ein „gefundenes Fressen“ hatten unsere Vorfahren allenfalls dann, wenn sie irgendwo ein Stück Aas fanden. Ansonsten haben sie im Gegensatz zu den Schimpansen bereits frühzeitig nicht nur anderen Affen, Waldschweinen oder Antilopen nachgestellt, sie mußten mit größeren Brocken fertig werden und sie verteilen.

Stellen wir uns einfach einmal einen Trupp australopithecinen vor, der einen Büffel erlegt hat. Die Männer stehen vor einem für ihre Verhält­nisse gigantischen Fleischberg, Frauen und Kinder ziehen in der Nähe der gemeinsamen Schafplätze auf der Suche nach pflanzlicher Nahrung umher. Hätten sich die Männer nach Altväter Sitte hingesetzt, dem letzt­lich „erfolgreichen“ Jäger das Recht der Zuteilung überlassen und an­sonsten um Futter gebettelt, wäre die Menschheit seit damals keinen Schritt weiter. Damit zeigt sich aber, daß die Taktik des Bettelns und Gewährens für die Jägerhorde zunehmend unpassender wurde. Selbst­verständlich beschwor diese Art der Erschließung neuer Nahrungsquellen Konflikte herauf, die das bis zu diesem Zeitpunkt vorherrschende Sozialsystem überforderte. Angesichts der im wahrsten Sinne des Wortes fetten Beute, die nun nicht mehr nur gelegentlich auf dem Speisezettel stand, mußte die gewöhnliche Konfliktlösungstrategie der Primaten versagen.

Der hier deutlich werdende Gabelungspunkt wirkte sich nicht nur auf die Beuteverteilung aus, sondern ebenso auf die Führung innerhalb der Gruppe. Denn mit der Jagd war der Macht des auf körperlicher Überlegenheit beruhenden Alphatieres die Konkurrenz des erfolgreichen Jägers erwachsen, der plötzlich ungewollt als „Herr der Nahrung“ dastand.

Es mußte sich also etwas ändern im menschlichen Verhalten.

Für eine Veränderung, die sich im subtilen Bereich des Verhaltens abspielen, sich also genetisch allenfalls als Nuance niederschlagen, fehlt zwangsläufig jeder versteinerte Beleg. Deshalb müssen wir nach Verhaltensmustern suchen, die uns aus der heutigen Zeit geläufig sind, die aber auch, ohne daß der Verstand eingeschaltet wird, für die Lösung des angesprochenen Problems einschlägig sind.

Merkwürdigerweise finden wir das, was wir weiter oben als Team beschrieben haben, unter dem Begriff Gesellschaft im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) wieder; dort findet sich unter § 705 folgende Definition der Gesellschaft:

Durch den Gesellschaftsvertrag verpflichten sich die Gesellschafter gegenseitig, die Erreichung eines gemeinsamen Zweckes in der durch den Vertrag bestimmten Weise zu fördern,…“

Lassen wir den Gesellschaftsvertrag als Rechtsinstitut einmal weg, so haben wir hier eine Beschreibung des Musters des ursprünglichen Jägertrupps. Demzufolge bestimmt das BGB, in § 726, daß die Gesellschaft endet, wenn der Zweck erreicht ist oder die Erreichung des Zwecks unmöglich geworden ist. – Und jetzt wird es interessant, denn in § 734 BGB regelt das Gesetz die Verteilung der „Beute“. Spontan würde man meinen, daß die Verteilung des Überschusses (Beute) einer Gesellschaft zu gleichen Teilen erfolgen würde. Das Gesetz sagt in § 734 BGB jedoch, daß der Überschuß den Gesellschaftern nach dem Verhältnis ihrer Anteile gebührt. Dem Gießkannenprinzip, das alle „gleich“ behandelt, folgt das Gesetz also nicht, vielmehr tariert es die Verteilung des Gewinns sehr fein aus.

Daß es sich bei der Gewinnverteilung im Rahmen der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft um ein aus unvordenklichen Zeiten stammendes Muster handelt, wird durch einen verblüffend ähnlichen Beuteverteilungsschlüssel der Pygmäen im südlichen Afrika belegt:

Bei den Bayaka-Pygmäen gehört ein bei der Treibjagd erbeutetes Tier auf jeden Fall dem Besitzer des Netzes, in dem es sich gefangen hat. Der Töter bekommt Kopf und Hals. Das sind meist die älteren Männer, die mit ihren Speeren hinter dem Netz in Wartestellung hocken. Wer sonst beim Töten mitgeholfen hat, bekommt ein Stück Brust. Der Netzbesitzer, dem nach Traditionsrecht der ganze restliche Körper gehört, behält im allgemeinen einen Keule und alle Innereien einschließlich der Gedärme, bei den Pygmäen eine echte Delkatesse. Den Rest des Körpers teilt er dann nach eigenem Ermessen unter den an der Jagd beteiligten Leuten auf. Bei den Efe-Pygmäen im Ituri hat der Schütze auch Anrecht auf den Hauptteil der Beute, nämlich auf das Lendenstück mit den Hinterläufen. Der Organisator der Jagd erhält den Rücken, der Eigentümer des Hundes, der das Wild aufgestöbert hat, bekommt Kopf und Hals. Der Rest wird an die übrigen Jagdteilnehmer verteilt. Man sollte annehmen, daß es sich in den verschiedenen Gemeinschaften um festgelegte Regeln handelt, doch ganz ohne Streit geht eine solche Verteilung der Beute nie aus. Auch bei den Bayaka-Pygmäen war ich häufig Zeuge, wie es beim Verteilen zu wilden und lautstarken Streitereien kam. Man beschimpfte sich mit den übelsten Verbalinjurien, zumal es den Pygmäen an einem lockeren Mundwerk nicht fehlt. Man bedrohte sich auf Distanz mit den Fäusten und ging auch einmal aufeinander los, ohne daß es dabei aber zu wirklichen Handgreiflichkeiten kam. Man blieb meist in etwa 2 m Abstand voneinander stehen und drohte und schimpfte mit einer ausdrucksstarken Gesichtsmimik. Dabei wurde laut und für alle hörbar hoch und heilig verkündet, daß man niemals mit dem da auf die Jagd gehen werde. Doch am gleichen Abend noch, ins Wohnlager zurückgekehrt, saßen alle wieder friedlich am Feuer vor ihren Hütten, verspeisten den Gemüse-Eintopf mit dem wohlschmeckenden Flesich und stopften sich genüßlich schmatzend die Bäuche voll. Wer beim Verteilen der Gazelle im Wald zu kurz gekommen war oder gar nichts abbekommen hatte, konnte dann spätestens beim Abendessen seinen Anteil verzehren…“3

In dieser Schilderung können Sie nicht nur die Ähnlichkeit des Musters bei der „Beuteverteilung“ in einer reinen Jäger- und Sammlerkultur und bei der „zivilisierten“ Variante erkennen, Sie sehen auch den hohen Respekt, den das Eigentum des erfolgreichen Jägers genießt, was wiederum die Nahtstelle zu unseren felltragenden Vettern erahnen läßt. Die Ähnlichkeit eines von hochgebildeten Juristen ersonnenen Gesetzes4 und naturverbundem Gerechtigkeitsempfinden zeigt überdies, wie nahe wir alle den Pygmäen sind, die als einer der ältesten lebenden Volksstämme gelten. Wir mit unserer „fortschrittlichen“ Zivilisation sind im sozialen Bereich keinen Schritt weiter! – Die Fülle von Gerichtsentscheidungen zu § 734 BGB belegt nämlich ebenfalls unsere Nähe zu den Pygmäen.

Die Parallele der Verhaltensweisen rechtfertigt den Schluß, daß es sich um ein Verhalten handelt, das einer biologischen Wurzel entpringt und damit in den Tiefen des menschlichen Gehirns verankert ist. Es ist damit der Natur des Menschen zuzurechnen. Der hier wie dort auftretende Streit belegt ebenfalls, daß hier nicht kaltes Kalkül und nüchterner Verstand am Werke sind, sondern emotionale Antriebsmuster.

Das „Austarieren“ der Anteile, das Gewichten von Geben und Nehmen hat innerhalb der menschlichen Gemeinschaften überall auf der Welt einen hohen Stellenwert. Eibl-Eibesfeld hat das anhand vieler Beispiele aus verschiedenen Kulturkreisen und im Rahmen von Untersuchungen mit Kindern nachweisen können.5 Das Phänomen des Austauschs wird unter dem Begriff des reziproken Altruismus diskutiert. – Selbstverständlich passen die Ergebnisse der Humanethologie nicht in unsere vom Streit über die Richtigkeit miteinander wetteifernder Ideologien geprägte Zeit. Also schweigt man sie am liebsten tot und leugnet die Ergebnisse weg. Denn nur mit dem Homo oeconomicus, dem streng egoistisch und streng rational handelnden Menschen, lassen sich Ideologien von Kapitalismus bis Kommunismus rational begründen und verteidigen.

Und dennoch finden wir in unserer Zivilisation eine genaue Entsprechung für das Muster des reziproken Altruismus:

Sie gehen frühmorgens zum Büdchen. „Eine Bild-Zeitung, bitte.“ – „Siebzig Pfennig.“ – „Danke, Tschüs!“ – „Vielen Dank auch, schönen Tag!“ In diesem Augenblick haben Sie den ersten Vertrag des Tages schon hinter sich. Gegen Mitternacht verspüren Sie Hunger und bestellen eine Pizza. Wenn Sie den Pizzafahrer bezahlt haben, war das für diesen Tag der letzte Vertrag.

Wir sind unablässig damit beschäftigt, Verträge zu schließen und zu erfüllen. Das System des Gebens, damit der andere gibt, ist die Keimzelle dessen, das weltweit unter dem Begriff Zivilrecht bekannt ist. Es ist vollkommen gleichgültig, in welchen Winkel der Welt sie sich begeben. Überall, wo Sie auf Menschen treffen, können Sie deren reziproken Altruismus mit den dürren Worten der §§ 145 ff des § 305 BGB beschreiben: Die §§ 145 ff BGB beschreiben das Zustandekommen eines Vertrges durch die unmißvertändlich erklärte Willensübereinstimmung zweier oder mehrerer Menschen. § 305 BGB spiegelt das Bedürfnis des Menschen zu reziprokem Verhalten wider: „Zur Begründung eines Schuldverhältnisses sowie zur Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses ist ein Vertrag zwischen den Parteien erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt.“

Sie werden unschwer feststellen, daß Vertrag etwas damit zu tun hat, daß man sich verträgt. Denn nur wer sich mit einem anderen verträgt, kann einen mit diesem übereinstimmenden Willen haben.

Allerdings wird die Unzahl von Verträgen, in die der Mensch in seinem Leben verwickelt wird, in der Regel nicht bemerkt. Daß es sich um „Schuldverhältnisse“ handelt, merkt der Mensch erst, wenn bei dessen Abwicklung etwas schiefläuft. – Bleiben wir bei unserem Beispiel: wenn Sie die Pizza in Empfang nehmen, dem Boten aber die Tür vor der Nase zuschlagen anstatt zu bezahlen, verletzen Sie die Regeln. Der Bote wird aber nicht zum Gesetzbuch greifen um festzustellen, gegen welche Regel Sie verstoßen haben, sondern sich spontan fürchterlich aufregen. Das wiederum zeigt, daß der gegenseitige Vertrag, wie ihn das BGB beschreibt, kein Konstrukt der Ratio des Menschen ist; seine Wurzeln reichen vielmehr tief in den animalischen Teil des menschlichen Gehirns hinein.

Damit kam allerdings nichts grundsätzlich Neues in die Welt, denn das Prinzip des gegenseitigen Vertrages ist den Juristen unter der Bezeichnung Synallagma geläufig, die biologische Entsprechung heißt Symbiose. Auch die Partner in einer Symbiose geben, weil und damit der Partner gibt.

Die Natur war in diesem Fall auch nicht auf irgendeine ominöse Mutation angewiesen, ein „Vertrags-Gen“ muß daher nicht postuliert werden. Die Wurzeln des reziproken Verhaltens haben ihre Wurzeln in der sozialen Bindungskraft des Gebens, des Geschenks.

Das „Geschenk“ zum Zwecke der sozialen Bindung ist nicht allein auf den Menschen und andere Primaten beschränkt, sie kommen auch bei anderen sozialen Tieren vor.

Nun könnte man freilich das Geben auch als die „voauseilende“ Duldung der Wegnahme durch den „Mächtigen“ interpretieren; Geben als Vermeidung der Aggression des Ranghöheren. Auch, so könnte man meinen, das Geben erspare dem „Herrn der Nahrung“ das lästige Betteln. Dagegen spricht jedoch die Tatsache, daß beim Schimpansen der „Herr der Nahrung“ sehr viel Geduld an den Tag legt. Gegen eine solche Interpretation spricht ferner der Umstand, daß sowohl beim Schimpansen als auch beim Menschen, selbst bei Kleinkindern, die Wegnahme von Dingen auf eine ausgeprägte Protesthaltung stößt. Zudem scheint es eine angeborene Wegnahmehemmung zu geben.6

Bezüglich des reziproken Altruismus können wir beim Menschen zumindest von einer Akzentverschiebung im Zuge der Evolution sprechen; denn keine andere Tierart hat diese Form der sozialen Umgangsform zu einem der wesentlichen und konstituierenden Grundmuster des Soziallebens erhoben.7

Damit wird auch verständlich, warum die Väter des Bürgerlichen Gesetzbuches gar nicht anders konnten, als die Regularien über den ggegnseitigen Vertrag so auszugestalten, wie wir sie im Gesetz vorfinden. Wir können mit dem BGB im wahrsten Sinne des Wortes in den Dschungel gehen, es erweist sich in seinen Grundzügen stets als anwendbar:

…Die Klane Neuguineas sind in der Regel exogam, d.h. die Frauen, die man heitratet, müssen aus einem fremden Klan stammen. (…) In Abschnitten von mehreren Jahren bis zu einer Generation gerechnet, sollten die Beziehungen eines exogamen Klans zu allen anderen daher ausgewogen sein. Dieser Grundgedanke zieht sich wie ein roter Faden durch alle Handlungen und Einrichtungen, mit deren Hilfe zwei gesellschaftliche Gruppen miteinander in Verbindung treten. Keine Gabe ohne Gegengabe, diese Einsicht dominiert in Neuguinea selbst das private Verhalten einzelner.(…) Viel plastischer sichtbar als auf dem Papier werden diese gesellschaflichen Zusammenhänge in der gelebten Wirklichkeit bei der Übergabe des sogenannten Brautpreises, mit dem der Übergang einer Frau vom Geburtsklan zum Klan des Ehemanns bestätigt wird. Ähnliche Tauschzahlungen von Wertgegenständen, wie Steinäxten, Muschelgeld und Muschelschmuck u.ä.m., markieren oft auch andere wichtige Übergänge im Leben eines einzelnen oder der Gemeinschaft. Damit werden einerseits Abmachungen bestätigt oder gefestigt, andereseits Leistungen (auch zukünftige, wie das Gebären von Kindern) abgegolten. Die Frauen werden also nicht im europäischen Sinn als Individuen mit Sklavenstatus gekauft, sondern ihr Übergang vom eigenen Klan zum anderen wird durch eine Zahlung der Gruppe des Bräutigams an die Gruppe der Braut rechtlich bekräftigt8

Es ist vollkommen gleichgültig, in welchem Teil der Welt sich ein Mensch aufhält. Er wird zu jeder Zeit an jedem Ort in die vielfältigsten Tauschbeziehungen verwickelt werden. Der Hang zum Tauschen ist bereits bei Kleinkindern vorhanden, einige Sozialpsychologen scheinen ernsthaft mit der Frage befaßt zu sein, ob es sich bei diesem „Tauschzwang“ nicht um eine seelische Erkrankung handeln könnte.9

Wir halten an dieser Stelle fest, daß sich unter den Bedingungen der systematischen Jagd beim Menschen ein ausgeprägter Hang zu reziprokem Verhalten ausbildetet. Aus einem ganz anderen, reichlich unbiologischem Zusammenhang ergibt sich, daß der Durchsetzung dieses Prinzips wiederum eine gewisse Zwangsläufigkeit innewohnt.

Im Verlaufe des Zweiten Weltkriegs entstand ein neuer Wissenschaftszweig, die Kybernetik, die sich mit Problemen der Kommunikation und den Steuerungsmechanismen verschiedener Systeme befaßte. Die Begriffe Rückkopplung, Selbstregulierung und Selbstorganisation, die in nichtlinearen dynamischen Systemen als selbstverständlich vorausgesetzt werden, entstammen der Kybernetik10 Mit der Entwicklung leistungsfähiger Computer und deren Fähigkeit zur Regelung der verschiedensten Prozeßabläufe gewann die Kyberentik in den Folgejahren zunehmend Bedeutung. Die zunehmende Leistungsfähigkeit der Computer hatte zur Folge, daß immer mehr Prozeßabläufe im Rechner simuliert werden.

Unter anderem wollte der amerikanische Politologe Robert Axelrodt wissen, wie sich Verhaltensweisen entwickeln konnten, die auf Zusammenarbeit, Freundschaft und gegenseitigem Vertrauen basieren, obwohl nach Darwin und seinen geistigen Enkeln der krasse Egoist der Erfolgreichste sein müßte.

Der von Axelrodt ausgeschriebene Wettbewerb, ein Computerprogramm zu ersinnen, das bestimmte Verhaltensweisen (egoistisch, betrügerisch, kooperativ, verzeihend usw.) simulierte, hatte am Ende 14 Teilnehmer. Das einfachste Programm hatte vier Zeilen, das umfangreichste 77 Zeilen. Verblüffenderweise trug der Vierzeiler den Sieg davon.Der amerikanischen Spieltheoretiker und Mathematiker Anatol Rappaport hatte es kreiert und ihm den Namen tit for tat gegeben. Auf Deutsch heißt das nichts anderes als „Wie Du mir, so ich dir!“

Die Strategie dieses Programms war ganz einfach; man könnte sie kooperativ und flexibel nennen. Am Anfang verhielt sich das Programm immer hilfsbereit und ehrlich. Danach tat es jeweils das, was der andere machte. Auf einen freundlichen Gegener reagierte es freundlich, auf einen betrügerischen mit Betrug – aber immer erst nachher, denn vorher war das Verhalten des Opponenten ja unbekannt.

Verlierer in dem Spiel waren diejenigen, die immer betrogen; woraus man schließen könnte, daß sich Egoismus langfristig doch nicht lohnt. Aber dieser Wettbewerb brachte einige weitere Überraschungen. So zeigte sich, daß das Siegerprogramm bei Begegnungen mit anderen Programmen niemals besser, meistens sogar schlechter abschnitt als das Gegenüber.

So paradox es klingt: Kurzfristig war tit for tat der Verlierer, langfristig der Gewinner. Vertrauen und rasche Reaktion zahlen sich offenbar aus.

Axelrod wiederholte den Versuch mit diesmal 62 Programmen in BASIC und FORTRAN. Einige der Programme benutzten sogar Methoden der künstlichen Intelligenz. Das überraschende Ergebnis der zweiten Runde: Gewinner war wieder tit for tat! Nun ging der Wissenschaftler einen Schritt weiter und simulierte die Evolution von Lebewesen mit verschiedenen Verhaltensformen.

Programme, die in der ersten Runde Punkte sammelten, waren in der nächsten Runde häufiger vertreten, sie konnten sich also >vermehren<. Programme, die schlecht abschnitten, waren in der nächsten Runde weniger häufig vertreten. Nach tausend Generationen schließlich hatte sich ein Programm durchgesetzt. Es war am häufigsten vertreten und hatte zudem die größte Zuwachsrate. Sein Name war:tit for tat.

Axelrods Computerwelt war eine künstliche Welt, und es bleibt die Frage, wie weit seine Ergebnisse auf die Wirklichkeit übertragen werden könen. Immerhin wissen wir, daß kooperatives Verhalten sozusagen aus dem Nichts (durch Zufallsmutationen) entsteht und sich langfristig durchsetzen kann, weil es bessere Überlebenschancen bietet als andere Strategien.“11

Damit nicht genug. In jüngster Zeit hat sich im Rahmen der Wirtschaftswissenschaften ein neuer Forschungszweig entwickelt, die experimentelle Wirtschaftsforschung. Insbesondere der Schweizer Porfessor Ernst Fehr von der Universiät Zürich fand bei seinen Studien heraus, daß der Homo oeconomicus eine Chimäre ist. Aufgrund seiner Experimente stellte er fest, daß auch im Wirtschaftsleben der Mensch nicht allein egoistisch handelt, er erscheint vielmehr aufgrund der Ergebnisse als „Homo – man muß es unterstreichen – reciprocans.12 – Ein Blick ins Gesetz und in die einschlägige Literatur der Verhaltensforscher hätten den experimentellen Wirtschaftsforschern diese Erkenntnis auch so nahebringen können; aus meiner Sicht bin ich allerdings dankbar, weitere sachverständigen Zeugen für die Richtigkeit der hier vertretenen These benennen zu können.

Die generelle Abwesenheit des Homo oeconomicus zeigt auch das Beispiel der Nama, einem Stamm in Namibia. Die Ethnologin S. Klocke-Daffa beschreibt das auf reziprokem Verhalten aufgebaute soziale Sicherungssystem dieses Volksstammes. Auch Klocke-Daffa kam nicht umhin festzustellen, daß sich die Austauschbeziehungen nicht allein aus ihrer ökonomischen Funktion heraus erklären lassen.13

Falls es Ihnen nicht aufgefallen sein sollte: im Rechner bedurfte die Durchsetzung des reziproken Verhaltens immerhin eintausend Generationen. Der Mensch aber ist weder Programm noch Rechner, sondern ein Lebewesen aus Fleisch und Blut, das bei allen „modernen“ Errungenschaften mit den „Altlasten“ der Vorfahren fertig werden muß.

Ich muß an dieser Stelle nochmals nachdrücklich auf den Unterschied zwischen der Evolution menschlicher Artefakte und der biologischen Evolution hinweisen. Der Mensch kann ein altes Haus abreißen und an dessen Stelle ein neues bauen. Die Natur kann indessen nur immer anbauen. Mit anderen Worten, das reziproke Verhalten trat neben die klassischen Primatenverhaltensmuster, ersetzte sie aber nicht.

Das reziproke Verhalten bedurfte, wie wir gesehen haben, keiner spontanen Entstehung aus dem Nichts, seine Grundlagen entstammen dem natürlichen Verhaltensrepertoie der Primaten. Es hat sich damals auf den Weg gemacht, sein Ziel aber noch lange nicht erreicht. Nur wenn die Menschheit lange genug exisitiert, können wir darauf hoffen, daß es nach und nach den Egoismus zurückdrängt.

In diesem Zusammenhang sehen wir eine weitere Akzentverschiebung, die sich auf die Führung der Gruppe bezieht. Während bei unseren behaarten Vettern es in erster Linie immer noch auf die körperliche Überlegenheit ankommt, bedingen die Erfordernisse der Jagd, daß weniger dem stärksten der Horde, sondern vielmehr dem erfahrensten und geschicktesten Jäger der Führungsanspruch zukommt. – Dieser aber ist durch das Prinzip der „Verteilungsgerechtigkeit“ anders in die Gruppe eingebunden als der „Stärkste“.– Das Dilemma ist perfekt, wir spüren es heute noch:

Der Zusammenhalt und der Respekt der Gruppenmitglieder einer Schimpansenhorde beruht auf dem aus dem Wechselspiel von Aggression und Beschwichtigung herrührenden Spannungsverhältnis. Wenn das Alphatier droht, kuscht der Angedrohte.

Im allgemeinen, so sagt man, gilt bei sozialen Tieren prima facie die Regel, daß das körperlich stärkste Individuum die Gruppe beherscht. Der Beweis des ersten Anscheins versagt allerdings schon bei Schimpansen

…Hierzu erzählt die englische Forscherin Dr. Jane Goodall eine typische Geschichte von ihren im ostafrikanischen Gombe-Reservat wild lebenden Menschenaffen.

Mit einem Trick hatte ein Schimpanse namens Mike, bezeichnenderweise der Schwächste der ganzen Horde, die Regentschaft an sich gerissen und mußte nun seine Stellung gegen den Neid der Masse der Stärkeren behaupten.

Eines Tages rempelte Mike einen alten Schimpansengreis grob an. Dieser suchte sofort bei seinem Freund Goliath, dem Ex-Boß, Schutz, drei weitere Mänchen sahen sofort ihre Chance und gingen zu fünft auf Mike los. Dieser floh auf einen Baum ganz nach oben. Die Verfolger, einer nach dem anderen, hinterher. Aber plötzlich jumpte Mike dem ersten auf den Kopf und brachte ihn zum Absturz. Dann ereilte auch alle Nachfolgenden das gleiche Schicksal.

Mut, gepaart mit taktischer Klugheit und Machtbesessenhei, hatte Mike zu einem glorreichen Sieg gegen fünffache Übermacht verholfen. Das beeindruckte die übrigen Schimpansen so sehr, daß sie Mike fünf Jahre lang als Anführer anerkannten.“14

Bei Primaten kann folglich die reine Körperkraft allein nicht mehr der ausschließlich bestimmende Faktor für das „Anrecht“ auf Führung innerhalb der Gemeinschaft sein.

Verschiedene Forscher haben, am deutlichsten wieder an Affen, die soziale Rolle der erfahrenen Alten gesehen. Neben den kräftigsten Männchen eines Paviantrupps, die nach Vorrang am Futter und an brünstigen Weibchen in der Rangordnung ganz oben stehen, gibt es zuweilen schon fast zahnlose Alte, die gewöhnlich in der Gruppe einfach mitlaufen, niemandem etwas streitig machen, aber auch von den anderen nicht ausgestoßen oder übervorteilt werden; dabei mögen Eigentumszugeständnisse (…) eine Rolle spielen. Gewöhnlich übernehmen die stärksten Männchen die Führung des Trupps und entscheiden, wohin der ganze Trupp morgens auszieht, um Nahrung zu suchen, und welchen Weg man abends zum Schlafplatz wählt. Begegnet ihnen auf diesem Wege etwas Unerwartetes, das Zweifel auslöst, oder sind etwa durch eine Überschwemmung nach plötzlichen Regenfällen alle den Führern bekannten Wege blockiert, so setzen sie sich einfach nieder und stellen damit gewissermaßen ihr Amt zur Verfügung. Und dann geschieht es immer wieder, daß die Alten vorangehen und, ihre Erfahrung ausnutuzend, einen Ausweg oder Umweg einschlagen, den die anderen noch nicht kannten; der ganze Trupp folgt ihnen dabei wie sonst den Führerern. Die erfahrenen Alten werden tatsächlich als >Rat der Weisen< in Reserve gehalten. Das ist – sogar mit dieser funktionalen Begründung – bei vielen Naturvölkern ebenso, bei den Buschleuten, den australischen Eingeborenen, den Eskimos wie bei den Tibetern, die eigene Gesänge haben, in denen betont wird, die Greise seien wegen ihrer Lebensweisheit und Erfahrung mit Achtung und Ehrfurcht zu behandeln.(…) Schon die Buschleute unterscheiden sehr fein zwischen >Rang < und >Ansehen<. Der Rang hängt am Amt, das jemand übernimmt; Sein Ansehen hängt davon ab, wie er das Amt verwaltet. Wenn Verhaltensforscher von >Rang< und >Amt< sprechen, übersehen sie diesen Unterschied oft. Schon bei verschiedenen Wirbeltieren wie Wildhunden, Elefanten oder Affen ist das Ansehen der einzelnen rollengebunden; der beste Wächter oder Jäger ist nicht auch der beste Babysitter. Wenn es um Jagdprobleme geht, hat auch bei den Buschleuten der nachweislich erfolgreichste Jäger das größte Ansehen und die entscheidende Stimme; wenn es um andere Dinge geht, kann man seine Meinung geflissentlich übergehen.15

Bei der Evolution des Menschen konnte die Natur auch hier auf das bereits vorhandene Verhaltensrepertoire zurückgreifen. Der „Fall Mike“ zeigt, daß bereits beim letzten gemeinsamen Vorfahren von Schimpansen und Mensch geistige Fähigkeiten neben die rein kräftemäßige Überlegenheit trat, wenn die Frage der Führerschaft einer Gruppe zur Debatte stand. Und die Anforderungen im Rahmen einer systematisch bertriebenen Jagd sind andere als beim Früchtesammeln.

Die gemeinschaftliche Jagd erlaubt auf der einen Seite kein großes Palaver. Bis man sich geeinigt hat, wie man die Beute erlegt, ist sie weg. Einer muß führen. Auf der anderen Seite ist größtmögliche Flexibilität erforderlich, jeder einzelne muß fähig und ggf. bereit sein, den Platz des anderen einzunehmen, wenn dieser durch Verletzung oder Tod ausscheiden sollte. Jeder muß also grundsätzlich in der Lage sein, auch den Platz des „Häuptlings“ einzunehmen. Ebenso muß der „Häuptling“ jederzeit abgelöst werden können, etwa für den Fall häufigen Versagens, was unter den Lebensbedingungen der Wildnis eine Frage des Überlebens sein kann. Der „Häuptling“ kann also nur so lange „Häuptling“ bleiben, wie er das Vertrauen der von ihm Geführten genießt. Die Vorrangstellung muß sich aus dem Vertrauen der Gruppe oder Horde ergeben; wer als „Häuptling“ anfängt, willkürlich Gruppenmitglieder umzubringen, um seine Vormachtstellung zu sichern, ist bald ein toter „Häuptling“. Solange einem ablösungswilligen Rivalen des „Häuptlings“ die Mehrheit der Gruppe nicht bereit ist zu folgen, wird er sich gegen den alten nicht durchsetzen können.16

Auf den Wert des Vertrauens gegenüber der Führung einer menschlichen Gruppe oder Horde hatte bereits Wolfgang Wickler unter dem Rubrum Tradition und Gehorsam hingewiesen.

Das Tradieren als Weitergeben von Erfahrungen begann als Beispielgeben und Nachahmen. So lernen auch heute noch Kinder von der Mutter und vom Vater vielerlei; was und wie man ißt, wen man Vater, Tante usw. nennt, übernimmt man unmittelbar und tut es dann wie welbstverständlich genauso. Das Beispielgeben aber ist auf das Vorexerzieren am Objekt mit unmittelbarer Erfolgskontrolle gemünzt und erfordert wohl deswegen viel weniger Begründungen als jede abstrakt vermittelte Tradition. Das hat zur Folge, daß z.B alles, was ein Kind den Eltern unmittelbar absieht, ohne abstrakte Begründung übernommen werden kann, während schon der Sexualbereich, den die Eltern aus dem Beispielgeben ausklammern, mit abstrakten (sinnigen oder unsinnigen) Begründungen überladen wird. Das Tradieren durch Reden oder Schrift umgeht das Beispielgeben, verlangt daher mehr Begründungen.

Das Weitergeben von Erfahrungen ermöglicht, aus den Fehlern anderer zu lernen; allein durch Schaden klug zu werden und doch konkurrenzfähig zu bleiben, kann sich daneben höchstens jemand leisten, der sein Leben wiederholen könnte. Sich auf die Erfahrungen anderer zu verlassen, nennt man Gehorsam. Da es außerdem das Individuum entlastet, wenn es sich auf andere verlassen kann, ist Gehorsam ursprünglich zur Entlastung des Individuums da, zu seiner Befreiung oder Freistellung für typisch menschliche Lebensinhalte. Dieser Gehorsam, das Sich-auf-einen-anderen-Verlassen setzt aber Vertrauen voraus. Blinder Gehorsam überzieht das Vertrauen, denn es gibt ja erfahrungsgemäß auch falsche Autoritäten; und deshalb ist Mißtrauen eine ebenfalls notwendige Haltung….“17

Wie wichtig eine Führung ist, die auf einer Kombination von Vertrauen und Gehorsam im Sinne Wicklers für den Menschen ist, zeigt das sogenannte Iowa-Experiment, das Kurt Lewin bereits im Jahre 1939 durchführte. Wir müssen uns in diesem Zusammenhang erneut vor Augen führen, daß unsere Zivilisation vor mehr als 5.000 Jahren in Gesellschaften lebt, die die Größe der ursprünglichen Horde von 25 bis 50 Individuen bei weitem überschreitet.

Lewin experimentierte in Jugendgruppen von Jungen mit drei verschiedenen „sozialen Atmosphären“. Er unterwies deren Lehrer in den drei möglichen Grundmethoden der Führung, nämlich der autokratischen, der demokratischen und des laissez-faire, einem mehr oder weniger anarchischen Führungsstil. Der autokratische „Führer“ schrieb den Jungen vor, was sie zu tun hätten; der demokratische Leiter half den Jungen zu planen und das Geplante durchzuführen; der Anarchist ließ die Jungen tun, was immer sie wollten.

Es stellte sich heraus, daß die autokratisch beherrschte Gruppe nur arbeiten konnte, wenn der Gruppenleiter dabei war. in seiner Abwesenheit stritten sie miteinander. Sie verhielten sich nur richtig, wenn sie unter Kontrolle standen. Im Gegensatz dazu war die demokratisch angeleitete Gruppe auch in Abwesenheit des Gruppenleiters arbeitsfähig. Es kam auch kaum zum Streit, vielmehr übten sie eine Art interner Kontrolle aus. Es stellte sich heraus, daß laissez-faire und demokratisch sich in den Auswirkungen unterschieden. Heute würde man sagen, bei laissez-faire war die „Arbeitsproduktivität“ geringer.

Auf der anderen Seite war auf den ersten Blick beim autokratischen und demokratischen Führungsstil kaum ein Unterschied auszumachen. Im Gegenteil, die Arbeitsleistung war unter der autokratischen Leitung sogar ein wenig höher. Aber um welchen Preis!:

…Im wesentlichen zeigten sich sehr viel mehr Streitereien und Feindseligkeiten in der autokratisch geführten Gruppe und sehr viel mehr Freundlichkeit und Gruppengeist in der demokratisch geführten. Die Kinder in der autokratischen Gruppe schikanierten ihre Sündenböcke und legten Verhaltensweisen an den Tag, die gewissen zeitgenössischen Diktaturen zu ähnlich sind, um als bloßer Zufall abgetan werden zu können.

Die Unterschiede, die dieses erste Experiment erbrachte, schienen auffällig genug zu sein, um zu weiteren und detaillierteren Untersuchungen zu berechtigen. Deshalb wurde im nächsten Jahr eine zweite Folge von Experimenten durchgeführt. Dieses Mal wurden mehr Gruppen verwendet; sie bestanden nur aus Jungen, Mitgliedschaft und Beschäftigungen wurden sorgfältig kontrolliert, um die Stichproben vergleichbarer zu machen. (…) Dieses besser kontrollierte Experiment erbrachte ungefähr sechsmal soviel beweiskräftige Daten wie das erste. Die Studie berücksichtigte den grundlegenden Faktor der kindlichen Persönlichkeit, und jedes Kind machte die Erfahrung sowohl einer autokratischen als auch einer demokratischen Führerschaft. Der erweiterte Versuchsplan verschaffte auch Informationen über andere Gegenstände – besonders über die Merkmale der Übergangsphase. Viele Ergebnisse dieser Studie waren sehr auffällig. Beispielsweise war die Wahrscheinlichkeit in der autokratischen Atmosphäre viel größer, daß die Jungen jede Initiative verloren, ständig unzufrieden waren, aggressiv wurden, miteinander kämpften, Spielzeug beschädigten und individuell handelten, ohne sich um Gruppenziele oder die Interessen anderer Mitglieder zu kümmern. In der laissez-faire Atmosphäre orientierten sich Verhalten und Diskussion in wesentlich geringerem Maße an der gemeinsamen Arbeit als unter einem der beiden anderen Führungstypen. Einige Jungen, die man aus der autoritären Gruppe genommen und der laissez-faire – Gruppe zugewiesen hatte, zeigten sich ängstlich und verstört. Bis auf eine Ausnahme brachten alle 20 Jungen aus den vier Gruppen ihre Präferenz für die demokratische Führerschaft deutlich zum Ausdruck.

Die autokratische Bedingung schuf viel Unzufriedenheit, die sich nicht unmittelbar, sondern auf andere Weise zeigte. Die vier Jungen, die als einzige aufgaben, taten dies beispielsweise während des Zeitraumes, da sie sich unter autokratischer Führerschaft befanden. Während dieser Phasen zeigten sie auch mehr Unzufriedenheit, verhielten sich aber weiterhin gefügig. Autokratische Führerschaft induzierte mehr Bedürfnis nach Zuwendung und mehr Zerstörung persönlicher Arbeitsmaterialien. Außerdem unterdrückte sie die individuelle Originalität. Die Neigung, Sündenböcke zu schaffen, machte sich deutlich bemerkbar.

Das Bedürfnis nach Sündenböcken war auch unter der laissez-faire – Bedingung zu verzeichnen. Die Forscher führten diese Ergebnisse darauf zurück, daß die Kinder dort durch die mangelnde Führung und das Fehlen grundlegender Regeln frustriert werden. Daraus resultiert ein vages Gefühl von Unzulänglichkeit, das in gewissem Umfang dadurch reduziert werden konnte, daß man sich über die weniger geschickten oder weniger beliebten Mitglieder der Gruppe lustig machte.“18

Im Verlaufe des Experiments änderte man den Führungsstil. Der demokratische Leiter verhielt sich plötzlich autokratisch. Es geschah weiter nichts, seine Gruppe hatte Vertrauen zu ihm und benahm sich nach kurzer Zeit wie die autokratisch geführte Gruppe. Dramatische Veränderungen traten indes ein, wenn der autokratische „Führer“ zur demokratischen Methode wechselte. Es brach die Hölle los. Der Leiter brauchte eine Woche, bis dies Jungen sich beruhigten und so verhielten, wie es in einer demokratischen Gruppe möglich und erforderlich ist.

Der Wegfall autokratischen Drucks führt leicht zur Anarchie, denn die einzelnen können nun tun, was sie wollen, und sie tun es dann auch ohne jedes Verantwortungsgefühl.19

Der Mensch entwickelte in seiner Frühzeit neben den überkommenen Sozialstrukturen der Primaten die neue, an die Erfordernisse der systematischen Jagd angepaßte Hierarchien, die nach heutigen Maßstäben eher demokratisch anmuten. Die autokratische Herrschaftsstruktur ist eindeutig die ältere. Wir dürfen also durchaus annehmen, daß, solange sich der Mensch auf der reinen Jäger- und Sammlerebene bewegte, in seinen Sozialsystemen häufiger „demokratische“ als „autokratische“ Züge zu finden waren.

Vor mehr als 30 Jahren fand Stanley Milgram in dem nach ihm benannten Experiment heraus, daß im Durchschnitt 63% der Menschen bereit sind, unbedingten Gehorsam zu leisten. Mit anderen Worten: 63% der Menschen sind bereit, auf Anweisung einer Autorität fremde Menschen zu quälen und zu töten. Erwartet worden war, daß auch die Bereitschaft zum absoluten Gehorsam normalverteilt wäre, also nur einen kleinen Prozentsatz der Menschen erfaßt hätte.

63%, in Worten: dreiundsechzig Prozent – dieses überraschende Ergebnis wollte niemand. Vor allem paßte es seinerzeit nicht in die politische Landschaft. Es widersprach sowohl dem Selbstverständnis aller Demokraten als auch dem aller Sozialisten, Kommunisten und Faschisten. Auch Theologen weigerten sich, das Ergebnis zu diskutieren. Deshalb wurde es auch in der Öffentlichkeit wenig beachtet und nicht weiter diskutiert. Man hat Milgram Fehler bei der Versuchsanordnung unterstellt und ansonsten das Ergebnis geflissentlich totgeschwiegen. Dennoch ist es nicht aus der Welt zu schaffen, sondern beeinflußt unser Leben Tag für Tag.20

Neben die auf Aggression und Beschwichtigung (Unterwerfung) basierende Gruppenhierarchie trat mit der systematisch betriebenen Jagd eine auf Tradition und Gehorsam gegründete Hierarchie. Zeitlich und inhaltlich begrenzt werden Führungsbefugnis und Verantwortung für das gesamte Sozialsystem auf ein Mitglied desselben übertragen und von Vertauen der Gruppenmitglieder getragen.

Die Menschheitsgeschichte, soweit sie überliefert ist, lehrt uns, daß der Streit der Systeme bis heute andauert. Autokratische Systeme und Diktaturen basieren auf Gewalt, Demokratie und Rechtsstaat gründen auf Vertrauen und Machtwechsel, Tradition und kritischem Gehorsam bzw. Ungehorsam.

Ich behaupte deshalb, daß wir die Demokratie weniger den Philosophen verdanken, die sich seit mehr als zwei Jahrtausenden abmühen, die Probleme einer Staatsorganisation in den Griff zu kriegen, als vielmehr unserer eigenen Natur.

Wir können also festhalten, daß mit der Beginn der systematischen Jagd Verhaltenänderungen einhergingen, diese sich aus dem bereits vorhandenen Verhaltensrepertoire entwickelten. Die wesentlichen Merkmale dieser Veränderung sind das Teilen, reziprokes Verhalten und auf Vertrauen und Gehorsam basierende Hierarchie. Die ursprünglichen Verhaltenstendenzen sind indes immer noch wirksam. Mit dem Hinzutreten neuer Verhaltensmuster zu den hergebrachten erwarb der Mensch eine bis dahin nicht gekannte Freiheit, sein Verhalten zu variieren.

Damit haben wir auch den Schlüssel zur Geschichte von Kain und Abel in der Hand. Kain verkörpert den egoistischen Teil des Menschen, der ungern und mit Murren teilt; Abel ist der, der freiwillig gibt. Daß Gott Kain nicht strafte, sondern nur kennzeichnete, ist die Mahnung, daß er –zumindest vorläufig – unsterblich in des Menschen Seele verankert ist. Es ist an uns Menschen, dafür Sorge zu tragen, daß sein Einfluß begrenzt und seine Neigung, Konflikte gewaltsam zu lösen, so gut wie möglich unter Hemmung gesetzt wird.

Ich halte es für geboten, an dieser Stelle nochmals auf das Trugbild vom „Homo oeconomicus“ hinzuweisen. Dieses virtuelle Wesen ist der Kain in uns, auf den uns Wirtschaft und Politik reduzieren möchten. Sie setzen auf den Kain in uns. Wir alle aber sind auch Abel. Für Kain brauchen wir nichts zu tun. Er tritt von selbst hervor, wenn wir ihn nicht zügeln; er ist der „Autokrat“ und nicht seines Bruders Hüter. Deswegen zeigt er auch nur eine geringe Neigung, seine „Sündhaftigkeit“, nämlich seinen Egoismus zu beherrschen. Es ist an uns, Abel zu hüten und zu fördern, denn solange Kain seinen Egoismus nicht zu beherrschen gelernt hat, ist Abel in Gefahr. Das gilt auf allen Größenskalen menschlicher Gemeinschaften, vom Individuum selbst bis hin zu den Vereinten Nationen.

Kain steht für das „alte“ Primaten-, das generelle Säugetiererbe in uns. In welcher Weise er uns damit bedroht, können wir erst dann ermessen, wenn wir ihn näher kennenlernen. Erneut offenbart uns eine Blick auf unsere behaarten Vettern sein wahres Gesicht. Insoweit will ich meiner – unabsichtlichen – „Hauptbelastungszeugin“ Jane van Lawick-Goodall uneingeschränkt das Wort erteilen:

Louis Leakey schickte mich nach Gombe in der Hoffnung, daß wir ein neues Fenster zu unserer Vergangenheit aufstoßen würden, wenn wir das Verhalten unserer nächsten Verwandten besser verstünden. Er hatte Berge von Material gesammelt, die es ihm erlaubten, die physischen Merkmale der frühen Menschen in Afrika zu rekonstruieren, und er konnte Vermutungen über den Gebrauch der verschiedenen Werkzeuge und Geräte anstellen, die an ihren Wohnstätten gefunden worden waren. Aber Verhalten hinterläßt keine Fossilien. Leakeys Neugier in bezug auf die Menschenaffen beruhte auf der Uberzeugung, Daß ein Verhalten, das Menschen von heute und Schimpansen von heute gemeinsam haben, wahrscheinlich auch bei unseren gemeinsamen Vorfahren und also auch den frühen Menschen vorhanden war. Louis war in seinem Denken den meisten seiner Zeitgenossen weit voraus, und seine Einstellung scheint heute noch lohnender in Anbetracht der überraschenden Entdeckung, daß, wie bereits erwähnt, die menschliche DNS sich von der der Schimpansen nur in etwas mehr als einem Prozent unterscheidet.

Es gibt viele Ähnlichkeiten im Verhalten von Schimpansen und Menschen – die liebevollen, solidarischen und dauerhaften Bindungen zwischen Familienmitgliedern, die lange Phase der kindlichen Abhängigkeit, die Bedeutung des Lernens, die vonverbalen Kommunikationsmuster, die Benutzung und Herstellung von Werkzeugen, die Zusammenarbeit bei der Jagd, die differenzierten gesellschaftlichen Manipulationen, das aggressive Territorialverhalten und vielfältiges Hilfsverhalten, um nur ein paar zu nennen.

Ähnlichkeiten in der Struktur des Gehirns und des Zentralnervensystems haben zur Ausbildung ähnlicher intellektueller Fähigkeiten, Empfindungen und Emotionen in den beiden Spezies geführt. Daß diese Informationen zur Naturgeschichte der Schimpansen für diejenigen eine Hilfe war, die sich mit der Erforschung der frühen Menschen befassen zeigt sich immer wieder an der Häufigkeit, mit der in anthropologischen Lehrbüchern auf das Verhalten der Gombe-Schimpansen hingewiesen wird.

Natürlich müssen Theorien über das Verhalten des frühen Menschen Spekulation sein – wir haben keine Zeitmaschine, wir können uns nicht zurückversetzen in die Morgendämmerung unserer eigenen Art, um das Verhalten unserer Vorfahren zu beobachten und ihre Entwicklung zu verfolgen: Wenn wir diese Dinge ein bißchen verstehen wollen, müssen wir das Beste aus dem spärlichen zur Verfügung stehenden Material machen. Mir selbst scheint die Vorstellung, daß die frühen Menschen mit Zweigen nach Insekten bohrten und sich mit Blättern säuberten, absolut vernünftig. Der Gedanke, daß diese Vorfahren einander mit Küssen und Umarmungen begrüßten und beruhigten, daß sie bei der Verteidigung ihres Territoriums oder bei der Jagd zusammenarbeiteten und Nahrung miteinander teilten, sagt mir zu. Der Gedanke an enge Bande der Zuneigung innerhalb der Steinzeitfamilie, an Brüder, die einander beistanden, an jugendliche Söhne, die zur Verteidigung ihrer alten Mutter herbeieilten, an heranwachsende Töchter, die sich um die Babys kümmerten, macht mir die versteinerten Zeugnisse ihrer physischen Existenz auf dramatische Weise lebendig.

Aber die Forschung in Gombe hat mehr erreicht, als nur Material zu liefern, von dem aus wir unsere Spekulationen über das Leben prähistorischer Menschen anstellen können. Der Blick durch dieses Fenster auf die Lebensweise unserer nächsten lebenden Verwandten vermittelt uns ein besseres Verständnis nicht nur von der Rolle der Schimpansen in der Natur, sondern auch von der Rolle der Menschen in der Natur. Wir wissen, daß Schimpansen kognitive Fähigkeiten haben, von denen einst angenommen wurde, daß sie den Menschen vorbehalten wären; wir wissen, daß sie (wie andere <<dumme>> Tiere) logisch denken können, daß sie Gefühle, Schmerz und Furcht erleben, und das macht uns bescheiden. Wir sind nicht, wie wir einst glaubten, durch eine unüberbrückbare Kluft vom übrigen Tierreich getrennt.

Trotzdem sollten wir aber eines auch nicht einen Augenblick vergessen: Selbst wenn wir uns nicht in der Sorte, sondern nur im Ausmaß von den Menschenaffen unterscheiden, ist dieses Ausmaß überwältigend. Wenn wir das Verhalten von Schimpansen verstehen, so hilft uns das, bestimmte Aspekte menschlichen Verhaltens zu beleuchten, die wirklich einzigartig sind und uns wirklich von den anderen lebenden Primaten unterscheiden. Vor allem haben wir intellektuelle Fähigkeiten entwickelt, die diejenigen auch der begabtesten Schimpansen in den Schatten stellen. Eben weil der Unterschied zwischen dem menschlichen Gehirn und dem unseres nächsten Verwandten, des Schimpansen, so groß war, haben die Paläontologen jahrelang nach einem halb äffischen, halb menschlichen Skelett gefahndet, das diese Kluft zwischen menschlich und Nichtmenschlich überbrückt.

Tatsächlich besteht dieses Missing link aus einer ganzen Reihe von verschwundenen Gehirnen, die eines immer komplexer waren als das andere: Gehirnen, die für die Wissenschaft verloren sind, bis auf ein paar schwache Eindrücke in fossilen Hirnschalen; Gehirnen, die in ihren zunehmend komplizierten Windungen die dramatische Fortsetzungsgeschichte des sich entwickelnden Verstandes verkörperten, der zum Menschen von heute geführt hat.Von all den Merkmalen, die Menschen von ihren nichtmenschlichen Vettern unterscheiden, ist die Fähigkeit, durch eine differenzierte gesprochene Sprache miteinander zu kommunizieren, nach meiner Auffassung die bedeutsamste. Nachdem sich unsere Vorfahren dieses machtvolle Instrument erst einmal angeeignet hatten, konnten sie Begebenheiten besprechen, die in der Vergangenheit geschehen waren, und komplexe Planungen für die nahe und die fernere Zukunft machen. Sie konnten ihre Kinder lehren, indem sie ihnen etwas erklärten, ohne es demonstrieren zu müssen Wörter gaben Gedanken und Vorstellungen Substanz, die für immer ungenau und ohne praktischen Wert geblieben wären, wenn man sie nicht hätte ausdrücken können. Geistige Interaktionen erweiterten das Denken und präzisierten die Begriffe. Manchmal habe ich, wenn ich Schimpansen beobachtete, das Gefühl gehabt, sie wären, ohne eine Sprache wie die der Menschen, in sich selbst gefangen. Ihre Rufe, Körperhaltungen und Gesten verbinden sich zu einem reichhaltigen Repertoire, einem vielseitigen und differenzierten System von Kommunikation. Aber es ist nonverbal Wieviel mehr könnten sie erreichen, wenn sie nur miteinander sprechen könnten!

Schon richtig, sie können lernen, die Zeichen oder Symbole einer Sprache vom Typus Menschensprache zu benutzen. Und sie haben die kognitiven Fähigkeiten, diese Zeichen zu sinnvollen Sätzen zusammenzufügen. Geistig zumindest scheinen Schimpansen an der Schwelle zum Spracherwerb zu stehen. Aber die Kräfte, die wirksam waren, als Menschen zu sprechen begannen, haben offensichtlich keine Rolle bei der Formung des Verstandes der Schimpansen in dieser Richtung gespielt.Schimpansen stehen auch an der Schwelle zu einem anderen ausschließlich menschlichen Verhalten – dem Kriegführen.

Die Kriege der Menschen, definiert als organisierte bewaffnete Konflikte zwischen Gruppen, haben im Laufe der Zeit einen tiefgreifenden Einfluß auf unsere Geschichte gehabt. Wo immer Menschen leben, haben sie irgendwann irgendwelche Kriege geführt. Es scheint deshalb wahrscheinlich, daß es primitive Formen von Krieg auch bei unseren frühesten Vorfahren schon gab und daß derartige Konflikte bei der menschlichen Evolution eine Rolle spielten. Krieg, so ist vermutet worden, könnte einen beträchtlichen selektiven Druck bei der Entwicklung von Intelligenz und zunehmend differenzierter Kooperation ausgeübt haben. Dieser Prozeß habe eskaliert – denn je größer Intelligenz, Fähigkeit zur Kooperation und Mut einer Gruppe, desto mehr verlangt das auch von ihren Feinden.

Darwin gehörte zu den ersten, die die Ansicht äußerten, daß Krieg einen mächtigen Einfluß auf die Entwicklung des menschlichen Gehirns ausgeübt haben könnte. Andere sind davon ausgegangen, daß Kriegführung verantwortlich gewesen sein könnte für die tiefe Kluft zwischen dem menschlichen Gehirn und dem unserer nächsten lebenden Verwandten, der Menschenaffen: Hominiden mit unterlegenem Gehirn konnten keine Kriege gewinnen und wurden ausgerottet.So ist es sowohl faszinierend als auch schockierend, wenn man entdeckt, daß Schimpansen ein feindseliges, aggressives Terriorialverhalten zeigen, das bestimmten Formen primitiver Kriege nach Art der Menschen nicht unähnlich ist.

Manche Stämme unternehmen zum Beispiel Überfälle, bei denen sie sich «. . . zerstreuen wie bei der Jagd, (sie) pirschen sich durch das Dickicht an den Feind heran», schreibt Renke Eibl-Eibesfeldt, ein Verhaltensforscher, der Aggression bei Völkern der ganzen Welt untersucht hat. Lange bevor sich differenzierte Kriegführung bei unserer eigenen Spezies entwickelt hat, müssen unsere prähumanen Vorfahren Präadaptationen gezeigt haben, die denen, die heute bei Schimpansen zu beobachten sind, ähnlich oder gleich waren, wie das Leben in Gruppen, kooperative Territorialität, Fähigkeit zur gemeinschaftlichen Jagd und Waffengebrauch. Eine andere notwendige Präadaptation würde die angeborene Furcht vor oder der Haß auf Fremde gewesen sein müssen, die sich manchmal in aggressiven Angriffen äußerte. Aber erwachsene Einzelwesen der eigenen Spezies anzugreifen ist immer ein gefährliches Unternehmen, deshalb war es in historischen Zeiten in menschlichen Gesellschaften notwendig, mit den Mitteln der Kultur Krieger heranzubilden, etwa indem man ihre Rolle verherrlichte, Feigheit verurteilte, Tapferkeit und Geschick auf dem Schlachtfeld belohnte und den Wert der Ausübung von <<männlichen» Sportarten in der Kindheit hervorhob.

Schimpansen aber, vor allem junge ausgewachsene Männchen, finden Konflikte zwischen Gruppen offensichtlich reizvoll, trotz der Gefahr. Wenn junge männliche Vormenschen in Zusammenstößen dieser Art auch einen Reiz sahen, könnte das eine feste biologische Basis für die Verherrlichung von Kriegern und Kriegen geliefert haben.

Bei Menschen sehen sich Angehörige der einen Gruppe oft als völlig unterschieden von den Angehörigen einer anderen Gruppe und behandeln dann die Gruppenmitglieder und Nichtmitglieder verschieden. Tatsächlich werden Nichtmitglieder manchmal «entmenschlicht> und beinahe wie Wesen einer anderen Spezies betrachtet. Wenn das geschieht, sind die Leute von den Hemmungen und gesellschaftlichen Sanktionen befreit, die innerhalb ihrer eigenen Gruppe gelten, und können sich den Nichtgruppenangehörigen gegenüber auf eine Weise verhalten, die unter den eigenen Leuten nicht toleriert werden würde. Das führt unter anderem zu den Ungeheuerlichkeiten des Krieges. Schimpansen zeigen ebenfalls unterschiedliches Verhalten gegenüber Gruppenangehörigen und Nichtgruppenangehörigen. Ihr Gefühl für Gruppenidentität ist stark, und sie wissen genau, wer «dazugehört» und wer nicht: Nichtmitglieder können so heftig angegriffen werden, daß sie ihren Verletzungen erliegen. Und das ist nicht einfach die <<Furcht vor Fremden» – die Mitglieder der Kahama-Gesellschaft waren den Kasakela-Angreifern gut bekannt und wurden doch brutal überfallen. Dadurch, daß sie sich abgespalten hatten, hatten sie anscheinend ihr <<Recht>> verwirkt. wie Mitglieder der eigenen Gesellschaft behandelt zu werden. Außerdem, manche gegen Nichtgruppenangebörige gerichteten Angriffsmuster sind niemals bei Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern derselben Gesellschaft beobachtet worden – das Verdrehen der Glieder, das Herausreißen von Hautstreifen, das Bluttrinken. Damit wurden die Opfer in jeder Hinsicht «entschimpansiert», denn diese Verhaltensweisen sieht man gewöhnlich, wenn ein Schimpanse ein ausgewachsenes Beutetier zu töten versucht – ein Tier einer anderen Spezies.

Schimpansen haben infolge ungewöhnlich feindseliger und gewalttätiger Aggressionshaltungen gegenüber Nichtgruppenan gehörigen offenbar ein Stadium erreicht, wo sie an der Schwelle zur menschlichen Leistung an Zerstörung, Grausamkeit und planvollen Konflikten zwischen Gruppen stehen. Wenn sie je die Macht von Sprache entwickelten, könnten sie dann nicht die Tür aufstoßen und mit den Besten von uns Krieg beginnen?“21

Ich will an dieser Stelle nicht verschweigen, daß Jane van Lawick-Goodall, die hier über Kain den Stab gebrochen hat, im gleichen Atemzug für unsere felltragenden Verwandten die Lanze bricht:

Und wie sieht das andere Extrem aus? Wo stehen die Schimpansen, verglichen mit uns, in ihrem Ausdruck von Liebe, Mitgefühl und Selbstlosigkeit? Da gewalttätiges und brutales

Verhalten lebhaft ist und Aufmerksamkeit erregt, könnte man leicht den Eindruck gewinnen, daß Schimpansen sehr aggressiv sind, was nicht der Wirklichkeit entspricht. Tatsächlich sind friedliche Interaktionen viel häufiger als aggressive; milde Drohgebärden normaler als heftige; Drohungen per se häufiger als Streit und ernste Konflikte mit Verletzungen selten im Vergleich zu kurzen, relativ milden. Außerdem haben Schimpansen ein reichhaltiges Repertoire an Verhaltensweisen, die dazu dienen, die soziale Harmonie zu erhalten oder wiederherzustellen und den Zusammenhalt zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft zu fördern: das Umarmen, Küssen, Tätscheln und Händehalten, das zur Begrüßung nach einer Trennung dient oder mit dem dominante Tiere nach einem Streit die Untergebenen wieder beruhigen. Die langen, friedlichen Sitzungen entspannter sozialer Fellpflege. I:)as leiten von Nahrung. Die Sorge um Kranke oder Verwundete. Die Bereitschaft einem Gefährten in Not zu helfen, auch wenn das Gefahr für Leib undLeben bedeutet. All diese versöhnlichen, freundschaftlichen, helfenden Verhaltensweisen sind zweifellos unseren eigenen Wesenszügen von Mitgefühl, Liebe und Selbstaufopferung ganz nahe.

In Gombe die Fürsorge für Kranke nicht zu den gewöhnlichen Hilfsverhalten unter nicht miteinander verwandten Schimpansen. Tatsächlich wird ein schwerverletztes Tier von Nichtangehörigen oft gemieden. Als sich Fifi mit einer klaffenden Wunde am Kopf wiederholt um Fellpflege von anderen Tieren ihrer Gruppe bemühte, sahen die sich die Wunde an (in der ein paar Fliegenlarven zu sehen waren) und entfernten sich dann eilig. Aber ihr kleiner Sohn groomte sie sorgfältig um die Ränder der Wunde herum und leckte sie manchmal. Und als die alte Madam Bee nach dem Überfall der Kasakela_Männchen im Sterben lag, brachte Honey Bee täglich Stunden bei ihr zu, groomte ihre Mutter und hielt die Fliegen von ihren schrecklichen Wunden ab. In Gruppen von gefangenen Schimpansen kommt es vor, daß die zusammen aufgewachsenen Tiere, die so vertraut miteinander sind wie nahe Verwandte in der Wildnis, sich gegenseitig eifrig den Eiter aus Wunden drücken oder polken oder Splitter ausziehen. Einer holte seinem Gefährten ein Schmutzkörnchen aus dem Auge. Ein junges Weibchen gewöhnte sich an, ihren Gefährten mit Zweigen die Zähne zu putzen. Besonders faszinierend fand sie es, wenn deren Milchzähne locker und wacklig waren; sie zog ihnen sogar ein paar Zähne! Solche Handlungen sind überwiegend auf ein Fasziniert sein von der Tätigkeit selbst zurückzuführen und leiten sich sicherlich von der sozialen Fellpflege her. Die Ergebnisse sind jedoch manchmal für die Empfänger wohltuend, und das Verhalten bildet zusammen mit der so oft gegenaber Familienmitgliedern gezeigten Sorge die biologische Grundlage für das Auftreten der mitfühlenden Gesundheitsfürsorge beim Menschen.

Bei nichtmenschlichen Primaten in der freien Wildbahn teilen Erwachsene nur selten ihre Nahrung untereinander, mit Ausnahme von Müttern, die im allgemeinen mit ihren Jungen teilen. In der Schimpansengesellschaft jedoch teilen auch nicht miteinander verwandte Erwachsene oft miteinander, auch wenn sie es bevorzugt mit Verwandten oder nahen Freunden tun. In Gombe kann man Teilen am häufigsten beim Fleischfressen beobachten, wenn der Besitzer in Reaktion auf eine ausgestreckte Hand oder sonstige Bettelgebärde zuläßt daß ihm ein Stück Fleisch abgenommen wird – oder gar selbst ein Stück abreißt und dem Bittenden überreicht. Manche Tiere sind dabei großzügiger als andere. Gelegentlich werden auch andere Nahrungsmittel geteilt, wenn sie knapp sind – etwa Bananen. Unter in Gefangenschaft lebenden Schimpansen sieht man oft, daß sie abgeben. Wolfgang Köhler schloß einmal «im Interesse der Wissenschaft» das junge Männchen Sultan ohne Abendbrot in seinem Käfig ein und fütterte dann das alte Weibchen Tschego draußen. Während sie fraß, wurde Sultan immer wilder in seinen flehentlichen Bitten an sie. er winselte und kreischte und streckte die Arme nach ihr aus und warf sogar Strohhalme in ihre Richtung. Schließlich (vermutlich, nachdem sie ihren ärgsten Hunger gestillt hatte) nahm sie ein Häufchen Futter und schob es ihm in den Käfig.

as Teilen der Nahrung bei Schimpansen wird von Wissenschaftlern meist wegdiskutiert als die einfachste Art, ein Ärgernis – das Betteln eines Gefährten – abzustellen. Manchmal trifft das sicher zu, denn bettelnde Tiere können außerordentlich hartnäckig sein. Aber oft sind die Geduld und die Toleranz dessen, der die erwünschten Dinge besitzt, wirklich erstaunlich. Zum Beispiel, als die alte Flo das Stock Fleisch haben wollte, auf dem Mike gerade kaute. Sie bettelte, indem sie ihre beiden Hände um sein Maul legte, mehr als eine Minute lang. Dabei näherte sie nach und nach ihre schmollend aufgeworfenen Lippen den seinen, bis sie nur noch zwei Zentimeter entfernt waren. Endlich gab er nach und schob den Bissen (inzwischen gut durchgekaut) direkt von seinem Mund in ihren. Und was ist mit Tschegos Abgeben an Sultan? Zugegeben, sein lärmendes Wüten mag sie irritiert haben – aber sie hätte sich auch in eine entfernte Ecke ihres Geheges zurückziehen können. Robert Yerkes berichtet von einer Schimpansin, der durch die Gitterstäbe ihres Käfigs Fruchtsaft in einer Schale angeboten wurde. Sie füllte sich den Mund und lief dann, als Reaktion auf bettelndes Winseln aus dem nächsten Käfig, hinüber und flößte den Saft ihrer Freundin ein. Dann lief sie zurück und holte den nächsten Mundvoll und lieferte den auf die gleiche Weise ab. Sie fuhr fort damit, bis die Schale leer war.

Als Madam Bee schon sehr alt war, hatten wir einen ungewöhnlichen trockenen Sommer in Gombe, und die Schimpansen mußten weite Entfernungen von einer Nahrungsquelle zur nächsten überwinden. Madam Bee war krank und schwach und wurde bei diesen Wanderungen manchmal so müde, daß sie nicht mehr die Energie aufbrachte, zum Fressen auf einen Baum zu klettern, wenn sie ankamen. Ihre beiden Töchter stießen leise Rufe des Entzückens aus und kletterten hinauf, um zu fressen, aber sie blieb einfach völlig erschöpft unten liegen. Bei drei verschiedenen Gelegenheiten stieg Little Bee, die ältere Tochter, nachdem sie etwa zehn Minuten gefressen hatte, wieder hinunter, mit Nahrung im Mund und in einer Hand. Die Nahrung aus der Hand legte sie neben Madam Bee auf den Boden. Dann saßen die beiden Seite an Seite und aßen gemeinsam. Little Bees Verhalten war nicht nur ein Beweis für absolut freiwilliges Geben, sondern es zeigte auch, daß sie die Bedürfnisse ihrer alten Mutter begriff. Ohne ein solches Verstehen kann es kein Einfühlungsvermögen, kein Mitleid geben. Und es sind diese Wesenszüge, die bei Schimpansen wie Menschen zu altruistischem Verhalten und Selbstaufopferung führen.

Auch wenn Schimpansen eine Gefahr meistens zugunsten von Familienmitgliedern auf sich nehmen, gibt es Beispiele dafür, daß einzelne auch Verletzungen oder ihr Leben riskiert haben, um einem nichtverwandten Gefährten beizustehen. Evered trotzte einmal bei einer Jagd der Wut erwachsener Pavianmännchen, um den kreischenden jungen Mustard zu retten, den die Paviane an den Boden gedrückt festhielten. Und als Freud bei einer Buschschwein-Jagd von einer wütenden Sau gepackt wurde, setzte Gigi ihr Leben aufs Spiel, um ihn zu retten: Als das Schwein Freud von hinten anfiel, hatte Freud das gefangene Ferkel losgelassen. Er kreischte und strampelte, um sich zu befreien, als Gigi mit gesträubtem Fell herbeifegte. Die Sau fuhr herum, um Gigi anzunehmen, und Freud, der tüchtig blutete, konnte sich auf einen Baum flüchten.“22

Diese Ausführungen dürfen indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß allein im Menschen die hier ansatzweise erkennbare Abel-Seele voll entwickelt ist. Allerdings zeigt das Verhalten unerer felltragenden Verwandten, auf welch breitgefächertes Verhaltensrepertoire die Evolution zurückgreifen konnte. Mit anderen Worten, die von uns als positiv empfundenden Verhaltensmuster begegneten in der Frühzeit des Menschen keinem nennenswerten Widerstand und konnten sich ungehindert ausbreiten.

Abel kam auf die Welt. Und damit verurteilte die Evolution den Menschen, mit den zwei Seelen, die seitdem in seiner Brust hausen, fertig zu werden.

Das Iowa-Experiment hat gezeigt, wie schnell sich der Rückfall von einer an Abel orientierten Gesellschaft in die Kain-dominierte zurückfallen kann. Nicht nur das Iowa-Experiment, auch die dokumentierte Geschichte von den Tyrannen Athens bis zu Slobodan Milosevic offenbart diesen Befund in vielfältiger Weise.

Allerdings ist die Bedrohung nicht auf die Großsozietäten der modernen Zivilisation beschränkt:

… Das Leben spielte sich ab im Zyklus von Kriegen und Festen mit Kannibalismus, in Exzessen sexueller Natur und in der Sicherung der Sippe vor Überfällen. Der Völkerkundler Ronalsd Berndt hat es in einer Monographie beschrieben. Doch folgen wir den Schilderungen von Famane und dem Bild, das sich für uns daraus ergibt. Von der Kraft ist die Rede. Damit man kräftig, jung und für Frauen attraktiv bleibt, übt man in der avagli-Zeremonie das Schwitzen und Aushalten von Muskelanstrengung. Es vergeht keine Woche, in der nicht etwas Gewaltsames geschieht. Wer sich als der Stärkste durchsetzt, setzt damit auch sein Recht. Es gibt keine Häuptlinge, aber es gibt die souwäs, die Starken, die ihren Willen durchsetzen, weil die anderen sich vor ihnen fürchten. Nur zu Überfällen tut man sich zusammen und stellt sich unter das Regiment eines solchen Starken. Sonst geht jeder seinen Weg. Zum Hausbau hilft man sich gegenseitig. Ebenso zur Rodung und bei der Anlegung von Gemeinschaftsgärten. Darüber hinaus weiß sich jeder frei und unabhängig. Jagd, Feste, Zauberei, Flötenkulte, Schweinezucht und Krieg sind die Hauptthemen. Angst und Mißtrauen liegen über allem. Betrug, Überfälle, Vergewaltigungen und Morde lassen niemanden recht glücklich werden. Aber man weiß ja nichts anderes. Bis zum Tod verbringt man so sein Leben und denkt nicht weiter nach. Das Unangenehme wird hingenommen wie Sonne und Regen auch. Es gehört mit zur Existenz.

Wenn jemand stirbt, dann wird er verspeist. Eine Pflege der Schwachen kennt man nicht. Bei Famane vollzog sich insofern ein Bruch, als er mit etwa fünfundzwanzig Jahren mit den Europäern in Berührung kam und sein Leben damit eine entscheidende Wendung erhielt. In der alten Kultur aber geht alles seinen Gang weiter. Es gibt keine Hoffnung, dem Kreislauf des Unterdrückens und Unterdrücktwerdens zu entrinnen.“ 23

Nun kann niemand sagen, wie lange dieser Zustand schon andauert, und ob er möglicherweise erst durch die Berührung der Ureinwohner Neuguineas mit der „Zivilisation“ ausgelöst wurde. Eines jedenfalls ist sicher, auch die diversen Völkerschaften der Papuas kennen die Gefahren des Bruderzwists, den die Bibel beschreibt, denn dieser ist auch in ihren Schöpfungsmythen lebendig.

Die sogenannte „Kilibob-Manub-Mythe“ erscheint zwar in vielen Variationen, das Grundmuster wird indes wie folgt beschrieben:

Zwei Brüder, von denen im allgemeinen der jüngere fortschrittlicher und geschickter, der ältere konservativer ist, geraten in Streit um eine Frau, meist die Ehefrau des älteren, mit der der – unbeweibte – Bruder Ehebruch begeht und/oder der er ein spezifisches Muster, das sie auf seinem fehlgeschossenen Pfeil bewundert hat, auf den Schamhügel tatauiert. Der betrogene Ehemann macht den Ehebrecher ausfindig, indem er ihn anläßlich des Baus eines Kulthauses Pfosten beschnitzen läßt. Er erkennt dabei das verräterische Muster und versucht, den Ehebrecher im Pfostenloch mit einem Pfosten zu erschlagen…“24

In der Regel entkommt der Angegriffene und wird zum Stammvater einer Reihen von Gruppen, die er an seinem Wissen und seinen Erfahrungen teilhaben läßt.

Wir haben in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, daß in der Vorstellungswelt der Papuas die Frau zum Besitz des Mannes gehört. Der oben angesprochene „Ehebruch“ ist daher nicht an europäischen Maßstäben zu messen; vielmehr ist die Reaktion des Kilibob so zu interpretieren, daß er von seinem Besitz nichts abgeben will. – Manub hat die Frau des Kilibob offensichtlich nicht vergewaltigt, was einer Wegnahme gleichkäme, der „Besitz“ seines Bruders hat sich mehr oder weniger „verselbständigt“ und eine eigene Entscheidung getroffen. Das aber kommt einem „Opfer“, das Kilibob zu bringen hat, in etwa gleich, denn er muß verzichten. Dieses Verzichtenmüssen lastet er seinem Bruder an und wird gewalttätig, genau wie Kain es tat. Manub erweist sich nach seiner Flucht als derjenige, der bereitwillig sein „Know-how“ zur Verfügung stellt. Er ist also derjenige, der freiwillig mit anderen teilt. Er hat die Rolle des Abel. Obwohl der Ursprungsort der Bibel von den Quellen dieser Variante des vorsintflutlichen Bruderzwists etwa 20.000 km entfernt liegt, sind beide Mythen in ihrem Kern verblüffend ähnlich. Das mag reiner Zufall sein, an den ich allerdings nicht glaube.

Die Geschichten von Kain und Abel, von Kilibob und Manub zeigen vielmehr deutlich, daß die beiden zugeordneten Verhaltensmuster in jedem Menschen vorhanden sind. Systemtheoretisch könnte man es so ausdrücken, als spiele sich alles menschliche Sozialverhalten zwischen dem Kain- und dem Abelattraktor ab.

Persönliche Eigenschaften, die gern als Persönlichkeitsmerkmale bezeichnet werden, sind normalverteilt. Anhaltspunkte für einen von der statistischen Normalverteilung abweichenden Wert finden sich nicht. Betrachten wir die Enden der Skala, werden wir Menschen, die dem Kainattraktor zuneigen, eher in den Gefängnissen finden als Artgenossen, die eher den Abel verkörpern. Diese wiederum sind die Garanten dafür, daß unsere Krankenhäuser und Pflegeinstitutionen funktionstüchtig bleiben.

Wir haben hier die Extreme herausgearbeitet, die Grenzen der Möglichkeiten menschlichen Verhaltens aufzeigen. Dennoch sei davor gewarnt, Kain zu verteufeln und das Abel-Extrem zu verabsolutiernen und als das erstrebenswerte neue Ziel für die gesellschaftliche Entwicklung zu betrachten, das notfalls mit brachialer Gewalt durchzusetzen sei.

Aus der Gegenseitigkeit der Tauschbeziehungen ergibt sich, daß es für das Geben ein Optimum gibt. Zuwenig ist sicher nicht gut, und Geiz ist in Stammeskulturen verpönt. (…) Wenn einer allerdings zuviel gibt, so daß der Beschenkte das nicht so ohne weiteres erwidern kann, dann muß er durch seine Position, etwa als Häuptling, daz befugt sein. Einem Häuptling zahlt man auch Tribut, damit er verteilt und so die Gruppe bindet. In weniger hierarchisch organisierten Stameskulturen gilt aber der zuviel Gebende als Dummkopf oder als einer, der nichts Gutes im Sinn hat“25.

Wir müssen uns an dieser Stelle erneut vor Augen halten, daß es den „modernen“ Menschen erst seit rund 40.000 Jahren gibt. Das sind auf unserer Zeitskala 40 Meter. Der Zeitpunkt, zu dem sich die Kluft zwischen Kain und Abel auftat, liegt aber mindestens vier Kilometer hinter uns. Der Mensch lebte damals in einem relativ eng begrenzten Lebensraum. In diesem konnte er sich über Jahrmillionen als Sammler und Jäger erfolgreich behaupten. Das rechtfertigt den Schluß, daß es unseren Vorfahren gelungen ist, den Kain in ihnen weitgehend zu zügeln.

Der Weg, der den Menschen von den Bäumen des Tropenwaldes in die Weiten der Savanne Ostafrikas führte und ihm seine markante äußere wie innere Gestalt verlieh, wäre damit in groben Umrissen nachgezeichnet. – Mehr als diese Skizzierung ist wegen fehlender direkter Beweise auch nicht möglich.

Wie lange die Evolution zur Erreichung dieses Zustandes tatsächlich gebraucht hat, ist ungewiß. Jedenfalls wurde 1,5 km vom Startpunkt unserer Reise entfernt ein Mädchen geboren, das man mehr als 3,5 Mio. Jahre später auf den Namen „Lucy“ taufte. – In der Krabbelgruppe würde „Lucy“ als Baby auch nach 3,5 Mio. Jahren durch ihr Verhalten nicht auffallen, weil alle Verhaltensmuster, die wir von uns selbst kennen, bereits zu ihrer Zeit voll ausgeprägt waren.

Lucy“ war an ihre Umwelt vollkommen angepaßt; sie war darin geborgen. Diese Geborgenheit spiegelt sich zum einen darin wieder, daß bis zur nächsten belegbaren Veränderung im Körperbau des Menschen gut und gerne 120.000 Generationen ins Land gingen. Zum anderen ergibt sich der Beleg für die Geborgenheit aus den Fossilien unseres Gehirns, die der große Psychologe C.G. Jung als „Archetypen“ bezeichnet:

Wolfgang Wickler hat den Wert und die Bedeutung der Tradition für die Anpassung an die Umwelt aufgezeigt. Tradition als Zusammenfassung kollektiver Erfahrung und Gehorsam gegenüber dem Tradierten als Ausdruck des Vertrauens waren bereits C.G. Jung geläufig. Jung berichtet vom merkwürdigen Sonnnenkult der Elgonyi. Auf seine Frage, was dieser Kult bedeute, erhielt er die Antwort, man hätte das immer so getan und es von den Eltern gelernt; der Medizinmann wüßte, was es bedeuten würde. Allerdings konnte auch der Medizinmann keine Auskunft über die Bedeutung des Rituals geben, nur darüber, daß sein Großvater diese noch gekannt hätte. „Man mache das eben so, bei jedem Sonnenaufgang und wenn die erste Mondphase nach dem Neumond erscheint. (…) Dieses Verhalten der Elgonyi will uns allerdings als sehr primitiv vorkommen, dabei vergessen wir aber, daß auch der gebildete Abendländer nicht anders verfährt. Was der Christbaum bedeuten könnte, haben unsere Vorfahren noch weniger gewußt als wir, und erst die neueste Zeit hat sich darum bemüht herauszufinden, was er bedeuten könnte.

Der Archetypus ist reine, unverfälschte Natur (>Natur< hat hier die Bedeutung des schlechthin gegebenen und Vorhandenen), und es ist die Natur, die den Menschen veranlaßt, Worte zu sprechen und Handlungen auszuführen, deren Sinn ihm unbewußt ist, und zwar so unbewußt, daß er nicht einmal darüber denkt. Eine spätere, bewußtere Menschheit kam angesichts so sinnvoller Dinge, deren Sinn doch niemand anzugeben wußte, auf die Idee, daß es sich um Reste eines sogenannten goldenen Zeitalters handle, wo es Menschen gab, die wissend waren und den Völkern die Weisheit lehrten. Spätere, verkommene Zeiten hätten diese Lehren vergessen und nur noch mechanisch unverstandene Gesten wiederholt. Angesichts der Ergebnisse der modernen Psychologie kann kein Zweifel mehr darüber walten, daß es vorbewußte Archetypen gibt, die nie bewußt waren und indirekt nur durch ihre Wirkungen auf die Bewußtseinsinhalte festgestellt werden können. Es besteht meines Erachtens kein haltbarer Grund gegen die Annahme, daß alle psychischen Funktionen, die uns heute als bewußt erscheinen, einmal unbewußt waren und doch annähernd so wirkten, wie wenn sie bewußt gewesen wären. Man könnte auch sagen, daß alles, was der Mensch an psychischen Phänomenen hervorbringt, schon vorher in naturhafter Unbewußtheit vorhanden war… .26

Lucy“ war, legt man als Kriterium die ihr möglichen Verhaltensalternativen zugrunde, eindeutig ein Mensch. Ihre sterblichen Überreste wurden zum wohl bekanntesten Skelett eines Zweibeiners, dem man den wissenschaftlichen Namen Australopithecus Afarensis verpaßte.

Die uns bekannte Form des menschlichen Bewußtseins ist, die Ausführungen C.G. Jungs zeigen es, keine notwendige Bedingung dafür, in einer von unserer Zivilisation unberührten Natur als Mensch zu überleben. Der Fortpflanzungserfolg gab „Lucy“ und all ihren Nachkommen Recht. Wir aber haben keinen Beweis dafür, daß der heutige Mensch sich seitdem in einer Form weiterentwickelte, die den Gebrauch neuer Gattungs- und Artnamen rechtfertigen würden. Aus diesem Grunde gibt es entweder nur Australopithecus oder nur homo als biologische Artbezeichnung des Menschen. Bei den Römern war homo nicht nur das Wort für Mensch, sondern auch das für Mann. Aus Gründen der Objektivität und zur Vermeidung sexistischer Tendenzen sollte daher meiner Meinung nach für den Menschen die Artbezeichnung Australopithecus beibehalten werden. Der Mensch geht aufrecht. Aufrecht, hochaufragend heißt auf Latein superbus. Superbus in der Bedeutung „überheblich“, war der Beiname des letzten römischen Königs. Die schillernde Bedeutung dieses Attributs lassen es mich gerechtfertigt erscheinen, uns selbst als Australopithecus superbus in die biologische Nomenklatur aufzunehmen.

Nach Konrad Lorenz ist der heutige Mensch der letzte Schrei, aber nicht das letzte Wort der Natur. Wenn Zinjanthropus in der Straßenbahn schon nicht auffiele, ließe sich „Lucy“ wohl im Playboy als die exotische Schönheit des Jahres vermarkten. „Lucy“ war schließlich auch einmal der letzte Schrei der Natur – Jedenfalls hätte sie keine Scheu, ihre Reize vor der Kamera zu zeigen, weil jegliche Form von Bekleidung zu ihren Lebzeiten unbekannt war.

Wir winken „Lucy“, ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln freundlich zu und schalten unseren Walkman ein. Wir hören „Lucy in the Sky with Diamonds“, den Song der Beatles, der diese unfreiwillig zu Taufpaten der junge Dame aus der Olduvai-Schlucht machte.

Von Ferne ertönt allerdings schon das dumpfe „Hey, Neanderthal Man“. Das signalisiert uns bereits das nahende Ende unserer Reise. Denn wir haben nur noch zwei Gabelungspunkte vor uns, bevor wir den Menschen von Crô – Magnon27 und aus dem Neandertal gegenüberstehen.

Diese Artgenossen müssen sich noch ein wenig gedulden, denn bevor wie sie erreichen, müssen wir noch unseren Freunden vom Stamm des Homo erectus einen Besuch abstatten. „Lucy“ lebte in einer evolutionär unspektakulären, paradiesischen Zeit; über weitere 1,5 km treibt JirkasBoot ruhig dahin, erst danach beginnen sich die Verhältnisse zu ändern, zunächst nicht dramatisch, aber kontinuierlich. Dann geht es turbulent zu in unserem Fluß, aber bereits nach wenigen hundert Metern wird es wieder ruhig und Jirkas Boot erreicht das von Homo erectus beherrschte Gebiet.

Langsam wird es Zeit, daß Sie sich eine Jacke anziehen, denn der folgende Teil unserer Reise führt aus den Gefilden des Paradieses hinaus.

1 Wolfgang Wickler, Die Biologie der Zehn Gebote, München 1977, S. 143

2 Rudolf Bilz, Paläoanthropologie, Frankfurt/Main 1971, S. 488ff

3 Armin Heymer, Die Pygmäen, München 1995, S. 204f

4 Die Vorarbeiten zum Bürgerlichen Gesetzbuch begannen kurz nach der Reichsgründung 1871, waren aber erst 1896 bgeschlossen. Das BGB faßt in seinem Kern die mitteleuropäischen Rechtstraditionen von Jahrtausenden zusammen.

5 vlg. Eibl-Eibesfeld aaO 497 ff, er faßt seine Ergebnisse u.a. wie folgt zusammen: „…In allen von uns untersuchten Kulturen verfügen bereits Säuglinge im vorsprachlichen Alter über die Strategien des Anbietens, und sie erfreuen sich spielerischer Dialoge des Gebens und Nehmens, die bereits die Regeln der Reziprozität beachten. Aus dem reziproken Geschenkeaustausch entwicklte sich der Handel. Die ethologischen Erhebungen bestätigen die Annahme von Marcel Mauss, daß die soziale Funktion des Objekttransfers am Anfang der Entwicklung stand. Bindungen an Mitmenschen werden als Besitz geachtet und verteidigt. Soziale Bindungen sind jedoch stets partnerschaftlich wechselseitig.( S. 508)

6 vgl. Eibl-Eibesfeldt aaO, S. 508

7 vgl. auch Zimmer aaO S. 255 ff, Zimmer nennt das beschriebene Phänomen „Obligationsmuster“, dasd letzlich unser Gerechtigkeitsgefühl erzeugt.

8 Christian Kaufmann in: Heinrich Harrer: Unter Papuas Frankfurt/Main 1978, S 198f.

vgl. auch Friedrich Klausberger, Ruoni Murlen – Recht ohne Gesetz, Göttingen 1989, S xy; Die Murle, ein Volkstamm im Südsudan beschreiben ihre Vorstellung vom Vertrag in verblüffend ähnlicher Weise wie das BGB.

9 vgl. Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Die Biologie des menschlichen Verhaltens, München 1995, S. 506

10 Das Wort „Kybernetik“ leitet sich aus dem griechischen kyberentes (Steuermann) ab, es geht auf Norbert Wiener zurück

11 Peter Ripota, Wie man Erfolgsstrategien im Rechner testen kann, in: PM – Magazin 7/92, S. 64

vgl. auch Robert Axelrodt u. William D. Hamilton, The Evolution of Cooperation, Science Bd. 211 (1981), S. 1390, 1393 ff

12 vgl. Wolfgang Ukatius, Der Mensch – kein Egoist, in: Die Zeit, 31.5.2000, S. 31

13 Sabine Klocke-Daffa, „Wenn Du hast, mußt Du geben.“ – Traditionelle Sicherungssysteme im neuen Staat. Das Beispiel der Nama; in: Zeitschrift für Ethnologie 1999, 299, 303

14 Vitus B. Dröscher, Wie menschlich sind die Tiere?, München 1985, S. 144

15 Wolfgang Wickler, Die Biologie der Zehn Gebote, München 1977, S 184 ff

16 Es gibt wohl eine Reihe von Kulturen, die den Status eines formalen Häuptlings nicht kennen, wie z.B die Aboriginees Australiens. ( vgl. Helmut Uhlig, Menschen der Südsee, Berlin 1974 S. 43): Es gibt in den australischen Horden kein Häuptlingstum. Der Zäheste, Tüchtigste, Erfahrenste, der auch über die mythisch-religiösen Bindungen genau Bescheid weiß, führt die Horde. Meist sind es alte Männer, denen diese Aufgabe zufällt und die auch darüber zu wachen haben, daß die strengen Gesetze der bestehenden Gesellschaftsordnung eingehalten werden.“ – Wenn auch nicht formal ein Häuptling, der Stellung und Funktion nach aber doch!

17 Wolfgang Wickler aaO, S 210f

18 Alfred J. Marrow, Kurt Lewin – Leben und Werk, Stuttgart 1977, S. 142 f;

vgl. auch Manfred Sader, Psychologie der Gruppe, Weinheim 1991, S. 271ff; Jean Pierre Poitou, Macht und Machtausübung, in: Serge Moscovici, Forschungsgebiete der Sozialpsychologie, Kronberg 1976, S. 123f; Rudolf Dreikurs, Selbstbewußt, München 1995, S. 212ff

19 Dreikurs, aaO, S. 214

20 Man hat bei der Diskussion über das Ergebnis vergessen, daß die Bereitschaft zum Gehorsam gegenüber Autoritäten die Grundlage jeder Gesetzgebung darstellt. Kein Gesetz dieser Welt würde beachtet, wenn die Menschen nicht dazu bereit wären, es auch zu befolgen. Allerdings zeigt es auch die Grenzen der Möglichkeiten des Gesetzgebers auf. Es ist nicht möglich, durch Gesetz ein gesellschaftlich anerkanntes oder überwiegend geduldetes Verhalten aus der Welt zu schaffen und gesellschaftliche Probleme durch Verbote zu lösen. Die Erwartung, daß alle dem Verbot Folge leisten werden, erweist sich als Illusion. Denn es ist damit zu rechnen, daß sich etwa 37% der vom Gesetz Betroffenen widersetzen werden.

21 Jane Goodall, Ein Herz für Schimpanen, Reinbek 1991, S. 236

22 Goodall, aaO, S. 241

23 Dr. Friedrich Steinbauer, Tarabo, in: Heinrich Harrer, Unter Papuas, Frankfurt/Main 1978, S. 61

24 Dr. Rose Schubert, Mythen und Erzählungen, in : Heinrich Harrer aaO, S. 189

25 Eibl-Eibesfeldt, 1995, S. 504

26 Carl Gustav Jung, Gesammelte Werke Band VIII, Zürich 1967, Rnr. 411f, S.240f

27 Das in der Höhle von Crô – Magnon gefundene Skelett ist ca. 40.000 Jahre alt und das älteste bislang gefundene, das eindeutig die Züge des heutigen Menschen aufweist.


CDU-Politiker Christian von Boetticher: Keine Chance für die Liebe

August 17, 2011

CDU-Politiker Christian von Boetticher: So denkt Deutschland über die Teenie-Affäre – Politik Inland – Bild.de.

Das erklären Sie mal einem Neandertaler, aber bitte so, als wäre er vier Jahre alt.

Neandertalerinnen und Neandertaler  würden ob der Aufregung, die durch das Land geht, wohl nur den Kopf schütteln und fragen:

Seid Ihr überhaupt noch Menschen? Wohl eher nicht!

Dem ist zuzustimmen. Paläontologen versuchen, das Verhalten von Dinosauriern zu rekonstruieren, indem sie das Verhalten von heutigen Reptilien und Vögeln beobachten und versuchen, es mit den anatomischen Strukturen der Dinos in Einklang zu bringen.

Was für Dinosaurier gilt, gilt auch für den Menschen. – Der versucht zwar immer wieder, sich von seinen biologischen Wurzeln zu trennen, aber das kann und wird nicht klappen.

Und so wird er sich über kurz oder lang damit abfinden müssen, daß Menschenfrauen keine „Sexobjekte“ sind, sondern vielmehr „Sexsubjekte“. – Unser biologisches Erbe schreibt – entgegen aller kulturellen Verbiegung – vor, daß das „Weibchen“ den Sexualpartner auswählt und nicht die Familie oder der „zukünftige Ehemann“ –

Die Zwangsehe ist „widernatürliche Unzucht“

Ich bestreite, daß unsere nächsten Verwandten im Tierreich die Schimpansen sind. – Verhaltensmäßig stehen wir den Bonobos erheblich näher; und zwar so nahe, daß deren Sexualverhalten – gepaart mit der „Reeperbahn“ Aufschluß geben über das Sexualverhalten unserer Vorfahren in der Savanne Afrikas. – Bis hin zu den Fellhütten der Neandertalerinnen und Neandertaler.

Lauschen Sie den Signalen der Urzeit, die das Neandertal als einen einzigen „Sexclub“ erscheinen lassen:

Beginn des Zitats

Am 15.4.2005 meldeten diverse Presseorgane, der Neandertaler hätte sich einseitig von Fleisch ernährt. – Welcher heutige Amerikaner tut das nicht, diese „Nachricht“ hat also keinen Sensationswert, nicht einmal für Neandertaler. Beschäftigt man sich jedoch ein wenig näher mit den sanftmütigen und sensiblen Wesen aus dem Neandertal, macht man eine in der Tat sensationelle Entdeckung. Das Neandertal war ein Sex-Club.

>>Folgender Text ging als E-mail an die Wissenschaftsredaktion der WELT und an andere Zeitungen:

Hat es Sie wirklich überrascht, daß Neandertaler sich nicht „ausgewogen“ ernährt haben? – Haben sich Menschen, wo immer sie lebten und leben, überhaupt jemals so ernährt, wie Ökotrophologen (dieses Wortmonstrum bedeutet „Ernährungswissenschaftler“) es fordern?

Nein! Auch Menschen haben sich zu allen Zeiten von dem ernährt, was gerade zur Verfügung stand. Den Neandertalern während der letzten Eiszeit stand vor allem Fleisch zur Verfügung. Diese Feststellung gilt hauptsächlich für die in Europa aufgefundenen sterblichen Überreste.

Wichtige Neandertalerfunde stammen aber auch aus dem Iran und aus Israel, Gegenden, die unter den damals herrschenden klimatischen Bedingungen eher als „gemäßigt“ einzustufen sind. Ohne genaue Kenntnis über die Herkunft der in Ihrem Beitrag erwähnten Skelette ist daher das Urteil „der Neandertaler“ sei zeitlebens fehlernährt gewesen, schlicht falsch.

Der Neandertaler“, den gab es ohnehin nicht. Aber seit der Entdeckung des ersten Neandertalerskeletts dient er als Projektionsfläche für die Eigenschaften des „modernen“ Menschen, die dieser an sich partout nicht feststellen will: Der keulenschwingende, frauenraubende und tumbe Depp.

Der Neandertaler“ war ganz anders, aber Sie sind ihm sehr nahe, denn wahrscheinlich auch in Ihrer Phantasie spukt der Geist des Neandertals:

Neandertaler haben sich rührender um ihre Gefährten gekümmert als Norbert Blüm und die Pflegeversicherung. Die gegenwärtige Diskussion um die „Kostendämpfung“ im Gesundheitswesen hätten Neandertaler mit Kopfschütteln und Abscheu verfolgt:

>> „Die Neandertaler müssen deutlicher als alle anderen Geschöpfe vor ihnen empfunden haben, wie kostbar ein Leben ist, denn auf der fundamentalsten Ebene sind Begräbnisriten gleichbedeutend mit dem Wunsch, das Menschliche zu bewahren. Das Begraben besagt, daß irgendein wesentlicher Teil des menschlichen Lebens – man mag es Geist oder Seele nennen   nicht zerstört werden kann, sondern nach dem Tode irgendwo anders in irgendeiner anderen Form weiterexistiert.

Dieser zunehmende Sinn für den Wert des Lebens spiegelt sich nicht nur in den Begräbnisriten der Neandertaler, sondern auch in ihrer Fürsorge für alte und behinderte Menschen. So war zum Beispiel der Mann von La Chapelle-aux-Saints längst über die besten Mannesjahre hinaus, als er starb. Sein Skelett läßt erkennen, daß er unter Arthritis litt und unmöglich noch an Jagden teilnehmen konnte. Selbst das Essen muß ihm schwergefallen sein, da er alle Zähne bis auf zwei verloren hatte. Hätte er zu einer früheren Zeit gelebt, hätte man ihn wahrscheinlich ausgesetzt und verhungern lassen, nachdem er für die Gruppe nicht mehr von Nutzen war. Aber die Neandertaler ließen sich anscheinend nicht von einer derart grausamen Logik leiten. Die Gefährten dieses Mannes versorgten ihn selbstlos mit Essen, vielleicht kauten sie es ihm sogar vor.

Auch die Funde von Shanidar lassen vermuten, daß die Neandertaler für Behinderte sorgten. Einige der dort gefundenen Knochen gehören einem 40jährigen Mann, der vermutlich durch Steinschlag getötet wurde. Die Untersuchung seines Skeletts ergab, daß ihm vor dem tödlichen Unfall nur ein Arm zur Verfügung gestanden hatte. Der rechte Arm und die Schulter waren verkümmert – vermutlich ein angeborener Defekt. Trotz dieser erheblichen Behinderung erreichte er ein für einen Neandertaler hohes Alter. Seine Vorderzähne sind ungewöhnlich stark abgenutzt, was darauf hindeutet, daß er einen großen Teil seiner Zeit damit verbrachte, Tierhäute weichzukauen, damit sie als Kleidung verwendet werden konnten, oder daß er seine Zähne anstelle des fehlenden Arms zum Festhalten von Gegenständen benutzte. (…) Auch der ursprüngliche Neandertaler aus Deutschland hat eine schwere Verletzung überlebt, sich allerdings nicht gut von ihr erholt: Die Knochen seines linken Ellenbogens waren so deformiert, daß er nicht imstande war, die Hand zum Mund zu heben; ob Mensch oder Tier für diese Verletzung verantwortlich war, läßt sich nicht feststellen…“ (George Constable, Die Neandertaler, 1979, S. 101 ff)

Diese Feststellungen machen doch erschreckend deutlich, daß während der Eiszeit Kranke und Behinderte offensichtlich einen Stellenwert hatten, den man sich am Ende des 20. Jahrhunderts eigentlich nur wünschen kann.

Es ist nicht anzunehmen, daß der Neandertaler die Fürsorge für Kranke und Behinderte erfunden hat. Angesichts seiner Lebensbedingungen hätte man aus heutiger Sicht eher das Gegenteil erwartet. Allein deswegen ist die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, daß bereits die frühesten Formen des Menschen ihre kranken und behinderten Gruppenmitglieder nicht einfach ihrem Schicksal überließen, sondern sich vielmehr ebenso intensiv wie um ihren Nachwuchs kümmerten. Die Umstellung vom Fell auf die nackte Haut stellte den Ausgangspunkt dar für das, was wir als Humanität bezeichnen.

Das Jagen besorgten die Männer, das Sammeln übernahmen vorwiegend die Frauen, die sich natürlicherweise auch um den Nachwuchs kümmerten, – nicht allein um ihn, auch um die Gruppenmitglieder, die krank oder behindert waren.

Aus rein praktischen Gründen hatte es sich so ergeben. Frauen, die schwanger waren oder Kinder auf dem Arm trugen, waren bei der Jagd offensichtlich gehandicapped. Eine Löwin behält ihren Schwerpunkt während der Schwangerschaft ebenso wie eine Antilope. Bei einer schwangeren Frau ist das anders. Das freilich sagt nichts über ihre Jagdfähigkeit aus:

Die Jagd wurde zur Domäne des männlichen Geschlechts. So jedenfalls wird es seit Ewigkeiten kolportiert.

Aber schauen Sie sich einmal um. Wer sammelt Bierdeckel? – Wer sammelt Modellautos? Wer sammelt die Figuren aus den Überraschungseiern? – Es sind die Männer, mit denen die Sammelleidenschaft durchgeht. Und der Stolz sammelnder Männer ist so groß, daß er in Scherzen über das menschliche Balzverhalten auftaucht: „Darf ich Ihnen meine Briefmarkensammlung zeigen….?“ – Bei Männern erscheint die Sammelleidenschaft mehr oder weniger als Leerlaufhandlung. Der fundamentale Antrieb ist immer noch vorhanden.1

Die weibliche Jagdleidenschaft entzieht sich weitgehend der historischen Beobachtung. Sie offenbart sich überwiegend im Lottospiel; vor allem im angelsächsischen Kulturkreis sind die regelmäßigen Treffen zum Bingo-Spielen Tradition.

Anläßlich der letzten Weltmeisterschaft im Damenfußball und bei den Olympischen Spielen des Jahres 2000 ließ sich beobachten, daß die Fußballerinnen der Welt eine noch größere Spielfreude an den Tag legen können als ihre männlichen Pendants. Fußball aber ist ein klassisches Hetzspiel.

In diesem Zusammenhang müssen wir berücksichtigen, daß bis zur weltweiten Einführung empfängnisverhütender Hormone die Frauen in aller Welt relativ früh schwanger wurden. Mit einer Schwangerschaft findet eine sportliche Karriere aber ein jähes Ende. Erst seit rund 35 Jahre – 3,5 cm im Fluß des Lebens – können Frauen ihre entsprechenden Leidenschaften auch auf dem Sportplatz ausleben.

Wenn Männer sammeln und Frauen hetzen, ist wohl kaum ein gravierender Unterschied zwischen den Geschlechtern festzustellen. Freilich läßt sich auch beim Menschen, damit unterscheidet er sich nicht von seinen Verwandten im Tierreich, ein höheres Aggressionspotential in der Männerwelt feststellen. Das schlägt sich in der Kriminalstatistik nieder, in der die Frauen, Sexismus hin, Sexismus her, erheblich „unterrepräsentiert“ sind.<< ( Gerhard Altenhoff, Australopithecus Superbus, http://www.lulu.com/advocatusdeorum). Sie sehen, die grundlegenden Verhaltensmuster haben sich bis auf den heutigen Tag erhalten.

Die Neandertaler, die tatsächlich im Neandertal lebten, hatten zu ihren Lebzeiten nicht die Möglichkeit, im „Breidenbacher Hof“ oder im Düsseldorf Hilton zu übernachten. Sie mußten ihre Unterkünfte wohl oder übel selbst bauen. Im Düsseltal war es bis vor rund 15.000 Jahren kalt, verdammt kalt. Mammuts und Wollnashörner verfügten allerdings über Felle, die verdammt gut isolierten. Das Fett dieser Tiere wird in der Tundra ein willkommener Brennstoff gewesen sein. Was also lag für die Neandertaler näher, als Großwild zu jagen. Wenn ich Burians „Bilderlexikon des Menschen in der Vorzeit“ recht in Erinnerung habe (das Buch selbst ist mir abhanden gekommen), verwendeten die Neandertaler nicht nur die Felle, sondern auch die Knochen des damaligen Großwilds zum Bau ihrer Hütten.

Es dürfte ein schönes Stück Arbeit gewesen sein, einem tonnenschweren Mammut das Fell über die Ohren zu ziehen, aber am Ende hatte eine Neandertalerhorde mehr als ausreichend Nahrung. Raubtiere und Aasfresser dürften zur damaligen Zeit sogar die Nähe des Menschen gesucht haben, bot er ihnen doch eine willkommene Gratismahlzeit. Und selbst davon profitierten die Neandertaler, denn die Knochen, die von „Raub“-tieren und Aasfressern abgenagt worden waren, brauchten sie nur noch einzusammeln und zu Hütten zusammenzusetzen. – Ein ganz einfaches, aber pfiffiges System, in der Eiszeit zu überleben.

Wenn es zutreffend sein sollte, daß sich Neandertaler überwiegend von den wandelnden Fleischbergen ernährten, was machten sie in der Zeit, in denen sie nicht zur Jagd gingen?

Sex.

Gehen Sie von folgender Grundüberlegung aus: Tierische Sozialgemeinschaften sind Überlebens- und – vor allem – Aufzuchtgemeinschaften. Die Grundstimmung innerhalb der Trupps, Horden, Rudel oder Herden ist freundlich. Beschädigungskämpfe werden vermeiden.

Neben dem „klassichen“ Schimpansen haben wir im Tierreich einen weiteren „nächsten“ Verwandten, der sich Bonobo nennt. Bonobos wurden über Jahre hinweg von den Biologen als „Zwergschimpansen“ bezeichnet. Dann stellte sich heraus, daß Bonobos sich von den Schimpansen grundlegend unterscheiden. Sie sind keine Baum- sondern Bodenbewohner und geradezu sexbesessen. Bonobos treiben munterlustig Sex miteinander, und das, was außergewöhnlich ist, auch außerhalb der „Paarungszeit“. Bonobos setzen Sex gezielt zum Abbau sozialer Spannungen ein, Weibchen lieben es auch, ihre Geschlechtsteile aneinander zu reiben (sogenanntes G-G-rubbing). Bonobomädchen haben kein Problem damit, die Liebe zum Erlangen begehrter Nahrungsmittel einzusetzen. Nach dem Verständnis eines „zivilisierten“ Menschen könnte man Bonobofrauen durch die Bank als Prostituierte bezeichnen. Und es scheint bei Bonobos nur ein sexuelles Tabu zu geben, nämlich das zwischen Mutter und Sohn.

Bei Bonobos verlassen in der Regel die jungen Frauen ihre Ursprungsgruppe, wenn sie erwachsen geworden sind. Bonobos scheinen demnach ebenso exogame Wesen zu sein wie Menschen. Daraus resultiert aber ein Problem: Kinder haben im Regelfall eine enge Bindung an die Mütter und an die Ausgangsgruppe. Wie löst man diese so auf, daß der „Abschied“ nicht weh tut? – Man pflanzt ihnen „Schmetterlinge in den Bauch“. Das ist der Ursprung der „romantischen“Liebe und ihr biologischer Sinn.

Nun dürfte bei Menschen die Bindung der Mütter an die Kinder wesentlich enger sein als bei unseren felltragenden Verwandten, denn die Brutpflege ist intensiver. Die Kinder müssen schließlich aktiv getragen werden, sie können sich nicht festklammern. Daher ist es nur natürlich, daß sich i Laufe der Zeit eine Form von Abschiedsritual entwickelte. Wir kennen es heute noch, es nennt sich „Hochzeit“, es ist in der Regel, und eigentlich in aller Welt von Blumen begleitet. Blumen haben die Neandertaler ihren Toten, darauf läßt vor allem der Shanidar-Fund schließen, auch mit ins Grab gegeben. Es sieht also ganz danach aus, als hätte auch das Abschiedsritual „Trauerfeier“ hier seinen Ursprung.. Abschiedsrituale haben sich in vielfältiger Form als Verhaltensmuster bis auf den heutigen Tag erhalten. Warum sollte es mit sexuellen Verhaltensmustern anders sein. Warum sollte der Mensch zu einer Form der Sexualität „zurückgekehrt“ sein, die der „reinen“ Fortpflanzung dient? Es gibt dafür keinerlei Anhaltspunkte. Eher für das Gegenteil.

Leider gibt es kaum Freilandbeobachtungen über das Verhalten der Bonobos. Die filmisch dokumentierten Verhaltensmuster stammen von dem im Zoo von San Diego lebenden Trupp. Bonobos sind Bodenbewohner

Unsere Ahnen waren es auch Die uns eigene Wirbelbrückenverkrümmung deutet nämlich darauf hin, daß wir von Bodenbewohnern abstammen. Der Mensch ist in der Geschichte der Lebens nicht derjenige, der die Fortbewegung auf zwei Beinen erfunden hat. Insbesondere bei den Dinosauriern war die bipede Fortbewegung gang und gäbe. Paradebeispiel ist Tyrannosaurus Rex. Ein Riesentier mit riesigem Kopf, gewaltigen Beinen, aber geradezu lächerlichen Ärmchen. T. Rex hatte aber, wie unsere Vögel, eine Wirbelbrücke. Wir haben eine „Wirbelsäule“, die dadurch zustande kommt, daß die ursprünglich vorhandene Wirbelbrücke sich nach der Geburt verformt. Sie wird regelrecht eingedrückt und zwingt uns zur aufrechten Körperhaltung. Eine derartige „Erbkrankheit“ konnte sich nur dann „ausbreiten“, wenn sie dem davon Befallenen Organismus nicht die Möglichkeit nahm, sie an die nächste Generation zu vererben:

Stellen wir uns einen baumbewohnenden Affen vor, bei dem ein genetischer Defekt im Jugendalter dazu führt, daß seine Wirbelsäule sich zum Bauch hin verkrümmt. Welche Chance hätte er, sich erfolgreich fortzupflanzen? – Nach der klassischen Evolutionstheorie keine, denn die Mutation ist ja nachteilig. Anders sieht es bei einem Bodenbewohner aus. Hier ist der „Nachteil“ nicht so groß. – Die Frage, wie es dazu kommen konnte, daß sich das Merkmal Wirbel-„säule“ durchsetzen konnte, kann an dieser Stelle offenbleiben, denn entscheidend ist, daß es bis zum heutigen Tage in uns erhalten ist.

Für bodenbewohnende Menschenaffen scheint es ein Vorteil zu sein, den engen Zusammenhalt der Gruppen durch ausgiebigen Gebrauch ursprünglich rein sexueller Verhaltensmuster zu stärken. Es kommt für unsere eigene Sexualität nicht einmal darauf an, ob wir den Bonobos genetisch näher stehen als den Schimpansen. Denn Parallelentwicklungen sind in der Natur keine Seltenheit. Aber, wie gesagt, auch diese Frage kann hier offenbleiben.

Entscheidend ist vielmehr, daß sich hinter der lapidaren Feststellung, Bonobofrauen tauschten Sex gegen Nahrung ein, der Ursprung dessen verbirgt, was ich als „Tausch-und-teile-Instinkt“ bezeichne.

Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß sich unsere Ahnen anders verhalten haben als Bonobos. Wir finden die entsprechenden Verhaltensmuster auch bei uns „modernen“ Menschen vor, freilich in grotesker Verzerrung:

Als unsere unmittelbaren Vorfahren vor rund 93.000 Jahren durch eine „Klimakatastorphe“, nämlich die einsetzende Eem-Warmzeit, in einer Größenordnung von etwa zehn- bis zwanzigtausend Individuen auf einer Insel festgenagelt wurden, begannen die sozialen Instinkte unserer Vorfahren zu verkrüppeln:

>>Die Befunde der Genetiker passen genau in das Zeitfenster, das sich vor etwa 90.000 Jahren öffnete und von den Geologen Eem-Warmzeit genannt wurde. Vor 70.000 Jahren wurde es dann wieder kälter. Die Weichsel- oder Würm-Vereisung nahm ihren Anfang. Mit ihr fand die „Eiszeit“ vor etwa 10.300 Jahren ihr vorläufiges Ende.

Die Folgen einer fortschreitenden Erderwärmung werden heute unter dem Begriff „Klimakatastrophe“ gehandelt. – Allein, einer solchen „Klimakatastrophe“ verdanken wir unsere Existenz:

Der ansteigende Meeresspiegel hat – zunächst unmerklich – den Lebensraum unserer Vorfahren in ähnlicher Weise vom Rest der Welt isoliert wie der Ärmelkanal England vom übrigen Europa. Ohne Seefahrt wüßte auch heute kein Kontinentaleuropäer von der Existenz der Queen. Erst recht würden die Iren sich für die einzigen Menschen auf dieser Welt halten, denn sie hätten keinerlei Kontakt zum übrigen Europa.

Befand sich zwischen dem Ursprungsort der rezenten Menschenform und dem Festland eine breite Senke, so wird es nicht lange gedauert haben, bis „alle hohen Berge unter dem ganzen Himmel bedeckt wurden.“ Allerdings war dieser Weltuntergang nur virtueller Natur. Der Rückschluß auf den Tod aller anderen Lebewesen ist damit natürlich vorgezeichnet. Und einen Sinn und Zweck mußte das auch haben, denn, Sie haben es weiter oben gesehen, auch der moderne Mensch hat Schwierigkeiten damit, sich ein zweckfreies Verhalten der Natur vorzustellen.

Mit fortschreitendem Anstieg des Pegels riß also der Kontakt zur übrigen Menschheit ab. Aus der Sicht des Neandertalers waren diese „Inselaffen“ bei der Fortpflanzung wieder einmal auf im weiteren Sinne inzestuöse Beziehungen angewiesen, denn der Genpool war durch die Insellage sehr beschränkt. – Erneut begegnen wir dem Inzest als einer der treibenden Kräfte der Evolution – So also sehen die Anfangsbedingungen für die Evolution vom „klassischen“ zum „rezenten“ Menschen aus.

Der „moderne“ Mensch, man muß es leider feststellen, entwickelte hier einige unangenehme Eigenschaften, denen wir heute noch begegnen können. Vor allem kam ihm das abhanden, was wir heute als „soziales Gewissen“ bezeichnen würden. Zu den schwerwiegendsten Systemfehlern des heutigen Menschen gehört seine ausgesprochene Neigung zum Plündern und zum Ausrotten. Was passierte also auf dieser Insel? Lynn Jordy hat die von ihm entwickelte Hypothese „Bottlenecktheory“ genannt. Bottleneck ist das englische Wort für Flaschenhals, einen Flaschenhals, durch den sich die Menschheit hindurchzwängte. Nennen wir Herrn Jordy zu Ehren die Wiege des rezenten Menschentyps Bottleneck.

Wie überall auf der Welt teilten die Menschen auf Bottleneck ihren Lebensraum mit Freßfeinden und Nahrungskonkurrenten.

Die Insellage brachte es nun einmal mit sich, daß neue Herausforderungen an unsere nunmehr unmittelbaren Vorfahren herantraten. Die Umwelt änderte sich dramatisch, weil auf Bottleneck auch Flora und Fauna sich der Insellage anpaßten und entsprechenden Änderungen unterworfen waren.

Die Menschen auf Bottleneck bildeten, das braucht wohl nicht näher betont zu werden, keine homogene Einheit, die Insel war selbstverständlich in die Reviere der einzelnen Horden aufgeteilt. Dieses Muster findet man auch heute noch vereinzelt auf Neuguinea und in Südamerika.

Die Umweltveränderungen brachten es mit sich, daß sich die Ernährungsgewohnheiten der Binnenländer von denen der Küstenbewohner zu unterscheiden begann. Demzufolge bildeten sich unterschiedliche Kulturtraditionen heraus. Dies hinterließ Spuren in den Köpfen der Menschen. Die Traditionen der einzelnen Horden drifteten auseinander und wurden am Ende fast nicht mehr kompatibel. All das gibt es heute noch, vor allem auf Neuguinea. Aber auch die sogenannte zivilisierte Menschheit ist heillos zerstritten über den „richtigen“ Weg. Angefangen vom „rechten“ Glauben bis hin zum belanglosen Streit, ob McDonalds besser ist als Burger-King, wobei diese Meinungsverschiedenheit ausnahmsweise noch keine Todesopfer gefordert hat.

Bei der Erörterung der Evolution reziproken Verhaltens haben wir gesehen, daß dieses langfristig erfolgreicher ist als der krasse Egoismus, hingegen hat der Egoismus kurzfristig mehr Erfolg.

Bei allem Mangel, mit dem unsere Vorfahren auf Bottleneck zu kämpfen hatten, eines eint sie: Alle Horden hatten zumindest ein Tauschmittel zur Verfügung: Menschen, vor allem Frauen. Dem exogamen, stark sexualorientierten Lebewesen Mensch drängte sich diese Form von „Geld“ nahezu auf. Menschen sind soziale Lebewesen, die gewöhnlich in Verbänden leben, in denen sich die Individuen genau kennen. Ähnliche Verbände bilden außer den Primaten Wölfe, Schafe, Elefanten und vor allem viele Vogelarten. Es ist aber von keiner anderen sozial lebenden Spezies dieser Erde bekannt, daß Männchen sich Frauen kaufen anstatt um ihre Gunst zu buhlen. Die durch Schwangerschaft und Brutpflege verursachten „Behinderungen“, die Menschenfrauen in die Rolle der Sammlerin gedrängt hatten, machte sie nahezu zum idealen Handelsobjekt.

Die ursprünglichen Partnerbindungen haben sich jedoch bis heute erhalten und füllen das ganze Universum der Liebesromane. Pubertät und romantische Liebe hatten von Beginn der Menschheit an dem Individuum die Ablösung aus dem ursprünglichen Sozialverband erleichtert. Das ursprüngliche Abschiedsritual der Hochzeit verkam zum Geschäftsabschluß. Das ist bis heute so geblieben. Es bedarf wohl keiner näheren Begründung, daß diejenigen Männer bei der Fortpflanzung „erfolgreicher“ waren, die sich Frauen kurzerhand kauften als die, die warten mußten, bis eine Frau sie auswählte. Darin liegt auch der Grund für die in vielen Teilen der Welt geltenden strengen und teils grotesken Regeln für die natürlichste Sache der Welt. Fast alles ist zu finden: von sexueller Freizügigkeit bei Südseevölkern bis zur Verhängung der Todesstrafe wegen Ehebruchs auch über vergewaltigte Frauen. Auch dem aufgeklärten westlichen Denken ist das natürliche Zusammengehörigkeitsgefühl von Sexualpartnern fremd. Da geistert immer noch das Schlagwort von der Familie als „Keimzelle“ des Staates durch die Publikationen. Aus jeder Keimzelle geht ein kompletter Organismus hervor, ein Phänomen, das bei Familien und Staaten nicht zu beobachten ist. Auch Artikel 6 des deutschen Grundgesetzes beinhaltet eine Systemwidrigkeit. Mitten in die garantierten Menschenrechte hat sich die Institutsgarantie für eine nach allem höchst fragwürdige Einrichtung eingeschmuggelt: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Staates“. Die „Familie“ aber nur dann, wenn die Eltern „ordnungsgemäß“ verheiratet sind…

Voraussetzung für diese Art von Geschäften ist freilich die Verkrüppelung der sozialen Instinkte, die Organismen eines Sozialverbandes untereinander eng verbinden. Wie wir oben gesehen haben, pflanzten sich die Insulaner innerhalb eines beschränkten Genpools fort, so daß die verwandtschaftliche Nähe aller die Entstehung und Verbreitung von Verkrüppelungen förderte. Neben dem Gesichtsschädel verkümmerten tief im Schädelinneren die sozialen Instinkte. Das unsichtbare Band, das den Neandertaler mit seinen Gefährten und Frauen verband, zerriß allmählich. Die Tötungshemmung fiel.<< (Gerhard Altenhoff, Australopithecus Superbus Procrustes –der Mensch – ein Hologramm der Evolution,; unv. Manuskript, 2001)

Wir haben die Todesstrafe als Perversion des „Tausch-und-teile-Instinkts“, wir haben Frauenbeschneidung und Zölibat als Perversion unseres Sexualtriebs.

Sex ist ansteckend wie das Gähnen, deswegen mußte er durch die Tradition in den „Intimbereich“ der „Erwachsenen“ verbannt werden. Das beim sozialen Lernen übliche und wichtige Nachahmen des elterlichen Vormachens entfiel. An die Stelle des Nachahmungslernens trat die sprachliche Überlieferung von Märchen über den Sex und den Teufel.

Lebenslange“ Einehe wurde in vielen Teilen der Welt mit brutaler Gewalt durchgesetzt und wird auch heute noch als „naturgegeben“ propagiert, weil das Ansteckende des Sexes schlecht für’s Geschäft ist! Vor allem für das Geschäft des Frauenverkaufs. – Wenn Sie mir partout nicht glauben wollen, werfen Sie doch nur einen Blick in die Bibel. Dort finden Sie in den „Nebengesetzen“ zu den Zehn Geboten“ eine ganze Reihe von Vorschriften, die für sexuelle „Verfehlungen“ von Frauen die Todesstrafe anordnen. Diesbezüglich spricht auch der Koran mehr als Bände! Aber sexuelle Phantasien sind auch in der islamischen Welt wohl nicht gänzlich unzulässig. Angeblich wird „islamistischen“ Selbstmordattentäter erzählt, nach ihrem Übertritt ins Paradies würden 22 Jungfrauen auf sie warten…

Sie haben lange nichts mehr vom Neandertaler gehört, ist das richtig? – Richtig! – Denn die mehr als zweifelhafte „Entwicklung“, die in unserer „modernen“ Zivilisation“ gipfelt, ist über Zehntausende von Jahren am Neandertal vorbeigelaufen. Nachrichten von Bottleneck trafen dort nicht ein. Das einzige, was wir daraus schließen können, ist, daß die Neandertaler ihre „Freizeit“ überwiegend so gestalteten, wie man es heute nur noch in Reservaten beobachten kann. Diese Reservate nennt man „Rotlichtviertel“ „Sex“- oder „Swinger“-Clubs. Neandertalerfrauen würden unter Anwendung der Maßstäbe unserer Zivilisation ohne jeden Zweifel als „nymphoman“ gebrandmarkt.

Aber wir sollten uns auf unsere „Zivilisation“ nichts einbilden. Denn das lateinische Wort „civilis“ hat auch die Bedeutung „herablassend“. Werfen Sie zum Abschluß einen Blick auf Amerika: Michael Jackson steht vor Gericht, George Bush nicht. Wer von den beiden hat wohl mehr Menschen geschädigt?<<

Wie „der Zufall“ es so will, stolperte ich auf meiner Suche nach eingehenderen Informationen über das Sexualverhalten der Bonobos über die „Pressemitteilung PRI B 17/99 vom 4.11.99“ der Max-Planck-Gesellschaft, in der es heißt:

Seit kurzem zählt man sechs Milliarden Menschen auf der Erde – verteilt über alle Kontinente sowie auf unzählige, nach Hautfarbe, Sprache, Religion, Kultur und Geschichte unterscheidbare Gruppen. Doch diese bunte Vielfalt ist nur „Fassade“. Denn auf molekulargenetischer Ebene, das zeigen jüngste Analysen an Schimpansen (Science, 5. November 1999), durchgeführt am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, bietet die Menschheit ein überraschend einheitliches, geradezu „familiäres“ Bild: Verglichen mit ihren nächsten tierischen Verwandten, den Schimpansen, sind alle derzeit lebenden modernen Menschen immer noch „Brüder“ beziehungsweise „Schwestern“…“

Sie können das gerne nachprüfen. Suchen Sie bei Google nach „Bonobo“.

Diese naturwissenschaftliche Erkenntnis reicht mit der Feststellung „alle Menschen sind Brüder“ weit über Schillers „Ode an die Freude“ hinaus: bis ins Neandertal war die Welt ein Freudenhaus.

Unlängst berichtete die RP, daß die sterilisierende Wirkung des Stillens nur dann anhält, wenn Baby regelmäßig Milch bekommt.

Daraus wiederum können Sie unmittelbar das Verhalten unserer weiblichen Vorfahren ablesen: Sie haben regelmäßig gestillt, ihre Kinder also immer am Körper getragen.

Und nun stellen Sie sich einmal vor, Neandertalerfrauen hätten ihre Kinder nicht einmal beim Sex abgelegt.

Säuglinge beim Sex der Eltern dabei! – Welch eine Schlagzeile für die BILD-Zeitung!

Biologischen Sinn macht „Stillen statt Pillen” nämlich nur dann, wenn es der „Wille” der Evolution ist, daß Menschenfrauen „folgenlosen” Sex haben sollen. – Wir haben immer noch den „Klammerreflex”, obwohl unsere Mütter kein Fell mehr haben! Und der Klammerreflex zeigt, daß Babies durchaus keine „hilflosen” Wesen sind.

Man macht sie freilich zu hilflosen Wesen, wenn man sie in eine Wiege, einen Kinderwagen oder in eine Krippe legt.

Nun kolportieren Sie die Nachricht, Neandertaler währen wahrscheinlich Kannibalen gewesen.

Ehrlich gesagt, ich traue kaum einem Autor, der etwas über Neandertaler zu berichten weiß, denn nach meinen Recherchen sind die meisten Veröffentlichungen über Neandertaler rassistische Pamphlete.

Die Neandertalerskelette stammen überwiegend von Individuen, die „ordnungsgemäß” bestattet wurden.

Kannibalen indes „bestatten” ihre Opfer nicht. Sie lassen die Reste achtlos liegen.

Selbst wenn Spuren von „Kannibalismus” an den Skeletten zu finden wären, heißt das noch lange nicht, daß Neandertaler Neandertaler gefressen hätten:

Alle Skelette stammen aus einer Zeit, als meine Freunde aus dem Neandertal „Zeitgenossen” des „rezenten” Menschen waren. – Wie ich meine Art- und Zeitgenossen kenne, dürfte der Neandertaler ein beliebtes Opfer für das Phänomen gewesen sein, das wir heute als „Genozid” bezeichnen.

Fremdartig sahen „Er” und „Sie” aus, sexuell kannten sowohl „Er” als auch „Sie” kaum Tabus.

Die Männer waren zudem ausgesprochene „Weicheier”, die eher ans Kuscheln denn ans Killen dachten.

Wenn Neandertaler „Opfer” von Kannibalismus wurden, dann waren es keine Neandertaler, denen sie zum „Opfer fielen”, sie wurden von Australopithecus Superbus Procrustes verzehrt, der sich schon damals anschickte, sich „die Erde Untertan zu machen”

Nach allem bleibt festzuhalten, daß Frauen alles andere sind als „Sexobjekte”, sie sind „Sexsubjekte”. Der „moderne” Mensch hat lediglich den „Anschluß” an sein biologisches Erbe verloren. In der Natur ist es ein durchgängiges Verfahren: Das Männchen wirbt, das Weibchen wählt aus. „Zwangsehen” kommen in der Natur nicht vor, „Verheiratungen”, die von dritter Seite „organisiert”werden, auch nicht. All das ist „widernatürlich” und damit „Unzucht”!

v. Boetticher & Freundin?

So muß es sein!

Wissen Sie übrigens, warum der Neandertaler, den Sie abbilden, ein so verschmitztes Lächeln zeigt?

Man hat ihm bei der Gesichtsrekonstruktion die Geschichte von Bill Clinton und Monica Lewinsky erzählt…

1 vgl. Dieter E. Zimmer, Unsere erste Natur, München 1974, S. 254
Ende des Zitats
In der „Affaire von Boetticher“ hat, das sind die harten Fakten, eine junge Frau von ihrem Recht auf sexuelle Betätigung hemmungslos Gebrauch gemacht. – Warum auch nicht. Der Altersunterschied zwischen Mann und Frau spielt in der Natur keine Rolle. – Außerdem haben wir berühmte Männer, wo der Altersunterschied zu ihren Frauen noch größer ist:
Johannes Rau
Johannes Heesters
Franz Müntefering.
Allen voran Franz Müntefering: Nachdem seine heißgeliebte Frau gestorben war, schnappte er sich eine Frau, die vierzig Jahre jünger war als er. – Ich werde mich langsam auf den Schulhöfen der Lyceen umsehen müssen, um ihm gleichzutun. – Ich bin jetzt gerade einmal 57.

Die Anfänge der Menschheit – Hormonmangel als „Mördergen“

November 14, 2010

Die Anfänge der Menschheit – arte | programm.ARD.de.

Eine durchaus interessante Sendung, eigentlich auch ganz gut recherchiert. Leider sind die Schlußfolgerungen zum Teil so sehr an den Haaren herbeigezogen wie die eines Staatsanwalts im Schlußplädoyer:

„Es findet sich kein Neandertalergen“ – Natürlich nicht, denn ein „Neandertalergen“ existiert ebensowenig wie das von Thilo Sarrazin u.a. postulierte „Juden-Gen“.

Wir alle sind, so haben es – bislang zuletzt – auch die Genetiker des Max-Planck-Instituts für evolutinäre Anthropologie festgestellt, sind genetisch so eng miteinander verwandt, daß wir uns als „Brüder“ bzw „Schwestern“ ansehen müßten. Daß wir es nicht tun, liegt an uns und unserer Überbewertung der „Kultur“ auf unsere Eigenheiten und unser Leben. – Auch der Neandertaler steht uns näher als viele von uns einräumen möchten:

„Diese Form des innerartlichen Tötens spielt sich sozusagen „im engsten
Familienkreis“ ab, wir kennen sie von Anbeginn der Geschichtsschreibung
und von nahezu allen „Naturvölkern“, die noch nicht gänzlich ausgerottet
wurden, kriegerische Auseinandersetzungen, Kopfjagd und Kannibalismus.
Selbstverständlich wird dieses Verhaltensmuster auch den Neandertalern
zugesprochen, denn nach klassischer Anschauung gilt er gegenüber
dem „modernen“ Menschen als „tumber Depp“. So schreibt Gerald
Traufetter in „Der SPIEGEL“:
Über eine Million Jahre, so läßt sich aus den kulturellen Überbleibseln
der Urmenschen schließen, klopfte er stumpfsinnig auf Steinen herum“
Weiter heißt es: „Der Bau von Speeren und Äxten erforderte besondere
intellektuelle Fähigkeiten, die sich gravierend vom stupiden Steineklopfen
der frühen Urmenschen unterschied.116
Daß ein solch „stupider Steineklopfer“ natürlich blindlings auf seine Mitmenschen eingedroschen haben muß, dürfte demnach klar sein. – Aber so
klar ist das nicht: – Da wir seit einigen Tausend Jahren eine gänzlich neue
Variante des Tötens pflegen, werden wir auf diese Frage noch zurückkommen, ihr aber begegnen wir erst auf den buchstäblich letzten Zentimetern unserer Reise. – Und am Ende werden Sie fragen, wer tatsächlich der stupide Steineklopfer ist.
Einige der Neandertalerskelette wiesen Spuren von tödlichen, aber auch
von verheilten Wunden auf, die auf Waffeneinwirkung zurückgeführt
werden können. Außerdem gibt es Indizien für Kannibalismus. Kannibalismus
und bewaffnete Auseinandersetzungen weisen aber nicht unbedingt
auf ein gegenüber dem zivilisierten Menschen erhöhtes Agressionspotential
oder gar Menschenverachtung hin. Selbst den Krieg, das Grundübel der
Menschheit, kann man mit Desmond Morris durchaus sportlich sehen:
Eine degenerierte Form des Sports, die besondere Erwähnung verdient,
ist das Kriegführen. In frühester Zeit, als die Waffen noch neu waren,
war eine blutige Sportart so gut wie die andere. Als die Jagd auf wirkliche
Nahrungsobjekte nicht mehr im Mittelpunkt stand, hatte man eine
reiche Auswahl an Ersatzobjekten. Jedes Jagdopfer war recht, wenn es
nur die nötige Erregung, den gewissen Kitzel mit sich brachte, und
warum sollte man die menschliche Beute ausschließen? Die frühen Kriege
waren keine totalen Kriege, sie waren streng regulierte und auf ein
Schlachtfeld begrenzte Angelegenheiten, etwa wie eine sportliche Ausein-
115 Wickler, aaO, S. 105ff
116 Der Spiegel, 21.10.02 S. 221
andersetzung heute. Die Krieger verwendeten dieselben Waffen, die ihnen
auch zur Jagd dienten, und im besonderen Fall des Kannibalenkrieges
erstreckt sich die Ähnlichkeit sogar noch bis zum Aufessen der
Beute“.117
Die Neandertaler lebten in den rauhen Gefilden der Eiszeit, also sollte
man erwarten, daß er gegenüber dem Leben seiner Gefährten eine ähnliche
Einstellung an den Tag legte wie die Inuit oder andere Völker, die mit
schwierigen Lebensbedingungen zu kämpfen haben. Immerhin deuten
Spuren an den Schneidezähnen einiger Neandertaler auf eine den heutigen
Inuit ähnliche Lebenweise hin: Sie nahmen ein größeres Stück Fleisch in
den Mund und trennten mit einem Schnitt unmittelbar vor den Zähnen den
gewünschten Bissen ab. Man sollte also erwarten, daß der angeblich
weitaus „primitivere“ Neandertaler sich seiner Kranken, seiner Pflegefälle
und auch seiner „überschüssigen“ Kinder in ähnlicher Weise entledigte.
Bezüglich der Einstellung zum fünften Gebot wissen die Skelette der bislang
gefundenen Neandertaler allerdings eine ganz andere Geschichte zu
erzählen:
Die Neandertaler müssen deutlicher als alle anderen Geschöpfe vor ihnen
empfunden haben, wie kostbar ein Leben ist, denn auf der fundamentalsten
Ebene sind Begräbnisriten gleichbedeutend mit dem Wunsch, das
Menschliche zu bewahren. Das Begraben besagt, daß irgendein wesentlicher
Teil des menschlichen Lebens – man mag es Geist oder Seele nennen
– nicht zerstört werden kann, sondern nach dem Tode irgendwo anders
in irgendeiner anderen Form weiterexistiert.
Dieser zunehmende Sinn für den Wert des Lebens spiegelt sich nicht nur
in den Begräbnisriten der Neandertaler, sondern auch in ihrer Fürsorge
für alte und behinderte Menschen. So war zum Beispiel der Mann von La
Chapelle-aux-Saints längst über die besten Mannesjahre hinaus, als er
starb. Sein Skelett läßt erkennen, daß er unter Arthritis litt und unmöglich
noch an Jagden teilnehmen konnte. Selbst das Essen muß ihm
schwergefallen sein, da er alle Zähne bis auf zwei verloren hatte. Hätte
er zu einer früheren Zeit gelebt, hätte man ihn wahrscheinlich ausgesetzt
und verhungern lassen, nachdem er für die Gruppe nicht mehr von Nutzen
war. Aber die Neandertaler ließen sich anscheinend nicht von einer
derart grausamen Logik leiten. Die Gefährten dieses Mannes versorgten
ihn selbstlos mit Essen, vielleicht kauten sie es ihm sogar vor.
Auch die Funde von Shanidar lassen vermuten, daß die Neandertaler für
Behinderte sorgten. Einige der dort gefundenen Knochen gehören einem
40jährigen Mann, der vermutlich durch Steinschlag getötet wurde. Die
Untersuchung seines Skeletts ergab, daß ihm vor dem tödlichen Unfall
nur ein Arm zur Verfügung gestanden hatte. Der rechte Arm und die
Schulter waren verkümmert – vermutlich ein angeborener Defekt. Trotz
dieser erheblichen Behinderung erreichte er ein für einen Neandertaler
hohes Alter. Seine Vorderzähne sind ungewöhnlich stark abgenutzt, was
darauf hindeutet, daß er einen großen Teil seiner Zeit damit verbrachte,
Tierhäute weichzukauen, damit sie als Kleidung verwendet werden konnten,
oder daß er seine Zähne anstelle des fehlenden Arms zum Festhalten
von Gegenständen benutzte. (…) Auch der ursprüngliche Neandertaler
aus Deutschland hat eine schwere Verletzung überlebt, sich allerdings
nicht gut von ihr erholt: Die Knochen seines linken Ellenbogens waren
so deformiert, daß er nicht imstande war, die Hand zum Mund zu heben;
ob Mensch oder Tier für diese Verletzung verantwortlich war, läßt sich
nicht feststellen.118
117 Desmond Morris, aaO, S. 309
118 George Constable, aaO,S. 101 ff
Alle Befunde und kritischen Deutungen zeigen, daß die Neandertaler intelligente, tüchtige, mitfühlende und mit Einschränkungen wohl auch spirituell denkende Menschen waren. Aber sind sie auch unsere
Vorfahren?119
Irgendwie scheint nach dem Bericht der stummen Zeugen unser Artgenosse
aus dem Neandertal sehr human gewesen zu sein. Unter dem Aspekt
unserer eigenen innerartlichen Tötungsgewohnheiten erscheint seine Form
der Fürsorge geradezu postmodern, denn das, was wir heute als „soziale
Sicherungssysteme“ bezeichnen, gibt es erst seit etwa 130 Jahren. Die in
Deutschland lang umstrittene Pflegeversicherung ist so jungen Datums,
daß sie ihresgleichen in der Welt suchen muß. – Die Umsetzung der Pflegeversicherung in soziale Wirklichkeit offenbart zudem, daß mitunter das
Geschäft, nicht aber die Fürsorge gegenüber dem Pflegebedürftigen im
Vordergrund steht. – Das Diskriminierungsverbot Behinderter ist ebenfalls
eine „Errungenschaft“, die erst vor wenigen Jahren Einzug in das
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gehalten hat. Die Lehre
vom „lebensunwerten“ Leben, die vor nicht allzu langer Zeit Tausende
von Todesdopfern forderte, feiert bei der Zulassung der aktiven „Sterbehilfe“
in den Niederlanden fröhliche Urständ!
Und Desmond Morris übersieht in seinem sportlichen Herangehen an den
Krieg, daß der Mensch das einzige Lebewesen auf der Erde ist, das Werkzeuge
herstellt, deren Verwendungszweck einzig und allein darin besteht,
möglichst vielen Artgenossen den Garaus zu machen. Ein Panzer taugt nur
zum Töten von Menschen, das gleiche gilt für Bomben und Granaten. Mit
einem Maschinengewehr kann man zur Not noch auf die Jagd gehen, aber
die Fleischbrocken, die dabei übrig bleiben, dürften einem doch gründlich
den Appetit verderben.
Und hier zeigt sich die volle Widersprüchlichkeit der Lehre vom tumben
Deppen in der Vorzeit: Wer zu dumm ist, eine Waffe zu erfinden, kann
auch kein Verlangen danach verspürt haben, eine solche zu gebrauchen.
Dann aber kann es mit der Intelligenz des modernen Menschen nicht weit
her sein, denn ein intelligentes Lebewesen vermeidet den Beschädigungskampf.
Wozu hätte der Neandertaler auch Krieg führen sollen? – Mammute,
Wollnashörner und andere Großtiere lieferten soviel Nahrung, daß eine
Horde die erjagten Fleischberge gar nicht aufessen konnte. Felle und gigantische Knochen für mobile Behausungen waren ebenfalls keine Mangelware.
Wie in der Natur üblich, bekamen auch Nahrungskonkurrenten
etwas ab, auch die menschlichen. Die Neanderaler, wie alle unsere Vorfahren,
standen allein schon wegen der Frauen mit den Reviernachbarn in
gutem Kontakt. Exogamie und Tausch gehören schließlich auch heute
noch zum Verhaltensrepertoire aller Menschen. Wie die Westeuropäer in
der Zeit zwischen dem zweiten Weltkrieg und dem Zerfall des Ostblocks
dürften die Neandertaler bei der Gestaltung ihrer Freizeit eher ans Kuscheln
denn ans Killen gedacht haben.
Außer der sportlichen Perspektive eines Desmond Morris gibt es eine
durchaus einleuchtende, aber friedliche Erklärung für eventuelle Verletzungen durch Artgenossen. Wir bezeichnen das heute als Arbeitsunfall.
Die Herren Neandertaler hatten alle nur einen Beruf, sie waren Jäger. Die
Jagd war aber damals nicht ungefährlicher als heute, nur die Jagdwerkzeuge
haben heute eine ähnliche Reichweite wie Kriegswaffen. Auch da trifft
so manche Kugel oder Granate die eigenen Leute. Im angelsächsischen
Sprachraum wird dies als „Death by friendly fire“ verharmlost: Tod durch
„freundliches“ Feuer. – Folglich kann ein Neandertaler Verletzungen
119 Schmitz/Thissen aaO S. 187
durch „Waffeneinwirkung“ davongetragen haben, ohne daß böse Absicht
im Spiel war.
Es sieht also ganz danach aus, als würde ein Neandertaler auf den Versuch
eines Missionars, ihm das fünfte Gebot zu erläutern, mit Kopfschütteln
reagieren: „Seid ihr nicht ganz dicht? Habt ihr keine Tötungshemmung? –
Ihr bringt Eure Nachbarn und Verwandten einfach so um? Dann habt Ihr
das fünfte Gebot wirklich bitter nötig!“ Und damit hat er vollkommen
recht, der Herr Neandertaler, denn einzig und allein der moderne Mensch
ist in der Lage, einen Freund zum Feind zu erklären und allein aus diesem
Grund zu töten.
Wir werden auf diese Einstellung des modernen Menschen zum Leben
seiner Mitmenschen im Zusammenhang mit seinem „Erfolg“ auf dieser
Erde noch zurückkommen müssen. Doch zuvor gilt es einen Beweis neu
zu würdigen, der bislang immer als Beleg für die überlegene Intelligenz
des modernen Menschen herhalten mußte. Es handelt sich dabei um den
„Fortschritt“ in der Herstellung von Feuersteinwerkzeugen. Dieser vermeintliche Fortschritt läßt nämlich Rückschlüsse auf die Abspaltung der
„modernen“ von der „klassischen“ Variante des Menschen zu:
Die Faustkeile der frühen Erectus – Kultur ließen sich mit etwa 25 Schlägen
in einem Arbeitsgang fertigen, bei den späteren waren schon zwei Arbeitsgänge mit insgesamt 65 Schlägen erforderlich. Für ein Messer des
Neandertalers bedurfte es drei Arbeitsgängen mit 111 Schlägen
(Moustérien-Technik); demgegenüber erfordert ein nach der Aurignacien-
Technik hergestelltes Messer des Crô – Magnon – Menschen 251 Schläge
in neun Arbeitsgängen.
Der Mensch ist ein Produkt der Evolution. Dem Prinzip des geringsten
Zwangs folgend betreibt auch er im Regelfall nicht mehr Aufwand, als er
muß. Unsere Freunde vom Erectus – Typ kamen mit ihren Werkzeugen
über Hunderttausende von Jahren gut zurecht. Warum also sollten sie ihre
Werkzeuge groß verfeinern? – Auch der Neandertaler wäre wahrscheinlich
mit den von ihren Vorfahren ererbten Technologien zufrieden gewesen,
wenn nicht die neuen Lebensbedingungen der Eiszeit sie gezwungen
hätten, ihre Werkzeuge den Verhältnissen anzupassen. Und, das ist meines
Erachtens die entscheidende Frage, warum bestand diese Anpassung gerade
in der Verfeinerung der Werkzeuge?
Auf der Insel Rügen gibt es Feuerstein in Hülle und Fülle. Jeder kann sie
in den Feuersteinfeldern aufsammeln und versuchen, sie als Rohstoff für
Werkzeuge auf den Markt zu bringen. Freilich interessiert sich niemand
mehr für Feuerstein als Rohstoff. Als der klassische Neandertaler der letzte
Schrei der Natur in Europa war, lagen die Dinge noch anders und die
Feuersteinfelder Rügens unter einer mächtigen Eisdecke verborgen. Merkwürdig, aber die Antwort auf die obige Frage scheint offen vor unseren
Augen zu liegen, freilich erst seit einer Zeit, da niemand mehr an Werkzeugen
aus Feuerstein interessiert war.
Als das Eis die Feuersteinfelder Rügens wieder freigab, war es für die
Feuersteintechnologie bereits zu spät geworden. In anderen Teilen der
Welt förderte man Knollen von besserer Qualität aus dem Boden, kurz
darauf fertigte man die ersten Werkzeuge aus Metall.
Um ein klares Bild zu erzielen, müssen wir uns in die früheste Steinzeit
versetzen:
Wenn Ihnen die Zivilisation einmal zu langweilig wird, fahren Sie nach
Rügen, holen Sie sich eine Feuersteinknolle und setzen Sie sich an den
Strand. Nehmen Sie ein Buch mit, in dem auch die „primitiven“ Werkzeuge
unserer Freunde der Erectus – Kultur abgebildet sind.
Sie sind nun ein intelligenter Mensch des ausgehenden 20. Jahrhunderts
und ihren Vorfahren weit überlegen. Erinnern Sie sich an die „stupide
Steineklopferei“?:
Über eine Million Jahre, so lässt sich aus den kulturellen Überbleibseln
der Urmenschen schließen, klopfte er stumpfsinnig auf Steinen herum“
Weiter heißt es: Der Bau von Speeren und Äxten erforderte besondere intellektuelle
Fähigkeiten, die sich gravierend vom stupiden Steineklopfen
der frühen Urmenschen unterschied.120
– Na dann frohes Schaffen! Aber seien Sie am Ende nicht enttäuscht. Sie
werden es nämlich nicht fertigbringen, innerhalb Ihres Urlaubs auch nur
ein halbwegs brauchbares Werkzeug, geschweige denn einen Faustkeil
herzustellen, der der „primitivsten“ Stufe auch nur annähernd ähnlich sieht
und dessen Funktionen erfüllen kann. Von wegen stupides Steineklopfen:
die Herstellung von Steinwerkzeugen hat wenig mit „Intelligenz“ zu tun,
mehr mit der Bildhauerei. Es erfordert Übung, Erfahrung und ein Gefühl
für das Instrument, das man handhabt. Vor allem aber braucht man eine
Vorstellung von dem, was am Ende herauskommen soll.
Bereits zu Beginn der Neandertaler-Ära hatte die Menschheit etwa drei bis
dreieinhalb Millionen Jahre gesammelt und gejagt, ohne daß sich an den
allgemeinen Lebensumständen etwas geändert hatte. Die ihnen zur Verfügung stehenden „primitiven“ Werkzeuge aus Stein dienten immer denselben Zwecken, nämlich dem Bearbeiten von Fleisch, Häuten und Knochen.
– Allenfalls noch der Herstellung von Holzgeräten, etwa dem Schlagen
und Zuspitzen hölzerner Speere. Diese allgemeinen Lebensumstände änderten sich weder nach dem Erscheinen der Neandertaler noch nach dem
ersten Auftreten des „modernen“ Menschen.
Der „Technologiesprung“ von 25 Schlägen in einem Arbeitsgang auf neun
Arbeitsgänge mit 251 Schlägen läßt sich mit höherer Intelligenz kaum erklären, denn am Ende dieser vielen Arbeit stehen zwar „Spezialwerkzeuge“,
die in ihrer Gesamtheit aber auch nicht mehr leisten als ein gut
durchdachter simpler Faustkeil. Jeder Betriebswirt würde sich ob des
Aufwands, den Neandertaler und erst Recht Crô-Magnon-Menschen bei
der Herstellung ihrer Steinklingen betrieben, die Haare raufen, denn die
Arbeitskosten für die Fertigung dieser filigranen Petrefakte sind unter
ökonomischen Aspekten immens hoch.
Die hohen Herstellungskosten könnten sich allerdings als notwendiges
Übel herausstellen, wenn man die Kosten des Ausgangsmaterials berücksichtigt.
Menschen haben zu allen Zeiten die verschiedensten Steinsorten als Werkzeuge verwendet. Eindeutiger Favorit war aber der Feuerstein wegen seiner besonderen Splittereigenschaften. Obsidian, schwarzes vulkanisches
Gesteinsglas, hat ähnliche Eigenschaften und wurde damit – zumindest in
Amerika – in bestimmten Gegenden der einzige echte „Konkurrenzwerkstoff“
zum Feuerstein. Aber nicht überall, wo die frühen Menschen siedelten,
gab es Feuerstein oder Obsidian, Feuersteinknollen finden sich in
Kreidefelsen, Obsidian in der Nähe von Vulkanen. Zur Beschaffung der
begehrten Rohstoffe für ihre Werkzeuge waren die Menschen der Steinzeit
also zumindest seit Erectus’ Zeiten auf den Handel angewiesen.
Wie hoch Feuerstein beim Übergang zur Kupferzeit an steinzeitlichen
Börsen gehandelt worden wäre, zeigt sich daran, daß unsere Crô-Magnon
– Vorfahren nicht mehr genug Feuersteinknollen an der Erdoberfläche aufsammeln konnten. Es hat sich für sie rentiert, Schächte in die Kreidefelsen
Englands und in entsprechende Gesteinschichten Bayerns abzuteufen und
tiefe Stollen zu graben, um den begehrten Rohstoff zu gewinnen.
120 Der Spiegel, 21.10.02 S. 221
Wäre die heutige Menschheit immer noch auf den Feuerstein angewiesen,
man würde ihn wohl mit Diamanten aufwiegen.
Wesentlich plausibler erscheint mir daher im Zusammenhang mit der Verfeinerung der Abschlagtechnik eine Rohstoffverknappung, die den
menschlichen Erfindungsgeist herausgefordert hatte. Der Mensch hatte
das Bücken gelernt, denn offenbar waren bereits die Neandertaler dazu
gezwungen, sich nach jedem Abschlag auch die Bruchstücke genau anzusehen, die ihre Vorfahren noch als Abfall betrachtet hatten. Das ist auch
nicht weiter verwunderlich, denn klimabedingt lag ein Teil der Rohstoffvorkommen über lange Zeiträume hinweg unter dem Inlandeis begraben.
Unsere Vorfahren vom Erectus – Typ lebten vergleichsweise im Paradies.
Sie konnten sich damit begnügen, aus einem Pfund Feuerstein nur 5 bis
20 cm Schnittkante herauszuholen. An dieser Stelle erinnere ich nochmals
daran, daß alle Steinwerkzeuge der Welt ausschließlich dem Zweck
dienten, Fleisch, Fell, Knochen und gelegentlich ein wenig Holz zu bearbeiten.
Der Neandertaler war bereits gezwungen, seinen Einfallsreichtum
darauf zu verwenden, aus einem Pfund Feuerstein 100 cm Schnittkante
herzustellen. Mehr, so wird man aus ökonomischen Gründen fordern
müssen, waren nicht erforderlich.
Ganz anders verhält es sich beim „Übergang“ zum rezenten Menschentyp:
Der „Technologiesprung“ vom Moustérienmesser des Neandertalers zur
Aurignacienklinge des Crô-Magnon ließ nicht nur den Arbeitsaufwand
zur Herstellung einer scharfen Klinge um mehr als 100 % ansteigen, die
Gesamtlänge der Arbeitskante, die aus einem Pfund Feuerstein herausgearbeitet
wurden, wuchs auf die Länge von 12 Metern.121 Ohne Veränderung
des ursprünglichen Werkzeugzwecks, nämlich der Bearbeitung von
Fleisch, Fellen, Knochen und ein wenig Holz erscheint ein solcher Arbeitsaufwand schon fast als übertriebener Luxus.
Also muß man doch die Frage stellen, warum der nach bisheriger Auffassung
intelligenteste aller Hominiden deratig unwirtschaftlich handelt.
Nach gängiger Lehrmeinung unterscheidet sich Crô-Magnon nicht mehr
vom gegenwärtigen Menschen. Dieser aber wird auch mit dem Beinamen
Homo oeconomicus belegt. Das ist der Mensch, der streng rational und
nur auf seinen Vorteil bedacht handelt. Das paßt alles nicht zusammen.
Und erneut sollte uns an dieser Stelle die „primitive Steineklopferei“ zu
denken geben.
Wir haben bislang nur die formale Zweckbestimmung der Steinwerkzeuge
betont, nämlich die Bearbeitung von Fellen, Fleisch, Knochen und Holz.
Dahinter steht aber ein anderer, übergeordneter Zweck: das Überleben;
und dazu reichten die „primitiven“ Werkzeuge allemal aus. Warum also
leisteten sich unsere Vorfahren den Luxus filigraner Werkzeuge, wo die
groben es doch auch taten? Immerhin bedeutet der hohe Arbeitsaufwand
einen offensichtlichen Verstoß gegen das Prinzip des geringsten Zwangs,
der auch das Evolutionsgeschehen beherrscht.
Die Menschen, die sich später anschickten, die Erde zu dominieren, hatten
wohl ursprünglich keine andere Wahl, als auch noch aus dem letzten
Splitter einer Feuersteinknolle etwas Brauchbares herauszuholen. – Dieser
Umstand deutet auf eine geradezu dramatische Verknappung des Rohstoffs
Feuerstein hin. Der Mensch war, wie wir gesehen haben, auch damals
schon auf den Handel angewiesen; der Rohstoffmangel basiert daher
vermutlich auf einem Handelshemmnis, das fast an ein Embargo oder
einen Boykott erinnert.“ (Gerhard Altenhoff, Australopithecus Superbus – Der Mensch im Licht nichtlinear-dynamischer Evolution S. 154 ff)

Wenn man die „Erderwärmung“, die vor rund 96.000 Jahren den Meeresspiegel um wahrscheinlich rund 100 Meter ansteigen ließ, berücksichtigt, erscheint die „Sintflut“ als rein optische Erscheinung, die eine kleine Population von Neandertalern auf einer entstehenden Insel im ostafrikanischen Raum gefangen setzte. Mit der Folge, daß die Werkzeugindutrie mit der Rohstoffverknappung fertig werden mußte.

Die genetischen Hinweise auf eine Isolation sind – offenbar unabhängig voneinander in Utah und Leipzig aufgetaucht:

Eine Forschungsgruppe um den Genetiker Lynn Jordy (University of
Utah) ist zu dem Schluß gekommen, der moderne Mensch sei aus einer
Population von allenfalls einigen zehntausend Individuen hervorgegangen,
die vor etwa 70 bis 80.000 Jahren die Erde bevölkerten. Die Eruption eines
Supervulkans soll nach dieser Ansicht die Weltbevölkerung dermaßen
dezimiert haben, daß eben nur diese relativ kleine Menschheit übrigblieb.
122
Das würde allerdings voraussetzen, daß es nur eine einzige Menschheit
gab und all die Neandertaler, die bis vor etwa 25.000 Jahren Zeitgenossen
des „modernen“ Menschen waren, nicht zur Menschheit gehörten. Angesichts ihrer Vermessenheit ist diese Ansicht zu verwerfen. Außerdem fehlt jeder Beleg für ein analoges Massensterben im Pflanzen- und übrigen
Tierreich aus jener Zeit. Dennoch dürfen wir die Grundlagen dieser These
nicht achtlos beiseite schieben. Diese besteht nun einmal in der Erkenntnis,
daß kaum mehr als 10.000 Menschen den Startpunkt für die Evolution
unserer selbst bildeten. Demnach ist zu fragen, wie es geschehen konnte,
daß einige Zehntausend Menschen sich von der übrigen Welt abspalteten
und zu dem wurden, was wir heute noch repräsentieren? – Die Menschen
standen, das dürfen Sie als sicher voraussetzten, seit Urzeiten in gegenseitigem Kontakt. Wodurch verlor diese Gruppe den Anschluß an die
übrige damals lebende Menschheit? – Die Antwort auf diese Frage lautet
sehr wahrscheinlich: Wasser.
Sie erinnern sich an Noah und seine Arche? – Bevor Gott die Erde flutete
und alles Leben im Wasser versank, hieß er Noah eine Arche bauen und
aus der Tierwelt der Umgebung je ein Paar an Bord nehmen. Dann läßt es
der Herr vierzig Tage und vierzig Nächte regnen. Dann ist sein Werk
122 Das Erwachen des Supervulkans ©NDR 2000, 5.12.2000
vollendet und seine ganze Schöpfung mit einem Schlag vernichtet. Nach
1. Mose 6 Vers 7 soll er gesagt haben: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis auf das Vieh
und bis auf das Gewürm und bis auf die Vögel unter dem Himmel, denn
es reut mich, daß ich sie gemacht habe.
Wie bei den Geschichten von Adam und Eva bzw. Kain und Abel fällt an
dieser Geschichte zunächst einmal das widersprüchliche Verhalten Gottes
auf. Hatte er noch bei der Schöpfung sein Werk für gut befunden, schienen
seine Geschöpfe am Ende vom Pfade der Tugend abgekommen zu
sein:
Vers 4: Es waren auch zu den Zeiten Tyrannen auf Erden, denn da die
Kinder Gottes zu den Töchtern der Menschen eingingen und sie ihnen
Kinder gebaren, wurden daraus Gewaltige in der Welt und berühmte
Männer.
Vers 5: Da aber der Herr sah, daß der Menschen Bosheit groß war auf
Erden und alles Dichten und Trachten nur böse war immerdar,
Vers 6: da reute es ihn, daß er die Menschen gemacht hatte auf Erden
und es bekümmerte ihn in seinem Herzen.
Seit der Geschichte von Kain und Abel wissen Sie, daß Mythen mitunter
traumhaft verzerrte Darstellungen realer Vorgänge enthalten können; und
einen Grund muß der Herr ja gehabt haben, seine Geschöpfe wieder zu
vernichten. Zweckfreies Verhalten kann sich der Mensch kaum vorstellen,
also muß es die Bosheit der Menschen gewesen sein.
Besonders stutzig macht hier die Verbindung des vollständigen Weltuntergangs mit der für eine bäuerliche Kultur gänzlich ungewöhnlichen Erwähnung des Schiffbaus.
Was passierte bei der Sintflut? 1. Mose 7 Vers 19: Und das Gewässer
nahm überhand und wuchs so sehr auf Erden, daß alle hohen Berge unter
dem ganzen Himmel bedeckt wurden.
Jeder, der schon einmal mit einem Schiff gefahren ist, kennt den Anblick
des von Horizont zu Horizont reichenden Wassers. Vor Erfindung der
Seefahrt war den Menschen dieser Anblick verwehrt, auch dem Neandertaler.
Seit dieser die Weltbühne betreten hatte, kam es wiederholt zu erheblichen
Klimaschwankungen. Der ständige Wechsel zwischen Kalt- und
Zwischeneiszeiten ließ den Spiegel der Weltmeere mehrfach stark ansteigen
und wieder absinken. Der „Tidenhub“ vom Höhepunkt der letzten
Vereisung vor 18.000 Jahren bis zum heutigen Normalnull des Wassers
beträgt satte 130 Meter!123
Zieht man also in Betracht, daß es gar nicht so lange her ist, daß Menschen
über die Beringstraße zu Fuß von Asien nach Amerika und von der
Themse an die Seine gelangen konnten, haben wir die „Wiege“ der heutigen
Menschheit vermutlich nicht in Ostafrika zu suchen, sondern vielmehr
vor der heutigen ostafrikanischen Küste, irgendwo auf dem Kontinentalschelf.
124 Die „Sintflut“ könnte man nämlich auch als Erinnerung an eine
kollektive optische Täuschung interpretieren.
123 Press/Sievers, Allgemeine Geologie, S. 346
124 Bei der Suche nach unserem „Kinderbettchen“ dürfte sich eine Computersimulation anbieten, die die Küstenlinie Afrikas nachzeichnet, wie sie vor etwa 70 – 80.000 Jahren aussah. Findet sich dort ein Hochplateau, das flächenmäßig zehn- bis zwanzigtausend Menschen unter Jäger- und Sammlerbedingungen ernähren
konnte, so könnte es sich lohnen, im Schlamm zu wühlen.
Die Befunde der Genetiker passen genau in das Zeitfenster, das sich vor
etwa 90.000 Jahren öffnete und von den Geologen Eem-Warmzeit genannt
wurde. Vor 70.000 Jahren wurde es dann wieder kälter. Die Weichsel-
oder Würm-Vereisung nahm ihren Anfang. Mit ihr fand die „Eiszeit“
vor etwa 10.300 Jahren ihr vorläufiges Ende.
Die Folgen einer fortschreitenden Erderwärmung werden heute unter dem
Begriff „Klimakatastrophe“ gehandelt. – Allein, einer solchen „Klimakatastrophe“ verdanken wir unsere Existenz:
Der ansteigende Meeresspiegel hat – zunächst unmerklich – den Lebensraum
unserer Vorfahren in ähnlicher Weise vom Rest der Welt isoliert wie
der Ärmelkanal England vom übrigen Europa. Ohne Seefahrt wüßte auch
heute kein Kontinentaleuropäer von der Existenz der Queen. Erst recht
würden die Iren sich für die einzigen Menschen auf dieser Welt halten,
denn sie hätten keinerlei Kontakt zum übrigen Europa.
Befand sich zwischen dem Ursprungsort der rezenten Menschenform und
dem Festland eine breite Senke, so wird es nicht lange gedauert haben, bis
„alle hohen Berge unter dem ganzen Himmel bedeckt wurden.“ Allerdings
war dieser Weltuntergang nur virtueller Natur. Der Rückschluß auf
den Tod aller anderen Lebewesen ist damit natürlich vorgezeichnet. Und
einen Sinn und Zweck mußte das auch haben, denn, Sie haben es weiter
oben gesehen, auch der moderne Mensch hat Schwierigkeiten damit, sich
ein zweckfreies Verhalten der Natur vorzustellen.
Mit fortschreitendem Anstieg des Pegels riß also der Kontakt zur übrigen
Menschheit ab. Aus der Sicht des Neandertalers waren diese „Inselaffen“
bei der Fortpflanzung wieder einmal auf im weiteren Sinne inzestuöse Beziehungen angewiesen, denn der Genpool war durch die Insellage sehr beschränkt.
– Erneut begegnen wir dem Inzest als einer der treibenden Kräfte
der Evolution – So also sehen die Anfangsbedingungen für die Evolution
vom „klassischen“ zum „rezenten“ Menschen aus.
Der „moderne“ Mensch, man muß es leider feststellen, entwickelte hier
einige unangenehme Eigenschaften, denen wir heute noch begegnen können.
Vor allem kam ihm das abhanden, was wir heute als „soziales Gewissen“
bezeichnen würden. Zu den schwerwiegendsten Systemfehlern des
heutigen Menschen gehört seine ausgesprochene Neigung zum Plündern
und zum Ausrotten. Was passierte also auf dieser Insel? Lynn Jordy hat
die von ihm entwickelte Hypothese „Bottlenecktheory“ genannt. Bottleneck
ist das englische Wort für Flaschenhals, einen Flaschenhals, durch
den sich die Menschheit hindurchzwängte. Nennen wir Herrn Jordy zu
Ehren die Wiege des rezenten Menschentyps Bottleneck.
Wie überall auf der Welt teilten die Menschen auf Bottleneck ihren Lebensraum mit Freßfeinden und Nahrungskonkurrenten.
Die Insellage brachte es nun einmal mit sich, daß neue Herausforderungen
an unsere nunmehr unmittelbaren Vorfahren herantraten. Die Umwelt änderte sich dramatisch, weil auf Bottleneck auch Flora und Fauna sich der
Insellage anpaßten und entsprechenden Änderungen unterworfen waren.
Die Menschen auf Bottleneck bildeten, das braucht wohl nicht näher betont
zu werden, keine homogene Einheit, die Insel war selbstverständlich
in die Reviere der einzelnen Horden aufgeteilt. Dieses Muster findet man
auch heute noch vereinzelt auf Neuguinea und in Südamerika.
Die Umweltveränderungen brachten es mit sich, daß sich die Ernährungsgewohnheiten der Binnenländer von denen der Küstenbewohner zu unterscheiden begann. Demzufolge bildeten sich unterschiedliche Kulturtraditionen heraus. Dies hinterließ Spuren in den Köpfen der Menschen. Die Traditionen der einzelnen Horden drifteten auseinander und wurden am Ende fast nicht mehr kompatibel. All das gibt es heute noch, vor allem auf Neuguinea. Aber auch die sogenannte zivilisierte Menschheit ist heillos  zerstritten über den „richtigen“ Weg. Angefangen vom „rechten“ Glauben bis hin zum belanglosen Streit, ob McDonalds besser ist als Burger-King, wobei diese Meinungsverschiedenheit ausnahmsweise noch keine Todesopfer gefordert hat.
Bei der Erörterung der Evolution reziproken Verhaltens haben wir gesehen,
daß dieses langfristig erfolgreicher ist als der krasse Egoismus, hingegen
hat der Egoismus kurzfristig mehr Erfolg.
Bei allem Mangel, mit dem unsere Vorfahren auf Bottleneck zu kämpfen
hatten, eines eint sie: Alle Horden hatten zumindest ein Tauschmittel zur
Verfügung: Menschen, vor allem Frauen. Dem exogamen, stark sexualorientierten Lebewesen Mensch drängte sich diese Form von „Geld“ nahezu auf. Menschen sind soziale Lebewesen, die gewöhnlich in Verbänden leben, in denen sich die Individuen genau kennen. Ähnliche Verbände bilden
außer den Primaten Wölfe, Schafe, Elefanten und vor allem viele Vogelarten.
Es ist aber von keiner anderen sozial lebenden Spezies dieser
Erde bekannt, daß Männchen sich Frauen kaufen anstatt um ihre Gunst zu
buhlen. Die durch Schwangerschaft und Brutpflege verursachten „Behinderungen“,  die Menschenfrauen in die Rolle der Sammlerin gedrängt hatten, machte sie nahezu zum idealen Handelsobjekt.125
Die ursprünglichen Partnerbindungen haben sich jedoch bis heute erhalten
und füllen das ganze Universum der Liebesromane. Pubertät und romantische Liebe hatten von Beginn der Menschheit an dem Individuum die
Ablösung aus dem ursprünglichen Sozialverband erleichtert. Das ursprüngliche  Abschiedsritual der Hochzeit126 verkam zum Geschäftsabschluß. Das ist bis heute so geblieben. Es bedarf wohl keiner näheren Begründung, daß diejenigen Männer bei der Fortpflanzung „erfolgreicher“ waren, die sich Frauen kurzerhand kauften als die, die warten mußten, bis eine Frau sie auswählte. Darin liegt auch der Grund für die in vielen Teilen der Welt geltenden strengen und teils grotesken Regeln für die natürlichste Sache der Welt. Fast alles ist zu finden: von sexueller Freizügigkeit bei Südseevölkern bis zur Verhängung der Todesstrafe wegen Ehebruchs auch über vergewaltigte Frauen. Auch dem aufgeklärten westlichen Denken ist das natürliche Zusammengehörigkeitsgefühl von Sexualpartnern fremd. Da geistert immer noch das Schlagwort von der Familie als „Keimzelle“ des Staates durch die Publikationen. Aus jeder Keimzelle geht ein kompletter Organismus hervor, ein Phänomen, das bei Familien und Staaten nicht zu beobachten ist. Auch Artikel 6 des deutschen Grundgesetzes beinhaltet eine Systemwidrigkeit. Mitten in die garantierten Menschenrechte hat sich die Institutsgarantie für eine nach allem höchst fragwürdige Einrichtung eingeschmuggelt: „Ehe und Familie stehen unter
dem besonderen Schutz des Staates“. Die „Familie“ aber nur dann, wenn
die Eltern „ordnungsgemäß“ verheiratet sind…
Voraussetzung für diese Art von Geschäften ist freilich die Verkrüppelung
der sozialen Instinkte, die Organismen eines Sozialverbandes untereinander
eng verbinden. Wie wir oben gesehen haben, pflanzten sich die
Insulaner innerhalb eines beschränkten Genpools fort, so daß die verwandtschaftliche Nähe aller die Entstehung und Verbreitung von Verkrüppelungen
förderte. Neben dem Gesichtsschädel verkümmerten tief im
Schädelinneren die sozialen Instinkte. Das unsichtbare Band, das den Neandertaler mit seinen Gefährten und Frauen verband, zerriß allmählich.
Die Tötungshemmung fiel. (Gerhard Altenhoff, aaO, 161ff)

Ungefähr zeitgleich mit diesen Erwägungen, nämlich im Jahre 1999 stellte das MPI öffentlich die Frage, ob die moderene Menscheit durch ein Nadelöhr gekommen wäre.

Was ich damals nicht wußte, daß wir das „Bonobo – Gen“ immer noch in uns tragen. Bonobos sind die Primaten mit der wohl höchsten sexuellen Aktivitäts- und Primiskuitätsrate. Der Bonobo ist immer noch in uns, Carl XVI. Gustav von Schweden scheint es zu beweisen.

Ferner hatte man sich vor 10 bis 11 Jahren noch wenig Gedanken um den Wert des Kuschelhormons Oxytocin gemacht. Oxytocin dürfte der Schlüssel zum Unterschied zwischen dem „modernen (mordenden) Menschen“ und seinen „Vorfahren“ sein. Wenn man sich so umschaut, scheint der „mordende Mensch“ an extremer Unterversorgung von Oxytocin zu leiden.- Vielleicht gleicht man mal die Oxytocinspiegel von Schimpansen, Bonobos und Menschen miteinander ab. – Das Ergebnis könnte für den „Homo Sapiens Sapiens“ so überraschend wie vernichtend sein.

Hormonmangel als „Mördergen“ – Eigentlich ein ganz einfacher „Schachzug“ der Evolution.  – Ob das aber so in ihrem Sinne ist, darf bezweifelt werden.


ZDFneo – ZDF.de

November 27, 2009

ZDFneo – ZDF.de.

Sorry, liebe Leute, nicht Darwin war der größte Ketzer aller Zeiten, er hat ihm nur den Weg gebahnt.

Darwin hat das Bild gemacht, – daran besteht kein Zweifel.

Aus seiner Zeit heraus mußte es ein „Negativ“ sein. – Darwin kannte die „soziale Wirklichkeit“ des Charles Dickens, in dem jeder, der nicht der „Upper Class“ angehörte, Tag für Tag um sein Überleben kämpfen mußte.

Kein Wunder also, daß Darwin seine Erfahrungen in die Natur projizierte.

Wir tun dasselbe heute auch noch: Der Sprachgebrauch in Berichten über die Evolution ist militaristisch, unsere sozialen Bedingungen nähern sich dem frühen 19. Jahrhundert erneut an.

Der Gepard, ein schneller, gnadenloser Jäger! – Fragezeichen! Drehen Sie das Bild einfach einmal um:

Die Gazelle – eine gnadenlose Gepardenkinderkillerin? – So sieht es aus, wenn eine Gazelle einer Gepardin davonrennt und deren Kinder mangels Beute verhungern müssen.

Nicht der Jäger „dominiert“ die Beute. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Wer von Pflanzen lebt, kann sich glücklich schätzen, denn diese laufen nicht davon. Wer aber auf die Jagd angewiesen ist, der muß mit dem zufrieden sein, was er erwischen kann. – Und das ist wenig genug.

„Tyrannosaurus Rex“ hat niemals die Erde beherrscht. – Er lebte von den Kadavern, die irgendwo herumlungerten. – Entgegen anderslautenden Berichten war er kein furchterregender Jäger. Mit seinen lächerlichen Ärmchen hätte er kein Beutetier festhalten können. Seine nächsten Verwandten, die Vögel, haben in der „Jagdvariante“ samt und sonders leistungsfähige Greiforgange. – Geier aber nicht. Die Vögel, die sich bei der Beutejagd einzig auf ihren Schnabel verlassen, fressen Insekten. – Ich kenne keinen Biologen, de unseren guten alten T. Rex jemals einen Insektenfresser genannt hätte.

Vom Standpunkt unserer Mitaffen aus gesehen, haben wir ähnlich lächerliche Ärmchen wie T. Rex. – Und weil wir geneigt sind, unsere unangenehmen artspezifischen Eigenschaften  in die Natur zu projizieren, würden uns Schimpanse, Bonobo, Gorilla &Co in einer Art Artbetimmungskonferenz – nicht ohne Humor – wohl zum

Tyrannopithecus Majestix

erklären.

Ich brauchte nur das Negativ, das Darwin entwickelt hatte, neu zu belichten und zu entwickeln. Und schon hatte ich das Bild: Die Evolution als nichtlinear-thermodynamisches System.

Das Chaos ist die Gottgewollte Ordnung.


„Ardi“, „Lucy“ und „Angie“ – Wir bleiben, wer wir waren

Oktober 7, 2009

Quelle: Rheinische Post vom 3.10.2009
Quelle: Rheinische Post vom 3.10.2009

In ihrer Ausgabe vom 3.10. 2009 rätselt die RHEINISCHE POST auf ihrem Titelblatt mit der „ganzen Welt“ über Urfrau Ardi. – Auf Seite A 8 teilt die RHEINISCHE POST dann mit, daß Ardi bereits aufrecht gehen konnte. – Nun gut, das abgebildete Skelett Ardis läßt den Schluß darauf ohne weiteres zu.

Sie ähnelt, wen wundert es, der weltbekannten „Lucy“.

Verblüfft hat mich dann doch der Hinweis des Autors Ludwig Juvanovic, daß Ardi bereits den Schädel auf der Wirbelsäule „balancierte“, während bei Affen das Rückgrat direkt am Hinterkopf  endet. –

Es fiel mir wie Schuppen von den Augen und ich hätte mir in das untere Ende meiner Wirbel-“säule“ beißen können: Verdammt nochmal! – Jedes Menschenaffenkind beherrscht das „Balacieren“ seines Schädels auf der Wirbelsäule, weil der Winkel, den seine Schädelbasis zur Wirbelsäule bildet, exakt dem des Menschen entspricht. – Das entscheidende anatomische Merkmal, das den „Menschen“ ausmacht und ihn von Schimpansen, Bonobos, Orang-Utans und Gorillas scheidet, sitzt uns buchstäblich im Nacken. – Die „kraniale Flexur“ war für mich jedoch so selbstverständlich, daß ich sie als kontituierendes Element für das Menschsein einfach übersehen hatte. Zwei andere anatomische Anomalien des menschlichen Körpers wären hinreichend gewesen, die Entwicklung des „aufrechten Gangs“ zu rechtfertigen, aber die „kraniale Flexur“ war die wohl notwendige Bedingung. Aber fangen wir mit der „Wirbelsäule“ an. Ich darf zitieren aus „Australoptithecus Superbus – Der Mensch im Licht nichtlinear-dynamischer Evolution“ (S. 63ff) denn Evolution ist alles andere als „das Überleben des Tüchtigsten“,  sie ist vielmehr:

Die Stunde der Krüppel.

Discovery treibt gemächlich den Fluß des Lebens hinab und begleitet den letzten gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Schimpanse. Langsam wird die erste Gabelung sichtbar, ein Graben tut sich auf:

Bis vor etwa 5 Mio. Jahren war Afrika von der West- bis zur Ostküste von Wald bedeckt. Danach veränderte der Planet die Lebensbedingungen im östlichen Afrika. Die ostafrikanische Senke, das Rift-Valley, begann, nach und nach den Kontinent zu teilen . Das Rift-Valley ist der Grabenbruch, der vermutlich dereinst Afrika auseinanderreißen wird.  Während westlich des Rift-Valley keine wesentliche Veränderung eintrat, änderte sich östlich des Grabenbruchs das Klima. Die Wälder verschwanden allmählich und machten einer ausgedehnten Savanne Platz.

Westlich des Rift-Valley blieben unsere baumbewohnenden Verwandten vorherrschend. Für deren Verwandte im Osten Afrikas wurden die Lebensbedingungen naturgemäß immer problematischer. Mit dem langsamen Waldsterben schrumpfte auch der Lebensraum für Baumhangler. –

Wie aber konnten Lebewesen, die an ein Leben in den Bäumen gewohnt waren, in die Savanne vordringen und warum haben sie in diesem Zusammenhang den aufrechten Gang erworben?

An dieser Stelle müssen wir uns vor Augen halten, daß es eine Reihe von Affen gibt, die ebenfalls in der Savanne zuhause sind, beispielsweise der Pavian. Im Gegensatz zum Menschen läuft der Schimpanse grundsätzlich auf vier Beinen.

Wenn wir in der Geschichte der Organismen blättern, stellen wir zudem fest, daß der Mensch nicht das erste Lebewesen ist, daß die zweibeinige (bipede) Lebensweise angenommen hat. Vögel laufen auf zwei Beinen, Känguruhs laufen bzw. hüpfen auf zwei Beinen, Hasen ebenso. Fledermäuse sind zwar nicht gut zu Fuß, aber ebenfalls Zweibeiner. Bei Dinosauriern, von denen unsere Vögel ja abstammen, war bipede Lebensweise ebenfalls gang und gäbe. Der bekannteste Vertreter ist Tyrannosaurus Rex, der Gigant mit dem Riesenschädel und der lächerlichen Ärmchen. – Eben die Arme des T. Rex geben uns einen Hinweis. Bei bipeden Dinosauriern waren die Vordergliedmaßen verkrüppelt. Aus diesen Verkrüppelungen gingen die Flügel der Vögel hervor und auch die Schwingen der  Flugsaurier, die denen der Fledermäuse verblüffend ähneln. Hasen haben verkürzte Vorderbeine, Känguruhs auch. Allen gemeinsam ist aber nach wie vor die Form der Wirbelsäule. Sie gleicht denen aller andern Landwirbeltiere:

Landwirbeltiere haben eine bogenförmige Wirbelsäule. – Der Begriff „Wirbelsäule“ trifft eigentlich nur auf den Menschen zu. Bei Landwirbeltieren von „Wirbelbogen“ oder „Wirbelbrücke“ zu sprechen, wäre zutreffender. (64) Nun haben wir aus dem Biologieunterricht behalten, daß der Mensch eine doppelt S-förmig gebogene Wirbelsäule hat, die die Belastungen durch den aufrechten Gang optimal abfedert. Die V- förmige Ausrichtung derOberschenkelknochen dient ebenfalls der optimalen Gewichtsverteilung.

Soweit die von Generation zu Generation kolportiere Legende von der perfekten Anpassung.

Wie sieht es in Wahrheit aus? – Immer mehr Menschen haben Probleme mit den Bandscheiben. Der Meniskus, ein Knorpelstück im Kniegelenk, das die Last des Körpers auf die geraden „Stempel“ der Unterschenkel verteilt, ist gegen Verschleiß sehr anfällig. Wahrscheinlich ist die hohe Anfälligkeit des menschlichen Skeletts gegen Abnutzungserscheinungen in früheren Zeiten nicht so sehr aufgefallen, weil die Menschen nicht so alt wurden wie heute.

Ich weiß nicht mehr, wo ich den Satz gelesen habe. Da es mir nicht liegt, mich mit fremden Federn zu schmücken, zitiere ich ihn trotzdem: „Wäre der liebe Gott allmächtig, hätte er dem Menschen statt der Wirbelsäule eine Spiralfeder eingebaut.“

Betrachten wir die menschliche Wirbelsäule ein wenig näher. Drehen wir sie einmal um 90 Grad in die Horizontale und vergleichen wir sie mit der Wirbelsäule aller anderen Landwirbeltiere.

Um 90° verdreht und auf die für Landwirbeltiere übliche Wirbelbrücke projiziert, vermittelt die menschliche Wirbelsäule im unteren Brust- undim Lendenbereich einen geradezu „eingefallenen“ und damit verkrümmten,  verkrüppelten Eindruck.

Stellen wir uns einen baumbewohnenden Affen vor, bei dem ein genetischer Defekt im Jugendalter dazu führt, daß seine Wirbelsäule sich zum Bauch hin verkrümmt. Welche Chance hätte er, sich erfolgreich fortzupflanzen? – Nach der klassischen Evolutionstheorie keine, denn die Mutation ist ja nachteilig.

Aus der Sicht einer als laminar begriffenen Evolution ist eine derartige Mutation nur vordergründig nachteilig. Die Vermehrungsmöglichkeiten derart verkrüppelter Lebewesen wird durch die selektive Impedanz, dieden Lebensraum und die ökologische Nische der Art definieren, stark eingeschränkt. Als Baumhangler im Wald werden die Träger dieser Anomalie erhebliche Probleme gehabt haben. Dennoch, unsere eigene Wirbelsäule ist der Beleg dafür, ist ein solcher genetischer „Defekt“ immer wieder aufgetreten.

Vor fünf Mio. Jahren erlebten unsere Vorfahren eine Art Klimakatastrophe. Der Lebensraum für waldbewohnende Baumhangler schrumpfte im Laufe der Zeit dramtisch.

Könnte sich der Nachteil einer verkrüppelten Wirbelsäule unter veränderten Lebensbedingungen in einen Vorteil verwandelt haben?

Das setzt voraus, daß die Fortpflanzungschancen eines derart benachteiligten Wesens nicht mehr annähernd Null waren.

(65) Nun vollzog sich der Übergang vom Regenwald zur Savannenlandschaft nicht ruckartig, sondern allmählich. Junge Bäume konnten mangels Wasser nicht mehr nachwachsen, die alten starben nach und nach ab. In den dadurch freiwerdenden Lebensraum sickerten zunächst Pflanzen ein, denen Pflanzenfresser folgten. Diese wiederum lockten nach und nachdie Fleischfresser an. – Die Natur folgte auch hier dem immer gleichbleibenden Muster der Besiedlung.

Unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen, sind keine Nahrungsspezialisten, wir sind es auch nicht. Unsere gemeinsamen Vorfahren konnten es daher ebenfalls nicht gewesen sein. Aus diesem Grunde waren sie in der Lage, ihr Futter auch im offenen Gelände zu suchen. In den frühen Savannentagen, als es dort erst wenige andere Pflanzenfresser gab, war auch die Gefährdung durch die ihnen folgenden Raubtiere sehr gering.

Freilich steht dem Nahrungserwerb eines Waldbewohners in der Savanne ein nicht zu unterschätzender Widerstand entgegen. Dieser ist im Organismus selbst zu finden und heißt Angst. Angst ist eine körperliche Reaktion auf tatsächliche oder vermeintliche Gefahren. Sie setzt vor allem Adrenalin frei, das Hormon, das den Organismus auf die Reaktionen Kampf oder Flucht vorbereitet. Alle bekannten Wirbeltiere erleben ungewohnte Situationen als Bedrohung; das ist sinnvoll, weil Unbekanntes lebensgefährlich sein kann. Diese Schwelle galt es für unsere Vorfahren zu überwinden, wenn sie den Wald und damit ihre gewohnte Umgebung verlassen wollten. Nun gibt es innerhalb jeder Art Individuen, die ängstlicher sind als der Durchschnitt, aber auch Vertreter, die sich vom Durchschnitt durch mehr Mut unterscheiden. An diesem Ende des Spektrums sind diejenigen unserer Vorfahren zu finden, die sich als erste in das offene Gelände vorwagten. Sie stießen bei der Nahrungssuche zunächst einmal auf wenig Konkurrenz und ein niedriges Gefährdungspotential. Nach und nach, wohl über Generationen hinweg, zogen die ängstlicheren Vertreter der Art nach.

Wer aber gilt als der mutigste Artgenosse? – Wahrscheinlich der, der dieGefahrensituation als lustvoll erlebt. Das Lusterlebnis als Gegenspieler der Angst. In einem „intakten“ Ökosystem, in dem das Zusammenspiel von Fressen und Gefressenwerden eingependelt ist, bedeutet Lustgewinndurch Angst den frühen Tod. – Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin  um.

Nicht so unsere Vorfahren. Sie trafen bei ihren Ausflügen unter den freien Himmel nur wenig reale Gefahren für Leib und Leben an. Das muß so gewesen sein, denn die Lust an der Gefahr hat sich bis zum heutigen Tage in unserem Erbgut erhalten. Das können Sie beim Zappen durch die Sender leicht feststellen. Actionfilm hier, Kriegsfilm da, auf Kanaldrei und fünf je ein Western; nach dem nächsten Werbeblock folgt dann ein Horrorfilm.- Allen gemeinsam ist, daß sie Bedrohung und die Gefahr für Leib und Leben des Protagonisten zum Thema haben. Von der Odyssee bis zu den Romanen von John Grisham und Stephen King finden Sie über die Jahrtausende kontinuierlich die Schilderung von Gefahrensituationen in den Bestsellerlisten. Aber nicht nur Filmindustrie und Verla- (66)ge verdienen gut am Spaß mit dem Schrecken. Kein Jahrmarkt ohne Achterbahn, und die Geisterbahn darf auch nicht fehlen. Der zivilisierte Mensch gibt sehr viel Geld dafür aus, Angst lustvoll erleben zu dürfen.

Auch in der alltäglichen Realität ist Selbstgefährdung gang und gäbe. Expeditionen in unbekannte Gegenden, Bergsteigen und Skirennen, Fallschirmspringen und Bungeejumping. – Diese Aufzählung ist keineswegs vollständig, es sind nur Beispiele für all die Situationen, in denen sich Menschen bewußt einer Gefahr aussetzen. Ohne diese Neigung wäre die Menschheit allerdings keinen Schritt weiter als vor etwa 5 Mio. Jahren, denn das lustvolle Erleben der Gefahr ist ein konstituierendes Element dessen, das wir gemeinhin als Pioniergeist bezeichnen. Und es ist wieder einmal das biologische Erbe, das Geistesinhalten Gestalt verleiht.

Zum Leidwesen vieler gehört hierher aber auch das Rasen über Autobahn und Landstraße. Das lustvolle Erleben der Gefahr ist stärker als alle Vernunft. – Auch die härtesten Strafen werden das Phänomen nicht aus der Welt schaffen können, dafür ist es viel zu tief in uns verwurzelt.

Angst und Vorsicht sind auch Raubtieren nicht fremd, und solange diese in den Resten des Regenwalds genügend Nahrung fanden, werden sie esvermieden haben, ins offene Gelände überzuwechseln. Die selektive Impedanzf ür die Vermehrung der Gefährdungshungrigen war praktisch Null.

Der relativ geringe Kontrolldruck durch natürliche Feinde verringerte denWiderstand gegen die Vermehrung „erbkranken“ Nachwuchses. Die nachteiligen Wirkungen einer Wirbelsäulenverkrümmung waren durch die Lebensumstände neutralisiert.

Wenn Sie das nächste Mal einen Einkaufsbummel in einer Großstadt machen, achten Sie verstärkt auf die Hinterteile Ihrer Mitmenschen. Deren Form wird im wesentlichen von der Breite der Beckenknochen bestimmt. bewußt darauf achten, werden Sie erstaunt sein, wie groß die Variationsbreite des menschlichen Beckens ist. Bei Frauen ist das augenscheinlicher als bei Männern, aber auch bei diesen gibt es erhebliche Unterschiede.

Bei Ihrem nächsten Besuch im Freibad schauen Sie Ihren Mitmenschen einmal ungeniert auf die Beine. Sie werden sehen, daß X- bzw. O – Bein gar nicht einmal so selten sind. In beiden Fällen handelt es sich um Fehlstellungen der hinteren Extremitäten.

Wir sehen im Laufe unseres Lebens Tausende von Menschen, aber kaum Schimpansen. Die Breite der Beckenschaufeln dürfte beim Schimpansenin ähnlicher Weise variieren wie beim Menschen. Auch unter Schimpansen werden Fehlstellungen der Beine vorkommen. – Letzteres bedeutet infreier Wildbahn in der Regel den frühen Tod, denn jede Fehlstellung der Beine vermindert das Tempo beim Klettern und erhöht die Wahrscheinlichkeit, einem Freßfeind zum Opfer zu fallen.

Raubtiere hinterlassen allerdings kaum Belege für anatomische Anomalien. Dennoch wird es sie geben, aus welchem Grunde sollten Affen die Ausnahme bilden? – Die von menschlichen Züchtern gesteuerte Entwicklung des Wolfes zum Dackel basiert auf Verkrüppelungen des Beinskeletts; bei der „modernen“ Variante des deutschen Schäferhundes mit sei- (67) ner angeborenen Hüftdysplasie gilt die Fehlstellung der hinteren Extremitätenals der letzte Schrei.

Halten wir uns vor Augen, daß die sich öffnende Savanne für unsere  Vorfahren eine Art Reservat darstellte , in dem sie vor Nachstellungen relativsicher waren. Innerhalb des Reservats lebten sowohl Affen mit Rückgratverkrümmung als auch Affen, die ein breites Becken und einwärts gerichtete Oberschenkel hatten.

Innerhalb dieses Reservats ist eine Kreuzung zwischen den „Varianten “ nahezu unvermeidlich. Halten wir fest, daß es innerhalb der Variationsbreiteder Skelettbildung genügend Ansatzpunkte gab, den  „Mangel“ der verkrümmten Wirbelsäule zu kompensieren. Inzestuöse Beziehungen zwischen „Sonderlingen“ erhöhen zudem die Wahrscheinlichkeit der Merkmalskombination. Das reicht vollkommen aus, um eine Rückkoppelungsschleife in Gang zu setzen.

Minus mal minus ergibt plus, sagen die Mathematiker; in der Natur gilt dieser Satz mit der Einschränkung, daß die Randbedingungen es zulassen.

Die Randbedingungen waren zur damaligen Zeit allerding nicht so, daß die sich bildende Savanne genügt hätte, die junge Menschheit zu ernähren. Sie stellte überwiegend Gräser als Nahrungsmittel zur Verfügung, das haben Pollenanalysen ergeben. Früchte, deren Transport sich gelohnt hätte, hielt die Savanne also nicht bereit.

Dank langjähriger Beobachtung weiß man heute, daß selbst Schimpansen zur Fortbewegung gelegentlich nur die hinteren Extremitäten benutzen,vor allem dann, wenn sie begehrenswerte Früchte transportieren wollen.  Der Aktionsradius unseres Vorfahren war nicht auf die Savanne beschränkt. Seine Abenteuerlust ermöglichte ihm die Rückkehr in seine ursprüngliche Heimat, die Reste des Regenwaldes. Damit konnte er auch dessen Nahrungsquellen anzapfen; eine Gelegenheit, die die Natur nur sehr wenigen Lebewesen bietet.

Und dieses Dasein als „Grenzgänger“ könnte unseren Vorfahren den entscheidenden Überlebensvorteil gewährt haben. Die infolge der einander  kompensierenden Verkrüppelungen geschaffene Möglichkeit, mehr Nahrungsmittelzu transportieren als die Konkurrenten, gab der Rückkoppelungsschleife in Richtung des aufrechten Gangs weiteren Schwung.

Computeranimationen zeigen, daß aus heutiger Sicht der damalige aufrechteGang unserer Vorfahren ein wenig watschelhaft erscheint. Aber wir, ihre Nachkommen, sind der Beweis, daß sie sich äußerst erfolgreichdurchs Leben geschlagen haben.

Zwei einander kompensierende anatomische Anomalien sind für die Entwicklungdes aufrechten Gangs hinreichend. Die Rahmenbedingungen ließen es zu. – (Ende des Zitats)

Sie sehen, die „kraniale Flexur“, die fast rechtwinklige Verbindung zwischen Schädelbasis und Wir belsäule ist nicht erwähnt.

die kraniale Flexur

die kraniale Flexur

Warum aber ist sie für die Unterscheidung von Mensch und seinen Mitaffen von zentraler Bedeutung?

Erstens: Erst im Laufe der Kindheit eines Menschenaffen wandert die Verbindungsstelle zwischen Schädel und Wirbelsäule in Richtung Hinterkopf. – Stellen Sie sich einmal einen Affen vor, der wegen eines Leidens, das man „kraniale Flexur“ nennt, gezwungen ist, zeitlebens seinen Blick entweder zum Boden zu richten oder ständig mit einem „Hans-Guck-in-die Luft“- Hals durch die Weltgeschichte zu hangeln. – Große Chancen, das fortpflanzungsfähige Alter zu erreichen, hätte er jedenfalls nicht.

Zweitens: Wie bewerkstelligt es die Natur, das Hinterhauptsloch (die Nahtstelle zwischen Schädel und Wirbelbogen) an den Hinterkopf „wandern“ zu lassen? – Nun, ganz einfach: die Knochenmasse an der Schädelbasis nimmt zu. – Wenn sie es nicht tut, bleibt die „kraniale Flexur“ erhalten. Wenn diese aber erhalten bleibt, ist das ein weiteres gutes Indiz für die Schlüssigkeit des Neoteniekonzepts: Die Evolution hat an dieser Stelle „vergessen“, wie es weitergeht. Und es zeigt sich gerade hier, wie einmalig die „Erfindung“ des „aufrechten“ Gangs war:

Drittens: Die „kraniale Flexur“ ermöglicht auch bei „doppelt-S-förmig“ verbogenem Wirbelbogen, also nach Ausbildung der „Wirbelsäule“ einen nach vorn gerichteten Blick und eine ungestörte räumliche Wahrnehmung des Lebensraums. – Und das ist es, worauf es ankommt.

Deswegen ist das Vorhandensein der „kranialen Flexur“ das hauptsächliche Kriterium zur Entscheidung der Frage, ob ein Lebewesen „schon“ Mensch oder aber „noch“ Affe ist. – Ardi ist demnach eindeutig ein Mensch. – Was sie von „Lucy“, die vor rund 3,5 Mio Jahren lebte, und „Angie“, die heute versucht, die Domina der Welt zu spielen, genetisch unterscheidet, sind nur noch Nuancen.

„Ardi“ war wegen der kranialen Flexur eindeutig ein Mensch.

Aber ihre Anatomie sagt uns noch nichts über ihr Sozialverhalten. Dennoch gibt es Hinweise aus dem Sozialverhalten der Bonobos, die wir auch bei uns wiederfinden, seit Jahrtausenden freilich auf sogenannte „Rotlichtviertel“ beschränkt. Bonobos praktizieren Sex öffentlich. „Öffentlichen Sex“, den gibt es beim Menschen weltweit erst wieder seit der Erfindung des Internet. Das gibt durchaus Anlaß, einmal darüber nachzudenken, ob die kulturelle Sexualfeindlichkeit eine „natürliche“ Ursache haben kann:

Sexclub Neandertal

Bei Bonobofrauen sehr beliebt ist „Hoka-Hoka“ von Biologen auch G-G-Rubbing genannt:

Forscher beschreiben Sex zwischen Bonoboweibchen mit einem stimmigen, aber für unsere Zwecke doch zu sterilen Begriff: Genito-genitales Reiben. Denn der Ausdruck GG-Reiben (so wird er im Allgemeinen abgekürzt) wird kaum der Hingabe und Verzückung gerecht, mit denen zwei Weibchen diese Art Sex praktizieren. Wir wollen daher lieber das Wort der Mongandus benutzen, um diesen bemerkenswerten Akt zu kennzeichnen: Hoka-Hoka.

Hoka-Hoka sieht folgendermaßen aus: Das junge Weibchen sitzt da und beobachtet das ältere. Wenn das ältere Hoka-Hoka wünscht und gesehen hat, dass das jüngere auf eine Einladung wartet, legt es sich auf den Rücken und spreizt die Beine. Das jüngere springt dann auf, nähert sich, und beide umarmen sich. Gesicht an Gesicht, wie Menschen in der Missionarsstellung, haben die Weibchen schnellen, erregten Sex. Ihre Hüften bewegen sich rasch und im Gleichtakt, ihre sensitivsten Sexualorgane – die Klitoris – reiben sich aneinander. Die Klitoris der Bonoboweibchen ist groß, verglichen mit der der menschlichen Frau oder der Menschenaffenweibchen, und liegt, im Vergleich zu den Schimpansen, mehr zum Bauch hin. Kano ist davon überzeugt, dass sich Lokalisierung und Form der Bonobo-Klitoris entwickelt haben, um schönes Hoka-Hoka zu ermöglichen. Hoka-Hoka endet damit, dass beide Weibchen laut aufschreien, die Glieder fest ineinander verkrallt, die Muskeln kontrahiert. Dann ein stiller, intensiver Moment. Es sieht ganz nach Orgasmus aus. (Wrangham/Petersen „Bruder Affe“, 2001 S. 259)

Man findet diese Art des Verhaltens auch beim heutigen Menschen.   Man schweigt darüber, aber „Hoka-Hoka“ begeistert bei YouPorn.com sogar ein Millionenpublikum…

Wir heutigen Menschen sollten uns am Sozialverhalten unserer Vorfahren und unserer nächsten Verwandten im Tierreich ein Beispiel nehmen. „Make Love not War“ – ist keine Erfindung der „68er“ – es ist ein Gebot der Biologie. Man könnte auch sagen:

„Kuscheln statt Killen“

Und wenn Sie das nächste Mal in den Spiegel schauen, werden Sie ein weiteres Neotenes Merkmal erkennen, denn Ihre Gesichtsporportionen entsprechen dem eines Affensäuglings. – Wenn Sie so wollen, hat auch „‚Angie“ nichts anderes als eine verkrüppelte Schnauze, ob ihr das paßt oder nicht.